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# taz.de -- Urlaub in Jurtencamps: Tourismus verändert die Mongolei
> Mit dem Ausbau des Hovsgol-Nuur-Nationalparks kamen die Besucher – zum
> Segen der Anwohner. Das war es für die Natur nicht unbedingt.
Bild: Zieht Touristen an: Jurtenromantik mit Kaschmirziege.
Die Augen schließen, nicht groß nachdenken und einfach springen – eine
andere Wahl habe ich nicht. Ich gieße mir ein letztes Mal das eiskalte
Wasser des Hovsgol-Sees über die Handgelenke, bevor ich mich bäuchlings
hineinstürze.
Auch wenn es an der mongolisch-sibirischen Grenze an manchen Sommertagen 30
Grad warm wird, die Wassertemperaturen sind winterlich kalt. Meine
Mitreisenden und ich haben aber keine andere Chance, uns zu waschen.
Duschen im Jurtencamp? Fehlanzeige, fließendes Wasser gibt es nicht. Nur
wenige Minuten halten wir die frostigen Temperaturen aus.
Der Hovsgol-See liegt in der nördlichen Mongolei, inmitten des
Hovsgol-Nuur-Nationalparks. Mit einer Fläche von knapp 3.000
Quadratkilometern ist er der zweitgrößte See des Landes, er speichert 70
Prozent des gesamten Trinkwassers. Die Einwohner der anliegenden Ortschaft
Hatgal würden in den klaren, sauberen See dennoch keinen Fuß reinsetzen.
Sie kommen nur an das von Lärchenwäldern, Gebirgszügen und Bergketten
umgebene Ufer, um Trinkwasser abzufüllen. Der Ort ist ihnen heilig.
In Hatgal gibt es ein funktionierendes Handynetz. Ansonsten wirkt die
Ortschaft mit ihren morschen Holzhäusern wie aus der Zeit gefallen. Während
des Sozialismus war die Region als Industriestandort bekannt.
Holzverarbeitung und Wolle waren die wichtigsten Wirtschaftszweige. Das
Leben änderte sich 1991 mit dem Niedergang des Sozialismus, sagt
Nationalparkdirektor Davaabayar Luvsansharav, ein gemütlicher Mann mit
buschigen Augenbrauen, den wir am nächsten Morgen nahe des Jurtencamps in
einer Holzhütte treffen, seinem Büro. „Früher lebten hier 8.000 Menschen.
Dann brach die Wirtschaft zusammen, es blieben gerade mal 1.000 Einwohner
übrig.“
## Die ländliche Bevölkerung profitiert vom Tourismus
Mit dem Ausbau des Nationalparks kamen aber immer mehr Touristen – und mit
ihnen die Arbeitsplätze. „Inzwischen leben wieder 3.000 Menschen in
Hatgal“, sagt Davaabayar. Die Jurtencamps sind angewachsen, die Einkommen
der Einwohner gestiegen. Ansonsten ist in Hatgal alles gleich geblieben.
Gegen Mittag begleiten wir Davaabayar auf eine buddhistische Zeremonie in
einem der nahegelegenen Wäldern. Bei unserer Ankunft haben sich schon zwei
Dutzend Männer auf einer Anhöhe mit Blick auf den Hovsgol-See versammelt.
Sie feiern Erntedankfest. Für die Dorfbewohner ist es einer der kulturellen
Höhepunkte des Jahres.
Männer in farbenfrohen Gewändern knien auf einem Teppich, wiederholen den
monotonen Sprechgesang. Hinter ihnen steht ein aus Holzstämmen errichteter
Ovoo, der mit blauen Baumwolltüchern geschmückt ist. Das kegelförmige
Gebilde ist nach mongolisch-buddhistischem Glauben Sitz der örtlichen
Gottheiten. Es bringt Glück, einen Ovoo dreimal zu umrunden und dabei Reis,
Käse und reichlich Wodka zu verschütten.
