# taz.de -- Das Montagsinterview: „Hamburg ist ein Schlusslicht“ | |
> Für die Hamburger Künstlerin HM Jokinen wird die Kolonialgeschichte viel | |
> zu wenig aufgearbeitet. | |
Bild: Kritisiert Hamburg für die Ausblendung der kolonialen Stadtgeschichte: H… | |
taz: Frau Jokinen, am Donnerstag beginnt an der Universität Hamburg die | |
Konferenz zu den Erinnerungskulturen des Holocaust und des | |
transatlantischen Sklavenhandels. Spielt sich die Aufarbeitung der | |
Kolonialgeschichte vor allem an Hochschulen ab? | |
HM Jokinen: Kolonialgeschichte wird heute zunehmend akademisch geforscht. | |
Es gibt aber auch postkoloniale Initiativen, die das Thema bundesweit in | |
die Öffentlichkeit bringen. | |
Wie oft stoßen Sie in Hamburg auf die Spuren des Kolonialismus? | |
Täglich, in meinem Stadtteil Altona etwa die Donner- und Nöltingstraße, die | |
Van-der-Smissen-Straße oder die Christianskirche. Diese Namen ehren | |
Profiteure des Sklavenhandels. In der Stadt gibt es die koloniale | |
Infrastruktur, die unkommentiert geblieben ist. Während der Konferenz werde | |
ich in Wandsbek eine Performance auf den Spuren Heinrich Carl Schimmelmanns | |
machen. | |
Einem im 18. Jahrhundert einflussreichen Sklavenhändler, der noch heute im | |
Bezirk als Wohltäter geehrt wird. Ich versuche, die Stadt anders zu lesen, | |
dazu gehören auch die Biografien der sogenannten Kammermohren, die | |
Schimmelmann in Wandsbek dienen mussten. | |
Sie konfrontieren die Stadt mit ihrer Geschichte. Wie gehen Sie vor? | |
Im Projekt „[1][Afrika–Hamburg]“ habe ich das im Keller deponierte Denkmal | |
für den Kolonialgouverneur Wißmann rausgeholt, für 14 Monate am Hafentor | |
ausgelüftet und in einem Internetdebattenforum diskutieren lassen. Die | |
Resonanz hat alle meine Erwartungen übertroffen und es wurde kontrovers | |
diskutiert. | |
Was ist das Künstlerische daran? | |
Ich ging zunächst vom Bild dieses artefact trouvé aus. Die historische | |
Information erfolgte erst im zweiten Schritt, im Internet. Das | |
Denkmalensemble wurde mehrmals gestürzt, es ist beschädigt und so zu seinem | |
eigenen Gegendenkmal geworden. Diese Dekonstruktion setzte ich fort. | |
Warum gerade dieses Denkmal? | |
Das Denkmalensemble zeigt die Bronzefigur von Hermann Wißmann, dem | |
Gouverneur der Kolonie „Deutsch-Ostafrika“, und die Skulptur eines | |
afrikanischen Askari-Soldaten, der zu „seinem weißen Herrn“ emporblickt und | |
einen toten oder schlafenden Löwen und eine Fahne. Das Monument hat eine | |
skurrile Geschichte: Es ist durch Epochen und zwischen Kontinenten gereist. | |
In Berlin gegossen, 1908 in Dar es Salaam aufgestellt, nach dem Ersten | |
Weltkrieg durch die Briten als Plakatsäule benutzt, dann als „Kriegsbeute“ | |
nach London gebracht, wurde es 1922 vor der Universität Hamburg, dem | |
ehemaligen „Kolonialinstitut“, aufgestellt. Die Wißmann-Figur wurde mal | |
verehrt, mal verachtet und mehrere Male vom Sockel geholt. | |
Wann war das genau? | |
1945 von britischen Bombern und dann 1967/1968 von APO-Studenten. | |
Anschließend wurde es ins Depot der Sternwarte Bergedorf gebracht. 2002 | |
entdeckte ich das Denkmal im Keller und war fasziniert von seiner | |
Geschichte, die sich an der beschädigten Haut nachvollziehen lässt: Sein | |
Stiefel war angesägt, die Jacke mit roter Farbe übergossen, der Tropenhelm | |
