# taz.de -- Umstrittene Kunstaktion in Norwegen: Völkerschau reloaded | |
> Kann ein „Menschenzoo“ zur Auseinandersetzung mit einer rassistischen | |
> Epoche anregen? In Norwegen wagen zwei Künstler einen Versuch. | |
Bild: Gab es schon 2013: Ein Straftäter im Rahmen eines Kunstprojektes in Hamb… | |
Was vor hundert Jahren unmenschliche, aber gängige Praxis war, wird heute | |
in Form einer Kunstaktion wieder zum Leben erweckt: Völkerschauen. | |
„Wo ich ging und stand wurde ich begafft, wildfremde Leute fuhren mir mit | |
den Fingern durch die Haare, rochen an mir, ob ich echt sei...“ So | |
beschreibt Theodor Michael, ein schwarzer deutscher Zeitzeuge, seine | |
Erfahrungen als Mitwirkender in Völkerschauen. | |
Wie Tiere wurden Menschen nicht-europäischen Aussehens für eine breite | |
Öffentlichkeit ausgestellt. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in mehreren | |
europäischen Ländern und Nordamerika diese Praxis, die unter anderem der | |
Versicherung eigener Überlegenheit dienen und somit die Kolonisierung | |
rechtfertigen sollte. Aber auch Unterhaltung und Sensationsgier spielten | |
eine Rolle bei diesen Vorführungen – die Afrikaner wurden als unzivilisiert | |
und primitiv gezeigt. | |
Auch in Oslo lebten 1914 im Rahmen der Weltausstellung fünf Monate lang 80 | |
Senegalesen in einem abgeschlossenen Areal, das „The Congo Village“ genannt | |
wurde. „Traditionell“ gekleidet, lebten die Afrikaner in Hütten mit | |
Palmendächern und gingen alltäglichen Tätigkeiten wie Kochen oder | |
Handwerken nach. Mehr als die Hälfte der norwegischen Bevölkerung besuchte | |
seinerzeit diese Kolonialausstellung, die der norwegische König eröffnet | |
hatte. „Es ist wundervoll, dass wir weiß sind“, fasste das norwegische | |
Magazin Urd damals zusammen. | |
## Aus kollektiver Erinnerung ausgelöscht | |
Zwei in Oslo lebende Künstler wurden vor einiger Zeit auf dieses Kapitel | |
der norwegischen Vergangenheit aufmerksam und waren verwundert, wie wenig | |
es präsent ist. „Wir haben vermutet, dass sei verbreitetes Wissen unter | |
Einheimischen“, schreiben Mohamed Ali Fadlabi und Lars Cuzner auf ihrer | |
[1][Webseite]. Aber als sie herumfragten, um mehr zu erfahren, stellte sich | |
heraus, dass kaum ein Norweger davon gehört hatte. „Selbst wenn sie von | |
Völkerschauen in anderen Länder wussten.“ | |
Der im Sudan geborene Fadlabi und der kanadisch-schwedische Cuzner begannen | |
ihr Projekt „European Attraction Limited“ zu planen. Ein Menschen-Zoo soll | |
an „The Congo Village“ erinnern und eine Diskussion über Kolonialismus und | |
Rassismus anregen. Eröffnet wird das Projekt Mitte Mai im Rahmen der | |
Feierlichkeiten zum 200-jährigen Jubiläum der norwegischen Verfassung. | |
Als die Projektidee öffentlich wurde, rief das schnell Kritiker auf den | |
Plan. Rune Berglund Steen vom Norwegian Centre Against Racism bezeichnete | |
das Vorhaben als „entwürdigend“ und befürchtete, dass Kinder afrikanischer | |
Herkunft schikaniert und belästigt werden könnten. | |
Cuzner und Fadlabi wollen allerdings keine Eins-zu-eins-Kopie der Schau von | |
1914 erschaffen. Der Aufruf auf ihrer Webseite an potenzielle Komparsen | |
richtet sich an „jeden von überallher aus der Welt, der an die Wichtigkeit | |
einer Diskussion über Kolonialismus und die Entwicklung von Rassismus | |
glaubt.“ Auf Anfrage der taz teilen die beiden mit, dass sie die | |
Protagonisten anhand einer schriftlichen Stellungnahme auswählen, ohne | |
etwas über deren Hintergrund wissen zu wollen. | |
„Dabei könnte aber immer noch eine Gruppe nur aus Afrikanern oder einer | |
anderen ethnischen Gruppe herauskommen. Für uns spielt das letzlich keine | |
Rolle.“ Vor diesem Hintergrund änderte Steen seine Haltung und meint, die | |
Ausstellung „könnte positiv sein“. Mit dem Risiko jedoch „ein sehr | |
verwirrendes Echo“ auf die Situation von 1914 zu erzeugen. | |
Eine [2][Online-Petition], ins Leben gerufen von Halima Hosh aus London, | |
fordert den sofortigen Stopp des Kunstwerks. Sie fragt: „Würden die | |
sogenannten Künstler ein Live-Konzentrationslager in Deutschland wieder | |
erschaffen, um eine Debatte über Nazis und Neonazis zu entfachen? Ich | |
glaube nicht. Niemand möchte eine sehr schmerzhafte Zeit reaktivieren.“ | |
## Keine Ahnung von schwarzer Geschichte | |
Mehr als 1250 Unterzeichner unterstützten die Petition bisher. Die Künstler | |
sehen derlei Kritik positiv. „Je mehr Menschen ihre Meinung ausdrücken, | |
umso größer ist die Chance, dass neue Fragestellungen und neue Erkenntnisse | |
entstehen“, meinen sie. Hosh ist überzeugt, dass jemand der auf die Idee | |
kommt, eine Völkerschau zu reaktivieren, „nicht die geringste Ahnung von | |
schwarzer Geschichte“ habe und was solch eine Ausstellung für schwarze | |
Menschen bedeute. | |
Theodor Michael, der in Deutschland an Völkerschauen teilnahm, | |
[3][resümiert in einem Interview][4][:] „Es war schlimm! Aber als Kind hat | |
man ja keine Wahl, man kann sich kaum verweigern, wenn es den Druck gibt.“ | |
Druck gibt es indessen für die Teilnehmer der Wiederaufführung nicht. Mehr | |
als 80 Menschen hätten sich angeboten, obwohl bei der Registrierung darauf | |
hingewiesen wird, dass es teils heftige Kritik am Projekt gibt. | |
Wie die Ausgestellten sich dem Publikum präsentieren werden, ist offen. | |
„Wie in jedem anderen Zoo, wo man lebende Geschöpfe beobachten kann, haben | |
wir sie gebeten, zu kommen und dort zu leben. Wie sie das tun, ist ihnen | |
überlassen“, so Cuzner. | |
13 May 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://www.europeanattractionlimited.com/ | |
[2] http://www.change.org/en-GB/petitions/lars-cuzner-and-stop-the-human-zoo-of… | |
[3] /!131982/ | |
[4] /!131982/ | |
## AUTOREN | |
Katja Musafiri | |
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