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# taz.de -- Hamburgs Kolonialgeschichte: Einträglicher Schwindel
> Hamburger Kaufleute und Reeder haben im Überseehandel Geld verdient,
> schon lange bevor das Deutsche Reich förmliche „Schutzgebiete“ in Afrika
> und Ozeanien errichtete.
Bild: Wo die Waren ankamen: Die Hamburger Speicherstadt.
HAMBURG taz | Hinter dem deutschen Kolonialismus in Afrika steckte eine
Schnaps-Idee. Nur der Branntwein-Handel mache es bezahlbar, eine
regelmäßige Dampferverbindung zwischen Deutschland und Westafrika
einzurichten, argumentierte der Hamburger Kaufmann und Reeder Adolph
Woermann im Mai 1889 vor dem Deutschen Reichstag. Das ermögliche es
wiederum, „dass mehr und mehr auch andere Waren von Deutschland aus
exportiert werden, die ganz gewiss nicht exportiert werden würden, wenn die
deutsche Dampfschiffslinie sich nicht auf diese Weise erhalten könnte“.
Woermann wusste, wovon er sprach: Schon 1868 hatte er eine
Handelsniederlassung an der Mündung des Kamerunflusses eröffnet. Dabei
machte er nicht nur in Schnaps, sondern handelte auch mit Feuerwaffen und
Pulver, um im Gegenzug Kautschuk und Palmöl zu importieren. Das Geschäft
war so einträglich, dass er sich über die Jahre eine ganze Dampferflotte
bauen konnte.
Sein Kontorhaus in der Innenstadt, dessen Hintereingang zwei mannshohe
Keramik-Elefanten flankieren, zeugt heute noch vom geschäftlichen Erfolg
Woermanns. Der Branntweinhandel sei „der Punkt gewesen, wodurch sich die
Deutschen überhaupt in den Handel in Westafrika haben hineinbohren können“,
sagte Woermann in der Reichstagsdebatte, und auch dafür, „dass der
Hamburger Markt auch für afrikanische Produkte eine so bedeutende Rolle
spielt, dass er dem Markte in Liverpool beinahe ebenbürtig ist“.
Dabei war der Handel mit Afrika wie auch mit Ozeanien oder der Karibik in
erster Linie für die beteiligten Kaufleute ein gutes Geschäft.
Volkswirtschaftlich spielte er eine marginale Rolle. Am Vorabend des Ersten
Weltkriegs, dem Höhepunkt der kolonialen Entwicklung, bestritt ganz Afrika
4,6 Prozent der deutschen Einfuhren und nahm 2,1 Prozent der deutschen
Exporte auf. Ozeanien bestritt 0,3 Prozent der deutschen Einfuhren und 0,1
Prozent der Exporte.
## Bismarck ändert seine Meinung
Der Aufwand, den das deutsche Reich durch die Entsendung von Kriegsschiffen
und ab 1884 durch die Einrichtung sogenannter Schutzgebiete trieb, ließ
sich damit rational nicht rechtfertigen. Reichskanzler Otto von Bismarck
hatte sich denn auch lange geweigert, das Reich vor den Karren der
Kolonial-Kaufleute spannen zu lassen. „Diese ganze Kolonialangelegenheit
ist ein Schwindel, aber wir brauchen es für die Wahlen“, soll er gesagt
haben.
Woermann hatte seinen Anteil am Meinungsumschwung des Kanzlers. Der
erfolgreiche Kaufmann, Reichstagsabgeordnete und Präses der Hamburger
Handelskammer entwickelte sich zu Bismarcks Berater in Kolonialfragen. Als
solcher nahm er auch an der Kongo-Konferenz 1884/1885 teil, die den Grund
zur Aufteilung Afrikas in Kolonien legte. Unter dem Eindruck der
zunehmenden Rivalität zwischen den Großmächten und der stärkeren Einbindung
der Hansestädte in das Deutsche Reich rückten die Kaufleute von ihrer
staatsfernen Gesinnung ab und plädierten dafür, bestimmte Gebiete unter den
Schutz des deutschen Militärs zu stellen.
Bismarck gab sich anfangs der Vorstellung hin, die Verwaltung der
„Schutzgebiete“ den Kaufleuten übertragen zu können. Doch diese lehnten
dankend ab. Am Ende musste doch das Reich die Verwaltung übernehmen, wobei
sich die Kaufleute zumindest in Deutsch Südwest- und Deutsch Ostafrika
großzügige Möglichkeiten schafften, das Gebiet nach Lust und Laune
auszubeuten. Und Bismarck hatte, was er eigentlich nicht wollte: Kolonien
am Bein.
