# taz.de -- Rohstoffe in der Mongolei: Der Berg ruft | |
> Illegale Stollen, gigantische Minen und internationale Bergbaukonzerne: | |
> In der Mongolei dreht sich fast alles darum, an Rohstoffe zu kommen. | |
Bild: Oyu Tolgoi, eine Mine in der südlichen Region Gobi. Die Lizenz hält der… | |
Ulan Bator taz | Banzragch Batbaatar hat sich für den Feierabend | |
rausgeputzt. Der Bergarbeiter trägt schwarze Jeans, Basecap und ein | |
gestreiftes Muskelshirt. Das betont sein Dschingis-Khan-Tattoo auf dem | |
Oberarm. Batbaatar fährt nicht in die Disko, sondern gleich durch die | |
mongolische Steppe zur Jurte seiner Familie. Noch steht der 44-Jährige auf | |
einem Hügel im menschenleeren Tunkhel-Gebiet. In Teams zu fünft arbeiten | |
Männer hier als „Ninjas“. Das sind informelle Bergarbeiter, die hier als | |
Goldsucher auf eigene Faust den Hügel aufgraben und Stollen in die Tiefe | |
treiben. | |
Batbaatar zeigt zwei 30 Meter tiefe Schächte. Neben einem steht ein alter | |
Traktor. Dessen Felge auf der reifenlosen Hinterachse dient als Seilwinde. | |
Auch gibt es einen Generator für den Bohrhammer, mit dem das Gestein | |
gebrochen wird. Ein Kumpel, wie alle hier ohne Helm, holt einen Sack | |
goldhaltiger Erzklumpen aus der Tiefe. | |
„Früher habe ich in einem Sägewerk gearbeitet“, sagt Batbaatar. Doch der | |
Holzeinschlag wurde verboten. „Goldsucher ist besser, ich verdiene mehr.“ | |
Viele Mongolen meinen, die internationalen Bergbaukonzerne würden das Land | |
ausbeuten. „Wenn die lokale Bevölkerung auch etwas von ihnen bekommt, habe | |
ich nichts gegen Konzerne“, sagt Batbaatar. Er wolle aber nicht für sie | |
arbeiten. „Packen wir hier selbst an, verdienen wir mehr.“ | |
Früher lösten die Ninjas mit Quecksilber das Gold aus dem Erz. Jetzt wissen | |
die Männer zumindest hier um die Gefahren des Quecksilbers. Goldhaltige | |
Erzklumpen bringen sie nun in eine entfernte Fabrik, wo eine Mühle das Erz | |
zerkleinert und in Schlamm verwandelt. Der wird über Siebe gespült und das | |
Gold herausgewaschen. | |
Nach dem Ende des mongolischen Sozialismus zu Beginn der 90er Jahre gingen | |
viele Staatsbetriebe pleite. In der Not begannen Arbeitslose auf eigene | |
Faust nach Gold, Kupfer und Kohle zu graben. „Hier hatten Ausländer | |
Gesteinsproben untersucht. Deshalb wussten wir, dass hier was zu holen | |
ist“, sagt Batbaatar. | |
## Die schimpfende Aktivistin | |
Die Zahl der Arbeiter im informellen Kleinbergbau liegt heute bei 100.000. | |
Die von ihnen verursachten Umweltprobleme nahmen zu, ebenso Kriminalität | |
und Prostitution. Auch zahlten sie keine Steuern. Seit Jahren versucht die | |
Regierung, den Kleinbergbau zu regulieren. Beim Umweltschutz gibt es | |
Fortschritte. Doch Batbaatar und seine Kollegen arbeiten hier weiterhin | |
nicht legal. Sie würden nur geduldet, sagt er. Steuern zahlten sie nicht. | |
45 Kilometer nördlich in der Stadt Mandal schimpft Osorbal Tserennadmid | |
über die Ninjas. Die Aktivistin der „Bewegung zur Rettung der Region Noyon“ | |
kämpft aber vor allem gegen die Gatsuurt-Mine, die der kanadische | |
Bergbaukonzern Centerra Gold in den Noyon-Bergen betreibt. Werkschützer | |
versperren ihr den Weg aufs Minengelände, obwohl ihr dies am Vortag | |
