# taz.de -- Nomadische Kunstwerke in Hamburg: Dinge, die herumgeistern | |
> Die Ausstellung „Nomadic Artefacts“ in Hamburgs Museum für Völkerkunde | |
> erzählt nicht nur von Kunstobjekten, sondern auch von deren Wanderung | |
Bild: Wenn die Außentemperatur in der Mongolei auf minus 30 Grad sinkt, lässt… | |
HAMBURG taz | Obwohl die schwarz-rote Figur eines Tänzers mit Hirschmaske | |
nur 15 Zentimeter klein ist, kommt sie vor den Wänden und Tischen aus | |
weißem Filz gut zur Geltung. Um die Ausstellungsobjekte herum flackern | |
kleine Monitore und konkurrieren mit alten Fotos und neuen Texten zu | |
Analysen historischer Zusammenhänge um Aufmerksamkeit. In Schubfächern | |
liegt noch mehr vertiefendes Material zur Ansicht bereit. | |
Dabei ist der Filz, der die Figuren zur Geltung kommen lässt, nicht die | |
schicke Idee eines Schmuckladengestalters oder referiert auf unklare | |
Strukturen der Verwaltung, sondern ist vom Material der Mongolenjurten | |
inspiriert. Denn die gezeigten Objekte wurden um 1900 in der nördlichen | |
Mongolei gesammelt. Im Hamburger Völkerkundemuseum stehen sie nicht als | |
reine Kunstobjekte oder Götterbilder, sondern sind Anknüpfungspunkte für | |
die mit ihnen verbundenen Geschichten. Dabei sind die frühere und heutige | |
Bedeutung genauso wichtig wie der Weg, auf dem sie von der Mongolei nach | |
Hamburg kamen. In Anbetracht des späteren Geschichtsverlaufs sicherte diese | |
Wanderung sogar ihr Überleben. | |
Die von Künstlermönchen als Modelle des religiösen Tsam-Tanzes gestalteten | |
Figuren wie der Hirschtänzer sind ein gutes Beispiel für den speziell | |
mongolischen, stark schamanistisch beeinflussten Buddhismus. Der ist nicht | |
nur im Völkerkundemuseum wiederzuentdecken, sondern ebenso in der heutigen | |
Mongolei. Denn seit dem Anschluss an die UdSSR 1924 wurde die Religion dort | |
bekämpft. | |
So stammt der Dokumentarfilm des letzten großen buddhistischen Festes, in | |
dem 108 verschiedene Tanzmasken zum Einsatz kommen, nicht etwa von | |
Ethnologen, sondern wurde 1937 im Auftrag der kommunistischen Partei | |
gedreht. Danach ließen die Kommunisten die religiösen Utensilien verbrennen | |
und die meisten der über 800 großen und kleinen Tempel endgültig zerstören | |
oder umnutzen. Einige wurden in Museen umgewandelt. | |
Heute, in der seit 1990 demokratisierten und wieder unabhängig gewordenen | |
Mongolei, gibt es einen Streit, in wieweit das unter dem Stalinismus | |
Musealisierte wieder der religiösen Anbetung zugänglich gemacht werden oder | |
als säkularisiertes kulturelles Erbe dem Kult entzogen bleiben soll. Ein | |
Video mit verschiedenen Positionen dazu ist in der Ausstellung zu sehen. Es | |
ist eine seltsame Parallele zu der Diskussion über die Frage, ob entgegen | |
der enzyklopädischen Rationalität auch in Europa als „heilig“ geltenden | |
Gegenstände nicht an die Erben der uralten Traditionen zurückgegeben werden | |
sollten. | |
Der österreichische Sammler Hans Leder (1843–1921) hatte auf seinen vier | |
Forschungsreisen so manche als Weihegeschenke abgelegte Objekte einfach an | |
sich genommen und dabei durchaus gelegentlich ein schlechtes Gewissen. Das | |
hinderte ihn allerdings nicht daran, rund 5.000 Objekte nach Europa zu | |
bringen. 270 davon, vom Thangka (Hängerolle) eines Medizinbuddhas bis zum | |
kleinen Holzpferd, kaufte 1909 der Gründungsdirektor des Hamburger Museums | |
für Völkerkunde, Georg Thilenius. | |
Schon früher hatte er über das Hamburger Ethnographica-Handelshaus des mit | |
