| # taz.de -- Flüchtlinge in Köln: Erschöpft und aufgeschreckt | |
| > Haben Wachleute in einer Kölner Notunterkunft Flüchtlingsfrauen permanent | |
| > sexuell belästigt? Zwei Frauen haben nun Anzeige erstattet. | |
| Bild: Unterstützerdemo am Samstag in Köln auf dem Weg zur Notunterkunft in Hu… | |
| Köln taz | Der Blick durch ein schmales Fenster in die Turnhalle verrät so | |
| etwas wie Normalität inmitten der Ausnahmesituation. In der | |
| Flüchtlings-Notunterkunft Westerwaldstraße im Kölner Stadtteil | |
| Humboldt-Gremberg spielen drei-, vielleicht vierjährige Jungs Fußball | |
| zwischen den Feldbetten. Männer laufen mit Kindern auf den Schultern umher, | |
| Frauen in bunten Kleidern. Dazwischen patrouillieren zwei Sicherheitsmänner | |
| in Warnwesten. Ein breitschultriger Glatzkopf und ein großer schmaler Mann | |
| mit dunklen Haaren sind in dem Ausschnitt, den das Fenster freigibt, | |
| erkennbar. | |
| Doch der Schein trügt. An diesem Freitagmorgen ist vor der Halle die | |
| Kriminalpolizei vorgefahren, die Sozialdezernentin der Stadt, Gabriele | |
| Klug, ist ebenso anwesend wie Kölns DRK-Chef Marc Ruda und Josef Ludwig, | |
| Leiter des Amtes für Wohnungslose. Sie alle sind seit Mittwochabend | |
| aufgeschreckt, als etwa siebzig der hier seit Dezember untergebrachten | |
| Geflüchteten zusammen mit Aktivisten einer Unterstützergruppe zur | |
| Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zogen. Dort | |
| übergaben sie regelrechte Anklageschriften. | |
| „Wir können so nicht mehr weiterleben!“, heißt es in einem offenen Brief. | |
| Beengte Unterbringung, fehlende Privatsphäre, kaum sanitäre Anlagen, | |
| Schmutz, Mangelernährung, Besuchsverbot, fehlende medizinische Versorgung, | |
| keine Registrierung – die Liste ist lang und drastisch. Allein wären diese | |
| Vorwürfe wohl trotzdem untergegangen. Selbst viele Flüchtlingshelfer haben | |
| sich schon an Meldungen über Missstände in Notunterkünften, an das | |
| Behördenversagen etwa des Berliner Lageso, ja auch an die immer neuen | |
| Meldungen über Brandstiftungen gewöhnt. | |
| Besonderes Aufsehen erregt dagegen ein zweiter Brief, verfasst von den | |
| Frauen aus der Unterkunft. Darin werfen sie dem Sicherheitspersonal | |
| systematisch begangene sexuelle Übergriffe vor. Die Mitarbeiter der Firma | |
| „Adler-Wache“ beziehungsweise eines Subunternehmens sollen Frauen „beim | |
| Stillen, beim Duschen und nachts beim Schlafen“ gefilmt haben. Weiter heißt | |
| es, „sie ziehen Ehepaaren nachts die Decke weg, wenn sie darunter nackt und | |
| intim sind“. Von Vergewaltigungen ist die Rede. Frauen sollen durch | |
| psychischen Druck und durch Versprechen – etwa auf eine Wohnung – zum Sex | |
| genötigt worden sein. | |
| ## „Behauptungen von Behauptern“? | |
| In einem Gang der Sporthalle zwischen Flüchtlingen auf ihrem Weg zur | |
| Morgentoilette und Kindern auf Buggys steht Sozialdezernentin Gabriele Klug | |
| von Bündnis 90/Grüne und sagt: „Die Vorwürfe sind bislang haltlos.“ Sie | |
| verweist auf die ersten Befragungen von über fünfzig Frauen, die in der | |