zugesagt worden war. | |
Neben Umweltschutzgründen – Tserennadmid sagt: „Das Wasser von hier fließt | |
bis in den Baikalsee!“ – engagiert sie sich für archäologische Grabstätt… | |
der Hunnen, die sie gefährdet sieht. Vor Gericht ringen beide Seiten um die | |
Rechtmäßigkeit der Bergbaulizenzen. Die 63-jährige pensionierte | |
Lebensmittelingenieurin wäre von einem Unbekannten fast erstochen worden. | |
In der Distrikthauptstadt Mandal, 170 Kilometer nördlich von Ulan Bator, | |
ist Gouverneur Nyamdavaa Namsrai diplomatisch: „Wenn in dem Gebiet keiner | |
lebt und es keine archäologischen Stätten gibt, habe ich nichts gegen | |
verantwortlichen Bergbau.“ Doch betont er sein Recht, Bergbaugegner | |
protestieren zu lassen. „Ich ermögliche ihnen, ihre Position bekannt zu | |
machen.“ Konzerne wie Centerra müssten nachweisen, dass sie sicheren | |
Bergbau betreiben. Leider komme es dabei auf höheren politischen Ebenen zur | |
Korruption. „In der Wüste Gobi lässt sich einfacher zugunsten des Bergbaus | |
entscheiden“, glaubt er. | |
Dort liegt nahe der Grenze zu China die Mine Oyu Tolgoi („Türkishügel“). | |
Gold- und Kupfervorkommen der Superlative. Der angloaustralische Konzern | |
Rio Tinto sicherte sich die Lizenz und baut hier Rohstoffe ab – mit einem | |
34-prozentigen Anteil des mongolischen Staates. Einst schwärmte ein | |
Manager: „Das Schöne an Gobi ist, dass keine Eisenbahn, keine Menschen, | |
keine Häuser im Weg sind. Auch gibt es dort keine | |
Nichtregierungsorganisationen!“ Doch die Baukosten wurden immer teurer und | |
stiegen auf fast 10 Milliarden Dollar. Die Mongolei musste sich | |
entsprechend ihrer Anteile Geld bei Rio Tinto leihen und hat deshalb über | |
Jahre keine Einnahmen mehr aus dem Projekt. Dort arbeiten heute 13.000 | |
Menschen. Das gewonnene Kupferkonzentrat wird zu 100 Prozent ins nahe China | |
exportiert. Doch 600 Nomadenfamilien erklärten sich in ihren Rechten | |
beeinträchtigt. | |
## Teure Privatisierung | |
Die frühere Entwicklungshelferin Dugersuren Sukherel von der Organisation | |
OT Watch berät die Nomaden. „Das größte Problem Oyu Tolgois ist Wasser. Die | |
Mine verbraucht die Wasserressourcen der ganzen Region. Die Mongolei sollte | |
ihr kostbares Wasser nicht für ein Projekt verbrauchen, das nicht ihrer | |
Entwicklung dient.“ Oyu Tolgoi, dem vorhergesagt wurde, ein Drittel zum | |
Bruttosozialprodukt der Mongolei beizutragen, ist heftig umstritten. Viele | |
stören sich aber vor allem an den Verträgen, die zugunsten von Rio Tinto | |
abgeschlossenen worden seien. „Wir können uns nicht leisten, auf Oyu Tolgoi | |
zu verzichten. Es würden zu viele arbeitslos“, meint der Ökonom Haltar | |
Batsuuri. „Die Regierung muss die Verträge neu verhandeln.“ | |
Für Batsuuri ist die Privatisierung von Bergwerken ein Fehler. Und mit der | |
Ausweitung des Bergbaus sei die Verschuldung der Mongolei stark gestiegen. | |
„2009 hatten wir 3 Milliarden Dollar Schulden, Ende 2015 waren es schon 23 | |
Milliarden,“ sagt Batsuuri. Zugleich hätten die sogenannten Panama Papers | |
enthüllt, dass 49 Mongolen Vermögen in ausländischen Briefkastenfirmen | |
versteckten. | |
