# taz.de -- Sieben Jahre wegen Geheimnisverrats: Allein gegen die Nato | |
> Ein Angestellter der Nato hat auf Sicherheitsmängel hingewiesen: Für | |
> Behörden und Justiz ist das Verrat von Staatsgeheimnissen. | |
Bild: Stets um ihr sauberes Image bemüht: die Nato. | |
Berlin taz | Wäre ihm der Schutz von Geheimnissen nicht so wichtig gewesen, | |
säße Manfred Klag heute nicht in einer Zelle der Justizvollzugsanstalt | |
Frankenthal. Ausgerechnet wegen Verrat von Staatsgeheimnissen. Je länger er | |
darüber nachdenkt, desto irrealer erscheint ihm das. Und je intensiver er | |
grübelt, desto klarer erfasst er zugleich, was ein Geheimnis sein kann. Und | |
vor allem: was nicht. | |
Im Gegensatz zu den Nato-Agenten und der Generalbundesanwaltschaft, die | |
sich nie darum scherten. Doch ihretwegen verurteilt das Oberlandesgericht | |
Koblenz Manfred Klag am 19. Dezember 2013 zu sieben Jahren Haft. | |
Landesverrat. | |
Klag soll als EDV-Experte im Nato-Hochsicherheitsbereich Staatsgeheimnisse | |
verraten haben, indem er diese von seinem Dienstrechner aus an sein | |
privates gmx-Konto schickte. So lautete die Anklage. Klag, ein Nerd, über | |
30 Jahre im Dienst des mächtigsten Militärbündnisses der Welt, mailte sich | |
11 Excel-Dateien, in denen Passwörter steckten. Diese gelten später als | |
Staatsgeheimnis. Sie waren allerdings nicht als Verschlusssache eingestuft. | |
Die Passwörter bestanden aus fünf Buchstaben und entsprachen der | |
Werkseinstellung des Hardwareherstellers. Wie kann so etwas überhaupt ein | |
Staatsgeheimnis sein? | |
Für den penibel gescheitelten Logiker Manfred Klag ist diese Argumentation | |
ein Graus. Denn wer mit einem Geheimnis falsch umgeht, riskiert die | |
Offenbarung und damit dessen Ende. Die Regeln zu seinem Schutz kennzeichnen | |
das Geheimnis grundlegend. Am speziellen Umgang damit lässt sich erkennen, | |
dass etwas ein Geheimnis ist. Dafür existieren Gesetze und | |
Verwaltungsvorschriften. Der Verschlusssachenvermerk „Geheim“ erfordert | |
genaue Verhaltensweisen, damit das Geheimnis gewahrt bleibt. Der exakt | |
geregelte Umgang mit ihm ist eine zwingende Bedingung für die Existenz | |
eines Geheimnisses. | |
Deshalb, folgert Klag, kann kein Staatsgeheimnis sein, was nicht als | |
solches behandelt wird. Es muss für Außenstehende ersichtlich sein, | |
unabhängig vom Inhalt, der ja geschützt werden soll. Das sah | |
Generalbundesanwalt Harald Range anders. Er definierte auf 56 Seiten seiner | |
Anklageschrift, dass ein Verrat der Daten die Bundesrepublik in ihren | |
Grundfesten bedrohe. | |
## Range und Netzpolitik.org | |
Drei Jahre später wird Range seinen Posten verlieren, weil er etwas zum | |
„Staatsgeheimnis“ erklärte, was keines war. Dafür ließ er die Blogger von | |
Netzpolitik.org verfolgen. Ein Schauspiel, an dem Kanzleramt, Ministerien, | |
der Verfassungsschutzpräsident und das Landeskriminalamt Berlin mitwirkten. | |
Obwohl sich die Behörden mit Rechtsgutachten munitionierten, zeigte sich, | |
dass hier ein „Staatsgeheimnis“ der Zweckmäßigkeit halber erfunden worden | |
war. | |
Das Manöver schlug nur fehl, weil die Zuständigen verkannt hatten, dass | |
