# taz.de -- Lampedusa-Flüchtlinge im Abseits: „Wir interessieren nicht mehr�… | |
> Seit drei Jahren kämpft die Gruppe „Lampedusa in Hamburg“: Sie fordert | |
> ein Bleiberecht aus humanitären Gründen für alle ihre Mitglieder – ohne | |
> Erfolg. | |
Bild: Anlaufpunkt für Neuankömmlinge, Ort der Vernetzung: Bis auf Weiteres da… | |
Einmal berichtet, dann vergessen: Immer wieder bleiben im journalistischen | |
Alltag Themen auf der Strecke. Die taz.nord möchte mit der Serie „Der | |
zweite Blick“ dranbleiben an Themen, die wir für wichtig halten: | |
Missstände, die wir kritisiert haben, Reformideen und Menschen, die | |
losgezogen sind, die Welt zu verändern. | |
HAMBURG taz |„Warum?“ Dreimal schallt das Wort über den Platz, durchbricht | |
Stimmen, Musik und Straßenlärm. Als Abimbola Odugbesan diese Frage stellt, | |
hält er das Mikrofon in seinen Händen fest umklammert. Ein lautes | |
Quietschen und Knarren dringt aus den Lautsprechern an dem kleinen Zelt, | |
dessen vordere Wand hochgeschlagen ist. Wer neben dem Infostand steht, hält | |
sich die Ohren zu. Doch Odugbesan rüht sich nicht. Er nimmt das unangenehme | |
Geräusch gar nicht wahr. Der Sprecher der Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ ist | |
hochkonzentriert. Und er ist wütend. | |
„Ist Freiheit nur etwas, was den Europäern zusteht?“, ruft er. „Warum | |
müssen wir uns um die Freiheit erst bewerben?“ Den Notizzettel, den er | |
anfangs noch in den Händen hielt, hat der 30-Jährige längst beiseite | |
gelegt. Es ist Samstagnachmittag, etwa 150 Menschen haben sich am Steindamm | |
versammelt, gleich gegenüber dem Hamburger Hauptbahnhof. Die | |
Geflüchtetengruppe hat zum Protest aufgerufen, denn ihr | |
„Lampedusa-Info-Tent“ soll weg: Der Hamburger Senat habe angeordnet, das | |
Zelt an einen anderen Ort zu verlegen, heißt es in dem Aufruf. Zwei Wochen | |
zuvor habe man eine Nachricht von der Versammlungsbehörde erhalten, erklärt | |
Odugbesan. „Wir sollten den Platz bis zum 6. Juni räumen, angeblich wegen | |
Bauarbeiten. Das Zelt sollte an einen anderen Platz in der Innenstadt | |
verlegt werden.“ Allerdings: Drei solcher Anordnungen habe die Gruppe in | |
den letzten Monaten schon bekommen. „Reine Schikane, der Senat spielt mit | |
uns, will uns mürbe machen.“ Odugbesan hebt mahnend den Zeigefinger. „Nicht | |
mit uns“, sagt er. „Wir haben genug von diesen Spielen.“ | |
„Vor zwei Tagen kam eine neue Nachricht, die Bauarbeiten wurden verschoben. | |
Das Info-Zelt darf bis Oktober stehen bleiben“, bestätigt Beate Gleiser, | |
eine der Unterstützerinnen, die gerade Flyer an Passanten verteilt. „Die | |
Männer sind müde, haben kaum noch Energie. Die Situation ist zermürbend, | |
jetzt kommt die Angst um den Standort am Steindamm dazu.“ | |
Die Polizei weiß auf Nachfrage nichts von einer eventuellen Räumung: „Die | |
Versammlungsbehörde hat eine solche Anordnung nicht getroffen“, sagt | |
Polizeisprecherin Karina Sadowsky. Das kleine Camp der Flüchtlinge habe | |
weiterhin den Status einer Dauerversammlung in Form einer Mahnwache. Wie | |
lange die Flüchtlinge damit an diesem Ort bleiben können, das sei aber | |
nicht absehbar. | |