| Nacht und am Donnerstag von Polizisten unternommen wurden und keine | |
| verwertbaren Aussagen ergaben. Klug betont: Weder sie selbst noch die | |
| Heimleitung kenne die Unterstützergruppe der Flüchtlinge. Und ihr Sprecher | |
| ergänzt, es handele sich um „Behauptungen von Behauptern“. | |
| DRK-Chef Marc Ruda ist aufgeschreckt, will eigentlich nichts sagen, sagt | |
| dann aber doch, dass „bei allen objektiven Missständen“ der | |
| Massenunterkunft Klagen über das Essen und die Sauberkeit „nicht gerecht“ | |
| seien. Klar wird: Die Verantwortlichen nehmen die Vorwürfe ernst. Künftig | |
| soll sich eine Ombudsfrau um Beschwerden von Flüchtlingen kümmern. | |
| Äußerlich erscheint die Sporthalle des Berufs-Kollegs | |
| Georg-Simon-Ohm-Schule in einem guten Zustand. Die Wände leuchten hell, das | |
| Rondell zwischen der Halle und den Schulgebäuden ist sauber. Erst vor drei | |
| Jahren wurde der Komplex renoviert. Doch Bilder aus der Halle zeigen: Die | |
| Betten der 196 hier untergebrachten Flüchtlinge, allesamt Familien, stehen | |
| dicht an dicht, Trennwände fehlen. In den Gängen stapeln sich Müllsäcke, | |
| die Sanitärräume sind schmutzig. Ein tristes Leben. | |
| ## Ein Ort der Abgehängten | |
| Auch rings um die Schule im Viertel Humboldt-Gremberg, das zu Köln-Kalk | |
| gehört, ist die Realität eher düster. In den sechziger Jahren noch Standort | |
| großer Industriebetriebe samt Arbeiteraristokratie, ist der Stadtteil | |
| inzwischen eher ein Ort der Abgehängten und Armen. Gleichzeitig ist Kalk | |
| seit jeher der Stadtteil, der viele der in Köln strandenden Migranten | |
| aufnimmt. | |
| Heutzutage wohnen hier viele Sinti und Roma, auch die marokkanische | |
| Community ist groß. In der Taunusstraße, die vom S-Bahnhof Trimbornstraße | |
| zur Unterkunft führt, reihen sich marokkanische Reisebüros an marokkanische | |
| Kunsthandwerks- und Import-Export-Geschäfte. Seit den Übergriffen auf | |
| Frauen in der Silvesternacht hat es hier schon mehrere Razzien gegeben. | |
| Vier S-Bahn-Stationen entfernt, auf der anderen Rheinseite, befindet sich | |
| der Stadtteil Ehrenfeld, ebenfalls stark durch Zuwanderer geprägt. Im | |
| türkischen Restaurant Tadim Damak hat Jan Schröder einen Tee bestellt. Der | |
| Aktivist mit den hochgesteckten Haaren sieht ob seines fehlenden | |
| Bartwuchses deutlich jünger aus, als er es mit seinen 25 Jahren ist. Er ist | |
| Teil der Unterstützergruppe, die sich „Dignity for Refugees Cologne“ nennt. | |
| ## Enorme Sprachbarrieren | |
| Erst vor anderthalb Wochen sei der Kontakt zu einem der Geflüchteten aus | |
| der Unterkunft entstanden, erzählt Schröder. Dieser habe sie beim Verteilen | |
| von Flyern angesprochen. Bei einem Treffen zwei Tage später habe ein | |
| Flüchtling berichtet, dass etwa die Hälfte der Erwachsenen der Unterkunft | |
| in den Hungerstreik getreten sei. Von da an ging es Schlag auf Schlag. „Es | |
| gab ein Treffen mit den Sprechern, um die benannten Missstände ins Deutsche | |
| zu übersetzen“, erzählt Schröder. | |
| Dabei räumt Schröder ein, dass die Sprachbarrieren groß seien, teilweise | |
