| # taz.de -- Selbstkritisches Völkerkunde-Museum: Das Feixen der Südsee-Köpfe | |
| > Hamburgs Museum für Völkerkunde hat ein Uni-Seminar angeregt, das die | |
| > koloniale Vergangenheit der Exponate aufarbeitet. Ziel ist eine App, die | |
| > die Geschichte von 25 Objekten nachzeichnet. | |
| Bild: Will weiter aufarbeiten: Wulf Köpke, Chef des Hamburger Museums für Vö… | |
| HAMBURG taz | Es ist finster im Raum, an den Wänden Masken, die wirken als | |
| würden sie schreien. Feixende oder fauchende Südseemasken, von dramatischen | |
| Spots beleuchtet – ein Gruselkabinett. Im Hamburger Museum für Völkerkunde | |
| spielt das Ganze, und es wirkt im ersten Moment wie ein Beispiel einer | |
| europäisch-arroganten kolonialen Schau exotischer, ergo „primitiver“ Riten! | |
| Aber die Geschichte geht anders: „Diese Abteilung haben wir zusammen mit | |
| Menschen aus der Südsee gestaltet“, sagt Museumschef Wulf Köpke. „Sie hab… | |
| uns gesagt, dass die Ahnengeister nachts auftreten und erschrecken sollen.“ | |
| Ein Klischee schlägt das andere, der Begriff „politische Correctness“ | |
| zerfällt. Auch Köpke war bei dieser Überinszenierung nicht wohl. | |
| Genau dieses Ringen um einen nicht-kolonialen Blick behandelt ein seit | |
| April laufendes Seminar der Uni Hamburg und des Museums, zu dem Köpke den | |
| Afrika-Historiker Jürgen Zimmerer angestachelt hat. „Die Wahrnehmung des | |
| Anderen“ ist der Titel. „Der wertende Blick“, sagt Zimmerer, „ist in Eu… | |
| so lange eingeübt worden, dass man ihn auch bei sich selbst nur schwer | |
| erkennt.“ | |
| Begonnen hat die gezielte Konstruktion des „Fremden“ im Europa des 18. | |
| Jahrhunderts. Damals brachen die ersten Reisenden zu anderen Kontinenten | |
| auf, später fuhren Händler und Militärs mit. Sie sahen, dass ihnen die | |
| fernen Völker militärisch unterlegen waren, „und im 19. Jahrhundert ist | |
| diese Neugier in Kolonialismus umgeschlagen“, sagt Köpke. | |
| ## Exponate auf Bestellung | |
| In dieser Zeit entstanden die Völkerkundemuseen. „Sie haben teils extra | |
| Expeditionen organisiert, um an Exponate zu kommen“, sagt Köpke. Oft hätten | |
| die Museen Objekte gezielt bestellt, ergänzt Zimmerer. „Und wenn es diese | |
| Dinge nicht gab, hat man sie sich besorgt. Die lokale Bevölkerung hat wohl | |
| auch Alltagsobjekte gezielt herstellt und sie – neben nicht mehr benutzen | |
| Gegenständen – an Sammler übergeben.“ | |
| Überhaupt sei unklar, unter welchen Bedingungen die Europäer sich Sachen | |
| angeeignet hätten. Selbst wenn ein Kaufmann ein Objekt erwarb: Wie | |
| freiwillig ist der Verkauf in einer kolonialen Situation? Wer bestimmt den | |
| Preis? Wie viel Prozent der Exponate basieren auf Raubzügen etwa der | |
| Briten, die 1897 in Benin – im Südwesten des heutigen Nigeria – Hunderte | |
| kostbare Bronzen des 16. Jahrhunderts stahlen? Auch das Hamburger Museum | |
| hat 150 davon, und unter welchen Bedingungen sie restituiert werden, ist | |
| unklar. „Die Verhandlungen laufen“, sagt Köpke. Überhaupt könne er seinem | |
| Museum nicht pauschal Absolution erteilen. „Wir haben längst nicht alle | |
| Dokumente gesichtet.“ Aber sobald Zweifel aufträten, werde man mit den | |
| jeweiligen Staaten nach Lösungen suchen. | |
| Das alles kostet Zeit. Extra-Geld gibt es kaum, und damit ein Anfang | |
| gemacht ist, hat Köpke besagtes Seminar angeregt. Bis März 2015 sollen | |
| dessen Studenten eine App für Museumsbesucher entwickeln, die die | |
