| # taz.de -- Exponate aus ehemaligen Kolonien: „Wir holen uns Rat“ | |
| > Hamburgs Museum für Völkerkunde versucht, koloniale Präsentation zu | |
| > vermeiden und mit Restitutionsbedarf sensibel umzugehen. | |
| Bild: Regulär gekauft worden: das Maori-Haus im Hamburger Museum für Völkerk… | |
| HAMBURG taz | taz: Herr Köpke, sind alle Exponate aus den einstigen | |
| Kolonien legal in Ihrem Museum? | |
| Wulf Köpke: Das kann ich nicht mit Sicherheit behaupten, weil wir noch mit | |
| der Aufarbeitung beschäftigt sind. In Hamburg haben wir aber, im Gegensatz | |
| etwa zum Ethnologischen Museum Berlin, die Situation, dass in vielen Fällen | |
| Kaufleute die Dinge erworben haben und nicht die Kolonialbeamten. Die | |
| Kaufleute haben in der Regel bezahlt. Jetzt kann man natürlich über den | |
| Erwerb unter kolonialen Bedingungen diskutieren … | |
| … etwa über die Freiwilligkeit des Verkaufs und den Preis. | |
| Dem muss man nachgehen, keine Frage. Aber man muss auch differenzieren: In | |
| der Kolonie Belgisch-Kongo konnte es vorkommen, dass die Kolonialbeamten | |
| denen, die interessante Dinge nicht freiwillig hergaben, die Hände | |
| abgehackt oder die Sachen mit dem Gewehr abgepresst haben. Für unser Museum | |
| ist eher zu prüfen, ob ein Händler eine Situation ausgenutzt hat, um | |
| Objekte unter ihrem Wert zu erwerben. In diesem Zusammenhang muss man auch | |
| fragen, ob das wissentlicher Betrug war oder ein unterschiedliches | |
| Verständnis von Eigentum. So haben die Weißen oft gesagt: „Wir tauschen die | |
| Objekte gegen Land“ und meinten damit, dass sie das Land gekauft haben. Die | |
| Indigenen, die das Land hergaben, kannten den Begriff „Eintauschen“ für | |
| Land aber gar nicht. Ihrem Verständnis nach hatten sie lediglich ein | |
| Nutzungsrecht eingeräumt. | |
| Haben Sie ein Beispiel für ein koloniales Rückgabeproblem? | |
| Wir haben hier eine große Sammlung von den pazifischen Palau-Inseln. Als | |
| ich im April auf diesen Inseln war, diskutierten die Stammeshäuptlinge mit | |
| mir auch über eine Rückgabe. Die Geschichte geht so: Ein Forscher unseres | |
| Museums und seine Frau haben von 1908 bis 1910 auf Palau gewohnt. Es | |
| entwickelte sich ein vertrauensvolles Verhältnis, und die beiden schrieben | |
| die erste umfangreiche Monographie dieser Kultur und trugen so dazu bei, | |
| dass sie erhalten blieb. | |
| Damit haben Sie argumentiert. | |
| Ja, wir haben gesagt: Ist es der richtige Weg, die Sammlungsstücke | |
| zurückzugeben? Und sie gaben uns Recht. Dann haben sie gesagt: Wenn ihr | |
| bessere Möglichkeiten zum Aufbewahren habt, ist das in Ordnung – solange | |
| wir Zugang haben. | |
| Was heißt das? | |
| Wir haben vereinbart, dass eine wissenschaftliche Delegation aus Palau | |
| kommt und sich unsere Bestände anguckt. Dann möchten wir Ausstellungen | |
| erstellen und nach Palau schicken. | |
| Verlaufen die Verhandlungen immer so geschmeidig? | |
| Nein. Bei den Gebieten, in denen die Hamburger Südsee-Expedition 1908 bis | |
| 1910 geforscht hat, hat es gelegentlich zweifelhafte Erwerbsbedingungen | |
| gegeben. Die ethnische Gruppe der Tolai hat gesagt, bevor wir verhandeln, | |
| möchten wir wissen, was ihr über uns geschrieben habt. Daraufhin haben wir | |
| jedes Buch, das über diese Gruppe erschienen ist, ins Englische übersetzt – | |
| ein Prozess von fünf Jahren. | |
| Und was passiert jetzt? | |
| Die Tolai nutzen das Wissen aus den Büchern und Fotos aus unserem Museum, | |
| um verlorene Teile ihrer Kultur wiederzubeleben. | |
