| # taz.de -- Deutsch-mongolischer Kulturaustausch: „Die Wärme der Jurte ist a… | |
| > Donnerstag beginnt das Literaturfestival „Geschichten in Jurten“. Der | |
| > Nomadensohn Janshindulam Daschzeweg findet das mongolische Häuschen | |
| > genial. | |
| Bild: Man fühlt sich wie in einem Bauch: Jashindulam Daschzeweg in seiner Jurte | |
| taz: Herr Daschzeweg, heute beginnt eines der erfolgreichsten | |
| Literaturfestivals dieser Stadt: Die „Geschichten in Jurten“. Warum | |
| funktionieren Lesungen so gut in mongolischen Jurten? | |
| Janshindulam Daschzeweg: In der Jurte kommt man zusammen. Wir haben schon | |
| Veranstaltungen für Schulklassen organisiert, in denen man gleich spürte, | |
| dass einzelne Schüler einander nicht mochten. Am Ende ist die Wärme in der | |
| Jurte immer ansteckend. Der Raum ist geschlossen, die Atmosphäre sehr | |
| konzentriert. Man kann nicht rausgucken, es dringen wenige Geräusche nach | |
| drinnen. | |
| Auch Deutsche empfinden Jurten als heimelig? | |
| Das Wort „Jurte“ ist kein mongolisches Wort. Das mongolische Wort für | |
| „Jurte“ ist ger. Und ger bedeutet auch „Zuhause“. Und „Himmel“. Es … | |
| der ersten Behausungen, die von den Menschen geschaffen wurde. Sie | |
| existierte schon vor unserer Zeitrechnung. 2013 hat die Unesco die Jurte | |
| zum dringend erhaltenswerten immateriellen Weltkulturerbe erklärt. | |
| Die Konstruktion sieht einfach aus. | |
| Sie ist einfach, aber genial. Jeder Winkel zwischen den Außenwänden aus | |
| Scherengittern und Dachstangen ist genau vorgegeben. Die Jurten mit vier | |
| Wänden haben 60 von diesen Stangen, sodass man am Licht, das durch den | |
| runden Dachkranz kommt, der immer offen steht – die sogenannte Krone in der | |
| Mitte des Daches – ziemlich genau die Uhrzeit ablesen kann. Wie bei einer | |
| Sonnenuhr. Außerdem hat die Jurte gute Eigenschaften, und auch das spürt | |
| man einfach. Egal, aus welchem Kulturkreis man kommt. | |
| Welche Eigenschaften? | |
| Jurten bestehen aus Holz, Filz, Stoff und Tierhaaren. Also nur aus | |
| natürlichen Materialien. Außerdem ist die Jurte sehr leicht, beständig und | |
| stabil. Nichts ist verschraubt, alles nur verschnürt. Wenn Hochwasser | |
| kommen sollte, hebt man einfach die Stoffe hoch, und das Wasser fließt | |
| hindurch. Die Jurte ist flexibel und rund, erdbebensicher. Es heißt, die | |
| Jurte kann Windgeschwindigkeiten von bis zu 160 Kilometern pro Stunde | |
| standhalten. | |
| Man fühlt sich wie in einem Bauch. | |
| Es gibt keine Ecken, in denen sich schlechte Energie ansammeln kann. | |
| Sie sprechen als Fachkundiger? | |
| Ich bin ein Nomadensohn, ich habe bis zu meinem Abitur in der Jurte gelebt. | |
| Meine Eltern hatten Bergrinder, also Yaks. Außerdem Ziegen, Schafe und | |
| Pferde. Sie lebten nicht gerade in großem Luxus, hatten aber alles, was sie | |
| brauchten. Das Nomadenleben ist nachhaltig. | |
| Wie haben Sie als Kind das Nomadenleben empfunden? | |
| Wie alle meine sieben Geschwister haben wir viel mitgeholfen, vor allem in | |
| den Ferien. Wir haben auf die Kleinen aufgepasst, Brennholz und Wasser | |