| über Ecken vom Arabischen ins Kurdische, dann weiter ins Türkische und | |
| schließlich ins Deutsche übersetzt werden musste. „Die wesentlichen | |
| Vorwürfe stimmen aber“, gibt sich Schröder überzeugt. Dies gelte auch für | |
| den später eigens von den Frauen verfassten Brief, der die sexuellen | |
| Übergriffe benennt. | |
| Doch Zweifel bleiben. Warum hat keine der Frauen die Vorwürfe bisher | |
| gegenüber der Polizei bestätigt? Schröder zufolge hätten die Flüchtlinge | |
| nach der Demo erst den Rückweg in die Halle angetreten, als das Gerücht | |
| umging, der Sicherheitsdienst wäre ausgetauscht worden. Dann seien noch am | |
| Abend acht Mannschaftswagen der Polizei vorgefahren, wo die Beamten mit den | |
| Befragungen begonnen hätten. | |
| ## Schlechte Erfahrungen mit Polizei | |
| „Das ist kein geschützter Raum, in dem Frauen über sexualisierte Gewalt | |
| sprechen“, kritisiert Schröder. Viele hätten in anderen Ländern schlechte | |
| Erfahrungen mit der Polizei gemacht: Folter, Küstenwache, Grenzschutz. Am | |
| Vorabend hatten dagegen einige Flüchtlinge mit ausgewählten | |
| Medienvertreterinnen gesprochen: über die versuchte Vergewaltigung einer | |
| 16-Jährigen, über Sicherheitsleute, die Frauenduschen betreten, über | |
| Aufforderungen zum Sex. | |
| In der Unterkunft seien die Befragungen zunächst auch von männlichen | |
| Beamten und Dolmetschern vorgenommen worden, bestätigt Thomas Held, | |
| Sprecher der Kölner Polizei am Telefon. Dies sei nach Bekanntwerden der | |
| Vorwürfe in einer „Ad-hoc-Situation“ geschehen. Nun seien aber zwei Räume | |
| in der Halle eingerichtet worden, in denen vorwiegend weibliches Personal | |
| mit den Betroffenen spreche. Auch eine Gerichtshelferin und eine | |
| Mitarbeiterin des Weißen Rings seien dort. | |
| Während Jan Schröder erzählt, klingelt sein Telefon. Einige Minuten läuft | |
| er vor der Theke mit den Lamacun auf und ab, dann kommt er zurück und kann | |
| sich ein Lächeln nicht verkneifen. „Vier Frauen haben jetzt Aussagen bei | |
| der Polizei gemacht“, sagt er. Ab Montag sollen sie nicht mehr in der | |
| Turnhalle untergebracht werden, auch gebe es nun Befragungen einzelner | |
| Sicherheitsmitarbeiter. Schröder weiß, mit der Glaubwürdigkeit der | |
| Anschuldigungen, dass die Frauen sexuell belästigt worden seien, steht und | |
| fällt ihre ganze Kritik an der Unterbringung. „Alle fokussieren sich auf | |
| die sexuellen Übergriffe.“ Schröder war ernsthaft überrascht, als er das | |
| sagte. Zu wichtig sind ihm auch die anderen Aspekte. | |
| ## Ein geschulter Politaktivist | |
| Erst als Schröder aufbrechen muss, fällt ihm noch etwas ein: „Der deutsche | |
| Staat und die Nato sind an den Kriegen und der ökonomischen Zerstörungen in | |
| den Herkunftsländern der Flüchtlinge beteiligt.“ Mehrfach spricht er vom | |
| „politischen Kampf“ und ihren gemeinsamen Interessen mit den Flüchtlingen. | |
| Erst jetzt zeigt sich, dass Schröder ein geschulter Politaktivist ist. Auf | |
| Nachfrage bestätigt er seine Mitgliedschaft in der Roten Aktion Köln, einer | |
| kommunistischen Jugendgruppe, die die Arbeiterklasse als revolutionäres | |
