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# taz.de -- Sieben Jahre wegen Geheimnisverrats: Allein gegen die Nato
> Ein Angestellter der Nato hat auf Sicherheitsmängel hingewiesen: Für
> Behörden und Justiz ist das Verrat von Staatsgeheimnissen.
Bild: Stets um ihr sauberes Image bemüht: die Nato.
Berlin taz | Wäre ihm der Schutz von Geheimnissen nicht so wichtig gewesen,
säße Manfred Klag heute nicht in einer Zelle der Justizvollzugsanstalt
Frankenthal. Ausgerechnet wegen Verrat von Staatsgeheimnissen. Je länger er
darüber nachdenkt, desto irrealer erscheint ihm das. Und je intensiver er
grübelt, desto klarer erfasst er zugleich, was ein Geheimnis sein kann. Und
vor allem: was nicht.
Im Gegensatz zu den Nato-Agenten und der Generalbundesanwaltschaft, die
sich nie darum scherten. Doch ihretwegen verurteilt das Oberlandesgericht
Koblenz Manfred Klag am 19. Dezember 2013 zu sieben Jahren Haft.
Landesverrat.
Klag soll als EDV-Experte im Nato-Hochsicherheitsbereich Staatsgeheimnisse
verraten haben, indem er diese von seinem Dienstrechner aus an sein
privates gmx-Konto schickte. So lautete die Anklage. Klag, ein Nerd, über
30 Jahre im Dienst des mächtigsten Militärbündnisses der Welt, mailte sich
11 Excel-Dateien, in denen Passwörter steckten. Diese gelten später als
Staatsgeheimnis. Sie waren allerdings nicht als Verschlusssache eingestuft.
Die Passwörter bestanden aus fünf Buchstaben und entsprachen der
Werkseinstellung des Hardwareherstellers. Wie kann so etwas überhaupt ein
Staatsgeheimnis sein?
Für den penibel gescheitelten Logiker Manfred Klag ist diese Argumentation
ein Graus. Denn wer mit einem Geheimnis falsch umgeht, riskiert die
Offenbarung und damit dessen Ende. Die Regeln zu seinem Schutz kennzeichnen
das Geheimnis grundlegend. Am speziellen Umgang damit lässt sich erkennen,
dass etwas ein Geheimnis ist. Dafür existieren Gesetze und
Verwaltungsvorschriften. Der Verschlusssachenvermerk „Geheim“ erfordert
genaue Verhaltensweisen, damit das Geheimnis gewahrt bleibt. Der exakt
geregelte Umgang mit ihm ist eine zwingende Bedingung für die Existenz
eines Geheimnisses.
Deshalb, folgert Klag, kann kein Staatsgeheimnis sein, was nicht als
solches behandelt wird. Es muss für Außenstehende ersichtlich sein,
unabhängig vom Inhalt, der ja geschützt werden soll. Das sah
Generalbundesanwalt Harald Range anders. Er definierte auf 56 Seiten seiner
Anklageschrift, dass ein Verrat der Daten die Bundesrepublik in ihren
Grundfesten bedrohe.
## Range und Netzpolitik.org
Drei Jahre später wird Range seinen Posten verlieren, weil er etwas zum
„Staatsgeheimnis“ erklärte, was keines war. Dafür ließ er die Blogger von
Netzpolitik.org verfolgen. Ein Schauspiel, an dem Kanzleramt, Ministerien,
der Verfassungsschutzpräsident und das Landeskriminalamt Berlin mitwirkten.
Obwohl sich die Behörden mit Rechtsgutachten munitionierten, zeigte sich,
dass hier ein „Staatsgeheimnis“ der Zweckmäßigkeit halber erfunden worden
war.
Das Manöver schlug nur fehl, weil die Zuständigen verkannt hatten, dass
sich mit den Bloggern die Branche identifizieren würde, die für
Öffentlichkeitserzeugung zuständig ist. Der Angriff auf die Pressefreiheit
hallte international nach. Ein medialer Orkan wehte Harald Range und das
angebliche Staatsgeheimnis davon.
Bei Manfred Klag war das genau andersherum. Hier half eine Zeitschrift bei
der Erzeugung des Staatsgeheimnisses, das Klag ins Gefängnis brachte. Der
Focus widmete seinem Fall eine Serie. „Gerissener als Topas“ wurde die
„Exklusivstory“ im November 2012 betitelt. Klag sitzt da schon drei Monate
in Untersuchungshaft.
