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# taz.de -- NS-Reichsparteitagsgelände in Nürnberg: Altbau mit Nazivergangenh…
> In der Kongresshalle auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg sollen
> bald Opern aufgeführt werden. Ein Sieg der Kultur oder
> Geschichtsvergessenheit?
Bild: Blick auf die Kongresshalle in Nürnberg am Dutzendteich
Schön hässlich ist es hier. Kira Krüger, Florin Weber und Max Pospiech
stehen auf der kleinen Aussichtsplattform am Rande des Innenhofs der
Nürnberger Kongresshalle. Die jungen Künstler schauen in das [1][Halbrund
dieses Mega-Kolosseums]. Ein Bauwerk, das sie im vergangenen Jahr schwer
beschäftigt hat – und noch immer nicht loslässt. Dort unten sieht man
vereinzelt Bauarbeiter herumlaufen, ein Bagger schüttet einen Erdhaufen
auf, ein Teil der Fassade ist eingerüstet.
Für nicht Ortskundige sollte man es vielleicht sicherheitshalber erklären:
Es handelt sich bei der Kongresshalle nicht um irgendein Messezentrum, wie
der Name einen anzunehmen verleiten könnte. Vielmehr ist die Kongresshalle
nach dem von der NS-Organisation Kraft durch Freude errichteten
[2][Ostseebad Prora auf Rügen] der größte erhaltene Monumentalbau der
Nazis. Wobei: „Erhalten“ trifft es nicht ganz. Denn obwohl die Nazis schon
seit 1933 hier in Nürnberg ihre Reichsparteitage abhielten, wurde nur ein
kleiner Teil des 11 Quadratkilometer großen Geländes bis Kriegsausbruch
tatsächlich fertiggestellt: das Zeppelinfeld mit der Zeppelintribüne etwa.
Auch die Luitpoldarena stand bereits und beherbergte zunächst – quasi
provisorisch – die Parteikongresse. Das Deutsche Stadion oder das Märzfeld,
wo eine Fläche für gigantische Aufmärsche und Schaumanöver entstehen
sollte, blieben dagegen unvollendet. Auch die Kongresshalle wurde nie
fertig gebaut.
Dennoch ist es ist ein monströser, dem Kolosseum in Rom nachempfundener,
hufeisenförmiger Bau, neoklassizistisch bis zum Gehtnichtmehr, 39 Meter
hoch. Fast doppelt so hoch hätte er werden sollen, obendrüber hatten sich
die Baumeister der Nazis ein riesiges, freitragendes Dach vorgestellt.
Hitler wollte hier seinen eigenen Tempel errichten, vor der Kulisse
herrschaftlicher Architektur die Parteikongresse der NSDAP inszenieren.
Doch kurz nach Kriegsausbruch kamen die Bauarbeiten zum Erliegen.
Nach dem Krieg ging die Halle wie der Großteil des Geländes in den Besitz
der Stadt über. Die erste Reaktion in den 50er und 60er Jahren war, die
unliebsamen Erinnerungsstücke zu beseitigen, als könnte man mit den Bauten
auch die Vergangenheit selbst eliminieren. So wurde die Luitpoldarena
abgerissen; die Türme des Märzfeldes und die Pfeilerkolonaden der
Zeppelintribüne wurden ebenfalls gesprengt.
Das Gelände wurde zur Naherholung genutzt, auch das Nürnberger Volksfest,
ein Autorennen und Konzerte fanden hier statt. [3][1978 stand auf dem
Zeppelinfeld Bob Dylan auf der Bühne] – vor 70.000 Leuten und genau
gegenüber der Bühne, auf der sich einst Hitler hatte bejubeln lassen.
[4][Er wisse, wo und warum er diesen Song heute spiele], kündigte er
„Masters Of War“ an. Seit 1997 findet auf dem Gelände auch das
Open-Air-Festival „Rock im Park“ statt.
Und die Kongresshalle? Stand da so rum.
