# taz.de -- Theodor Michael über seine Biographie: „Preuße mit afrikanische… | |
> Der afrodeutsche Ex-BND-Beamte Theodor Michael trat als Kind in | |
> Völkerschauen auf und überlebte die Nazizeit. Ein Gespräch über Rassismus | |
> damals und heute. | |
Bild: In dem Film „Münchhausen“ von 1943 spielte Michael (links) den Leibw… | |
taz: Herr Michael, Sie wurden 1925 in Berlin als Sohn einer weißen | |
Deutschen und eines Kameruners geboren. In Ihrer Biografie „Deutsch sein | |
und schwarz dazu“ beschreiben Sie Ihr Schicksal als schwarzer Deutscher | |
während der Nazizeit. Wieso erst jetzt? | |
Theodor Michael: Man muss eine Zeit erst überwinden, sich mit ihr | |
versöhnen. Ich wäre früher nicht in der Lage gewesen, es zu schreiben. Die | |
Enkelgeneration hat gedrängt: Opa, schreib, das wollen wir wissen! Auch die | |
junge schwarze Gemeinschaft wollte wissen, wie man in einer weißen Welt | |
überleben kann, wenn man dunkelhäutig ist. Noch immer spuken ja die | |
Geschichten herum von den Wilden im Baströckchen. Menschen, die angeblich | |
nicht das gleiche geistige Niveau hätten wie weißhäutige Menschen. | |
Sie haben das Baströckchen gerade angesprochen: Sie mussten den Wilden | |
spielen in den Völkerschauen der damaligen Zeit … | |
Es war schlimm! Aber als Kind hat man ja keine Wahl, man kann sich kaum | |
verweigern, wenn es den Druck gibt. Mein Vater hat für uns entschieden. | |
Zum Ende des 19. Jahrhunderts, als Ihr Vater aus dem „Deutschen | |
Schutzgebiet“, also dem kolonialisierten Kamerun nach Berlin kam, war die | |
Situation für schwarze Menschen noch nicht bedrohlich. Was hat Ihr Vater in | |
der ersten Zeit gemacht? | |
Genau weiß ich es nicht. Ich habe den Verdacht, dass er mit exotischen | |
Früchten gehandelt hat, die die Familie hierher geschickt hat. Aber dazu | |
gibt es keine gesicherten Dokumente. Später war er am Bau der Berliner | |
U-Bahn beteiligt. | |
Die Mutter war früh verstorben, der Vater häufig krank und mit vier Kindern | |
überfordert. Er musste Sie abgeben. In einer Zirkusfamilie kamen Sie mit | |
einer Ihrer Schwestern unter und wurden dort wie Bedienstete behandelt. Der | |
Pflegevater Mohamed ben Ahmed war Marokkaner. War das nicht deprimierend, | |
von einem potenziell Verbündeten keinerlei Unterstützung zu erfahren? | |
Was haben Sie als Kind für Gedanken? Es wirkte sich aus: Ich begann zu | |
stottern, bekam mit 14 Jahren Magengeschwüre. Es war aber weniger er, | |
sondern mehr die Frau, die uns schlecht behandelte. | |
Sind Ihnen noch andere schwarze Menschen in den Kriegsjahren begegnet? | |
Nein. Außer wenn wir Filme machten, Kolonialfilme und Ähnliches. Kürzlich | |
habe ich in Hamburg Marie Nejar wiedergetroffen. Wir waren beide Komparsen | |
im Film „Münchhausen“. Mehr als 70 Jahre ist das her. | |
Sie lebten in den ersten Kriegsjahren weiter bei der Familie ben Ahmed, | |
traten in Völkerschauen und Propagandafilmen auf. Mit 18 Jahren wurden Sie | |
in ein Fremdarbeiterlager in Berlin gesteckt. Wie haben Sie es dort | |
geschafft zu überleben? | |
Ich habe überlebt, und das ist für mich die Hauptsache gewesen. Ich bin ein | |
gläubiger Mensch, deshalb würde ich sagen: mit Gottes Hilfe. | |
Sie schreiben, am meisten fürchteten Sie die Zwangssterilisation. Woher | |
wussten Sie von dieser Praxis? | |
Über Flüstergespräche. Leute, denen das widerfahren war, konnten es | |
weitergeben. Das waren noch Kinder! Zum Glück ist die Zahl nicht so hoch | |
gewesen, aber jede Sterilisation ist ein Verbrechen. | |
Es gab viele Momente der Diskriminierung. Sie mussten das Gymnasium | |
verlassen, in Ihrem Pass stand unter besondere Kennzeichen „Neger“, Sie | |
wurden aus dem Luftschutzbunker vertrieben. Als Schlüsselmoment beschreiben | |
Sie, wie Sie als „Artfremder“ nicht in die Deutsche Arbeitsfront | |
aufgenommen wurden. Ihr Ausgeschlossensein aus der Gemeinschaft wurde Ihnen | |
da besonders deutlich. Wann haben Sie sich wieder zugehörig gefühlt? | |
Man wurde mit Gewalt ausgeschlossen, es hat sich aber ein großer Teil der | |
Menschen nicht dran gehalten. Was so giftig und so vordergründig war, war | |
die Einsamkeit. Dass man sich niemandem mitteilen konnte. Man braucht | |
Vertraute, und das fehlte mir. | |
Ihre drei Geschwister konnten das Land verlassen. Der Pass einer Schwester | |
wurde bei ihrer Ankunft in Frankreich verbrannt, damit sie nicht | |
zurückgeschickt werden konnte. Haben Sie auch überlegt, wegzugehen? | |