Ein anonymer Militärexperte taucht in der Geschichte auf, der vom „größten
Verratsfall der vergangenen Jahrzehnte“ spricht. Der Reporter schreibt:
„Der angestellte Informatiker Manfred K. soll geheime Krisenreaktionspläne
der Nato und Dossiers über weltweite US-Luftlandeoperationen gestohlen und
an bislang Unbekannte verkauft haben. Auf ausländischen Tarnkonten des
verhafteten 60-jährigen K. entdeckten die Fahnder 6,5 Millionen Euro.“
## Desinformation hat System
Tatsächlich stahl Manfred Klag nie Krisenreaktionspläne oder Dossiers. Er
verkaufte auch keine Nato-Daten. Und für seine Verurteilung spielten die
Millionen, die er gespart hatte, keine Rolle, weil die Herkunft weitgehend
geklärt werden konnte. Die Desinformation hat System. Sie gehört zum
Handwerkszeug von Militärbündnissen wie der Nato.
Es waren auch keine Polizisten, die sich als Erste an Manfred Klags Fersen
hefteten, sondern Agenten der Allied Command Counterintelligence (ACCI).
Die Nato-Abteilung für Gegenspionage, keine neutralen Ermittler. Agenten,
zu denen auch Focus-Mann Hufelschulte Kontakte pflegt. Ein Reporter, den
der deutsche Auslandsgeheimdienst BND als Mitarbeiter führte. Deckname:
„Jerez“.
Vielleicht hätte sich Manfred Klag nicht mit seinen Dienstherren bei der
Nato anlegen sollen. Roger Brady, Viersternegeneral der Air Force, lernt
die Nervensäge Klag 2010 kennen. Mit Beschwerden, Anzeigen und
Schadenersatzforderungen deckt der Zivilist das Militärbündnis ein. In
einer Welt, in der Befehl und Gehorsam die natürliche Atmosphäre bilden.
Einer Kastengesellschaft, in der Soldaten oben stehen.
Klag sagt, an seinem Laptop sitzend: „Die ‚Yes Sir!‘-Mentalität war nicht
meine Sache.“ Wie auch die Einführung des neuen Systems zur
Informationsverarbeitung nicht.
## Nato-Google
Ab 2008 benutzt die Nato standortübergreifend das Document Handling System
(DHS). Dokumente werden nicht mehr lokal auf einer Festplatte gespeichert.
Nato-Mitarbeiter können endlich international zugreifen – per Suchfunktion.
Ein Nato-Google. Doch plötzlich tauchen als Treffer Dokumente auf, die als
„Nato Secret“ eingestuft sind. Allen Nutzern zugänglich. Das System
verletzt das im Hochsicherheitsbereich geltende Prinzip „Need to know“ –
„Kenntnis nur, wenn nötig“. In manchen Dokumenten fehlen gar die
Sicherheitsklassifikationen. Sie reichen von „Nato unclassified“ bis
„Cosmic Top Secret“.
Manfred Klag bereitet solche Schlamperei körperliche Schmerzen. Diese
Kennzeichnungen definieren den Umgang und den Personenkreis. Die
Vorschriften bestimmen seit Jahrzehnten seinen beruflichen Alltag. Sein
Fleisch und Blut. Und als er feststellt, dass auch seine
Gehaltsabrechnungen unklassifiziert tausenden Nato-Mitarbeitern zugänglich
sind, hält er das DHS selbst für eine Gefährdung der Sicherheit. Weil er
mehrmals erfolglos Kritik angebracht hat, erstattet er schließlich am 24.
Februar 2010 beim Leiter der Nato-Behörde Anzeige. Um eine Antwort zu
erzwingen, fordert Klag 5.000 Euro Schadensersatz. Der Stein gerät ins
Rollen.
Da seine Gehaltsdaten „den Status ‚Nato Unclassified‘ haben, können sie
sehr leicht in das PAN übertragen und in das Internet eingestellt werden“,
schreibt Klag in seiner Beschwerde. Datenschutz, kritisiert er, werde
permanent verletzt.