Alte Bräuche kennenlernen, auf Pferden reiten, eine Kuh melken: Das
traditionelle Leben von Anwohnern und Nomaden lockt vor allem Besucher aus
der mongolischen Hauptstadt Ulan-Bator in den Nationalpark. Die Regierung
fördert den Ausbau des Tourismus. Vergangenes Jahr ließ sie eine Teerstraße
von Ulan-Bator bis nach Hatgal bauen. Statt zweieinhalb Tage braucht man
für die rund 800 Kilometer lange Strecke nur noch zwölf Stunden mit dem
Auto. Innerhalb der vergangenen zehn Jahre hat sich die Zahl der Besucher
verfünffacht. Rund 50.000 waren es 2014, davon etwa 7.000 aus dem Ausland.
## Umweltverbände: Behörden sind überfordert
Eigentlich eine verkraftbare Größe für ein so weitläufiges Gebiet wie die
Region um den Hovsgol-See. Der Umweltaktivistin Unudelgerekh Batkhuu vom
Mongol Ecology Center zufolge, einer NGO, die in Hatgal ein Büro unterhält,
sind die lokalen Behörden aber mit dem rapiden Besucheranstieg überfordert.
„Im Nationalpark gibt es keine funktionierende Abwasser- und
Müllentsorgung“, sagt sie. „Das ist eines der größten Umweltprobleme, ne…
der Verschmutzung durch Plastik.“
Bleibt Müll achtlos in der Natur liegen, baut er sich nur schwer ab. Der
Permafrostboden taut maximal zwei Meter tief auf, selbst im Sommer ist an
manchen Uferstellen eine Eisschicht zu sehen. Würmer oder anderes
Krabbelgetier, das beim Kompostieren der Erde hilft, gibt es kaum. Wegen
der Größe des Sees habe das Wasser außerdem eine Verweilzeit von 500 Jahren
– so lange wird das Wasser also durch Zu- und Abfluss nicht erneuert. „Die
steigende Zahl an Touristen und der unkontrollierte Bau von Unterkünften
haben Einfluss auf dieses sensible Ökosystem“, sagt die Umweltschützerin.
Auch Nationalparkdirektor Davabayaar räumt ein, dass der Müll seiner
Behörde zu schaffen macht. In der Hochsaison kommen schnell 150
Lkw-Ladungen mit Abfällen in nur zwei Wochen zusammen. „Die Touristen aus
dem Inland lassen ihren Abfall meist dort, wo sie übernachtet haben“, sagt
er. Ausländische Touristen bleiben in festen Camps. Dort aber fehle ein
funktionierendes Abwassersystem. Um das zu installieren, bräuchte es von
der Regierung größere Investitionen.
„Selbst unsere Schutzverwaltung ist unterfinanziert: 85 Prozent des Budgets
werden allein für die Gehälter und laufende Kosten wie die Heizung
verwendet“, sagt Davabayaar. Für die Ausrüstung und Ausbildung der Ranger
bleibe kaum etwas übrig.
## Nomadische Familien sind gespalten
Die Nomaden in der Region begegnen dem zunehmenden Tourismus mit gemischten
Gefühlen. Eine Familie treffen wir am Nachmittag etwa 20 Kilometer von
Hatgal entfernt. Der Weg zu ihnen führt uns mit dem Jeep über unbefestigte
Feldwege und grasbewachsene Hügel.
Familienvater Chuluunbaatar empfängt uns, er bittet in seine Jurte. Die
Betten der Familie dienen als Sitzgelegenheit. Der niedrige Holztisch in
der Mitte des Zelts ist reich gedeckt, es gibt Hammelfleisch und
Kartoffelsalat. Zur Begrüßung werden Milchtee und Käse gereicht.
Chuluunbaatars Ehefrau Bayermaa nimmt Keramikteller und Essbesteck aus dem
himmelblau lackierten Küchenschrank, der gleich neben der Fernsehkommode
steht. Elektrizität gewinnt die Familie mithilfe eines Solarpanels.