sich mit den Bloggern die Branche identifizieren würde, die für | |
Öffentlichkeitserzeugung zuständig ist. Der Angriff auf die Pressefreiheit | |
hallte international nach. Ein medialer Orkan wehte Harald Range und das | |
angebliche Staatsgeheimnis davon. | |
Bei Manfred Klag war das genau andersherum. Hier half eine Zeitschrift bei | |
der Erzeugung des Staatsgeheimnisses, das Klag ins Gefängnis brachte. Der | |
Focus widmete seinem Fall eine Serie. „Gerissener als Topas“ wurde die | |
„Exklusivstory“ im November 2012 betitelt. Klag sitzt da schon drei Monate | |
in Untersuchungshaft. | |
Ein anonymer Militärexperte taucht in der Geschichte auf, der vom „größten | |
Verratsfall der vergangenen Jahrzehnte“ spricht. Der Reporter schreibt: | |
„Der angestellte Informatiker Manfred K. soll geheime Krisenreaktionspläne | |
der Nato und Dossiers über weltweite US-Luftlandeoperationen gestohlen und | |
an bislang Unbekannte verkauft haben. Auf ausländischen Tarnkonten des | |
verhafteten 60-jährigen K. entdeckten die Fahnder 6,5 Millionen Euro.“ | |
## Desinformation hat System | |
Tatsächlich stahl Manfred Klag nie Krisenreaktionspläne oder Dossiers. Er | |
verkaufte auch keine Nato-Daten. Und für seine Verurteilung spielten die | |
Millionen, die er gespart hatte, keine Rolle, weil die Herkunft weitgehend | |
geklärt werden konnte. Die Desinformation hat System. Sie gehört zum | |
Handwerkszeug von Militärbündnissen wie der Nato. | |
Es waren auch keine Polizisten, die sich als Erste an Manfred Klags Fersen | |
hefteten, sondern Agenten der Allied Command Counterintelligence (ACCI). | |
Die Nato-Abteilung für Gegenspionage, keine neutralen Ermittler. Agenten, | |
zu denen auch Focus-Mann Hufelschulte Kontakte pflegt. Ein Reporter, den | |
der deutsche Auslandsgeheimdienst BND als Mitarbeiter führte. Deckname: | |
„Jerez“. | |
Vielleicht hätte sich Manfred Klag nicht mit seinen Dienstherren bei der | |
Nato anlegen sollen. Roger Brady, Viersternegeneral der Air Force, lernt | |
die Nervensäge Klag 2010 kennen. Mit Beschwerden, Anzeigen und | |
Schadenersatzforderungen deckt der Zivilist das Militärbündnis ein. In | |
einer Welt, in der Befehl und Gehorsam die natürliche Atmosphäre bilden. | |
Einer Kastengesellschaft, in der Soldaten oben stehen. | |
Klag sagt, an seinem Laptop sitzend: „Die ‚Yes Sir!‘-Mentalität war nicht | |
meine Sache.“ Wie auch die Einführung des neuen Systems zur | |
Informationsverarbeitung nicht. | |
## Nato-Google | |
Ab 2008 benutzt die Nato standortübergreifend das Document Handling System | |
(DHS). Dokumente werden nicht mehr lokal auf einer Festplatte gespeichert. | |
Nato-Mitarbeiter können endlich international zugreifen – per Suchfunktion. | |
Ein Nato-Google. Doch plötzlich tauchen als Treffer Dokumente auf, die als | |
„Nato Secret“ eingestuft sind. Allen Nutzern zugänglich. Das System | |
verletzt das im Hochsicherheitsbereich geltende Prinzip „Need to know“ – | |
„Kenntnis nur, wenn nötig“. In manchen Dokumenten fehlen gar die | |
Sicherheitsklassifikationen. Sie reichen von „Nato unclassified“ bis | |
„Cosmic Top Secret“. | |
Manfred Klag bereitet solche Schlamperei körperliche Schmerzen. Diese | |
