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# taz.de -- Kolonialgeschichte in Hamburg: Die Früchte jahrelanger Debatten
> Hamburg will sich mit seiner Kolonialgeschichte beschäftigen. Die
> Perspektive der Leidtragenden werde ausgeblendet, beklagen Verbände.
Bild: Hamburger Umgang mit der kolonialen Vergangenheit: Im „Tansania-Park“…
HAMBURG taz | Hamburgs Umgang mit seiner Kolonialgeschichte ist
schizophren. Da ist die Welle kolonialer Nostalgie, die sich etwa in der
Hafencity manifestiert. Als es darum ging, im neuesten Stadtteil am Wasser
Straßen und Plätzen einen Namen zu geben, fiel die Wahl auf Welteroberer
wie Magellan, Marco Polo, Vasco da Gama, sogar Gebäude heißen dort nach
Kolonialwaren.
Weniger prominent, im Stadtteil Jenfeld, findet sich an der Fassade der
ehemaligen Lettow-Vorbeck-Kaserne bis heute eine unkommentierte
Reliefdarstellung des Kolonialgenerals Lothar von Trotha. Dessen
„Vernichtungsbefehl“ gilt als Grundlage des Völkermordes an den Herero im
heutigen Namibia. 100 Jahre später, 2004, erklärte die Bundesregierung, von
Trotha würde heutzutage dem internationalen Strafgerichtshof überstellt –
als Kriegsverbrecher.
Auf der anderen Seite tragen aber jahrelange Debatten um eine kritische
Aufarbeitung erste Früchte: So gab vergangene Woche der Hamburger Senat
bekannt, die Stadt werde mit einem Gedenk-Konzept das koloniale Erbe
aufarbeiten – als erste in Deutschland. Als Hafen- und Handelsmetropole
habe Hamburg eine besondere Verpflichtung und ein besonderes Interesse,
sagte Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos). „Wir werden uns der
Geschichte mit mehreren Initiativen stellen.“
## Nachfahren der Opfer ausgeschlossen
Kritik wird nun daran laut, dass ausgerechnet die Nachfahren der Opfer von
Kolonialismus und Rassismus von der Mitarbeit ausgeschlossen worden seien.
So spricht Ginnie Bekoe, Beiratsmitglied der Initiative Schwarzer Menschen
in Deutschland (ISD), von einem Skandal: Es seien ja gerade jene
Selbstorganisationen Schwarzer und afrikanischer Menschen sowie
postkoloniale Initiativen gewesen, die das Konzept angeregt hätten, sagt
sie. „Deutlich wird, dass die Perspektiven von Schwarzen Menschen und
People of Colour auf Geschichte und Gegenwart unserer Stadt bis heute ganz
bewusst übergangen werden“, so Bekoe.
Dabei hatte der Kulturausschuss der Bürgerschaft vor einem Jahr
ausdrücklich empfohlen, zu prüfen, inwiefern ein „hamburgweites
postkoloniales Erinnerungskonzept“ entwickelt werden könne – „auch unter
Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern mit afrikanischer
Einwanderungsgeschichte“.
Im entsprechenden Bericht des Kulturausschusses, der sich damals mit der
Vorlage für ein Erinnerungskonzept befasste, finden sich aber auch Sätze,
mit denen Bekoe allergrößte Probleme hat: Da heißt es etwa, dass „bei der
Aufarbeitung des Kolonialismus sowohl positive als auch negative Bezüge zu
analysieren“ seien. Das hatten CDU-Abgeordnete angemerkt – die vor dem
Kulturausschuss weiter ausführten, sie hätten während einer
Delegationsreise nach Tansania „den Eindruck“ gewonnen, „dass die
Alltagsprobleme der dort lebenden Menschen relativ wenig mit der deutschen
Kolonialgeschichte vor 100 Jahren zu tun“ hätten.
„Ich sehe nicht, was die positiven Folgen von Genozid und Versklavung sein
sollen“, sagt Bekoe. Dass dadurch die sogenannten westlichen Staaten reich
geworden sind, sei bekannt, aber nichts, das positiv hervorgehoben werden
muss.
## Wissenschaftliche Grundlage schaffen
Dass die Hamburger Kulturbehörde die Beteiligung Schwarzer und
postkolonialer Initiativen erst einmal hinten angestellt hat, begründet ihr
Sprecher Enno Isermann so: „Für die Aufarbeitung des kolonialen Erbes der
Stadt soll zunächst vor allem die wissenschaftliche Grundlage geschaffen
werden.“ Hierzu wolle die Stadt insbesondere eng mit der Universität in der
Partnerstadt Dar es Salaam in Tansania zusammenarbeiten. Erst in einem
nächsten Schritt sollen die Ergebnisse dann im Rahmen einer öffentlichen
Tagung diskutiert werden, „zu der auch alle an dem Thema interessierten
Gruppen herzlich eingeladen sind“, so Isermann.
Den Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer beauftragte man damit, die lokale
Kolonialgeschichte in einer Forschungsstelle „Hamburgs Koloniales Erbe.
Hamburg und die Frühe Globalisierung“ wissenschaftlich zu durchleuchten.
Zimmerer selbst sagt, die Zeiten seien vorbei, „dass Deutsche anderen
erklären, wie sie Geschichte aufzuarbeiten hätten“. Deshalb habe er auch
darauf gedrängt, dass zum Beispiel ein Promotionsstipendium in das Konzept
aufgenommen werde.
Für den Professor für die Geschichte Afrikas war es ein zentrales Anliegen,
Menschen aus den ehemaligen Kolonien einzubeziehen. Von dem geplanten
Tandem-Stipendium zwischen den Universitäten Dar es Salaam und Hamburg
verspricht er sich viel: „Immer wieder bekomme ich von Studierenden aus
Afrika Anfragen, die zum Kolonialismus promovieren wollen, es scheitert
aber eigentlich immer an der Finanzierung.“
Aufarbeitung versteht der Historiker als „work in progress“, bei dem der
Weg das Ziel ist. Die nun vorgeschlagene wissenschaftliche Forschungsstelle
könnte dafür nur der Anfang sein, sagt er – und er fügt hinzu: „Unter
Einbeziehung aller Leute, die sich dazu äußern wollen.“
18 Jul 2014
## AUTOREN
Lena Kaiser
## TAGS
Kolonialismus
Hamburg
Erinnerungskultur
Aufarbeitung
Neokolonialismus
Schwerpunkt Rassismus
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Deutscher Kolonialismus
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Kolonialismus
Paul von Lettow-Vorbeck
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