# taz.de -- Ausstellung „Besser scheitern" in Hamburg: Das Vergebliche als An… | |
> In der Hamburger Kunsthalle rütteln Videokünstler in der Ausstellung | |
> „Besser scheitern“ am Erfolgszwang unserer Gesellschaft. | |
Bild: Filmstill aus einem Video von Guy Ben-Ner, 2009. | |
Richard Sennett hat das Scheitern als das große Tabu der Moderne | |
bezeichnet. Damit hat er ziemlich recht, zumal auch der Versuch, das | |
öffentliche Scheitern – Depression und Suizid von Fußballstars etwa – zu | |
integrieren, gescheitert ist. In anderen Worten: Das Akzeptanzproblem ist | |
gesellschaftspolitisch nicht gelöst und von einer Umwertung des Begriffs | |
kann keine Rede sein. Rare Ausnahme waren schon immer die Künstler, die – | |
neben den Theologen vielleicht – verstanden, dass Scheitern lediglich ein | |
Umweg ist und nicht das ultimative Knock-out. | |
Folgerichtig also, dass die Hamburger Kunsthalle ihre aktuelle | |
Film-Video-Ausstellung „Besser scheitern“ genannt hat, was man sowohl | |
komparativ als auch appellativ verstehen kann. Und obwohl die Schau | |
offiziell von den 1960er Jahren bis heute reicht, stammen die Exponate | |
interessanterweise fast ausschließlich aus den 1970er und den 1990er/2000er | |
Jahren – der Zeit des Fluxus und jener von IT-Blase und Finanzkrise. | |
So substanziell verschieden wie die Epochen sind auch die Exponate. Die | |
1970er, das war Performance, irgendwo zwischen Fluxus und noblem | |
Dilettantismus. Das waren ironisch-philosophische Versuchsanordnungen von | |
Künstlern wie Bas Jan Ader, der sich samt Stuhl aufs Dach setzte, sehr | |
langsam abrollte und gemächlich in die Büsche fiel. Der ein anderes Mal mit | |
dem Rad auf eine Gracht zufuhr, um stoisch hineinzufallen. | |
## Ein Spiel für Wissende | |
Das Scheitern – Probe und Auftragswerk. Der Fall – eine Harmlosigkeit, | |
bewusst unauffällig inszeniert, ein Spiel für Wissende. Einziger Zynismus | |
dabei: Bas Jan Ader scheiterte höchstpersönlich, als er von einer | |
Atlantik-Überquerung mit dem Segelboot nicht wiederkam. | |
Doch zum Tragisch-Biografischen später. In erster Linie will die | |
Ausstellung das Scheitern in und an der Kunst zeigen. Und das tut sie etwa | |
mit einem Marina-Abramovic-Video, in dem sie sich bürstet, bis die Frisur | |
zerzaust und das Gesicht verzerrt ist: „Kunst und Künstler müssen schön | |
sein.“ So heißt der Film – und das gesellschaftliche Postulat, gegen das | |
sich die Künstlerin wendet und an dem sie, hoch artifiziell inszeniert, | |
scheitert; eine Prise Feminismus inbegriffen. | |
Andere probieren vergebens die Kommunikation mit dem Betrachter – wie Vito | |
Acconci, der in Gulliver-großer Grimasse Unverständliches spricht. Oder | |
Bruce Naumans Video-Köpfe, die „Feed me, help me – hurt me“ schreien und | |
sich so schnell drehen, dass man ihnen nicht in die Augen sehen kann. | |
Geschweige denn mit ihnen reden. | |
## Die Geburt der Idee aus der Panne | |
Einziges 1980er-Jahre-Exponat ist das Video „Der Lauf der Dinge“ von | |
Fischli & Weiss, die eine Endlosgeschichte aus einander bewegenden | |
Alltagsdingen erzählen. Die Frage dahinter: Ist es Zufall – oder hat es | |
jemand so arrangiert, das jede Panne letztlich Konstruktives gebiert? Eine | |
Parabel auf das Leben mit einem Schuss Theodizee. | |
So weit, so bekannt, aber was haben die Künstler der 1990er und 2000er | |
diesen Deutungen voraus? Oder ist das schon wieder die falsche, weil | |
Fortschrittsdynamik implizierende Frage? Vermutlich, denn die jüngeren | |
Werke entwickeln die Versuchsanordnungen ihrer Vorgänger nicht weiter. Sie | |
teilen auch nicht deren Bedürfnis, spielerisch über das Scheitern zu | |
sinnieren. | |
Die Exponate der 1990er und 2000er sind radikaler und pragmatischer: Sie | |
beziehen ihr Material aus dem Leben, in dem man ganz konkret scheitert. | |
Gillian Wearing etwa drehte ein Video mit einer Alkoholabhängigen, die aber | |
während des Projekts starb. Die Texte musste später die – trauernde – | |
Zwillingsschwester der Toten einsprechen. Sie erzählt vom Scheitern an der | |
Sucht und an der Suche nach Mutterliebe. | |
## Theorie scheitert an Biografie | |
Christoph Schlingensief hat den realen Sturz eines Schauspielers bei der | |
Probe „Siegfrieds Sturz“ genannt, in einen Endlos-Loop gebracht und zum | |
Anlass für eine Reflexion über das „Siegfriedhafte“ unseres Landes | |
genommen. 2000 gründete er die Partei „Scheitern als Chance“ und scheiterte | |
später selbst – am Leben. Hier platzt – wie schon bei Bas Jan Ader – das | |
brutal Biografische in die Schau: das einzig endgültige und unvermeidliche | |
Scheitern, nämlich das am biologischen Überleben. | |
Auf dieser Folie wird alles zu Sisyphusarbeit: das vergebliche Bemühen von | |
Francis Alys’ rotem VW, einen Hügel hinaufzufahren. Jeanne Fausts Versuch, | |
im Video das Misstrauen zweier Interviewpartner aufzubrechen. Es sind | |
Kreisbewegungen – nur dass der Loop diesmal inhaltlich statt formal ist. | |
Aber die Zwecklosigkeit bleibt – es sei denn, man taufte sie Zweckfreiheit, | |
Selbstzweck gar und deutete sie als osmotisches Leck zur Kreativität. | |
Möglich ist das nach dem Besuch dieser Schau. Und letztlich ist es das, was | |
diese vielen scheinbaren Sackgassen suggerieren: dass ein objektives | |
Scheitern abgesehen vom Tod nicht existiert. Und dass Sisyphus und seine | |
modernen Urururenkel womöglich Freude haben an ihrem vordergründig absurden | |
Tun. Am Experiment und dessen ungewissem Ausgang. Dieses Überraschende zu | |
schätzen und das Scheitern als Phänomen nicht nur in der Kunst aufzuwerten: | |
Dahin will einen die Hamburger Schau geleiten. Und sie macht ihre Sache | |
gut. | |
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11 Mar 2013 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
## TAGS | |
Literatur | |
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