Ein Beispiel dafür, wie einzelne Kaufleute dazu beitrugen, das Reich in
Kolonialabenteuer hineinzuziehen, war die hamburgische Reederfamilie
Godeffroy. 1855 entsendet das Handelshaus einen Beauftragten in die Südsee
auf die Samoainseln, um Waffen gegen Perlen und Kokosnussöl einzutauschen.
Die Firma setzt sich auf den Inseln fest. Statt des Kokosöls kauft sie nach
einigen Jahren Kopra. In Hamburg verarbeitet, lässt sich daraus reineres Öl
gewinnen und über den ausgepressten Ölkuchen freuen sich die Schweine.
## Rohstoff für die Palmölindustrie
Die Kopra verkauft sich gut. Palmöl ist in Europa ein begehrter Rohstoff.
Die Palmölindustrie in Hamburg-Harburg ist 1860 die größte Deutschlands und
auf dem Weg, eine europäische Spitzenposition einzunehmen. Dazu kommt die
Kautschuk-Industrie mit Firmen, die es wie Phoenix und die New-York
Hamburger Gummi-Waaren Compagnie heute noch gibt.
Für die Arbeit auf den Plantagen reichen die Einheimischen als
Arbeitskräfte bald nicht mehr aus. Sie werden den Häuptlingen fremder
Inseln gegen ein paar Gewehre und Tabak abgeluchst. Gegen einen Hungerlohn
müssen sie jahrelang auf den Inseln schuften. Wer aufmuckt, wird im
schlimmsten Fall mit der neunschwänzigen Katze ausgepeitscht. Über den
Besitz des Plantagenlandes kommt es zum Streit mit den Samoanern. Caesar
Godeffroy bittet die kaiserliche Marine um Hilfe, die, als Drohungen nicht
fruchten, ein Dorf niederbrennen lässt.
Zehn Jahre später sähen die deutschen Kaufleute ihre Plantagen am liebsten
durch eine Annexion Samoas gesichert. Nach jahrelangen Streitigkeiten
zwischen Berlin, London und Washington wird Samoa zwischen Deutschland und
den USA geteilt.
Die Fahrten der Kaufleute im 19. Jahrhundert haben Hamburg viele der
Exponate in seinem Völkerkundemuseum beschert, und sie haben den Grundstein
zu seiner Universität gelegt, wenn auch nur in einer bewussten, etwas
knickerigen Beschränkung auf ein Kolonialinstitut und ein Institut für
Schiffs- und Tropenkrankheiten. Ihren Reichtum zeigten sie mit den
Landschaftsparks und klassizistischen Villen an der Elbchaussee.
Ihr Urvater im Ausgreifen in die Welt, Heinrich Carl Schimmelmann, hat es
ein Jahrhundert davor sogar zu einem Schloss gebracht – im heutigen
Hamburger Stadtteil Wandsbek. Reich wurde er durch die Versorgung der
preußischen Truppen im Siebenjährigen Krieg, berühmt als Berater des
dänischen Königs, dessen Staatsfinanzen er ordnete. 1763 kaufte er dem
dänischen König vier Zuckerrohrplantagen mit einigen Hundert Sklaven ab.
Damit stieg Schimmelmann in den atlantischen Dreieckshandel ein: In Afrika
versklavte Menschen wurden in die Karibik transportiert, um dort Zuckerrohr
zu ernten. Das Rohr wurde zu Zucker und Rum verarbeitet, der zum Teil
wiederum nach Afrika exportiert wurde.
Schimmelmann führte moderne Methoden in die Bewirtschaftung seiner Güter
und Fabriken ein. 1779 gründete er eine mildtätige Stiftung für die Armen.
Er schuf billige Mietwohnungen und gründete eine Kranken- und
Altersversorgung. Einen Teil seines Schlossgartens öffnete er als
„Wandsbeker Gehölz“ für die Bevölkerung.
## Die Büste des Sklavenhändlers
Wegen dieser Leistungen für Wandsbek ließ das damals von der CDU geführte
Bezirksamt 2006 eine von der Firma Imtech gesponserte Büste Schimmelmanns
auf dem Marktplatz aufstellen. Die Grünen, die SPD und die schwarze
Gemeinde protestierten. Zwei Jahre später wurde die Büste klammheimlich
abgebaut.
Rabiater war fast 40 Jahre vorher das Standbild des Kolonialoffiziers und
Afrikaforschers Hermann von Wissmann entfernt worden. Nach dem Ersten
Weltkrieg war es aus dem tansanischen Dar es Salaam nach Hamburg gebracht
und vor der Universität aufgestellt worden. 1968 rissen es Studenten im
zweiten Anlauf nieder.
5 Oct 2014
## AUTOREN
Gernot Knödler
## TAGS
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