Kennzeichnungen definieren den Umgang und den Personenkreis. Die | |
Vorschriften bestimmen seit Jahrzehnten seinen beruflichen Alltag. Sein | |
Fleisch und Blut. Und als er feststellt, dass auch seine | |
Gehaltsabrechnungen unklassifiziert tausenden Nato-Mitarbeitern zugänglich | |
sind, hält er das DHS selbst für eine Gefährdung der Sicherheit. Weil er | |
mehrmals erfolglos Kritik angebracht hat, erstattet er schließlich am 24. | |
Februar 2010 beim Leiter der Nato-Behörde Anzeige. Um eine Antwort zu | |
erzwingen, fordert Klag 5.000 Euro Schadensersatz. Der Stein gerät ins | |
Rollen. | |
Da seine Gehaltsdaten „den Status ‚Nato Unclassified‘ haben, können sie | |
sehr leicht in das PAN übertragen und in das Internet eingestellt werden“, | |
schreibt Klag in seiner Beschwerde. Datenschutz, kritisiert er, werde | |
permanent verletzt. | |
Bei der Nato gibt es das geschlossene NS-System (“Nato Secret“) und das mit | |
dem Internet verbundene öffentliche „Public Access Network“, PAN. Die | |
beiden sind nicht miteinander verbunden. Der Datenaustausch muss | |
physikalisch per Speichermedien erfolgen. Ein Sicherheitsoffizier am | |
„Service Desk“ ist verantwortlich für den Transfer. Er muss die Einstufung | |
der Daten prüfen. Im Fall von Bedenken ist vorgeschrieben, sich mit dem | |
Zuständigen für Informationssicherheit, dem InfoSec, in Verbindung zu | |
setzen. Klag fordert die „Implementierung zuverlässiger Maßnahmen zur | |
Datensicherung“. | |
## Folgenlose Anzeigen | |
Manfred Klag arbeitet seit 1979 bei der Nato. Er baute die | |
EDV-Infrastruktur am Stützpunkt Rheindahlen auf, seit 1993 ist er in | |
Ramstein. Auf den Stützpunkten sorgen Zivilisten wie Klag für Kontinuität. | |
Soldaten wechseln in der Regel nach drei Jahren. | |
Dass die Anzeige des lang gedienten Mitarbeiters folgenlos bleibt, nimmt | |
dieser nicht hin. Am 3. März 2010 ruft er den Beschwerdeausschuss an. Der | |
Nachteil des „DHS besteht darin, dass das alte System gut definierte | |
Sicherheits-/Zugriffs-Kategorien besaß. […] DHS hingegen ist standardmäßig | |
für den gesamten Nato-Bereich zugänglich.“ Klag schreibt: „Wenn man im DHS | |
nach ‚Nato Secret‘ sucht, findet man z. B. alle Bewertungsberichte des | |
Nato-Geheimdienstes an die oberste Nato-Behörde. […] Das ideale Werkzeug | |
für Spione, offiziell, legal und kostenlos.“ | |
Zwei Tage später verhören ihn um 10.25 Uhr der Brigadegeneral W. C. und | |
Oberstleutnant B. „Eine Anzeige zu erstatten, ist nicht das Gleiche, wie | |
ein offizielles Memo zu verfassen“, kritisieren die Militärs. Klag sagt: | |
„Ich habe das Thema an verschiedenen Stellen vorgebracht, bei InfoSec, ich | |
habe es in Schulungssitzungen angesprochen, aber es ging niemand darauf | |
ein.“ Der Beschwerdeausschuss empfiehlt als Konsequenz lediglich: | |
„Intensivierung der DHS-Schulungsmaßnahmen“. Manfred Klag mosert weiter. | |
## Klag soll Ruhe geben | |
Am 4. Mai fordert ihn General Brady auf, endlich Ruhe zu geben. | |
Schulungsmaßnahmen würden nun erfolgen. „Ich vertraue jedoch darauf, dass | |
Sie von den Maßnahmen als Reaktion auf Ihre Belange überzeugt sein werden.“ | |
Ist Klag aber nicht. Seine neue Beschwerde, 7. Juni, stuft die Nato als | |