Seit Mai 2013 steht das „Info-Tent“ nun schon. Die CDU-Fraktion im Bezirk | |
Hamburg-Mitte, in dem der Steindamm liegt, fordert inzwischen öffentlich | |
die Räumung, ebenso Wolfgang Schüler, der im Auftrag örtlicher | |
Gewerbetreibender als „Quartiersmanager“ firmiert. Für Odugbesan aber käme | |
jede Verlegung einer Niederlage gleich, sagt er: Immer noch sei das Zelt | |
die Hauptinformationsstelle der Gruppe, der zentrale Treffpunkt für die | |
Vernetzung, und ja, ein paar Männer nutzten es in der Nacht auch als | |
Schlafplatz. „Das Zelt ist auch ein Symbol für das Leid aller Flüchtlinge | |
weltweit“, sagt er. „Wir brauchen einen zentralen Platz, um daran zu | |
erinnern.“ | |
[1][Drei Jahre sind vergangen], seit sich rund 300 Männer aus dem | |
subsaharischen Afrika zum Kollektiv „Lampedusa in Hamburg“ | |
zusammengeschlossen haben. Mit der Errichtung des schlichten weißen Zeltes | |
in der Hamburger City begann ein langer Kampf gegen die Mühlen der | |
deutschen und der europäischen Bürokratie. Die Gruppe fordert ein | |
kollektives „right to stay“, ein Bleiberecht für die ganze Gruppe. Der | |
Hamburger Senat sah sich dafür als nicht zuständig, verwies auf die | |
Dublin-Verordnung: Weil die Männer auf der italienischen Insel Lampedusa | |
erstmals EU-Boden betraten, wäre Italien auch zuständig für die | |
Asylverfahren. Ein Aufenthaltsrecht für die ganze Gruppe – nach Paragraf 23 | |
des Aufenthaltsgesetzes denkbar – lehnten die Hamburger Behörden stets ab. | |
Eine unter anderem der Gruppe gewidmete und in massive Ausschreitungen | |
mündende Demonstration mit knapp 20.000 Teilnehmern im Dezember 2013, | |
massive Kritik von Opposition und Menschenrechtsorganisationen: Nichts | |
konnte die Politik umstimmen. Und heute? In Abimbola Odugbesans Gesicht | |
zeigen sich Müdigkeit und Anstrengung. „Unsere Forderung ist immer noch die | |
gleiche, eine Gruppenlösung nach Paragraf 23“, sagt er. „Aber die Politik | |
beachtet uns nicht. Die einzige Behörde, mit der wir regelmäßig in Kontakt | |
stehen, ist die Polizei.“ Der Großteil der 300 Männer von damals lebe noch | |
in Hamburg, wie viele genau, könne er aber nicht sagen. „Wir haben nicht | |
mit allen Kontakt, einige haben sich aus den politischen Aktionen | |
herausgezogen.“ Dafür habe er Verständnis, sagt Odugbesan. „Es gibt keine | |
Spaltung der Gruppe, jeder versucht eben, irgendwie zurechtzukommen.“ Ein | |
Großteil der Männer lebt heute bei Unterstützern, ist auf Spenden | |
angewiesen – oder arbeitet schwarz. Andere haben Praktika gemacht und | |
dürfen heute ganz legal arbeiten. | |
Hamburgs Ausländerbehörde gibt an, dass aktuell 74 Männer als | |
„Lampedusa-Flüchtlinge“ gemeldet seien: Sie hätten eine | |
Aufenthaltserlaubnis beantragt, über die aber in jedem Einzelfall das | |
Bundesamt für Migration (BAMF) zu entscheiden hat. 19 Anträge dieser wurden | |
bislang abgelehnt, gerade mal ein Antragsteller hat eine | |
Aufenthaltserlaubnis bekommen. In 46 Fällen steht die Stellungnahme des | |
BAMF noch aus. Das alles hat die CDU im Februar bei Hamburgs rot-grünem | |
Senat erfragt. „Bis das Verfahren beendet ist, dürfen sich die Betroffenen | |