Chuluunbaatar und seine Familie führen ein klassisches Nomadenleben. „Wir
leben vom Verkauf von Tierprodukten“, sagt er. Vier- bis fünfmal im Jahr
ziehen sie mit ihren Ziegen und Schafen um. Die Weideflächen sind zwischen
10 und 30 Kilometer voneinander entfernt. In strengen, schneereichen
Wintern finden die Tiere nicht genug Gras zum Fressen. Dann muss die
Familie ihr Lager noch häufiger wechseln. Bis zu 100 Kilometer legt sie
manchmal zurück.
## Touristen unterbringen fürs Studium der Kinder
Während die Tiere den Nomaden gehören, ist das Weideland grundsätzlich
gemeinschaftliche Nutzfläche, auf der sich jeder frei bewegen kann. Dieses
Leben möchte der 48-jährige Chuluunbaatar nicht aufgeben. Deshalb packen er
und seine Familie Kleider und Geschirr zusammen und bereiten ihre Zelte für
den Abbau vor. In den kommenden Tagen wollen sie weiterziehen. Trotzdem ist
für sie der Tourismus ein wichtiger Erwerbszweig geworden.
„Drei unserer Kinder studieren, vom Verkauf der Tierprodukte könnten wir
ihre Ausbildung nicht finanzieren“, sagt Chuluunbaatar. „Daher haben wir
ein Jurtencamp errichtet, in dem wir die Touristen aufnehmen. Sie können
bei uns die nomadische Lebensweise kennen lernen.“ Viele seiner Gäste
kommen aus Ulan-Baator, aber auch aus dem Ausland: den USA und England,
Japan und Israel.
Wegen Klimaveränderungen und der steigenden Haltung von Kaschmirziegen sind
die Grasflächen zunehmend überweidet. Viele Nomaden ziehen sich auch
deswegen aus dem traditionellen Leben zurück. So wie Kehischgee Khuhti, die
wir auf dem Rückweg Richtung Hatgal in einem der Jurtencamps am Hovsgol-See
treffen. Die 41-Jährige lebt seit zwei Jahren ausschließlich vom Tourismus.
## Sinkende Milchpreise erschweren das Landleben
„Es war schwierig, unser traditionelles Leben weiterzuführen“, sagt
Kehischgee Khuhti. „Wegen der niedrigen Milchpreise konnten meine Familie
und ich vom Verkauf der Tierprodukte allein nicht mehr überleben.“ Sie sei
froh darüber, dass immer mehr Gäste in die Region kommen. „Wir können mit
dem Tourismus besser Geld verdienen.“ Früher hatten sie und ihre Familie
eine Herde mit Rindern, Ziegen und Schafen, erzählt Kehischgee. Durch einen
Zud, eine anhaltende Kältewelle mit stärken Schneefällen, seien jedoch
viele Tiere gestorben. Der Zud habe sie gelehrt, dass nomadisches Leben
keine Sicherheit bietet.
Seit sie in den Tourismus eingestiegen sind, hat sich das Leben von
Kehischgee und ihrer Familie komplett geändert. „Wir sind in Hatgal
sesshaft geworden“, erzählt sie. „Im Winter leben wir im Ort, nur im Sommer
ziehen wir noch raus und nehmen Gäste in unserem Camp auf. Auf Wanderung
mit dem Vieh gehen wir nicht mehr.“
Während die einen den Verlust ihrer Tradition befürchten, begreifen andere
den Tourismus als Chance auf ein anderes Leben. Das gilt nicht nur für die
Nomaden, sondern auch für die Goldgräber, die bis vor wenigen Jahren um die
Ortschaft Ulaan-Uuul lebten, etwa 180 Kilometer westlich vom Hovsgol-See.
Dorthin brechen wir am nächsten Morgen auf. Der Weg in die 3.000 Einwohner
große Siedlung führt über eine Schotterpiste, vorbei an Lärchenwäldern,
Gletschern und weitläufigen trockenen Weideflächen. Sechs Stunden dauert
die mühsame Fahrt mit dem Jeep.
