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# taz.de -- Deutsche Rohstoffstrategie: Lehrgeld in Ulan-Bator
> Die Rohstoffstrategie der deutschen Industrie in der Mongolei ist
> gescheitert. Das hat Folgen für die noch junge Demokratie.
Bild: Im Heizkraftwerk Darkhan in der Mongolei: Hier wurde mit deutschem Geld s…
Ulan-Bator taz | Besonders den Deutschen, die vom Flughafen via Taxi ins
Zentrum Ulan-Bators fahren, sticht das stahlgraue Porsche-Center mit rotem
Schriftzug über der Zubringerstraße bestimmt sofort ins Auge. Doch der
starke erste Eindruck vom [1][Engagement der deutschen Wirtschaft in der
Mongolei] täuscht: Deutsche Firmen landen bei den Auslandsinvestitionen in
dem zentralasiatischen Land nur auf einem kümmerlichen 17. Platz.
Zum Verdruss der Mongolen. Denn eigentlich war alles anders geplant. Vor
allem mit satten Investitionen in den Rohstoffsektor des Landes sollte die
deutsche Industrie dazu beitragen, dass die [2][„Strategie des 3.
Nachbarn“] für die junge Demokratie funktioniert. Eingekeilt zwischen den
autoritären Großmächten Russland und China, hoffte das Land mit drei
Millionen Einwohnern lange auf eine selbstbestimmte Entwicklung.
Dafür wollte die Mongolei starke Wirtschaftsbande zu Drittländern aufbauen,
speziell zu den Demokratien Westeuropas. Der Hebel dafür sollte der
Reichtum des Landes an Rohstoffen wie Kupfer und Kohle sein. Letzteres ist
das Hauptexportgut des Landes, das flächenmäßig viermal so groß ist wie
Deutschland: Der Großteil geht allerdings nach China, das fast 90 Prozent
der mongolischen Exporte abnimmt.
Eine massive Abhängigkeit, aus der sich die Mongolei mit dem Konzept des
„3. Nachbarn“ entlasten wollte. Derzeit leben fast 30 Prozent der
Bevölkerung in Armut. Seit dem Ende des Kommunismus leidet die junge
Demokratie zudem unter politischer Instabilität: Seit Verabschiedung der
ersten Verfassung 1992 hatte das Land bereits 15 Regierungen. Beim
Korruptionsindex von Transparency International landete die Mongolei im
Jahr 2017 auf Platz 103 von 180 Ländern.
## Gemeinsamer Wirtschaftsausschuss
Aber: Der Plan der Mongolen fand in Deutschland Interesse bei Politik und
Lobbyisten. Unsichere Versorgungslagen und die stark schwankenden
Rohstoffpreise sind bis heute ein echtes Problem für die deutsche
Industrie. Seit Mitte der 2000er Jahre fordern Wirtschaftsverbände die
Bundesregierung auf, sich für die Rohstoffsicherung zu engagieren; der Bund
der Deutschen Industrie (BDI) rief nach einer „aktiver
Rohstoffsicherungspolitik“.
Die Bundesregierung schloss 2011 mit der Mongolei tatsächlich ein Abkommen
„mit dem Ziel, die Rohstoffe der Mongolei durch Investitionen, Innovationen
und Lieferbeziehungen sowie Technologietransfer in die Mongolei einer
umfassenden Nutzung zuzuführen“. Zudem wurde ein gemeinsamer
Wirtschaftsausschuss gegründet. Parallel dazu legte der BDI eine
„Rohstoffallianz“ auf: ein Konsortium der deutschen Großindustrie, unter
anderem mit Thyssen-Krupp, BASF und Daimler.
Die Konzernallianz wollte weltweit Rohstoffe in Eigenregie erschließen und
abbauen. Denn: Ähnliche Unternehmen, die darauf spezialisiert sind, hat
Deutschland nicht mehr. Das Kalkül: Die deutsche Industrie investiert in
die mongolische Rohstoffwirtschaft mit Know-how und Technik und erhält
dafür langfristig günstige Rohstoffe. Berlin flankierte das Vorhaben mit
Hilfen wie dem Aufbau einer Schule für Bergbauingenieure in Ulan Bator.