| geholt. Die Notwendigkeiten liegen ja auf der Hand. Und trotzdem oder | |
| vielleicht auch gerade deshalb waren wir sehr frei und glücklich. | |
| Sie haben alle zusammen in einer Jurte gelebt? | |
| Ja, solange wir klein waren. Man kommt meist nur zum Essen und Schlafen | |
| rein. Außerdem lebt man in einer Jurte sehr harmonisch und | |
| kameradschaftlich zusammen. Die gegenseitige Rücksichtnahme regelt sich | |
| ganz von allein, es ist alles sehr gut organisiert. Die Jurte spiegelt in | |
| ihrer Einrichtung die soziale und die spirituelle Ordnung der in ihr | |
| lebenden Menschen wider. Im Norden steht der Altar, meist auf einer | |
| Kommode. Im Süden befindet sich die Tür. Rechts ist das Bett des Vaters, | |
| links das der Mutter, dazwischen schlafen die Kinder. In der Mitte steht | |
| der kleine Ofen, mit dem geheizt und gekocht wird. | |
| Ist es im Winter nicht kalt? | |
| Im Gegenteil. Im Winter ist die Jurte gut isoliert, mit zwei oder drei | |
| dicken Schichten Filz. Die Luftzirkulation ist ideal, Nomaden kennen kein | |
| Asthma. | |
| Wo sind Sie zur Schule gegangen, wenn Ihre Eltern immer unterwegs waren? | |
| Wie alle Nomaden in der Mongolei zu meiner Zeit sind meine Eltern nur im | |
| Sommer mit dem Vieh losgezogen. Also konnte ich teilweise zu Fuß zur Schule | |
| gehen. Im Winter war mein Schulweg besonders schön. Meine Heimatprovinz | |
| liegt am Chöwsgöl-See, ich konnte mit Schneeschuhen übers Eis zur Schule | |
| gehen. Oder ich bin zur Schule geritten. Ich war kein schlechter Reiter, | |
| habe auch mal ein Pferderennen gewonnen. | |
| Wie sind Sie später nach Deutschland gekommen? | |
| Ich habe in der DDR Ingenieurwissenschaften studiert, danach in der | |
| Mongolei Pädagogik. Dann habe ich in der Mongolei als Berufsschullehrer | |
| gearbeitet, später auch im Bildungsministerium. Seit 1974 hatte ich | |
| beruflich sehr viel mit der DDR zu tun, die DDR und die Mongolei hatten | |
| sehr gute Beziehungen. Seit 1988 habe ich in deutschen Berufsschulen unter | |
| anderem mongolische Lehrlinge ausgebildet und wollte eine Forschungsarbeit | |
| über Berufsorientierung in der Mongolei schreiben. Ich habe auch begonnen, | |
| ein Fachwörterbuch zu schreiben. Aber dann kam die Wende, und es ist nichts | |
| daraus geworden. | |
| 2006 haben Sie einen Verein für deutsch-mongolischen Kulturaustausch | |
| gegründet. | |
| Wir versuchen, mongolische Kultur und Geschichte und nomadische | |
| Traditionen zu vermitteln. Wir hatten einige Jurten auf dem Gelände eines | |
| ehemaligen Ausbildungskomplexes in Treptow aufgebaut. Im Augenblick suchen | |
| wir einen neuen Standort für eine Jurte, vielleicht in Friedrichshain, | |
| vielleicht in Pankow, um dort Veranstaltungen wie Lesungen, Koch- und | |
| Musikabende oder Filmvorführungen durchzuführen. | |
| Haben Sie auch die Jurte in der Zentral- und Landesbibliothek, wo wir | |
| gerade sitzen, organisiert? | |
| Ich helfe den Bibliothekaren, sie zu pflegen. Wir kommen sehr gut | |
| miteinander aus. | |
| 24 Jan 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Messmer | |
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