## Alle Formen der menschlichen Abgründe
Abends treffen wir in einem Camp bei Ulaan-Uuul einige Ranger und ihre
Frauen. Sie wärmen sich am Feuer, auf dem ein Bottich in Form eines großen
Milchkessels steht. Alles ist vorbereitet für das traditionelle Abendessen:
das Chorchog. Hammelfleisch, Gemüse, Wasser und Salz werden mit heißen
Steinen in den Topf gegeben und 45 Minuten lang gegart.
Nachdem die Taiga um Ulaan-Uul 2012 zum Landschaftsschutzgebiet erklärt
wurde, kamen die ersten Touristen in die Region. Nur 800 bis 1.000 Gäste
jährlich sind es bislang. Vorher waren in den Bergen Ninjas aktiv, illegale
Goldgräber. Die Bezeichnung haben sie wegen der Plastikschüsseln erhalten,
die, auf dem Rücken getragen, an die Schildkrötenpanzer der
Ninja-Turtle-Spielfiguren erinnern.
Einer der ehemaligen Ninjas ist der heutige Ranger Dalaibayar. Der
53-Jährige lebte vier Jahre lang in den Bergen. In der Zeit schürfte er 1,5
Kilogramm Gold, mit dem er seine Schulden bei der Bank bezahlen wollte.
„Wir waren zwischen 7.000 und 8.000 Ninjas in der Region“, sagt Dalaibayar,
ein Mann mit faltigem Gesicht und von rauen Wintern ausgetrockneter Haut.
Die Goldminen waren für Autos unzugänglich, man konnte sie nur mit Pferden
oder zu Fuß erreichen. „Weit abgelegen von den Siedlungen galt dort kein
Gesetz“, erinnert er sich. „Es herrschten chaotische Zustände. Ich habe
alle Formen menschlicher Abgründe gesehen.“
Tag und Nacht habe er gearbeitet, sagt Dalaibayar. Die Aussicht auf Gold
habe ihn blind gemacht, Freunde und Verwandte zählten nichts mehr. Er
raubte, hinterging seine Frau mit Prostituierten, die sich in den Bergen
verdingten. Es sei ein Wunder, dass er überlebt hat. „Ich habe 30 bis 40
Todesfällen mitbekommen“, sagt er. „Einige der Goldgräber sind ertrunken,
andere kamen in ihren Hütten bei Bränden ums Leben. Andere wiederum wurden
ermordet.“ Die wahren Gründe für ihren Tod wurden nie aufgedeckt. Es gab
keine Polizei, die ermitteln konnte.
## Das illegale Geschäft mit dem Gold
Fast alle Einwohner von Ulaan-Uul waren am illegalen Geschäft mit dem Gold
beteiligt. Wegen einer Kältewelle haben zahlreiche Tiere den Winter 2007
nicht überlebt. Die Anwohner mussten Kredite aufnehmen. Die Arbeiter
überstanden den Winter nur unter extremen Bedingungen. Die Einheimischen
hatten eigene Jurten und Hütten, in denen sie die Kälte einigermaßen gut
überleben konnten. „Einige Ninjas aber hatten nichts – nur eine
Plastikplane, mit der sie ihren Kopf bedeckt haben“, sagt Dalaibayar.
„Viele Menschen haben so auf dem Eis geschlafen - bei unter minus 40 Grad.“
Ninjas gibt es in der Gegend um Ulaan-Uul heute nicht mehr. Nachdem die
Ranger deren Minen verschüttet und deren Wohnanlagen zerstört haben, sind
die meisten geflohen. Dalaibayar ist der einzige Ninja, der heute als
Ranger arbeitet. So möchte er der Natur zurückgeben, was er von ihr
genommen hat. Ohne den Tourismus, sagt Dalaibayar, wäre es vielleicht nie
dazu gekommen.
13 Mar 2016
## AUTOREN
Philipp Eins
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