| Und das Haus der Maori? Es stammt zwar aus keiner Ex-Kolonie, aber es wurde | |
| ja nicht fürs Museum gebaut. | |
| Das Rauru-Haus ist 1908 regulär an unser Museum verkauft worden, das | |
| zweifeln auch die Maori nicht an. Trotzdem haben sie vor einigen Jahren | |
| erwogen, es zurückzufordern – wegen des spirituellen Eigentums. | |
| Was war der Auslöser? | |
| Eine 1985 nach Neuseeland ausgewanderte Hamburgerin, die den Maori sagte, | |
| dass hier im Museum etwas sei, das ihnen gehöre. Daraufhin ist eine Gruppe | |
| Maori inkognito gekommen, hat sich angeguckt, wie wir mit dem Haus umgehen | |
| und entschieden, sie wollen es nicht zurück. Im Oktober 2013 sind 70 Maori | |
| nach Hamburg gekommen und haben noch mal geschaut. | |
| Mit welchem Resultat? | |
| Sie haben gesagt: Jetzt sind unsere Ahnen seit 100 Jahren durch dieses Haus | |
| mit dem Museum verbunden. Das verbindet. Das Haus fühlt sich in Hamburg | |
| jetzt wohl. Dennoch haben sie einen Nutzungsvertrag für die nächsten Jahre | |
| gemacht und sich vorbehalten, es zurückzufordern. | |
| Und wie verhält es sich mit kleineren spirituellen Objekten? | |
| Auch da holen wir uns Rat. Vor einiger Zeit hatten wir eine Ausstellung | |
| über Prärie-Indianer und haben sie vor der Eröffnung mit einem Medizinmann | |
| der Schwarzfuß-Indianer besichtigt. Wir hatten ausgemacht: Wir stellen | |
| nichts aus, was du nicht möchtest. Und da waren dann diese | |
| Geistertanzhemden – fast 120 Jahre alt, aber der Medizinmann kannte sie | |
| alle. | |
| Hätten Sie sie restituiert? | |
| Das wäre ein Fall gewesen, über den man hätte nachdenken müssen. Aber er | |
| hat gesagt: „Es gibt keine Eigentümer mehr, die Anspruch darauf erheben | |
| können. Und wenn einer von dem betreffenden Stamm kommt, gebt es nicht | |
| heraus.“ Das seien „spirituelle Atombomben“, die nicht in die falschen | |
| Hände kommen dürften. Und es gebe nur noch falsche Hände. Einen tätowierten | |
| Maori-Kopf haben wir dagegen zurückgegeben. | |
| Reden wir über die aktuelle Präsentation. Haben Sie noch kolonial anmutende | |
| Abteilungen? | |
| Wir suchen das zu vermeiden, indem wir bei allen großen Ausstellungen mit | |
| den „Source Communities“ kooperieren. Den Maori-Saal haben wir mit Maori | |
| zusammen gestaltet, die Afrika-Ausstellung mit Afrikanern. Sehr altmodisch | |
| war aber die Indonesien-Abteilung, die wir vor ein paar Jahren abgerissen | |
| haben. | |
| Wie würden Sie dieses Muster beschreiben? | |
| Das war diese Exotik, dieses Draufschauen auf isolierte Stücke. Wenn Sie | |
| aber nicht erklären, wie ein Gegenstand benutzt wurde – wenn Sie also | |
| keinen Respekt vor dem Objekt haben –, dann ist das kolonial. | |
| Und es gibt aktuell keine koloniale Vitrine? | |
| Doch, und das ist rein zufällig aufgefallen. Wir haben zwei Vitrinen mit | |
| Gegenständen von kleineren pazifischen Inseln, die ich neulich jungen | |
| afghanischen Diplomaten zeigte. Sie haben die Präsentation nicht verstanden | |
| – und das war genau der Punkt. | |
| Was zeigen die Vitrinen? | |
| Skulpturen aus Palau und von den Karolineninseln. Als ich die Irritation | |
| meiner Gäste bemerkte, fiel mir auf: Wir sind vor lauter Begeisterung über | |
| die Ästhetik in das alte Muster geschlüpft und haben keine Erklärung | |
| geliefert. Der fremde Blick hat uns geholfen, zu sagen: Das geht so nicht, | |
| das müssen wir abbauen. | |
| 18 Nov 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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