# taz.de -- Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle: Auf der Suche nach dem rec… | |
> Die ausgemergelten Riesen-Fiuren des Alberto Giacometti kennt wohl jeder. | |
> Weniger bekannt ist seine manische Suche nach der perfekten Konstellation | |
> seiner Figuren. | |
Bild: Eine Frage der Konstellation: Alberto Giacomettis Bronze-Skulptur "Place"… | |
HAMBURG taz | Der Künstler ist immer mittenmang. Der schiebt seine | |
Skulpturen mal hier, mal dorthin und wirkt wie ein Wiesel zwischen den | |
schlanken Bronze-Riesen, die er in sein Atelier gestellt hat. Da will er | |
nämlich erstmal ausprobieren, wie er die am besten ordnet: Alberto | |
Giacometti, dem jetzt eine von der Hamburger Kunsthalle neu konzipierte | |
Ausstellung gilt, war nicht sehr entschlussfreudig. | |
Ein Leben lang hat er gerungen mit der richtigen Platzierung der Figuren im | |
Raum. Die Tatsache, dass er vor allem Schreitende schuf, birgt zudem eine | |
gewisse Tragik. Denn die Skulptur eines Schreitenden ist schon ein | |
Widerspruch in sich. Der Schreitende will ja laufen und nicht stehen, und | |
der Versuch, dies in eine Skulptur bannen, muss misslingen. | |
Genau daran ist auch Giacometti gescheitert, der 30 Jahre lang davon | |
träumte, mal einen großen Platz zu gestalten – um den Auftrag dann, als er | |
ihn 1959 bekam, nicht auszuführen. Den Vorplatz der Chase Manhattan Bank | |
sollte er gestalten, aber der Auftraggeber konnte in Giacomettis Entwurf | |
nicht die gewünschte Figuren-Gruppe erkennen und stoppte das Projekt. | |
Giacometti focht das nicht an. Er werkelte manisch weiter an den Figuren, | |
zeigte sie auf Ausstellungen und ließ auf einer New York-Reise nächtelang | |
seine Frau und einen Freund auf besagtem Platz stehen, um die beste | |
Konstellation zu finden. | |
„Spielfelder“ heißt auch die Hamburger Schau. Sie rückt einen bislang | |
missachteten Aspekt ins Licht. Sie interessiert sich nämlich für das | |
choreographische Ringen des Schweizer Künstlers, der jene sattsam bekannten | |
Figuren schuf, die aussehen wie ausgemergelte Holocaust-Häftlinge. | |
Die Kuratoren der Hamburger Schau interessieren sich aber eher für den | |
Grund, auf dem die Figuren stehen – und für den Raum, aus dem sie | |
entstammen. Bei näherem Hinsehen wird nämlich die Künstlichkeit der | |
Konstellationen klar, die an die anonymen Großstadt-Menschen Oskar | |
Schlemmers erinnern. | |
Giacometti war nämlich sehr dezidiert festgelegt auf genau drei Typen: die | |
monolithische Frau – ein der ägyptischen Kunst abgeschautes Idol –, den | |
schreitenden Mann, der sie umtanzt – und den auf denselben Boden gesetzten | |
Riesenkopf. Er ist Beobachter und Denker, und man kann die drei als | |
Aggregatzustände lesen: Gott, bewegte Materie, Bewusstsein – wobei | |
letzteres wie ein Selbstzitat des Künstlers wirkt. | |
Ein archaisches Männer und Frauenbild offenbaren die Figuren außerdem: Die | |
Frau ist Göttin ohne Handlungsimpuls und die Männer umschwirren sie wie | |
Motten. Diese Konstellation erprobte Giacometti in verschiedensten | |
Varianten, erstmal im Kleinformat. Die Hamburger Kunsthalle hat sie wie | |
Spieltischchen aufgestellt, als lüde sie den Betrachter zur Schachpartie. | |
Da kann er zwar nicht mitspielen, aber eine Draufsicht gewinnen, vielleicht | |
auch überlegen, wie er selbst gespielt hätte. | |
Man hat sich also quasi in Alberto Giacomettis Werkstatt gesetzt, und das | |
ist konsequent, denn der Begriff seiner Kunst ist interaktiv: Auf dem zu | |
gestaltenden Platz sollte der Betrachter zwischen den Figuren herumlaufen, | |
als Mitspieler der figuralen Show. | |
Ein bisschen klingt das nach Familienaufstellung, aber auf eine | |
psychologische Deutung des Giacometti’schen Spieltriebs zielt diese | |
Ausstellung nicht ab. Sie bleibt deskriptiv, zeigt das Herkommen des | |
Künstlers vom Surrealismus und Kubismus mit ihrem Humor, wenn da ein Objekt | |
zum Anfassen und Wieder-Wegwerfen herumliegt, das man natürlich nicht | |
berühren darf. | |
Giacometti hätte es aber gewollt, denn für ihn waren Betrachter und Werk, | |
Kunst und Leben, sogar Zeit und Raum eins. „Plötzlich hatte ich das Gefühl, | |
dass alle Ereignisse gleichzeitig um mich herum existierten. Die Zeit wurde | |
horizontal und kreisförmig, war zugleich räumlich... Eine Scheibe von | |
ungefähr zwei Metern Durchmesser“, hat er einmal geschrieben und die | |
Raum-Zeit-Scheibe später gezeichnet. | |
Das Ergebnis kann man in Hamburg sehen: den Versuch, etwas Unsagbares in | |
Geometrie zu gießen. Das muss zwangsläufig trivial erscheinen, aber das ist | |
gut so, denn es zwingt einen zurück auf den Boden, und da soll man auch | |
hin, zum Ende des Parcours. Da stehen die drei Riesenfiguren, die für den | |
New Yorker Platz gedacht waren: Die Stehende, der Schreitende, der Kopf. | |
Der Raum ist klaustrophobisch eng und ungefähr so winzig wie Giacomettis | |
Atelier, in dem er von den 1.001 Varianten der Bewegung träumte. In dem er | |
niemals akzeptierte, dass eine Skulptur immer ein Entschluss und eine | |
Momentaufnahme ist, letztlich: mumifiziertes Leben. | |
In diese Verzweiflung zieht die Hamburger Schau den Betrachter hinein, wenn | |
er zwischen den Figuren steht, die Giacometti ratlos machten. Am Ende war | |
er so weit, sie so hinzustellen, wie die Transporteure sie hinterließen. | |
Zufällig wirkt auch die Platzierung in der Kunsthalle. Warum? Weil man sich | |
in diesem kleinen Raum nicht vorstellen kann, wie die Figuren auf einem | |
großen Platz wirken. Und weil es die optimale Konstellation nicht gibt. | |
Vielleicht hat Giacometti das gewusst und trotzdem weiter probiert – um den | |
Stab dann an die Nachgeborenen zu übergeben. Die Schau in Hamburgs | |
Kunsthalle ist ein gutes Übungsfeld für uns. | |
25 Feb 2013 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
Petra Schellen | |
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Moderne | |
Kunsthalle Hamburg | |
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