Immer wieder hat sich die Stadt die Frage gestellt: Was tun mit diesem
steinernen Koloss? Eine quälende Frage. Mal überlegte man sich, die Halle
in ein Fußballstadion umzufunktionieren, mal, ein Einkaufszentrum daraus zu
machen. Die Pläne zerschlugen sich allesamt, stammten auch aus einer Zeit,
in der man so etwas wie Erinnerungskultur kein allzu großes Gewicht beimaß.
Was man stattdessen knapp 80 Jahre lang tat, war – nichts. Ein paar der
Räumlichkeiten wurden zu Lagerzwecken vermietet, etwa an den Kanuverein,
der seine Bötchen gleich nebenan auf dem Dutzendteich zu Wasser lassen
konnte. Oder an Schausteller, die ihre Buden dann auf dem Volksfest hinter
der Halle aufbauten.
## Erlebbarer Größenwahn
Neuen Schwung bekam die Debatte erst, als die Stadt im Jahr 2021 die Idee
gebar, ihrem Opernhaus hier ein zumindest zeitweiliges Obdach zu gewähren.
Vom „Operninterim“ ist seither die Rede. Obwohl die Sache mit dem Interim �…
aber dazu kommen wir noch. Und nicht nur die Oper sollte hier einen Platz
finden. In einem Teil der Halle, so dachte man sich, könnte man auch ein
paar Ateliers, Proberäume und Galerien unterbringen. Ein richtiges
Kulturzentrum eben. Oberbürgermeister Marcus König (CSU) gab die passende
Parole dazu aus: einen Ort der Unkultur mit Kultur besetzen.
Max Pospiech, Kira Krüger und Florin Weber halten wenig von diesem Ansatz.
„Es geht der Stadt doch nur darum, diesen Ort zu heilen, um ihn
verwertbarer zu machen“, sagt Pospiech. Krüger klagt, dass zu wenig auf das
NS-Erbe eingegangen werde, und Weber erinnert an die Sprengung der Türme
auf dem nahen Märzfeld in den 60er Jahren. Das sei dasselbe Prinzip
gewesen: „Historische Nazistätten sollen unsichtbar gemacht werden.“
Die drei haben im vergangenen Herbst mit fünf Mitstreitern, allesamt
Studentinnen und Studenten der Kunstakademie Nürnberg, im [5][Kunstverein
Nürnberg] eine Ausstellung zum Thema gemacht. Zur Geschichte der
Kongresshalle, aber auch zu der nun geplanten Nutzung. [6][„Zentrale für
kritische Bürger*innenanliegen in Sachen Kulturareal Kongresshalle“]
nannte sich das Kollektiv kurz und bündig.
Jetzt also stehen sie hier und blicken in das Innere dieses riesigen
Hufeisens. Für sie hat vor allem diese Ödnis eine ganz besondere Bedeutung,
dieses Nichts an der Stelle, an der die Nationalsozialisten sich so
Pompöses ausgemalt hatten, dem Führerkult huldigen wollten. „Das macht
einerseits diesen Größenwahn erlebbar“, sagt Pospiech, „andererseits aber
auch dieses Scheitern. Das ist ja ein Unterschied, ob ich da eine Tafel
lese oder persönlich spüre, was das bedeutet.“ Dieses Erleben würde doch
stark beeinträchtigt, findet der 28-Jährige, wenn da nun ein Opernhaus in
dem Halbrund stünde. Leer ist was anderes.
## Eine Art Schlussstrich?
In der Tat soll das neue Opernhaus direkt in den Hof der Kongresshalle
gebaut werden, an die nordwestliche Seite. Das steht bereits fest. Wie
allerdings das Gebäude aussehen wird, ist noch nicht bekannt. Erst am 10.
Juli wird der von einer Kommission ausgewählte Entwurf präsentiert. Eine
Woche später soll ihn der Stadtrat absegnen. Das Gebäude soll jedenfalls,
so die Vorgabe, den eigentlichen Theaterraum sowie eine Probebühne und
einen Orchesterprobensaal beinhalten, die weiteren notwendigen
Räumlichkeiten sollen im bestehenden Rundbau der Kongresshalle selbst
untergebracht werden.