Aber ja! Hundert Mal. Bloß, wohin können Sie mit einem Staatenlosen-Pass? | |
Meine Schwester hätte, wenn sie ihren Pass behalten hätte, zurückgeschickt | |
werden müssen, nach Ablauf ihrer offiziellen Aufenthaltszeit. Das war die | |
Regelung, es ging dorthin zurück, wo der Pass ausgestellt wurde. Heute noch | |
vernichten Migranten ihre Pässe und geben eine andere Identität an. Ich | |
habe dafür vollstes Verständnis. | |
Nach den Kriegsjahren gründeten Sie eine Familie, die Sie mit Schauspiel- | |
und Rundfunkjobs versuchten zu ernähren. Sie hatten jedoch Schwierigkeiten, | |
Arbeit zu finden. Selbst für schwarze Rollen wurden weiße Schauspieler | |
geschminkt. Das ist teils ja bis heute der Fall. | |
Ich habe die Geschichte mit dem Schlosspark Theater verfolgt im vergangenen | |
Jahr und einen Brief an den Intendanten Dieter Hallervorden geschrieben. | |
Mich hat verärgert, dass gesagt wurde, man hätte keine schwarzen | |
Schauspieler. Joachim Bliese ist ein ausgezeichneter Schauspieler, gegen | |
den ging das nicht, auch nicht gegen das Stück. Ein wunderbares Stück, ich | |
hab es selbst 150-mal gespielt. Diese Aussage von Hallervorden war einfach | |
falsch. Natürlich haben wir schwarze Schauspieler – genug! Man muss sich | |
umsehen. Ich finde Anmalen blöd. Punkt. | |
Durch ein Stipendium der Stiftung Mitbestimmung konnten Sie später doch | |
noch studieren. Was hat das für Sie bedeutet? | |
Das war der Beginn einer neuen Identität. Ich wollte eigentlich Ethnologe | |
oder Archäologe werden, im Nachhinein besehen eine brotlose Kunst. So | |
musste ich jedoch Volkswirtschaft studieren. Aber dadurch, dass ich mich | |
immer mit Afrika beschäftigt hatte, schon als Kind meinen Vater Löcher in | |
den Bauch gefragt habe, bin ich in die Afrikanistik abgewandert und wurde | |
auch als Berater angefragt. | |
Auch der BND heuerte Sie an. Plötzlich waren Sie der erste schwarze Beamte | |
im höheren Dienst in Deutschland. Hat das zu neuem Selbstbewusstsein | |
verholfen? | |
Mein schwieriges Mutterland hatte mich nie unterstützt. Unter anderem, weil | |
es immer die Beamten gab, die schon zur Nazizeit da waren und noch im Kopf | |
hatten: Die nehmen uns die Arbeit weg. Die nehmen uns die Frauen weg. Die | |
überfremden uns. Ich bin mein ganzes Leben lang gegen Steine, die mir vor | |
die Füße geworfen wurden, angegangen. Und dann kommt dieses schwierige | |
Mutterland auf einen zu und sagt: Wir brauchen dich! Da sagt man: Gut, ich | |
komme! Warum? Das ist die Bundesrepublik, die ich mit aufgebaut habe. Ich | |
tat es auch im Hinblick darauf, dass es die nächsten Generationen einmal | |
leichter haben sollen, solche Positionen zu erreichen. Weil schon jemand | |
vor ihnen da war, dem man es zugetraut hat. Der Punkt ist ja, dass wir | |
immer beweisen müssen, dass wir es können. Jemand mit europäischem Aussehen | |
braucht diese Beweise nicht. Wir schon. Und zwar vorab. Das ist das | |
Schwierige eines schwarzen Menschen in einer weißen Welt. | |
Im Buch finden sich Situationen wieder, die schwarzen Menschen bis heute | |
widerfahren. Personenkontrollen auf der Straße etwa … | |
… oder am Flughafen. Da hat mich einmal ein Beamter nach meinen Pass | |
gefragt. Ich habe geantwortet, ich hätte keinen Pass. „Aber Sie reisen doch | |
in die Bundesrepublik ein, Sie müssen doch einen Ausweis …“ Ich sagte: | |
„Ach, nach dem Ausweis fragen Sie. Einen Personalausweis habe ich.“ | |
Also ist immer noch nicht in den Köpfen angekommen, dass auch schwarze | |
Menschen deutsch sein können? | |
Ja. Es ist eines meiner Hauptziele, die Gesellschaft darauf aufmerksam zu | |
machen. Bei so einer Kontrolle sage ich dann, wenn hier jeder kontrolliert | |
werden muss, dann bitte auch alle anderen. Geschimpft wird am Ende auf | |
mich. Können die ruhig, aber sie werden dadurch auf das Problem aufmerksam. | |
Die jungen Leute gehen damit noch mal anders um. Ich gehe pragmatischer | |
heran. Mit dem guten alten afrikanischen Phlegma. | |
Ihr Vater starb, als Sie noch ein Kind waren – haben Sie dennoch das | |
Gefühl, afrikanisch geprägt zu sein? | |
Ich bin eigentlich preußisch geprägt, aber wenn etwas vom Afrikanischen | |
übrig geblieben ist, dann ist es das Phlegma: die Dinge auf einen zukommen | |
zu lassen. Abwarten und dann weitersehen. | |
29 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Katja Musafiri | |
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