angedellt, der preußische Säbel geklaut. | |
Wie reagierten die Hamburger, als Sie Wißmann am Hafen aufgestellt haben? | |
Es wurde zum Beispiel kritisiert, dass Menschen vor dem Wißmann-Denkmal auf | |
„falsche“ Gedanken kommen könnten. Ich finde das abwegig, denn Menschen | |
könnten ja ebenso vor den zugänglichen Kolonialdenkmälern, vor dem | |
Bismarck-Denkmal „falsche“ Gedanken haben. | |
Interessanterweise gab es Kritik von ganz rechts und ganz links, aber auch | |
Zustimmung. Auf der Webseite stimmten 95 Prozent der Beteiligten dafür, | |
dass unbeliebte Denkmäler nicht versteckt werden sollten. Man möchte sich | |
an ihnen „reiben“. | |
Hamburg präsentiert sich gerne als weltoffene Metropole. | |
Die Stadt pflegt aber ihren kolonialen Habitus ungebrochen weiter: In der | |
Hafencity werden aller Kritik zum Trotz Gebäude nach Kolonialwaren benannt, | |
neue Straßen und Plätze nach Welteroberern. Und: Es gibt bis heute keine | |
spezifische Erforschung der Beteiligung Hamburgs am transatlantischen | |
Sklavenhandel. | |
Die Familien, die ihr Geld in den Kolonien verdient haben, sind noch heute | |
einflussreich. Es ist ja auch eine Frage, wer in einer globalisierten | |
Stadtgesellschaft bestimmen darf, welche Erinnerungskultur wo stattfinden | |
darf. Wer hat die Deutungshoheit? | |
Gab es konkrete Probleme, Ihre Arbeit umzusetzen? | |
In der Zeit der Schill-Regierungsbeteiligung hat die Kultursenatorin Dana | |
Horáková das Konzept in der Schublade verschwinden lassen. Für die | |
Projektrealisierung brauchte es einen Regierungswechsel. Und der | |
vorgesehene Standort in der Hafencity wurde nicht bewilligt. | |
Inwiefern kann das Hervorholen der Geschichte schon ein anderer Umgang mit | |
ihr sein? | |
Zentral ist die Frage nach der Kontextualisierung. Heute sind die | |
sozialistischen Denkmäler in Budapest im Szobor-Park versammelt. Sie | |
vermitteln jetzt andere Botschaften, indem sie mit ihrem Gestus nicht mehr | |
das Volk begrüßen, sondern einander. In Hamburg gibt es Kolonialdenkmäler, | |
die insofern ungewöhnlich sind, als dass sie die vermeintliche Hierarchie | |
zwischen Schwarzen und weißen Menschen rassistisch ins Bild setzen. | |
Solche Denkmäler gibt es weder anderswo in Deutschland noch in den | |
ehemaligen deutschen Kolonien. Mein Konzept eines „Park postkolonial“ folgt | |
der Idee, diese Denkmäler an einem zentralen Ort zu versammeln und | |
afrikanische, afrodeutsche und deutsche KünstlerInnen einzuladen, sie in | |
einem Work in Progress immer wieder zu verändern. Eine Geschichtswerkstatt | |
würde die städtischen Kolonialspuren erforschen und vermitteln. | |
Arbeiten Sie auch mit der Black Community zusammen? | |
Ich bin bundesweit und auch in Ghana vernetzt und arbeite mit Schwarzen | |
KünstlerInnen zusammen. Ich hoffe, dass es uns auch in Hamburg gelingt zu | |
kooperieren. Beim sogenannten Tansania-Park in Jenfeld hat der Bezirk einen | |
weißen Beirat für die Entwicklung eines Erinnerungskonzepts eingesetzt. | |
Kritische Stimmen wurden nicht zugelassen. Wenn Hamburg es ernst meint mit | |
postkolonialen Erinnerungsorten, müssen selbstverständlich vor allem | |
Schwarze Menschen beteiligt werden. Und für diese Arbeit müssen | |
Fördermittel bereit gestellt werden. | |