Dort sollen auch die Ateliers und Proberäume Platz finden, von
„Ermöglichungsräumen“ sprechen sie im Rathaus gern. Für sie sollen 4 der…
Segmente des Rundbaus hergerichtet werden – eine Fläche von insgesamt 7.000
Quadratmetern. „Ein einzigartiger und innovativer Kulturort“ solle es
werden, der „mit den Mitteln der Kunst eine zukunftsgerichtete
Auseinandersetzung mit der Geschichte fördert“, heißt es in der Rathaus-PR.
Wenn allerdings die Auseinandersetzung mit der Geschichte allzu sehr in die
Zukunft gerichtet ist, so fürchten nun Kritiker, könnte der so wichtige
Blick in die Vergangenheit getrübt werden. „Das ist, glaube ich, eher eine
Art Schlussstrich, der hier gezogen werden soll“, meint auch Pospiech. „Die
Stadt versteht das jetzt als freie, neutrale Fläche, und die soll genutzt
werden.“ Viel länger und breiter hätte man seiner Meinung nach über das
Bauprojekt diskutieren müssen. „Jetzt wird es einfach gemacht – noch dazu
unter einem Zeitdruck, der hausgemacht ist.“
Mit dem hausgemachten Zeitdruck spielt Pospiech darauf an, dass die Stadt
sich anfangs durchaus Zeit gelassen hat. Denn dass das bisherige Opernhaus
in einem sehr maroden Zustand ist und dringend einer Sanierung unterzogen
werden muss, ist seit vielen Jahren bekannt. Doch lange tat sich nichts.
Erst als vor drei Jahren die Überlegung aufkam, der Oper im Hof der
Kongresshalle eine neue Heimstatt zu bieten, ging plötzlich alles ganz
schnell. Noch im Dezember 2021 entschied der Stadtrat einmütig, dass die
Oper während der Sanierung und Erweiterung des Stammhauses dorthin ziehen
solle.
Ihrer Ausstellung haben die Studenten den Titel „Always complain, always
explain“ gegeben – in Anspielung auf die PR-Maxime des britischen
Königshauses („Never complain, never explain“). „Wir haben das umgedreht…
erzählt Florin Weber, „als eine Art von Aufforderung, aber auch als eine
Art Kritik.“ Denn einen Mangel an Erklärungen, an Transparenz halten die
jungen Leute auch ihrer Stadt vor. Einen Impuls habe man mit der
Ausstellung geben wollen und den Menschen etwas Informationen an die Hand.
Denn die hat bislang nicht jeder. So sollen sich Stadträte nach der
entscheidenden Sitzung beschwert haben, dass ihnen ein kritischer Bericht
einer Oberkonservatorin des Landesamts für Denkmalpflege vorenthalten
worden sei. Hätten sie diesen gekannt, hätten sie womöglich anders
abgestimmt. Auch dass sich Angestellte der Stadt, etwa Mitarbeiter des
Dokumentationszentrum zu der Sache öffentlich nicht äußern dürfen, monieren
die Künstlerinnen und Künstler, sprechen von einem „Maulkorb“.
In der Ausstellung konnten Besucherinnen und Besucher auch Fragebogen
ausfüllen, Fragen beantworten wie: „Wann haben Sie von dem Bauvorhaben
erfahren?“ Oder – überhaupt nicht suggestiv: „An welcher Stelle wären,
Ihrer Meinung nach, die 211 Mio. in der freien Kunst- und Kulturszene
besser investiert?“ Die Fragebogen sollen nun in eine Zeitkapsel gesteckt
und auf dem Gelände der Kongresshalle als „Grundstein vor dem Grundstein“
vergraben werden.
