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# taz.de -- Gedenkstreit in der Hamburger Hafencity: Wohnen, wo die Schlächter…
> In Hamburgs Hafencity entstehen Wohnungen – da, wo einst Truppen nach
> „Deutsch-Südwest“ verschifft wurden. Historiker fordern daran zu
> erinnern.
Bild: Kurs „Deutsch-Südwest“: Kaiserlichen Schutztruppe an Bord des Dampfe…
Hamburg taz | Im Baakenhafen in der [1][Hamburger Hafencity] sollen drei
neue Wohnkomplexe entstehen. Ihre Besonderheit. Die Bebauung ist bereits
seit 2012 geplant, etliche Gebäude säumen auch bereits die Hafenkante. Den
Bebauungsplan legte die zuständige Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen
öffentlich aus, zwei Wochen lang seit dem 17. Mai. Schon 2022 und 2023 gab
es Öffentlichkeitsbeteiligungen, nun konnten Bürger*innen Stellung
nehmen zu den Änderungen und Ergänzungen des Planentwurfs „HafenCity 19“.
Einspruch eingelegt hat dagegen die [2][Forschungsstelle „Hamburgs
(post-)koloniales Erbe“] an der Universität Hamburg. Der Grund: „Dieser
historische Ort ist eng mit dem Völkermord an den Herero und Nama
verbunden, der in Deutsch-Südwestafrika zwischen 1904 und 1908 verübt
wurde“, sagt Kim Todzi, Historiker an der Forschungsstelle. Mit der
Bebauung des Hafenbeckens westlich der Elbbrücken vertue man die
Möglichkeit, hier einen Gedenkort zu errichten.
Während des Völkermords im heutigen Namibia ermordeten deutsche
Kolonialtruppen bis zu 100.000 Menschen. Bei der Schlacht auf dem Waterberg
im August 1904 versuchten die Kolonialtruppen rund 60.000 Herero
einzukesseln, die sich auf dem Plateau versammelten. Die Herero konnten
sich in die Omaheke-Wüste fliehen, die Deutschen riegelten diese aber mit
einem 250 Kilometer langen Absperrgürtel ab. Systematisch und mit
Waffengewalt hielten die deutschen Soldaten die in der Wüste Umzingelten
von den Wasserstellen fern.
Lothar von Trotha, Kommandeur der Kolonialtruppen und maßgeblich für den
Völkermord verantwortlich, erließ den sogenannten „Vernichtungsbefehl“:
„Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit
oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr
auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen.“
Die meisten Herero verdursteten oder verhungerten in der Wüste. Überlebende
wurden in Lagern inhaftiert, wo sie an den Folgen der Zwangsarbeit und der
schlechten Lebensbedingungen starben.
## Truppen wurden gefeiert
Mehr als 90 Prozent der am Völkermord beteiligten deutschen Truppen reisten
über den Ort, an dem jetzt die neuen Gebäude entstehen sollen, in das
Kolonialgebiet. Mehr als 18.000 Soldaten und 11.000 Pferde wurden über den
Petersenkai im Hamburger Baakenhafen verschifft. Die Bevölkerung
zelebrierte die An- und Abfahrten der Truppen, teilweise kamen tausende
Zuschauer*innen in den Hafen. Regierungsvertreter reisten an, die
Soldaten bekamen „Liebesgaben“ mit auf die Reise: Das waren meist
Postkarten oder Zigarettentäschchen, die der Senat extra anfertigen ließ.
Nach der Niederschlagung des antikolonialen Aufstands wurde von Trotha 1905
bei seiner Ankunft in Hamburg von Bürgermeister Johann Heinrich Burchard
persönlich und mit einer Feier im Namen des Senats begrüßt. Noch bis 1999
war der Baakenhafen der Knotenpunkt für den Hamburger Handel mit
afrikanischen Ländern. Dann begann der Bau der Hafencity.
„Der Baakenhafen ist ein authentischer Ort des Kolonialismus“, sagt Todzi.