Bei der Nato gibt es das geschlossene NS-System (“Nato Secret“) und das mit
dem Internet verbundene öffentliche „Public Access Network“, PAN. Die
beiden sind nicht miteinander verbunden. Der Datenaustausch muss
physikalisch per Speichermedien erfolgen. Ein Sicherheitsoffizier am
„Service Desk“ ist verantwortlich für den Transfer. Er muss die Einstufung
der Daten prüfen. Im Fall von Bedenken ist vorgeschrieben, sich mit dem
Zuständigen für Informationssicherheit, dem InfoSec, in Verbindung zu
setzen. Klag fordert die „Implementierung zuverlässiger Maßnahmen zur
Datensicherung“.
## Folgenlose Anzeigen
Manfred Klag arbeitet seit 1979 bei der Nato. Er baute die
EDV-Infrastruktur am Stützpunkt Rheindahlen auf, seit 1993 ist er in
Ramstein. Auf den Stützpunkten sorgen Zivilisten wie Klag für Kontinuität.
Soldaten wechseln in der Regel nach drei Jahren.
Dass die Anzeige des lang gedienten Mitarbeiters folgenlos bleibt, nimmt
dieser nicht hin. Am 3. März 2010 ruft er den Beschwerdeausschuss an. Der
Nachteil des „DHS besteht darin, dass das alte System gut definierte
Sicherheits-/Zugriffs-Kategorien besaß. […] DHS hingegen ist standardmäßig
für den gesamten Nato-Bereich zugänglich.“ Klag schreibt: „Wenn man im DHS
nach ‚Nato Secret‘ sucht, findet man z. B. alle Bewertungsberichte des
Nato-Geheimdienstes an die oberste Nato-Behörde. […] Das ideale Werkzeug
für Spione, offiziell, legal und kostenlos.“
Zwei Tage später verhören ihn um 10.25 Uhr der Brigadegeneral W. C. und
Oberstleutnant B. „Eine Anzeige zu erstatten, ist nicht das Gleiche, wie
ein offizielles Memo zu verfassen“, kritisieren die Militärs. Klag sagt:
„Ich habe das Thema an verschiedenen Stellen vorgebracht, bei InfoSec, ich
habe es in Schulungssitzungen angesprochen, aber es ging niemand darauf
ein.“ Der Beschwerdeausschuss empfiehlt als Konsequenz lediglich:
„Intensivierung der DHS-Schulungsmaßnahmen“. Manfred Klag mosert weiter.
## Klag soll Ruhe geben
Am 4. Mai fordert ihn General Brady auf, endlich Ruhe zu geben.
Schulungsmaßnahmen würden nun erfolgen. „Ich vertraue jedoch darauf, dass
Sie von den Maßnahmen als Reaktion auf Ihre Belange überzeugt sein werden.“
Ist Klag aber nicht. Seine neue Beschwerde, 7. Juni, stuft die Nato als
Verschlusssache ein. Darin kritisiert er: „Die Nato hat keinen Schutz am
Gateway zum Internet eingerichtet und die Informationen können an die
Medien gelangen und beweisen, wie leichtsinnig die Nato mit
personenbezogenen Daten umgeht.“
Erneut nötigt Klag den General zur Stellungnahme. Und auch das reicht ihm
nicht. Sein nächster Brief ist adressiert an die Beschwerdekammer des
Nato-Hauptquartiers in Brüssel. Klag empfiehlt „dringend die Einbeziehung
der Sicherheitsabteilung einer unabhängigen, externen Organisation, nach
Möglichkeit das Nato Office of Security (NOS).
Antwort: „Die von Herrn Klag eingereichte Beschwerde wird zurückgewiesen.“
Am 23. März 2011 schreibt er „An Herrn Anders Fogh Rasmussen
Generalsekretär“. „Ich gehöre seit 31 Jahren dem Zivilpersonal der Nato a…
Die Sicherheit war immer oberste Priorität. So wie die elektronischen
Systeme eingerichtet sind und benutzt werden, sind sie jedoch für
Datenschlupflöcher anfällig.“
Seine Anzeigen, Klagen und Erwiderungen belaufen sich auf 76 Seiten. Sie
haben keine direkten Konsequenzen. Doch bei den Verantwortlichen drängt
sich der Eindruck auf, dass es möglicherweise Sicherheitslecks gibt. Bei
der Sicherheitsdienstanweisung im Hauptquartier sei ihm, zitiert Klag in
seiner als „Nato Restricted“ eingestuften Beschwerde im Juni 2010, wörtlich
gedroht worden: „Sie sind für die Sicherheit verantwortlich! Wenn sie als
Sicherheitsrisiko gelten, gefährden Sie die Sicherheit; Sie könnten von
ihrer Position enthoben werden“.