Es ist freilich nicht nur eine Handvoll Studierender, die an dem Projekt
Anstoß nimmt. So glaubt der Kunsthistoriker Wolfgang Brauneis, bis vor
kurzem Direktor des Kunstvereins Nürnberg, dass die Stadt Nürnberg mit
ihrer Entscheidung in Sachen Erinnerungskultur einen großen Schritt
rückwärts geht. Kultur statt Unkultur? Die Kunstgeschichtsforschung habe in
den vergangenen 20 Jahren sehr viel erreicht und gezeigt, dass man sich mit
dem Thema NS-Kunst auch anders beschäftigen könne als mit
Schwarz-Weiß-Malerei. „Und jetzt wird das wieder aus der Mottenkiste
gezogen. Ich fürchte, dass die Komplexität da flöten gehen könnte.“
## Wiedergutwerdung eines Nazibaus?
Es ist die Befürchtung, dass die Kunst von dem, was ihr da abverlangt wird,
überfordert sein könnte, die einige der Kritiker umtreibt. Er habe zwar
grundsätzlich schon den Eindruck, dass das Thema Nationalsozialismus in
Nürnberg sehr ernst genommen werde, aber wie nun quasi eine
„Wiedergutwerdung“ eines Nazibaus mit Mitteln der Kunst erreicht werden
solle, überzeuge ihn nicht. „Jetzt kommt da die Kultur wie das Kaninchen
aus dem Hut und soll diese Leerstelle, von der ich gar nicht glaube, dass
es sie gibt, füllen. Wie man da so generalstabsmäßig auf die Kunst setzen
kann, ist mir etwas rätselhaft.“
Auch der Verein Geschichte Für Alle, der historische Führungen durch
Nürnberg veranstaltet, hatte die Pläne von Anfang an kritisiert. Als dann
die Entscheidung für das Operninterim im Innenhof gefallen war, nahm man
dies „mit Bedauern zur Kenntnis“. Der Lernort ehemaliges
Reichsparteitagsgelände werde dadurch dauerhaft und unwiderruflich
verändert. „Als Bildungsträger, der jährlich Hunderttausenden Gästen aus
aller Welt einen vertieften Zugang zur Geschichte des Nationalsozialismus
bei Führungen über das Gelände ermöglicht, wissen wir dabei gerade um den
hohen Stellenwert des (leeren) Innenhofs der Kongresshalle.“ Wenn schon
Operninterim an diesem heiklen Ort, dann, so argumentierte der Verein, wäre
eine Variante, die von außen an den Rundbau angedockt hätte, vorzuziehen
gewesen.
Daraufhin, so berichtete die Süddeutsche Zeitung (SZ), seien die Vertreter
des Vereins als „Ewiggestrige der Erinnerungskultur“ diffamiert worden, man
habe ihnen sogar Eigennutz unterstellt, da sie angeblich nur um die
Attraktivität ihrer Führungen fürchteten. Auf Nachfrage sagt man im Verein
inzwischen nur noch, dass man zu dem Thema nichts mehr sage.
## Wunsch nach einer kulturellen Nutzung
Einer, der die Kongresshalle ebenfalls besonders gut kennt, ist
Hans-Christian Täubrich. Er war Gründungsdirektor des
[7][Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände] und bis 2014 dessen
Chef, hat sogar ein 180 Seiten starkes Buch über die Kongresshalle
herausgegeben. Er könne sich nicht vorstellen, ließ er die SZ im Interview
wissen, dass Nachfahren von NS-Opfern es goutieren würden, wenn da
plötzlich Menschen in Abendgarderobe in den Innenhof der Kongresshalle
kämen, um Hitlers geliebtem Wagner zu lauschen.
Auch Täubrich verweist auf die Einzigartigkeit des Nazibaus. Es sei eben
nicht irgendeine NS-Kaserne, wie es sie in jeder größeren Kleinstadt gebe.
Hier seien beim Reichsparteitag im September 1935, demselben
Reichsparteitag, bei dem der Grundstein für die Halle gelegt worden sei,
auch die Rassengesetze der Nazis verkündet worden.
Das alles kann man natürlich auch ganz anders sehen. Und das tut Julia
Lehner. Sie ist Nürnbergs Zweite Bürgermeisterin und für die Kultur
zuständig. Manchen gilt die CSU-Politikerin gar als die Erfinderin des
Operninterims in der Kongresshalle.