## „Rohstoffallianz“ als Rohrkrepierer
Doch bereits das erste Vorhaben der „Rohstoffallianz“ wurde ein
Rohrkrepierer. Im mongolischen Shivee Ovoo sollte eine
Thyssen-Krupp-Tochter eine Großraffinerie hochziehen, um die dortige Kohle
zu Kraftstoffen zu verflüssigen. Die Mongolei hat riesige Mengen Kohle,
aber keine Verflüssigungsanlagen. Den Großteil seiner Treibstoffe muss es
deshalb teuer aus Russland und China einführen.
Die Mongolen wollten sogar ein Komplettpaket. Die Anlage sollte von den
Deutschen gebaut, betrieben und das Personal ausgebildet werden. Ergänzend
plante die Deutsche Bahn, das dürftige mongolische Schienennetz auszubauen,
um den Abtransport der Kohle zu verbessern. All das in Vorleistung, da die
klamme Mongolei nichts beisteuern konnte.
Schlussendlich war den Deutschen die Sache dann doch zu riskant. Martin
Wedig von der Fachvereinigung Auslandsbergbau sagt zur taz: „Das Projekt
passte nicht zur DNA der deutschen Wirtschaft. Die Deutschen treten auf dem
Weltmarkt bevorzugt als Verkäufer von ‚Made in Germany‘ auf. Mit sicherer …
möglichst externer – Finanzierung. Den dauerhaften Betrieb solcher Anlagen
in einem Investitionsumfeld mit hohen Risiken scheuen sie.“
Weil außerdem die Preise in den Folgejahren wieder sanken, schien das
Rohstoffproblem offenbar nicht mehr so dringend. Die
Schivee-Owo-Verhandlungen wurden aufgegeben. Die Rohstoffallianz löste sich
2016 still und leise auf, ohne je ein Vorhaben verwirklicht zu haben.
## Für BDI nur ein Testballon
Auf Nachfrage beim BDI wird das Scheitern der Rohstoffallianz heute zu
einem Testballon umgemünzt. Matthias Wachter, Abteilungsleiter Sicherheit
und Rohstoffe beim BDI, sagt: „Ziel der Rohstoffallianz war es, Optionen
für die Rohstoffversorgung der deutschen Industrie zu untersuchen. Die mit
der Gründung verbundenen politischen Erwartungen waren von Anfang an hoch.
Wegen der hochgradigen Spezialisierung der deutschen Industrie war klar,
dass eine zentrale Rohstoffbeschaffung nicht nur operativ, sondern auch
kartellrechtlich problematisch gewesen wäre.“
In der Tat war die Kommunikation über Rohstoffpreise in der Allianz de
facto unmöglich, ohne in den Verdacht von Preisabsprachen zu geraten – und
damit gegen Kartellrecht zu verstoßen. Auch ist der Rohstoffbedarf der
Deutschen so spezialisiert wie sie selbst. Während Thyssen-Krupp Kokskohle
für Stahlbleche sucht, benötigt VW Lithium für Autobatterien. Die zahllosen
Einzelinteressen ließen sich kaum über ein Abbaukonsortium gleichwertig
bedienen.
Denn: Die Entwicklung von Lagerstätten dauert lange und ist teuer. Das
hielt den BDI dennoch nicht davon ab, bei der Gründung der Rohstoffallianz
hohe Ansprüche einzufordern. So sah der damalige BDI-Vizepräsident Ulrich
Grillo, mit der Rohstoffallianz ein „schlagkräftiges Unternehmen“ für die
Rohstoffsicherheit Deutschlands entstehen.
Das Scheitern des Konzepts war Lehrgeld für die deutsche Wirtschaft. Für
die Mongolei sind die Folgen einschneidender. Es gibt nicht nur keine
deutsche Expertise für die heimische Rohstoffwirtschaft, sondern auch keine
Sonderstellung des Landes mehr für deutsche Exporteure.