## Besuch bei der NPD
Diese Vorgeschichte fällt bei der Generalbundesanwaltschaft nicht ins
Gewicht. Motiv und Schuld verorten die Behörden ausschließlich bei Manfred
Klag. Der macht es ihnen auch leicht. Er besucht beispielsweise
Veranstaltungen der NPD, spendet der Partei einen geringen Betrag, um seine
„Security Clearance“, seine Nato-Sicherheitsüberprüfung, zu verlieren.
Klag vertritt keine radikale Weltanschauung – das bestätigen später auch
die Ermittlungen –, er spekuliert auf die Abfindung im Fall einer
vorzeitigen Entlassung. Deswegen zeigt er sich auch selbst beim
Verfassungsschutz an. Das Ganze misslingt, die NPD besucht er nie wieder.
Doch seine NPD-Kontakte lancieren Ermittler an die Presse. Mit einem
Sicherheitsproblem im März 2012 beginnt der ganze Ärger für Manfred Klag.
Er ist nach eigener Aussage gerade damit beschäftigt, eine Übersicht über
die Server und deren Hardware zusammenzustellen, als er elf Excel-Dateien
findet. Als „Service Level Manager“ verantwortet er den Bestand der
Hardware. Er traut seinen Augen kaum, als er in den Tabellen unter der
Rubrik „Passwörter“ Codes für die Server sieht.
## Elf Excel-Dateien
Passwörter sind bei der Nato in einem versiegelten Umschlag in einem
Panzerschrank aufzubewahren. Sie müssen aus zwölf Ziffern bestehen. Zahlen,
Sonderzeichen, Groß- und Kleinbuchstaben. Doch diese Passwörter: fünf
Buchstaben. Sie entsprechen der Werkseinstellung des Herstellers. Manfred
Klag traut der Nato mittlerweile viel Schlamperei zu. Doch diese Passwörter
– denkt er – können unmöglich echt und in Benutzung sein.
Aber die Dateien taugen für weitere Beschwerden. Denn wieder fehlen
Verschlusssachenvermerke. Unklassifiziert, wie bei seinen
Gehaltsabrechnungen. Ein Verstoß gegen den Umgang mit Geheimnissen.
Ihm kommt eine Idee. Er könnte die Richtigkeit seiner so erfolglos
vorgebrachten Kritik mit einer Pflichtverletzung beweisen. Vielleicht würde
das seinen Vorgesetzten endlich die Augen öffnen. Er könnte sich elf
Excel-Dateien vom sicheren NS-System an das offene PAN übertragen lassen.
Die Nato-Daten würde er von zu Hause aus an seine Vorgesetzten schicken.
Die Sicherheitsmängel wären augenscheinlich. Doch Manfred Klags ziviler
Ungehorsam wächst sich zum Landesverrat aus.
Am 19. März 2012 um 14.23 Uhr schreibt er in die Betreffzeile der Mail an
das Service Desk: „Please transfer to PAN for manfred.klag“. Im Anhang
befinden sich die zwei Dateien „ServerTemplate.xls“ und „P36ICC.xls“. D…
Sicherheitsoffizier transferiert die Daten ohne Nachfrage an das
öffentliche System. Ein Sicherheitsverstoß. Der Beweis!
Von hier aus verschickt Klag die Daten an seine private gmx-Adresse. Zu
Hause speichert er sie auf seiner Festplatte und erstellt Sicherheitskopien
auf Datensticks, die der Sicherheitsfanatiker unter Kellerfliesen und
Türleisten deponiert. Neun weitere Excel-Dateien lässt er sich zwei Tage
später transferieren. Drei Monate später, am 22. Juni, testet Klag das
Service Desk mit aktualisierten Daten erneut.
Diesmal fragt eine Mitarbeiterin nach. Sie werde Rücksprache mit InfoSec
halten. Klag gratuliert. Sicherheitstest bestanden! Sie könne die Daten
löschen. Das ist in den Ermittlungsakten protokolliert.