Von mangelnder Transparenz will Lehner nichts hören. Das Gegenteil sei
schließlich der Fall. Schon im Zuge der Bewerbung um die Kulturhauptstadt
2019 habe man in einem sehr offenen und partizipativen Prozess sich auch
dem Thema Erinnerungskultur gewidmet. Und dabei habe sich immer mehr
herauskristallisiert, dass der Wunsch besteht, diese bislang der
Öffentlichkeit überwiegend verschlossenen Räume einer weiteren kulturellen
Nutzung zuzuführen. „Zunächst hat man da an Ateliers, an Proberäume,
einfach Räume, durch die Kunst ermöglicht werden kann, gedacht.“
## Bürgermeisterin will kulturelle Gräben überwinden
Gleichzeitig habe man sich aber auch auf der Suche nach einem neuen Ort für
die Oper befunden, da das alte Opernhaus überaus sanierungsbedürftig
gewesen sei und schon damals absehbar war, dass es schon allein aus Gründen
des Brandschutzes bald nicht mehr genutzt werden könne. Die Stadt habe
daher geprüft, ob die Oper in eine alte Fabrikhalle ziehen könnte oder in
einen Zeltbau. Doch es hätten sich keine entsprechenden Gebäude oder
Flächen gefunden.
So kam man auf die Kongresshalle. „Für mich war das dann plötzlich sehr
schlüssig“, sagt Lehner. Das Areal gehöre ohnehin der Stadt, Miete falle
also nicht an; es gebe keine weitere Versiegelung von Flächen, das Ganze
sei also eine nachhaltige Angelegenheit. „Außerdem entspricht es meiner
kulturpolitischen Haltung: den Graben zwischen Hochkultur, Subkultur,
Breitenkultur und vermeintlich elitärer Kultur zu überwinden. Durch die
sogenannte freie Szene in den Ermöglichungsräumen und die Oper kommt hier
räumlich einiges zusammen.“
Auch dass die Kongresshalle dann in puncto Erinnerungskultur ihre Aufgabe
nicht mehr erfüllen könne, will die Politikerin nicht gelten lassen. „Ich
bin selbst Historikerin, und ich habe mich schon während meines Studiums
mit diesem Gelände und seiner Geschichte auseinandergesetzt.“ Sie habe
Zweifel, dass sich Besuchern der diktatorische, menschenverachtende Ansatz
der Nazis allein durch das Betreten und Betrachten des Innenhofs vermittle.
Nichtsdestotrotz sei ja auch dies weiterhin möglich. „Ich glaube nicht,
dass sich die ästhetische Schönheit dieses Areals jetzt so sehr ändern
wird, dass man sagt: Ach, das haben die Nazis aber furchtbar nett gemacht,
das ist ja richtig heimelig.“ Die Kongresshalle werde ja nicht umgebaut.
Ein in Lehners Augen sehr wichtiger Punkt ist, dass in der Kongresshalle im
Unterschied zum Zeppelinfeld und der Zeppelintribüne nie Geschichte
geschehen sei. Natürlich könne man anhand des unvollendeten Baus „diese
Mission dieser Gigantomanie“ nachvollziehen, aber es habe hier eben nie ein
Parteikongress stattgefunden.
## Kein Masterplan Erinnerungskultur
In der Tat macht es ja für den Umgang mit einer Örtlichkeit einen
Unterschied, was dort geschah oder eben auch nicht geschah. War es ein
Opferort? Ein Täterort? Oder nur ein Möchtegernort? Eine Frage, für die
Jörg Skriebeleit Experte ist. Er leitet die [8][KZ-Gedenkstätte
Flossenbürg]. Es gebe keinen Masterplan Erinnerungskultur, sagt
Skriebeleit, der festlege, welche Stätten in dieser oder jener Form
konserviert werden müssten. Ein solcher Ansatz sei ahistorisch und
apolitisch.
„Solche monströsen Täterhinterlassenschaften wie die Kongresshalle üben
eine Anziehungskraft aus – nicht wegen der Faszination des Grusels, sondern
wegen der erhofften historischen Nähe.“ Skriebeleit, selbst bekennender
Opernbanause, war Mitglied der Jury, die entschied, wo auf dem
Kongresshallengelände der Opernbau stehen soll. „Ich persönlich habe
zugestimmt, weil ein Interim eine Übergangslösung ist und die immer wieder
notwendige Befragung ermöglicht“, sagt Skriebeleit. „Ich halte es
tatsächlich für notwendig, dieses Areal, auch die Kongresshalle, immer
wieder neu zu dimensionieren, zu befragen, ohne es zu zerstören.“
Erinnerungsarbeit solle heute viel stärker Laborcharakter haben. Vor dem
Hintergrund des Interims sehe er den Opernbau daher unproblematisch.