Verschlusssache ein. Darin kritisiert er: „Die Nato hat keinen Schutz am | |
Gateway zum Internet eingerichtet und die Informationen können an die | |
Medien gelangen und beweisen, wie leichtsinnig die Nato mit | |
personenbezogenen Daten umgeht.“ | |
Erneut nötigt Klag den General zur Stellungnahme. Und auch das reicht ihm | |
nicht. Sein nächster Brief ist adressiert an die Beschwerdekammer des | |
Nato-Hauptquartiers in Brüssel. Klag empfiehlt „dringend die Einbeziehung | |
der Sicherheitsabteilung einer unabhängigen, externen Organisation, nach | |
Möglichkeit das Nato Office of Security (NOS). | |
Antwort: „Die von Herrn Klag eingereichte Beschwerde wird zurückgewiesen.“ | |
Am 23. März 2011 schreibt er „An Herrn Anders Fogh Rasmussen | |
Generalsekretär“. „Ich gehöre seit 31 Jahren dem Zivilpersonal der Nato a… | |
Die Sicherheit war immer oberste Priorität. So wie die elektronischen | |
Systeme eingerichtet sind und benutzt werden, sind sie jedoch für | |
Datenschlupflöcher anfällig.“ | |
Seine Anzeigen, Klagen und Erwiderungen belaufen sich auf 76 Seiten. Sie | |
haben keine direkten Konsequenzen. Doch bei den Verantwortlichen drängt | |
sich der Eindruck auf, dass es möglicherweise Sicherheitslecks gibt. Bei | |
der Sicherheitsdienstanweisung im Hauptquartier sei ihm, zitiert Klag in | |
seiner als „Nato Restricted“ eingestuften Beschwerde im Juni 2010, wörtlich | |
gedroht worden: „Sie sind für die Sicherheit verantwortlich! Wenn sie als | |
Sicherheitsrisiko gelten, gefährden Sie die Sicherheit; Sie könnten von | |
ihrer Position enthoben werden“. | |
## Besuch bei der NPD | |
Diese Vorgeschichte fällt bei der Generalbundesanwaltschaft nicht ins | |
Gewicht. Motiv und Schuld verorten die Behörden ausschließlich bei Manfred | |
Klag. Der macht es ihnen auch leicht. Er besucht beispielsweise | |
Veranstaltungen der NPD, spendet der Partei einen geringen Betrag, um seine | |
„Security Clearance“, seine Nato-Sicherheitsüberprüfung, zu verlieren. | |
Klag vertritt keine radikale Weltanschauung – das bestätigen später auch | |
die Ermittlungen –, er spekuliert auf die Abfindung im Fall einer | |
vorzeitigen Entlassung. Deswegen zeigt er sich auch selbst beim | |
Verfassungsschutz an. Das Ganze misslingt, die NPD besucht er nie wieder. | |
Doch seine NPD-Kontakte lancieren Ermittler an die Presse. Mit einem | |
Sicherheitsproblem im März 2012 beginnt der ganze Ärger für Manfred Klag. | |
Er ist nach eigener Aussage gerade damit beschäftigt, eine Übersicht über | |
die Server und deren Hardware zusammenzustellen, als er elf Excel-Dateien | |
findet. Als „Service Level Manager“ verantwortet er den Bestand der | |
Hardware. Er traut seinen Augen kaum, als er in den Tabellen unter der | |
Rubrik „Passwörter“ Codes für die Server sieht. | |
## Elf Excel-Dateien | |
Passwörter sind bei der Nato in einem versiegelten Umschlag in einem | |
Panzerschrank aufzubewahren. Sie müssen aus zwölf Ziffern bestehen. Zahlen, | |
Sonderzeichen, Groß- und Kleinbuchstaben. Doch diese Passwörter: fünf | |
Buchstaben. Sie entsprechen der Werkseinstellung des Herstellers. Manfred | |
Klag traut der Nato mittlerweile viel Schlamperei zu. Doch diese Passwörter | |