| Subjekt noch nicht aufgegeben hat und sich sehr für die Kämpfe der Kurden | |
| und Palästinenser interessiert. | |
| Es ist dasselbe Umfeld, in dem sich Ivana Hoffmann bewegte, eine junge | |
| Duisburgerin, die vor einem Jahr aufseiten der Kurden in den Kämpfen mit | |
| dem IS ihr Leben verlor. Schröder und seine Mitstreiter nehmen ihre Sachen | |
| ernst. „Studium, Arbeit und vieles andere ist derzeit auf Eis gelegt“, sagt | |
| er über den Dauereinsatz der etwa zehn Aktiven. | |
| Am Samstagvormittag auf der Domplatte vor dem Hauptbahnhof sind die | |
| Unterstützer ratlos. Etwa zwanzig von ihnen sind schon eine Viertelstunde | |
| vor Demobeginn da, überwiegend junge Leute in schwarzen Jacken, einige mit | |
| Palitüchern oder Schals in den kurdischen Farben. Gemeinsam mit den | |
| Geflüchteten wollten sie hier erneut auf die Straße gehen, doch von denen | |
| ist niemand erschienen. Offenbar führt die Polizei genau zu diesem | |
| Zeitpunkt erneut Befragungen in der Unterkunft durch. Bald steht der | |
| Entschluss fest: Die Demonstration wird verlagert. | |
| ## Die Nerven liegen blank | |
| Anderthalb Stunden später stehen etwa hundert Menschen in der Nähe des | |
| S-Bahnhofs Trimbornstraße. Mit Rufen geht es zur Notunterkunft. Einige | |
| Flüchtlinge kommen heraus, andere werden von einer Mitarbeiterin der | |
| „Adler-Wache“ abgehalten und zurückgeschickt. Eine ältere Frau in einer | |
| viel zu großen Steppjacke spricht auf Arabisch durch ein Mikrofon: „Wir | |
| sind alle vor dem Krieg geflohen, jetzt wissen wir nicht, was uns | |
| passiert.“ Sie wird immer lauter, immer schneller. Eine Dolmetscherin | |
| übersetzt. „Wir haben alle psychische Belastungen. Im Lager gibt es keine | |
| Privatsphäre, auch nicht beim Versorgen der Kinder.“ | |
| Auch andere Flüchtlinge können kaum abwarten, an das Mikrofon zu treten. | |
| Explizite Vorwürfe erheben sie nicht, stattdessen danken sie den | |
| Unterstützern, sprechen von neuem Mut. Für die Menschen aus der Unterkunft, | |
| alle aus Syrien, Afghanistan, Iran und Irak, ist es ein Schritt aus der | |
| Isolation. Drei Monate sind die meisten mittlerweile hier, ohne | |
| Informationen zu ihrem Asylverfahren, ohne Kontakt nach draußen. Die | |
| Menschen können es hier kaum mehr aushalten. Ein junger Syrer erzählt von | |
| den Kindern, die bereits gewalttätig würden. | |
| Am Rande bemerkt eine junge Frau aus dem syrischen Latakia, dass | |
| Sicherheitsmänner nachts um Betten herumschleichen. Mehr will sie nicht | |
| sagen. Ein Familienvater aus Afghanistan sagt: „Die Frauen besprechen diese | |
| Dinge untereinander. Alles ist möglich.“ Nach einem Seufzer: „Es ist gut, | |
| dass ich nichts weiß.“ | |
| Am Sonntag bestätigt die Kölner Polizei, dass sie in zwei Fällen ermittelt. | |
| Die Frauen haben Vorfälle geschildert, „die von strafrechtlicher Relevanz | |
| sind“, es gehe um „Beleidigungen auf sexueller Basis“. Sie haben Anzeige | |
| erstattet. | |
| 22 Feb 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Erik Peter | |
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