## Filmreife Hausdurchsuchung
Er hört nichts mehr von der Sache. Wenige Tage später pensioniert ihn die
Nato und lässt ihn zu seiner Verwunderung eine Loyalitätserklärung
unterschreiben. Manfred Klag ahnt nicht, dass ihn bereits Nato-Agenten der
Abteilung Allied Command Counterintelligence überwachen. Am 25. Juni 2012
nehmen sie ihre Arbeit auf. Geschäftszeichen: PI-2012-070-IV. Einen Monat
später bringen sie ihre Ermittlungen bei der Abteilung K-12 Staatsschutz,
Polizeipräsidium Westpfalz zur Anzeige.
Sie behaupten, dass „die Verschlussvermerke, die in den Originaldateien
eingebettet waren, entfernt worden“ seien. Eine Desinformation. Denn
Sicherheitseinstufungen waren nie vorhanden, wie die Ermittlungsakten
belegen.
Erst Wochen nach seiner Verhaftung am 6. August 2012, Anfang Oktober,
beginnt die filmreife Hausdurchsuchung in dem kleinen Dorf in der Pfalz.
Vor Ort sind auch die Nato-Geheimagenten sowie der militärische
Abschirmdienst, 28 Bereitschaftspolizisten, drei Beamte des LKA und die
Generalbundesanwaltschaft. Acht Tage durchsuchen sie alles, scannen sogar
mit Radar den Boden. Doch mehr als die bekannten elf Excel-Dateien finden
die Ermittler nicht.
Warum warteten sie wochenlang bis zu dieser Durchsuchung? Keimten bei den
Behörden langsam Zweifel auf, dass die elf Excel-Dateien nicht als
Staatsgeheimnis taugen? Paragraf 93 StGB: „Staatsgeheimnisse sind
Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten
Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheimgehalten
werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere
Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden.“
Die Excel-Tabellen enthalten Eckdaten und Standorte einzelner Serversysteme
der Nato. Daten, die für Administratoren nötig sind. Speicherkapazitäten
der Festplatten und IP-Adressen verzeichnen diese Übersichten. Rund die
Hälfte bezieht sich auf stillgelegte Server. Als Landesverräter hätte Klag
die nutzlosen Passwörter notieren können, statt sie an sein privates
gmx-Konto zu mailen. Zudem: Hunderte, vermutlich tausende Mitarbeiter
hatten bei der Nato Zugriff auf diese Informationen.
Doch die Ermittlungen richten sich nur gegen Klag. Seine Anträge, auch bei
der Nato Beweise zu sichern, werden nicht berücksichtigt. Der
Sicherheitsoffizier, der am Service Desk die Daten aus dem sicheren System
nach PAN transferierte, ließ sich angeblich nicht mehr ermitteln.
## „Geheim“-Vermerk fehlt
Mehr als diese Einseitigkeit ärgert Manfred Klag etwas anderes: Bei den
Exel-Dateien kann es sich gar nicht um Geheimnisse gehandelt haben. Denn
die Dateien waren von der Nato nicht als Verschlusssache eingestuft.
Generalbundesanwalt Harald Range schreibt in seiner Anklage: „Die von dem
Angeschuldigten im März 2012 erlangten Daten weisen hinsichtlich der in
ihnen enthaltenen Passwörter und IP-Adressen Staatsgeheimnischarakter auf.“
Doch wie wertvoll kann dieses Geheimnis sein, wenn der später für die
Verhandlung geladene IT-Sachverständige feststellt: Die Passwörter
„verstoßen gegen jede Regel. Sie sind für geheime Systeme nicht annähernd
ausreichend.“
Weil die Generalstaatsanwaltschaft offensichtlich weit auslegt, was sie als
Staatsgeheimnis definiert, praktiziert sie einen ähnlich laxen Umgang mit
diesem Geheimnis. So faxt die Poststelle der Generalbundesanwaltschaft am
8. März 2013 um 15.03 Uhr detaillierte Informationen über das angebliche
Staatsgeheimnis an den Bundesgerichtshof. Eine Befragung von P.,
Angehöriger der US Air Force. Auf 30 Seiten steht vielleicht tatsächlich
etwas Geheimes, weil der Soldat ausführlich die EDV-Architektur der Nato
beschreibt. Doch auf dem Fax fehlt der Verschlusssachenvermerk „Geheim“.