– denkt er – können unmöglich echt und in Benutzung sein. | |
Aber die Dateien taugen für weitere Beschwerden. Denn wieder fehlen | |
Verschlusssachenvermerke. Unklassifiziert, wie bei seinen | |
Gehaltsabrechnungen. Ein Verstoß gegen den Umgang mit Geheimnissen. | |
Ihm kommt eine Idee. Er könnte die Richtigkeit seiner so erfolglos | |
vorgebrachten Kritik mit einer Pflichtverletzung beweisen. Vielleicht würde | |
das seinen Vorgesetzten endlich die Augen öffnen. Er könnte sich elf | |
Excel-Dateien vom sicheren NS-System an das offene PAN übertragen lassen. | |
Die Nato-Daten würde er von zu Hause aus an seine Vorgesetzten schicken. | |
Die Sicherheitsmängel wären augenscheinlich. Doch Manfred Klags ziviler | |
Ungehorsam wächst sich zum Landesverrat aus. | |
Am 19. März 2012 um 14.23 Uhr schreibt er in die Betreffzeile der Mail an | |
das Service Desk: „Please transfer to PAN for manfred.klag“. Im Anhang | |
befinden sich die zwei Dateien „ServerTemplate.xls“ und „P36ICC.xls“. D… | |
Sicherheitsoffizier transferiert die Daten ohne Nachfrage an das | |
öffentliche System. Ein Sicherheitsverstoß. Der Beweis! | |
Von hier aus verschickt Klag die Daten an seine private gmx-Adresse. Zu | |
Hause speichert er sie auf seiner Festplatte und erstellt Sicherheitskopien | |
auf Datensticks, die der Sicherheitsfanatiker unter Kellerfliesen und | |
Türleisten deponiert. Neun weitere Excel-Dateien lässt er sich zwei Tage | |
später transferieren. Drei Monate später, am 22. Juni, testet Klag das | |
Service Desk mit aktualisierten Daten erneut. | |
Diesmal fragt eine Mitarbeiterin nach. Sie werde Rücksprache mit InfoSec | |
halten. Klag gratuliert. Sicherheitstest bestanden! Sie könne die Daten | |
löschen. Das ist in den Ermittlungsakten protokolliert. | |
## Filmreife Hausdurchsuchung | |
Er hört nichts mehr von der Sache. Wenige Tage später pensioniert ihn die | |
Nato und lässt ihn zu seiner Verwunderung eine Loyalitätserklärung | |
unterschreiben. Manfred Klag ahnt nicht, dass ihn bereits Nato-Agenten der | |
Abteilung Allied Command Counterintelligence überwachen. Am 25. Juni 2012 | |
nehmen sie ihre Arbeit auf. Geschäftszeichen: PI-2012-070-IV. Einen Monat | |
später bringen sie ihre Ermittlungen bei der Abteilung K-12 Staatsschutz, | |
Polizeipräsidium Westpfalz zur Anzeige. | |
Sie behaupten, dass „die Verschlussvermerke, die in den Originaldateien | |
eingebettet waren, entfernt worden“ seien. Eine Desinformation. Denn | |
Sicherheitseinstufungen waren nie vorhanden, wie die Ermittlungsakten | |
belegen. | |
Erst Wochen nach seiner Verhaftung am 6. August 2012, Anfang Oktober, | |
beginnt die filmreife Hausdurchsuchung in dem kleinen Dorf in der Pfalz. | |
Vor Ort sind auch die Nato-Geheimagenten sowie der militärische | |
Abschirmdienst, 28 Bereitschaftspolizisten, drei Beamte des LKA und die | |
Generalbundesanwaltschaft. Acht Tage durchsuchen sie alles, scannen sogar | |
mit Radar den Boden. Doch mehr als die bekannten elf Excel-Dateien finden | |
die Ermittler nicht. | |
Warum warteten sie wochenlang bis zu dieser Durchsuchung? Keimten bei den | |
Behörden langsam Zweifel auf, dass die elf Excel-Dateien nicht als | |