## Schwäche der „Strategie des 3. Nachbarn“
Im für die Rohstoffpartnerschaft gegründeten Wirtschaftsausschuss vertritt
seit 2018 der Import-Unternehmer Laurenz Melchers deutsche Interessen.
Melchers verdient sein Geld mit dem Exklusivvertrieb von Mercedes-Benz in
der Mongolei. Wie in vielen Transformationsländern ist die Marke mit dem
Stern beliebt, vor allem bei neureichen Mongolen.
Für viele ist das misslungene Engagement der Deutschen ein Sinnbild für die
Schwäche der „Strategie des 3. Nachbarn“. „Das Konzept funktioniert nich…
um uns vom ökonomischen Druck Chinas zu entlasten“, sagt die
Tourismus-Unternehmerin Otgonbayar Damba. „Nur die Chinesen zeigen derzeit
ein strategisches Interesse im mongolischen Rohstoffsektor. Sie bauen
mongolische Kohlelager ab, eigene schonen sie dagegen für die Zukunft.“
Tatsächlich hält derzeit China die meisten ausländischen Abbaulizenzen für
Kohle und andere Rohstoffe in der Mongolei. Die Chinesen haben jedoch
eigene Raffinerien – und deshalb kein Interesse, eine mongolische
Wertschöpfungskette bei mineralischen Rohstoffen aufzubauen.
Auch andere Geschäfte mit Drittländern laufen schlecht: Die Erschließung
des gigantischen Kupferlagers Ojuu Tolgoi durch den australischen
Bergbaukonzern Rio Tinto ist von Querelen belastet. Der Druck aus
Bevölkerung und Opposition auf die Regierung ist groß, Abbauabkommen wie
das mit den Australiern nachzuverhandeln, um noch mehr herauszuholen. Das
schreckt weitere ausländische Unternehmen ab.
Ohnehin hat das Land gewaltige Probleme: Die Verschuldung des Staates ist
extrem hoch. Seit 2017 überlebt die Mongolei nur mit einem Notkredit des
Internationalen Währungsfonds.
## Präsident sucht die Flucht nach vorn
Da die Strategie des „3. Nachbarn“ nicht trägt, zeichnet sich nun ein
Kurswechsel ab. Der Präsident, seit 2017 Chaltmaagiin Battulga, sucht die
Flucht nach vorn. Er plädiert dafür, die ökonomische Ausrichtung auf
Russland und vor allem China pragmatisch zu nutzen. Statt der bisherigen
Fokussierung auf mineralische Rohstoffe soll nun mit den Nachbarn intensiv
in anderen Bereichen kooperiert werden, um die mongolische Wirtschaft zu
diversifizieren.
So wünscht die Mongolei eine Kooperation mit der chinesischen Rohstoffbörse
Bohai. Über deren E-Commerce-Plattform wollen die Mongolen ihre
Kaschmirwolle besser weltweit verkaufen. Allerdings: Der Annäherungskurs
Battulgas ist in der Mongolei heftig umstritten. Vor allem eine von ihm in
Aussicht gestellte Mitgliedschaft der Mongolei in der Schanghaier
Organisation für Zusammenarbeit ist in der Kritik.
Über das Bündnis, dem neben Staaten Zentralasiens auch Russland, Indien und
Pakistan angehören, managt Peking seine Machtbalance mit Moskau in Asien
und projiziert seine Globalstrategie einer multipolaren Ordnung unter
chinesischer Führung nach Westen. Eine mongolische Mitgliedschaft wäre wohl
das endgültige Ende der „Strategie des 3. Nachbarn“.
3 Oct 2019
## LINKS
[1] https://www.bmz.de/de/laender_regionen/asien/mongolei/index.jsp
[2] http://www.mongolei.de/news/2018jun1.htm
## AUTOREN
Björn Müller
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