Sie waren auch an der Künstleraktion gegen das Tamm-Museum beteiligt. | |
Die Präsentation des Tamm-Museums ist imperial und eurozentrisch, die | |
Darstellung des transatlantischen Sklavenhandels rassistisch. Aber auch | |
andere historische Museen in Hamburg, mit Ausnahme des Museums der Arbeit, | |
pflegen einen eher unreflektierten Umgang mit dem Thema. | |
Ein Beispiel? | |
Im Hamburg-Museum hängt in einem Raum für Musikinstrumente ein Gemälde | |
einer musizierenden Gesellschaft. Genannt werden alle Abgebildeten, der | |
„Kammermohr“, der in der Bildmitte Früchte serviert, bleibt unkommentiert. | |
Er scheint einfach nicht zu existieren. In einer weiteren Museumsabteilung | |
werden „Kolonialwaren“ ausgestellt und ihre zentrale Bedeutung für Hamburgs | |
Handel beschrieben. Ausgeblendet werden die Folgen des Ressourcenraubs für | |
die Kolonisierten. Auch hier steht ein sogenannter „Tabakneger“ in der | |
Ecke, unkommentiert. | |
Und auch ein Gang durch das Völkerkundemuseum zeigt viele Wahrnehmungs- und | |
Gedächtnislücken. Im Rahmen der Konferenz wird es dazu unter dem Titel | |
„Eurozentrismus, Provinzialismus und/oder Kosmopolitismus in einer | |
Museumsausstellung?“ einen Rundgang durch die Kunsthalle geben. | |
In der Erinnerungskultur wird oft eine Linie gezogen zwischen damals und | |
heute. | |
„Normal“ war der Sklavenhandel und die Kolonialmacht für die Opfer nie. Und | |
es gab schon lange vor der Aufklärung gewichtige Kritiker. Bald erhoben | |
sich auch die Stimmen der befreiten Schwarzen Menschen gegen das koloniale | |
Unrecht. Wir brauchen einen Perspektivwechsel weg vom eurozentrischen | |
Blick, um auch zu erkennen, dass es heute koloniale Kontinuitäten gibt. | |
Für Ihre Arbeiten sind Sie auch nach Afrika gereist. | |
Ich habe mich für die Spuren Wißmanns in Tansania interessiert und dort mit | |
Studierenden gearbeitet. Dann wurde ich nach Ghana eingeladen, wo ich mit | |
den dortigen KollegInnen die Hinterlassenschaften Schimmelmanns erforscht | |
und ausgestellt habe. Letztes Jahr bin ich in Ghana den Wegen des illegalen | |
Imports von Elektroschrott nachgegangen, für den Hamburgs Hafen eine | |
Drehscheibe ist. | |
Der Computermüll hat in Accra zu einer immensen Umweltkatastrophe geführt: | |
Kinder und Jugendlich aus armen Familien verbrennen die Plastikteile, um | |
Metall zu gewinnen. Weite Teile der Stadt sind kontaminiert, auch die Küste | |
vor Accra, sodass es kaum noch Fisch gibt. Und der klägliche Rest wird | |
weiter draußen von Hochseeflotten der reichen Nationen gefischt. | |
Wie schneidet Hamburgs Aufarbeitung verglichen mit anderen europäischen | |
Städten ab? | |
In Amsterdam steht ein Antisklaverei-Denkmal, in Liverpool eröffnete 2007 | |
ein hervorragendes Slavery Museum. In diesem Jahr hat Nantes ein | |
Antisklaverei-Memorial und einen Erinnerungspfad eingeweiht und eine | |
Ausstellung im Museum eröffnet. Und Hamburg? Bei uns wurde 2006 ein neues | |
Denkmal zu Ehren des Sklavenhändlers Schimmelmann eingeweiht. Gut ist, dass | |
die Büste, wegen der vielen Proteste, schon 2008 wieder geräumt wurde. | |
Hamburg ist wirklich ein Schlusslicht in der postkolonialen | |
Erinnerungskultur. | |
16 Sep 2012 | |
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## AUTOREN | |
Lena Kaiser | |
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