Erst im Nachhinein fällt der Bundesanwaltschaft auf, dass dieses Verhör
klassifiziert sein müsste. Es handelt ja von angeblichen
Staatsgeheimnissen. Das Protokoll der Befragung landet deshalb später in
dem nun als „Geheim“ eingestuften Band 24 der Ermittlungsakte. Andere
Dokumente, die von der Nato als „Unclassified“ deklariert sind,
überstempelt die Generalbundesanwaltschaft wahllos mit „Geheim“.
Auch für die Nato-Agenten stellen die Excel-Dateien nur dann ein
Staatsgeheimnis dar, wenn sie dadurch Manfred Klag belasten. Im internen
Umgang wird klar, dass die Informationen nicht als sensibel betrachtet
werden. Im November 2012 übergibt der Agent der Gegenspionage S. dem
Generalbundesanwalt eine CD mit den Staatsgeheimnissen: „White CD-R
containing Project_02.xls file“, heißt es im Übergabeprotokoll. Kein
Verschlusssachenvermerk.
Das Bundesinnenministerium hat „zum materiellen und organisatorischen
Schutz von Verschlusssachen“ eine Vorschrift erlassen. Die
Verschlusssachenanweisung. Diese regelt auch den Umgang mit CDs, damit
Staatsgeheimnisse von außen als solche erkennbar bleiben, ohne sie lüften
zu müssen.
## Grenzenlose Schlamperei
Doch die Schlamperei im Umgang mit Geheimnissen ist grenzenlos. Nicht nur
seine Anwälte können eine vorgeschriebene Sicherheitsüberprüfung nicht
vorweisen. Selbst der Generalbundesanwalt müsste, wenn es um
Nato-Angelegenheiten geht, überprüft werden. Aber Klags Richter ließen sich
nicht überprüfen. Um sich darüber zu beschweren, wendet sich Klag an den
Bundesgerichtshof (BGH). Dessen Präsidentin, Bettina Limperg, schreibt im
Januar 2016, Richter seien „vom Anwendungsbereich des
Sicherheitsüberprüfungsgesetz ausgenommen“.
In der Verschlusssachenanweisung heißt es jedoch über Richter: „Für die
Kenntnisnahme von VS [Verschlusssachen, Anm. d. Red.], die z.B. von der
Nato, der EU oder einem anderen Staat herausgegeben wurden, müssen sich
auch diese Personen einer entsprechenden Sicherheitsüberprüfung
unterziehen.“ Eine Stellungnahme zu dieser Rechtsfrage verweigerte der BGH
der taz.
Der Staat selbst behandelte sein größtes Geheimnis nicht so, wie er es
vorschreibt. Manfred Klag bestraft er für einen angeblich falschen Umgang
mit sieben Jahren Haft. Bei seiner Revision muss Klag erneut vor den BGH.
Die Richter lehnen ab. Ohne Begründung. Vier der fünf urteilenden Richter
hatten bereits in der Ermittlung des Generalbundesanwalts gegen Klag dessen
Haftprüfungsanträge abgelehnt. Am BGH arbeitet auch die
Generalbundesanwaltschaft.
Klags Rechtsbeistand wendet sich wegen Befangenheit an das
Bundesverfassungsgericht. Das nimmt die Beschwerde nicht an. Im Dezember
2015 schreibt die dortige Geheimschutzbeauftragte, „Mitarbeiter des
Bundesverfassungsgerichts [seien] mit der Verfahrensakte in Berührung
gekommen, die nicht über eine VS-Ermächtigung verfügen“. Kein Problem:
„Unsere Nachforschungen haben jedoch keinen Anhaltspunkt dafür ergeben,
dass Informationen aus den Verschlusssachen nach außen gelangt sind.“
Auch im Urteil über Manfred Klag heißt es: „Dass der Angeklagte die
erlangten Informationen tatsächlich an Dritte weitergegeben hat, konnte in
der Verhandlung nicht festgestellt werden. Anhaltspunkte dafür bestehen
nicht.“ Klag darf das Urteil nur wenige Tage in der Arrestzelle des
Oberlandesgerichts Koblenz einsehen. Im Januar 2014 verfügen die Richter:
„Das schriftliche Urteil wird mit Ausnahme des Rubrums und Tenors als
geheim eingestuft.“
„Das Geheimnis“, schrieb der Soziologe Georg Simmel, „enthält eine
Spannung, die im Augenblick der Offenbarung ihre Lösung findet.“
29 Feb 2016
## AUTOREN
Kai Schlieter
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Nato
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