in Hamburg aufhalten“, sagt Norbert Smekal, Sprecher der Innenbehörde. | |
„Irgendwie zieht sich der Protest durch mein Leben“, sagt Odugbesan, „ich | |
habe zuhause gekämpft und hier kämpfe ich schon wieder gegen | |
Machtstrukturen.“ Der 30-Jährige hat in Nigeria Soziologie und Englisch | |
unterrichtet. Als er dort gegen soziale Missstände und die Diskriminierung | |
von Frauen protestierte, wurde er bedroht. Einziger Ausweg: Flucht. Zuerst | |
nach Libyen, später nach Italien, 2013 kam er in Hamburg an. Er verstehe | |
sich als eine Art Gewerkschafter, der für die Interessen von Flüchtlingen | |
eintrete. Den politischen Kampf weiterzuführen sei „seine Pflicht“. | |
Am Infozelt spricht gerade jemand über die Ausbeutung des afrikanischen | |
Kontinents, über Rassismus und Kolonialismus. Der 25-jährige Sami zieht die | |
Schultern hoch und hält die verschränkten Arme dicht an den Körper | |
gepresst. „Kolonialismus ist der Grund, dass so viele Afrikaner heute ihr | |
Land verlassen wollen“, sagt er. „Aber eigentlich geht es hier nicht um | |
Herkunft und Staaten. Wir wollen für alle Flüchtlinge sprechen.“ Als im | |
Herbst vergangenen Jahres hunderte Flüchtlinge täglich am Hauptbahnhof | |
ankamen, mit Sack und Pack auf der Straße standen, sei das kleine Zelt am | |
Steindamm eine Anlaufstelle gewesen, berichtet Sami. „Wir habe den Leuten | |
gesagt, wo sie Hilfe bekommen, Essen und eine Unterkunft finden können. Und | |
was wir an Verpflegung da hatten, haben wir geteilt.“ Auch darum müsse das | |
Zelt bleiben: „Wir arbeiten quasi ehrenamtlich für die Stadt.“ | |
Wenn Sami über seine Situation spricht, schwingt Ungeduld mit. Er hat keine | |
Aufenthaltserlaubnis beantragt. Ihm sei Warnung gewesen, sagt Sami, was mit | |
seinem Freund Kofi passiert sei: Der Ghanaer wurde in sein Heimatland | |
abgeschoben, trotz Protesten und obwohl er als wichtiger Zeuge in den | |
Ermittlungen rund um den abgebrannten „Golden Pudel Club“ am Hafenrand | |
galt. „Ich vertraue den Behörden nicht, ich vertraue der Politik nicht“, | |
sagt Sami. „Wenn eine Wahl ansteht, wollen Politiker ein Foto mit uns | |
machen, danach sehen wir sie nie wieder. Wir interessieren die gar nicht | |
mehr.“ Im rot-grünen Koalitionsvertrag etwa wird die Lampedusa-Gruppe mit | |
keinem Wort erwähnt – obwohl die Grünen den Flüchtlingen „eine politische | |
Lösung, die ihnen Aufenthalt und eine Arbeitserlaubnis in Hamburg gibt“ | |
versprochen hatten. Aber da war ja auch noch Wahlkampf, heute ist der | |
Protest der Gruppe angesichts der neuen Fragen um | |
Flüchtlingsunterbringungen zum Randthema geworden. | |
Ein Zugeständnis, das die Grünen dem großen Koalitionspartner abringen | |
konnten: Die Flüchtlinge können sich zur Einzelfallprüfung melden, die | |
Härtefallkommission oder den Petitionsausschuss der Bürgerschaft um Hilfe | |
bitten und während des Verfahrens mit einer Duldung hier leben. Sami | |
verschränkt die Arme noch etwas fester vor der Brust, und schüttelt den | |
Kopf. „Eine Duldung“, sagt er, „ist noch keine Zukunft.“ | |
29 May 2016 | |
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## AUTOREN | |
Annika Lasarzik | |
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