Aber was hat es denn nun mit dem Interim tatsächlich auf sich? Nach 10
Jahren, hieß es anfangs, könne die Oper ja in ihr dann saniertes Stammhaus
zurückkehren, das neue Gebäude in der Kongresshalle wieder entfernt werden.
Davon ist längst keine Rede mehr. Ministerpräsident Markus Söder, zwar
nicht unmittelbar zuständig, aber immerhin Nürnberger, ließ die
Öffentlichkeit wissen, dass das neue Haus natürlich bleiben werde.
Kulturstaatsministerin Claudia Roth will sogar, dass die Oper dauerhaft in
der Kongresshalle bleibt. Fakt jedenfalls ist, dass die Stadt den Bau ohne
Fördermittel des Freistaats nicht wird stemmen können – und die können nur
fließen, wenn das Gebäude mindestens 25 Jahre steht. So lange wird es also
mindestens werden. Und die Vorstellung fällt schwer, dass sich danach noch
jemand an diesen besonderen Blick in die Leere erinnert und für einen
Abriss plädiert.
Präsenter wird jetzt erst einmal das Wirken der Oper an ihrer neuen Stätte
sein. Die Erwartungen jedenfalls sind hoch. „Kultur hat ja immer die
Aufgabe, den Finger in die Wunde zu legen“, erklärt Bürgermeisterin Lehner,
und KZ-Gedenkstättenleiter Skriebeleit glaubt: „Jeder Mensch, der dort in
eine Oper geht, ob er Wagner hört oder sonst was, wird diese Oper anders
hören, als wenn er auf den grünen Hügel in Bayreuth geht, weil er der
Unmittelbarkeit dieses nazistisch ideologischen Großrelikts gar nicht
ausweichen kann.“
Noch drastischer formuliert es Staatsintendant Jens-Daniel Herzog. „Wir
werden unsere Arbeit als permanenten Exorzismus verstehen, einen
andauernden Anti-Reichsparteitag“, kündigte er in der SZ an. Das werde viel
mit Humor zu tun haben, denn den hätten die Nazis nicht gehabt. Man werde
es dabei aber nicht an Respekt dem Gebäude gegenüber fehlen lassen. „Aber
auch nicht an Respektlosigkeit.“
Dem Exorzismus Herzogs setzt der frühere Dokumentationszentrumsleiter
Täubrich eine Portion Sarkasmus entgegen. Er wolle sich dem Willen der
Stadtratsmehrheit beugen, sagt er, zuvor jedoch noch einen Vorschlag zur
Güte machen: Opernbesucher sollten künftig von einer großen Tafel,
womöglich aus Flossenbürger Granit, im riesenhaften Ausmaß empfangen
werden, mindestens 7 Meter hoch. „Darauf steht zu lesen: Herzlich
willkommen im Opernhaus Nürnberg! Der Grundstein zu diesem Bau wurde 1935
gelegt, als anlässlich des NS-Parteitages auch die Rassengesetze verlesen
wurden. Darunter klein der Hinweis: Zur Sektbar geht’s rechts rüber. Und
dann ab in die ‚Zauberflöte‘.“
9 Jul 2024
## LINKS
[1] /Hitlers-Monumente-in-Nuernberg/!5177683
[2] /Ruegen-vor-der-Wahl-in-MV/!5331506
[3] https://yewtu.be/watch?v=_j829GLYM7c
[4] https://www.sueddeutsche.de/bayern/konzert-wie-bob-dylan-in-nuernberg-gegen…
[5] https://kunstvereinnuernberg.de/
[6] https://pavillonfuerfotografie.de/always-complain-always-explain
[7] https://museen.nuernberg.de/dokuzentrum
[8] https://www.gedenkstaette-flossenbuerg.de/de/
## AUTOREN
Dominik Baur
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