der Hagenbeck-Familie verwandten Kaufmanns und Völkerschau-Veranstalters | |
Heinrich Umlauff etliche mongolische Objekte erworben, die vorher im | |
Kunstverein gezeigt worden waren – ein interessanter Aspekt, was deren | |
damalige Wertschätzung angeht. | |
Diese erste Ausstellung der neuen Direktorin Barbara Plankensteiner im | |
Hamburger Museum für Völkerkunde ist programmatisch ambitioniert und | |
international – mit starken Wien-Bezug – aufgestellt. Denn obwohl die | |
Hauptobjekte aus der Hamburger Sammlung stammen, hat Maria-Katharina Lang | |
vom Institut für Sozialanthropologie der Österreichischen Akademie der | |
Wissenschaften „Nomadic Artefacts“ kuratiert, in Kooperation mit dem | |
Weltmuseum Wien, dem Bogd Khan Palace Museum in Ulaanbaatar und der | |
National-Universität der Mongolei. Die Ausstellung steht zudem in einem | |
größeren Zusammenhang ähnlicher Forschungen und Ausstellungen des | |
übergeordneten Projekts „Nomadic Artefacts“. | |
Der englische Titel erlaubt es übrigens, den Genitiv doppelt zu lesen: Es | |
geht nicht nur um Dinge von Nomaden, sondern auch um Dinge, die selbst ohne | |
feste Heimat herumgeistern, als nomadisierende Artefakte. Und genau das ist | |
programmatisch in einer heute in ihrem Selbstverständnis schwer | |
angegriffenen Ethnologie. | |
Denn immer weniger interessiert, was die Objekte in den entsprechenden | |
Museen über das Andere zu erzählen haben. Immer mehr interessiert, wann und | |
unter welchen Umständen diese Dinge in die europäischen Sammlungen gekommen | |
sind. Das asymmetrische Handeln, die unter heutigen Vorstellungen manchmal | |
geradezu kriminelle Erwerbsgeschichte samt einer über Jahrhunderte | |
abgeleiteten Ehrenschuld machen viele aktuelle Ausstellungen mit Objekten | |
aus der Kolonialzeit inzwischen eher zu einer psychosozialen | |
Selbsterforschung von Verstrickungsgeschichten als zu einer Betrachtung | |
ferner und Vorstellungswelten. | |
Dazu passt, dass auch das Hamburger Museum für Völkerkunde nun überlegt, | |
seinen Namen zu ändern. Doch die forcierte Aufarbeitung der | |
Kolonialgeschichte kann den einst geweiteten Blick auch wieder verstellen. | |
Der Gefahr, zu einer Art politisch-sozialwissenschaftlichem Fachmuseum zu | |
werden, ist nur durch immer neue Kooperationen mit den heutigen Menschen | |
aus Übersee und deren Selbstentwurf ihrer Geschichte zu vermeiden. | |
Diese in romanhafter Weite mit dem Untertitel „Objektgeschichten aus der | |
Mongolei“ versehene Ausstellung ist sich der heute notwendigen Komplexität | |
und der ganz unterschiedlich möglichen Fragestellungen sehr bewusst. Die | |
Präsentation versucht, zwischen akribischer Archivforschung und neu | |
erstellten Videointerviews nichts auszulassen, was zu den gezeigten – im | |
Übrigen nicht gerade vielen – Objekten zu sagen wäre. Also: die Bedeutung | |
für das Museum, die Bedeutung für aktuell in der Mongolei lebende Menschen, | |
die Erwerbsgeschichte, der Ausstellungsverlauf, die Finanzierung, die Frage | |
nach dem Kunstwert und dem damaligen und heute noch verbliebenen religiösen | |
Kultwert und mehr. Und sie ist mit einem einladenden Wolkenvideo zum weißen | |
Filz eben auch (fast zu) schön gestaltet. | |
„Nomadic Artefacts – Objektgeschichten aus der Mongolei“, Museum für | |
Völkerkunde, Rothenbaumchaussee 64, Di–So 10–18 Uhr, Do bis 21 Uhr. Bis 21. | |
Januar | |
www.voelkerkundemuseum.com, www.nomadicartefacts.net | |
24 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
hajo schiff | |
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