„Einer der wenigen, die explizit auf die deutsche Gewaltgeschichte
außerhalb Europas verweisen.“ Allerdings fehle bisher jegliche öffentliche
Erinnerung. Die Forschungsstelle publiziert seit 2019 zum Hafen und hat
seine Kolonialgeschichte erstmals umfangreich aufgearbeitet. „Ich sehe die
Gefahr, dass mit der Bebauung Fakten geschaffen werden, die nicht mehr
rückgängig gemacht werden können“, sagt Todzi. „Das sollte nicht
widerspruchsfrei hingenommen werden.“
Drei neue Wohntürme sollen ins Wasser gebaut werden, Stege verbinden sie
mit dem Ufer. 230 Wohneinheiten sollen so in den knapp 60 Meter hohen
Türmen entstehen. Im ursprünglichen Wettbewerbsverfahren 2012 waren noch
drei Zwillingsbauten mit insgesamt sechs eng beieinander stehenden Häusern
vorgesehen. Laut Hamburgs Oberbaudirektor Franz-Josef Höing hat sich dieser
Ansatz im Laufe der Zeit als unsinnig herausgestellt. 2021 wurde daher
gemeinsam mit den drei Hamburger Bauherren ein erneutes
Wettbewerbsverfahren durchgeführt, bei dem sich dann drei unterschiedliche
Architekturbüros durchsetzten.
## Ruf nach Dokumentationszentrum
Die Forschungsstelle fordert, „die historische Bedeutung des Baakenhafens
angemessen zu berücksichtigen“: Man sei gar nicht grundsätzlich gegen eine
Bebauung, schlägt aber vor, dort ein Dokumentationszentrum für die
Geschichte des kolonialen Völkermordes und die Rolle des Hamburger Hafens
zu errichten.
Immerhin hatte nur einige Tage nach Auslegen des Bebauungsplans, am 21.
Mai, Kultursenator Carsten Brosda (SPD) ein [3][neues stadtweites
Erinnerungskonzept „Hamburg dekolonisieren!“] präsentiert, das die
Schaffung „würdiger Formen und Orte des Erinnerns“ vorsieht. Dabei gehe es
auch darum „unsere eigenen blinden Flecken in der Aufarbeitungsgeschichte
zu erkennen“, so Brosda. Ein solcher blinder Fleck ist der Baakenhafen.
Eine „koloniale Amnesie“ bescheinigt gar Jürgen Zimmerer, [4][Leiter der
Forschungsstelle], der hamburgischen und überhaupt der deutschen
Erinnerungskultur. „Die gesamte Grausamkeit und Brutalität des deutschen
Kolonialismus ist nicht im öffentlichen Bewusstsein verankert“, sagt er der
taz. Der Baakenhafen könne zu einem erneuten Beispiel dieses Vergessens,
wenn nicht gar eines bewussten Verdrängens werden.
Die Gleichzeitigkeit der Veröffentlichung des Bebauungsplans und des
Erinnerungskonzepts passt für ihn nicht zusammen. „Vielleicht weiß in
Hamburg die eine Behörde nicht, was die andere tut. Das Erinnerungskonzept
soll eigentlich ganz bewusst behördenübergreifend sein“, sagt der
Kolonialhistoriker. Er kritisiert auch, dass die Stadt die
wissenschaftliche Forschung nicht genug berücksichtigt: „Das Wissen über
die Kolonialgeschichte des Baakenhafens ist noch kein Allgemeinwissen. Bei
Projekten wie dem in der Hafencity braucht es deshalb wissenschaftlicher
Grundlagenforschung, ja einen wissenschaftlichen Beirat, der auf ein
derartiges Problem aufmerksam machen kann.“
Von Seiten der Behörde für Stadtentwicklung und Bauen heißt es, dass eine
Bebauung des Hafenbeckens einen Gedenkort nicht ausschließe. Dieser könne
auch später noch entstehen. Einen informatorischen Austausch mit der dafür
zuständigen Kulturbehörde habe es bisher jedoch nicht gegeben. Sprecher
Enno Isermann versichert der taz, dass am Baakenhafen noch ein Gedenkort
entstehen solle. „Der Baakenhafen ist Teil des Erinnerungskonzepts.
Natürlich wäre ein schnelleres Vorgehen wünschenswert“, sagt er, „aber d…
wäre Erinnerung von oben. Wir wollen [5][die Zivilgesellschaft] in den
Prozess mit einbeziehen.“
30 May 2024
## LINKS
[1] /Hamburg-ehrt-bis-heute-Kolonialisten/!5691779
[2] https://www.geschichte.uni-hamburg.de/arbeitsbereiche/globalgeschichte/fors…
[3] /Hamburg-ruehrt-an-unbequemem-Erbe/!6008985
[4] /FDP-stuetzt-Kolonialismus-Forschung/!5998319
[5] http://www.hamburg-postkolonial.de/
## AUTOREN
Jonas Kähler
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