Staatsgeheimnis taugen? Paragraf 93 StGB: „Staatsgeheimnisse sind | |
Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten | |
Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheimgehalten | |
werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere | |
Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden.“ | |
Die Excel-Tabellen enthalten Eckdaten und Standorte einzelner Serversysteme | |
der Nato. Daten, die für Administratoren nötig sind. Speicherkapazitäten | |
der Festplatten und IP-Adressen verzeichnen diese Übersichten. Rund die | |
Hälfte bezieht sich auf stillgelegte Server. Als Landesverräter hätte Klag | |
die nutzlosen Passwörter notieren können, statt sie an sein privates | |
gmx-Konto zu mailen. Zudem: Hunderte, vermutlich tausende Mitarbeiter | |
hatten bei der Nato Zugriff auf diese Informationen. | |
Doch die Ermittlungen richten sich nur gegen Klag. Seine Anträge, auch bei | |
der Nato Beweise zu sichern, werden nicht berücksichtigt. Der | |
Sicherheitsoffizier, der am Service Desk die Daten aus dem sicheren System | |
nach PAN transferierte, ließ sich angeblich nicht mehr ermitteln. | |
## „Geheim“-Vermerk fehlt | |
Mehr als diese Einseitigkeit ärgert Manfred Klag etwas anderes: Bei den | |
Exel-Dateien kann es sich gar nicht um Geheimnisse gehandelt haben. Denn | |
die Dateien waren von der Nato nicht als Verschlusssache eingestuft. | |
Generalbundesanwalt Harald Range schreibt in seiner Anklage: „Die von dem | |
Angeschuldigten im März 2012 erlangten Daten weisen hinsichtlich der in | |
ihnen enthaltenen Passwörter und IP-Adressen Staatsgeheimnischarakter auf.“ | |
Doch wie wertvoll kann dieses Geheimnis sein, wenn der später für die | |
Verhandlung geladene IT-Sachverständige feststellt: Die Passwörter | |
„verstoßen gegen jede Regel. Sie sind für geheime Systeme nicht annähernd | |
ausreichend.“ | |
Weil die Generalstaatsanwaltschaft offensichtlich weit auslegt, was sie als | |
Staatsgeheimnis definiert, praktiziert sie einen ähnlich laxen Umgang mit | |
diesem Geheimnis. So faxt die Poststelle der Generalbundesanwaltschaft am | |
8. März 2013 um 15.03 Uhr detaillierte Informationen über das angebliche | |
Staatsgeheimnis an den Bundesgerichtshof. Eine Befragung von P., | |
Angehöriger der US Air Force. Auf 30 Seiten steht vielleicht tatsächlich | |
etwas Geheimes, weil der Soldat ausführlich die EDV-Architektur der Nato | |
beschreibt. Doch auf dem Fax fehlt der Verschlusssachenvermerk „Geheim“. | |
Erst im Nachhinein fällt der Bundesanwaltschaft auf, dass dieses Verhör | |
klassifiziert sein müsste. Es handelt ja von angeblichen | |
Staatsgeheimnissen. Das Protokoll der Befragung landet deshalb später in | |
dem nun als „Geheim“ eingestuften Band 24 der Ermittlungsakte. Andere | |
Dokumente, die von der Nato als „Unclassified“ deklariert sind, | |
überstempelt die Generalbundesanwaltschaft wahllos mit „Geheim“. | |
Auch für die Nato-Agenten stellen die Excel-Dateien nur dann ein | |
Staatsgeheimnis dar, wenn sie dadurch Manfred Klag belasten. Im internen | |
Umgang wird klar, dass die Informationen nicht als sensibel betrachtet | |
werden. Im November 2012 übergibt der Agent der Gegenspionage S. dem | |