| Herkunftsgeschichte von 25 Objekten beschreibt. | |
| ## Afrika-Saal wird umgebaut | |
| In diesem Seminar muss es übrigens hoch hergegangen sein. Denn man stritt | |
| nicht nur über den „völkischen“ Museumsnamen. „Die Studenten haben auch | |
| gefragt, warum wir unser Haus nicht zur Heimstatt für Lampedusa-Flüchtlinge | |
| machen“, sagt Köpke. Und ja, der Name störe ihn. „Im November werden wir | |
| das mit den Museumsmitarbeitern und externen Fachleuten diskutieren.“ | |
| Auch die Existenzberechtigung eines solchen Museums, das ja schon im Ansatz | |
| kolonialistisch sei, könne man bezweifeln. Zwar fasse er alle Kulturen als | |
| gleichberechtigt auf und gestalte alle größeren Ausstellungen zusammen mit | |
| Menschen aus den betreffenden Ländern, „aber wir müssen diese | |
| Source-Communities noch stärker einbeziehen“, sagt Köpke. | |
| Allerdings, eine Frucht trug das Seminar schon: Der Afrika-Saal wird | |
| umgestaltet. „Ganz Afrika in einem Raum zu zeigen, ist nicht mehr | |
| zeitgemäß“, sagt Köpke. Das neue Konzept werde man mit Afrikanern | |
| entwickeln. | |
| Ausgerechnet dieser Dialog fehlt im Seminar: „Wir sind fast alle Europäer“, | |
| sagt Anglistin Julia Heitmann. „Wir können uns aufgrund unserer Herkunft | |
| schwer vorstellen, was ein Mensch aus den einstigen Kolonien fühlt, wenn er | |
| durch das Museum geht.“ | |
| Das, sagt Zimmerer, liege am Bildungssystem: „Wenn eine gewisse Biografie | |
| benachteiligt ist im Zugang zur Hochschule, wird sich das auch in Seminaren | |
| selbst zu diesem Thema spiegeln.“ Immerhin: Die Finanzierung zweier als | |
| Tandem gedachter Forschungsstipendien – eins für Dar es Salaam und eins für | |
| Hamburg – hat er dem Senat abgerungen. | |
| 9 Oct 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
| ## TAGS | |
| Kolonialismus | |
| Afrika | |
| Provenienzforschung | |
| Museum für Völkerkunde | |
| Übersee-Museum | |
| taz.gazete | |
| Museum für Völkerkunde | |
| Afrika | |
| Kolonialismus | |
| Hamburg | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Nomadische Kunstwerke in Hamburg: Dinge, die herumgeistern | |
| Die Ausstellung „Nomadic Artefacts“ in Hamburgs Museum für Völkerkunde | |
| erzählt nicht nur von Kunstobjekten, sondern auch von deren Wanderung | |
| Maori-Gebeine zurückgegeben: Berührt vom kältesten aller Winde | |
| Bremens Übersee-Museum hat Überreste von Moriori und Maori an Neuseeland | |
| restituiert, die der Gründungsdirektor vor 120 Jahren mitnahm. | |
| Neue Chefin fürs Völkerkundemuseum: Partizipation war gestern | |
| Die Afrika-Expertin Barbara Plankensteiner will weniger Feste feiern und | |
| Projekte mit zeitgenössischen Künstlern fördern | |
| „fremd“ im Völkerkundemuseum: Glotz sie an, nenn es Bildung | |
| Die neue Direktorin des Leipziger Grassimuseums lädt Externe ein. Ihre | |
| Interventionen sollen das Haus und ethnologische Traditionen hinterfragen. | |
| Afrika im Museum: Kolonialismus bald vorbei | |
| Museum für Völkerkunde ruft ein Afrika-Jahr aus und verabschiedet sich vom | |
| bisherigen Ausstellungskonzept. | |
| Kiel zeigt seine Südseesammlung: Gerne barbusige Schönheiten | |
| Ab 1884 wollte auch das Deutsche Reich mit dem Erwerb überseeischer | |
| Kolonien glänzen. Seeleute der Kaiserlichen Marine brachten reichlich | |
| Andenken mit. | |
| Exponate aus ehemaligen Kolonien: „Wir holen uns Rat“ | |
| Hamburgs Museum für Völkerkunde versucht, koloniale Präsentation zu | |
| vermeiden und mit Restitutionsbedarf sensibel umzugehen. |