Batsuuri beklagt die gewachsene Rohstoffabhängigkeit. „2011 lag unser | |
Wachstum bei 17,5 Prozent. Damals strömte viel Berbaugeld ins Land, der | |
Kupferpreis war doppelt so hoch wie heute.“ Doch in China sank die | |
Nachfrage, die Preise brachen ein, Investitionen blieben aus, und so sank | |
schließlich das Wachstum auf unter ein Prozent. „Wir stecken in der | |
Rohstofffalle. Wir bleiben ein extraktives Land und verarbeiten unsere | |
Rohstoffe nicht.“ | |
20 Prozent des Sozialprodukts erwirtschaftet die Mongolei im Bergbau, aus | |
dem 80 Prozent der Exporteinnahmen stammen. Batsuuri würde gern | |
rohstoffverarbeitende Industrien aufbauen. Doch Sukherel von OT Watch | |
winkt ab: „Für Schwerindustrie fehlt uns Wasser.“ Sie setzt auf die | |
besondere Natur des Landes. „Je mehr Natur woanders zerstört wird, desto | |
kostbarer wird unsere. Wir können zu einem Land werden, das jeder unbedingt | |
einmal erleben will.“ Für die langen Winter zwischen Mitte September und | |
Mitte Mai mit kaum Tourismus empfiehlt sie die Entwicklung von | |
Computerdienstleistungen. | |
## Das Ende des Booms | |
In der Hauptstadt Ulan Bator meint ein Landeskenner, der anonym bleiben | |
will, die Regierung hätte den Bergbau besser komplett privatisiert, dafür | |
aber höher besteuert. Die unregulierten Aktivitäten der Ninjas seien | |
umweltschädlicher als der Bergbau der Konzerne. „Rio Tinto steht so unter | |
internationaler Beobachtung, die können sich Umweltsauereien nicht | |
leisten.“ Mongolische Umweltschützer berichten von anderen Erfahrungen. | |
In Ulan Bator, wo in Boomzeiten die Hochhäuser in den Himmel schossen, ist | |
die aktuelle Wirtschaftskrise nicht zu übersehen. Direkt am zentralen | |
Dschingis-Platz in Sichtweite des Präsidenten und des Parlaments steht das | |
Gerippe eines Hochhauses. Auf dem Schild der Bauruine wirbt noch das | |
US-Magazin Forbes für das gescheiterte Immobilienprojekt. Wegen der Krise | |
wurde die Regierung der Demokratischen Partei Ende Juni abgewählt. Die | |
siegreiche Mongolische Volkspartei, Nachfolgerin der das Land 70 Jahre | |
regierenden Sozialisten, gilt als nationalistischer. „Sie hat ein größeres | |
nationales Gewissen“, sagt Oyu-Tolgoi-Gegnerin Sukherel. | |
Am zentralen Dschingis-Platz ist auch das prunkvolle Hauptquartier des | |
mongolischen Gewerkschaftsbundes. Es stammt noch aus der Zeit, als die | |
Arbeiterorganisation der Einheitspartei unterstand und ihr | |
Transmissionsriemen war. Gewerkschaftsführer Khuyag Bujanyargal wünscht den | |
weiteren Ausbau des Bergbaus. Der Chef der Gewerkschaft für Energie, | |
Bergbau und Geologie mit 50.000 Mitgliedern klagt: „Rio Tinto torpediert | |
freie Gewerkschaften.“ | |
Er selbst setzt auf Staatsbetriebe und hofft, den Anteil der Arbeiter an | |
den Bergbauerlösen zu vergrößern. Zugleich räumt er ein: „Ninjas lassen | |
sich nicht gewerkschaftlich organisieren.“ Ninjas wie Batbataar setzten auf | |
die neue Regierung: „Uns wurde versprochen, unsere rechtliche Situation zu | |
verbessern“, sagt er. „Bekommen wir endlich eine Bergbaulizenz, dürfen wir | |
Dynamit einsetzen.“ | |
15 Jul 2016 | |
## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
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