Generalbundesanwalt eine CD mit den Staatsgeheimnissen: „White CD-R | |
containing Project_02.xls file“, heißt es im Übergabeprotokoll. Kein | |
Verschlusssachenvermerk. | |
Das Bundesinnenministerium hat „zum materiellen und organisatorischen | |
Schutz von Verschlusssachen“ eine Vorschrift erlassen. Die | |
Verschlusssachenanweisung. Diese regelt auch den Umgang mit CDs, damit | |
Staatsgeheimnisse von außen als solche erkennbar bleiben, ohne sie lüften | |
zu müssen. | |
## Grenzenlose Schlamperei | |
Doch die Schlamperei im Umgang mit Geheimnissen ist grenzenlos. Nicht nur | |
seine Anwälte können eine vorgeschriebene Sicherheitsüberprüfung nicht | |
vorweisen. Selbst der Generalbundesanwalt müsste, wenn es um | |
Nato-Angelegenheiten geht, überprüft werden. Aber Klags Richter ließen sich | |
nicht überprüfen. Um sich darüber zu beschweren, wendet sich Klag an den | |
Bundesgerichtshof (BGH). Dessen Präsidentin, Bettina Limperg, schreibt im | |
Januar 2016, Richter seien „vom Anwendungsbereich des | |
Sicherheitsüberprüfungsgesetz ausgenommen“. | |
In der Verschlusssachenanweisung heißt es jedoch über Richter: „Für die | |
Kenntnisnahme von VS [Verschlusssachen, Anm. d. Red.], die z.B. von der | |
Nato, der EU oder einem anderen Staat herausgegeben wurden, müssen sich | |
auch diese Personen einer entsprechenden Sicherheitsüberprüfung | |
unterziehen.“ Eine Stellungnahme zu dieser Rechtsfrage verweigerte der BGH | |
der taz. | |
Der Staat selbst behandelte sein größtes Geheimnis nicht so, wie er es | |
vorschreibt. Manfred Klag bestraft er für einen angeblich falschen Umgang | |
mit sieben Jahren Haft. Bei seiner Revision muss Klag erneut vor den BGH. | |
Die Richter lehnen ab. Ohne Begründung. Vier der fünf urteilenden Richter | |
hatten bereits in der Ermittlung des Generalbundesanwalts gegen Klag dessen | |
Haftprüfungsanträge abgelehnt. Am BGH arbeitet auch die | |
Generalbundesanwaltschaft. | |
Klags Rechtsbeistand wendet sich wegen Befangenheit an das | |
Bundesverfassungsgericht. Das nimmt die Beschwerde nicht an. Im Dezember | |
2015 schreibt die dortige Geheimschutzbeauftragte, „Mitarbeiter des | |
Bundesverfassungsgerichts [seien] mit der Verfahrensakte in Berührung | |
gekommen, die nicht über eine VS-Ermächtigung verfügen“. Kein Problem: | |
„Unsere Nachforschungen haben jedoch keinen Anhaltspunkt dafür ergeben, | |
dass Informationen aus den Verschlusssachen nach außen gelangt sind.“ | |
Auch im Urteil über Manfred Klag heißt es: „Dass der Angeklagte die | |
erlangten Informationen tatsächlich an Dritte weitergegeben hat, konnte in | |
der Verhandlung nicht festgestellt werden. Anhaltspunkte dafür bestehen | |
nicht.“ Klag darf das Urteil nur wenige Tage in der Arrestzelle des | |
Oberlandesgerichts Koblenz einsehen. Im Januar 2014 verfügen die Richter: | |
„Das schriftliche Urteil wird mit Ausnahme des Rubrums und Tenors als | |
geheim eingestuft.“ | |
„Das Geheimnis“, schrieb der Soziologe Georg Simmel, „enthält eine | |
Spannung, die im Augenblick der Offenbarung ihre Lösung findet.“ | |
29 Feb 2016 | |
## AUTOREN | |
Kai Schlieter | |
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