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# taz.de -- Kolonialgeschichte in Oldenburg: Des Kaisers Kanonier
> Eine Gruppe Oldenburger Studenten hat nach kolonialen Spuren in der Stadt
> gesucht - und präsentiert die Ergebnisse online auf einer interaktiven
> Karte.
Bild: Auf den kolonialen Spuren: Gedenksteine in Oldenburg.
OLDENBURG taz | Kanonier Kleen starb, so steht es auf einem Gedenkstein
neben der halb vergessenen Ehrenhalle für die gefallenen Oldenburger
Artilleristen, am 24. März 1906 an Typhus in Lüderitzbucht, damals
Deutsch-Südwest, heute Namibia. Was ihn dorthin geführt hatte, deutet die
Inschrift indes nur an. „Gestorben während des südwestafrikanischen
Feldzuges“ steht da – gemeint ist der Völkermord, den die kaiserlichen
Kolonialtruppen an den Herero und Nama begangen haben.
Der Stein zählt zu den in der Stadt noch sichtbaren, aber nur selten auch
als solche erkannten Spuren aus der Zeit des Kolonialismus. Viele sind es
ohnehin nicht: Oldenburg ist zwar durch Militär-, nicht aber durch
Kolonialgeschichte geprägt; und zu einer offenen Auseinandersetzung mit der
imperialistischen Vergangenheit kommt es hier nur vereinzelt.
2005 etwa, als im Rahmen einer Ausstellungsreihe an eine der berüchtigten
„Völkerschauen“ hundert Jahre zuvor erinnert wurde. Oder aktuell bei der
Umbenennung der Hedwig-Heyl-Straße – die allerdings, wenn überhaupt, wegen
Heyls Äußerungen zu Hitler erfolgen wird, nicht wegen ihrer rassistischen
Überzeugungen und ihres kolonialen Engagements. Ein „symptomatischer
Vorgang“, sagt die Historikerin Yvonne Robel von der Uni Oldenburg – in
erinnerungskulturellen Debatten treten postkoloniale Ansätze fast immer
hinter die NS-Geschichte zurück.
## Kollegen irritiert
„Kolonialismus? Hier?“ Sogar Institutskollegen hätten irritiert auf ihr
Vorhaben reagiert, ein Seminar zum kolonialen Erbe der Stadt zu
veranstalten, sagt Robel. Sie solle „doch lieber was zur
Garnisonsgeschichte“ machen. Die gibt mehr her – und würde in der
160.000-Einwohner-Stadt wohl auch mehr Aufmerksamkeit bekommen als
postkoloniale Forschungen.
Andere Städte sind da schon weiter, in Freiburg, Dortmund oder Berlin gibt
es längst entsprechende Initiativen, die sich mit diesem Themenfeld
befassen. In Oldenburg stehen die „postcolonial studies“, wenn überhaupt,
noch am Anfang. Hier gab es keine Lettow-Vorbeck-Kaserne, keinen
Carl-Peters-Platz, nichts, an dem sich eine öffentliche Aufarbeitung hätte
entzünden können.
Dennoch machten die Seminarteilnehmer bemerkenswerte Funde. Ein früherer
Kolonialwarenladen ist darunter, den heutige Bürger meist nur noch als
ehemaligen Yachtausrüster kennen. Ein regionaler Teehändler, der nach wie
vor das Wort „Coloniale“ im Namen führt, ohne dass es jemanden zu stören
scheint. Das Landesmuseum Natur und Mensch, das zahlreiche Exponate aus der
Zeit des Kolonialismus zeigt, dabei allerdings kaum erläutert, wie und auf
welchem Wege sie nach Oldenburg gelangt sind.
Ihre Ergebnisse präsentierten die Studenten in einer ungewöhnlichen Form:
Inspiriert durch das Projekt „Memory Loops“ der Künstlerin Michaela Melià…
die auf einem interaktiven Münchner Stadtplan Hörbeispiele zur
NS-Geschichte der Stadt sammelte, stellten sie ihre Ergebnisse in Form von
Hörfunkbeiträgen und einem ebenfalls interaktiven Stadtplan online – in
kleinerem Maßstab zwar, aber wenigstens „nicht für die Schublade
produziert“, sagt Robel.
Dass die wenige Minuten langen Podcasts, die sich auf dem Plan anklicken
und -hören lassen, keinen fundierten Überblick über lokale
Kolonialgeschichte bieten können, ist den Beteiligten klar. Dafür rückten
die Hörstücke gerade durch die Verknüpfung mit dem Stadtplan ins
Bewusstsein, dass es auch in einer Stadt wie Oldenburg solche Spuren
überhaupt gebe, sagt Robel. Sie seien eine „Aufforderung, hinzugucken“.
Etwa, wenn der Teehändler im Internet von der „guten alten Zeit der
Kolonialwarenläden“ schwärmt. Oder sich herausstellt, dass Kanonier Kleen
vermutlich zu jener Handvoll Oldenburger zählte, die sich freiwillig für
den Kampf gegen die Herero und Nama meldeten. Und dafür bis heute mit einem
Stein geehrt wird.
## Der Autor betreut das Projekt „“ beim Oldenburger Bürgersender oeins und
leistete technische Unterstützung bei der Umsetzung der Hörbeiträge.
3 Oct 2012
## AUTOREN
Maik Nolte
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
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