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# taz.de -- Aufarbeitung der eigenen Geschichte: Völkerkunde ade
> Im Museum für Völkerkunde diskutiert man, ob sich das Haus einen neuen
> Namen geben soll. In der taz-Redaktion stößt das auf ein gemischtes Echo.
Bild: Strahlkraft braucht das Museum – aber unter welchem Namen?
## Pro
Letztlich ist es eine Frage von Ethik und Anstand. Und das nicht in einem
oberflächlichen, sondern politisch, ja historisch korrekten Sinne: Denn wer
schaut in einem „Museum für Völkerkunde“ eigentlich auf wen? Wer ist
Subjekt, wer Objekt, wer hat die Deutungshoheit über den anderen und über
beider Beziehung?
Alte Fotos von Kolonialherren oder Missionaren offenbaren es besonders
klar: Hier der „wissende“ weiße Dokumentar und Sammler, der sortiert und
entscheidet, was aufbewahrens- und berichtenswert ist. Und dort Mitglieder
einer als „fremd“ definierten Gemeinschaft, exemplarisch hergezeigt als
„Exoten“.
Ein „Völkerkundemuseum“ übersetzt dieses koloniale Machtgefälle ins
Dreidimensionale – nur, dass dort nicht Menschen, sondern ihre Besitztümer
vorgeführt werden. Aber das macht die Sache nicht besser: Oft willkürlich
zusammengewürfelt liegen da Objekte aus Alltag, Kult und Kunst in den
Vitrinen. So weit ging die Sortier- und Deutungslust der europäischen
Museumsgründer und -macher dann doch nicht, dass sie hier ins Feintuning
gegangen wären.
Das Label des Ganzen manifestiert dieses Denken, schreibt es fort, denn der
Begriff „Völkerkunde“ ruft gleich zwei problematische Epochen auf: das zur
(auch moralischen) Ab- und Ausgrenzung genutzte „Völkische“ der NS-Zeit –
sowie die „Völkerschauen“ etwa in Hagenbecks Tierpark um 1900, als
außereuropäische Menschen in Gehegen mit Käfigen ausgestellt wurden.
Solch ein diffamierendes Menschenbild – und all das schwingt mit in dem
Wort „Völkerkunde“ – kann in Zeiten globaler Migration und Verflechtung
nicht toleriert werden. Deshalb ist es gut, dass Hamburg jetzt plant, was
andere längst taten: Das Münchner Haus heißt inzwischen „Museum Fünf
Kontinente“, das Frankfurter „Museum der Weltkulturen“, das Berliner
„Ethnologisches Museum“. Und die einstige „Deutsche Gesellschaft für
Völkerkunde“ hat sich kürzlich in „Deutsche Gesellschaft für Sozial- und
Kulturanthropologie“ umbenannt.
Und auch wenn ein neuer Name noch keine Revolution des Denkens und lange
eingeübter Perspektiven bedeutet: Die Umbenennung ist – wie auch bei
kolonialen Straßennamen – ein unerlässlicher erster Schritt. Denn
öffentlich verwandte Begriffe bezeugen immer Zeitgeist und teilen mit, was
die jeweilige Gesellschaft toleriert und was nicht. Deshalb ist ein neuer
Name für das Hamburger Museum dringend geboten. Petra Schellen
## Contra
Viel dringender als einen neuen Namen braucht Hamburgs Kolonial-, Pardon,
Völkerkunde-Museum ein neues Denken – das wäre die ganz kurze Antwort.
Vielleicht was mit Globalisierung. Oder Welt. Aber das scheint ja auch
gegeben: Einen etwaigen neuen Namen soll das Haus, so dringt es hinter
dessen Mauern hervor, erst am Ende kriegen, am Ende einer „intensiven Phase
der Neuorientierung“, heißt es. So weit, so seriös.
Bloß ist die Gefahr nicht gänzlich gebannt. Denn einen neuen Namen draußen
dran schrauben, Briefköpfe ändern, neue Visitenkarten bestellen: Das alles
ist überschaubarer Aufwand, verschwindend im Vergleich mit der Strahlkraft
des Ergebnisses. Wer sagt eigentlich, dass am Ende nicht doch vor allem die
Umbenennung kommt? Weil alles weitere am Sich-neu-Orientieren so mühsam
ist, und wegen der begrenzten Vermittelbarkeit ans breite Publikum winken
nicht mal Rum und Ehre?
Es ist aber auch eine Frage der Aufrichtigkeit: Wer einen vom Zeitgeist
ausgemusterten Begriff wie „Völkerkunde“ glaubt verschwinden lassen zu
müssen, der beseitigt zwar nicht gleich ganz das Wissen darum, dass eben
dieser Begriff lange Zeit anders bewertet wurde. Und des Problematischen am
Völkischen werden wir ganz sicher nicht Herr, indem wir das Wort Volk
möglichst wenig verwenden; ganz zu schweigen davon, dass mit dem
Ausfallschritt hin zu irgendwelchen Bindestrich-Ethnologien im Namen nun
wirklich kein Fortschritt erreicht ist, denn die Ethnie ist ja nichts
anderes als das griechische, mithin bildungsbürgerlich verbrämte – Volk.
Das Museum zu modernisieren, ihm seinen überkommenen Geist auszutreiben,
die Asymmetrie zu korrigieren, zwischen dem weißen Mann im Tropenanzug
(oder auch dem Missionarsgewand) und den angeblich so Wilden mit Knochen im
krausen Haar: Das alles ist geboten. Es sind dies die eigentlichen Aufgaben
an der Rothenbaumchaussee, die wirklich hart zu knackenden Nüsse. Die
Änderung eines Namens, und dann ausgerechnet, weil er „keine
Identifikationsmöglichkeit mehr“ biete, ist dagegen bloße Kosmetik.
Insofern: Klar kann sich das derzeit noch der Völkerkunde verpflichtete
Museum einen neuen Namen gönnen. Es kann daraus sogar ein Mitmach-Event
machen, etwas, wie man es heute so gerne (wie falsch) zur „Partizipation“
hochjazzt (über deren „Identifikationsmöglichkeit“ gesondert nachzudenken
wäre). Es darf sich halt nur nicht darauf beschränken. Alexander Diehl
10 Nov 2017
## AUTOREN
Alexander Diehl
Petra Schellen
## TAGS
Kolonialgeschichte
Museum für Völkerkunde
Aufarbeitung
Museum für Völkerkunde
Straßenname
Zoo Berlin
Museum für Völkerkunde
taz.gazete
Schönheit
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