# taz.de -- NS-Reichsparteitagsgelände in Nürnberg: Altbau mit Nazivergangenh… | |
> In der Kongresshalle auf dem Reichsparteitagsgelände in Nürnberg sollen | |
> bald Opern aufgeführt werden. Ein Sieg der Kultur oder | |
> Geschichtsvergessenheit? | |
Bild: Blick auf die Kongresshalle in Nürnberg am Dutzendteich | |
Schön hässlich ist es hier. Kira Krüger, Florin Weber und Max Pospiech | |
stehen auf der kleinen Aussichtsplattform am Rande des Innenhofs der | |
Nürnberger Kongresshalle. Die jungen Künstler schauen in das [1][Halbrund | |
dieses Mega-Kolosseums]. Ein Bauwerk, das sie im vergangenen Jahr schwer | |
beschäftigt hat – und noch immer nicht loslässt. Dort unten sieht man | |
vereinzelt Bauarbeiter herumlaufen, ein Bagger schüttet einen Erdhaufen | |
auf, ein Teil der Fassade ist eingerüstet. | |
Für nicht Ortskundige sollte man es vielleicht sicherheitshalber erklären: | |
Es handelt sich bei der Kongresshalle nicht um irgendein Messezentrum, wie | |
der Name einen anzunehmen verleiten könnte. Vielmehr ist die Kongresshalle | |
nach dem von der NS-Organisation Kraft durch Freude errichteten | |
[2][Ostseebad Prora auf Rügen] der größte erhaltene Monumentalbau der | |
Nazis. Wobei: „Erhalten“ trifft es nicht ganz. Denn obwohl die Nazis schon | |
seit 1933 hier in Nürnberg ihre Reichsparteitage abhielten, wurde nur ein | |
kleiner Teil des 11 Quadratkilometer großen Geländes bis Kriegsausbruch | |
tatsächlich fertiggestellt: das Zeppelinfeld mit der Zeppelintribüne etwa. | |
Auch die Luitpoldarena stand bereits und beherbergte zunächst – quasi | |
provisorisch – die Parteikongresse. Das Deutsche Stadion oder das Märzfeld, | |
wo eine Fläche für gigantische Aufmärsche und Schaumanöver entstehen | |
sollte, blieben dagegen unvollendet. Auch die Kongresshalle wurde nie | |
fertig gebaut. | |
Dennoch ist es ist ein monströser, dem Kolosseum in Rom nachempfundener, | |
hufeisenförmiger Bau, neoklassizistisch bis zum Gehtnichtmehr, 39 Meter | |
hoch. Fast doppelt so hoch hätte er werden sollen, obendrüber hatten sich | |
die Baumeister der Nazis ein riesiges, freitragendes Dach vorgestellt. | |
Hitler wollte hier seinen eigenen Tempel errichten, vor der Kulisse | |
herrschaftlicher Architektur die Parteikongresse der NSDAP inszenieren. | |
Doch kurz nach Kriegsausbruch kamen die Bauarbeiten zum Erliegen. | |
Nach dem Krieg ging die Halle wie der Großteil des Geländes in den Besitz | |
der Stadt über. Die erste Reaktion in den 50er und 60er Jahren war, die | |
unliebsamen Erinnerungsstücke zu beseitigen, als könnte man mit den Bauten | |
auch die Vergangenheit selbst eliminieren. So wurde die Luitpoldarena | |
abgerissen; die Türme des Märzfeldes und die Pfeilerkolonaden der | |
Zeppelintribüne wurden ebenfalls gesprengt. | |
Das Gelände wurde zur Naherholung genutzt, auch das Nürnberger Volksfest, | |
ein Autorennen und Konzerte fanden hier statt. [3][1978 stand auf dem | |
Zeppelinfeld Bob Dylan auf der Bühne] – vor 70.000 Leuten und genau | |
gegenüber der Bühne, auf der sich einst Hitler hatte bejubeln lassen. | |
[4][Er wisse, wo und warum er diesen Song heute spiele], kündigte er | |
„Masters Of War“ an. Seit 1997 findet auf dem Gelände auch das | |
Open-Air-Festival „Rock im Park“ statt. | |
Und die Kongresshalle? Stand da so rum. | |
Immer wieder hat sich die Stadt die Frage gestellt: Was tun mit diesem | |
steinernen Koloss? Eine quälende Frage. Mal überlegte man sich, die Halle | |
in ein Fußballstadion umzufunktionieren, mal, ein Einkaufszentrum daraus zu | |
machen. Die Pläne zerschlugen sich allesamt, stammten auch aus einer Zeit, | |
in der man so etwas wie Erinnerungskultur kein allzu großes Gewicht beimaß. | |
Was man stattdessen knapp 80 Jahre lang tat, war – nichts. Ein paar der | |
Räumlichkeiten wurden zu Lagerzwecken vermietet, etwa an den Kanuverein, | |
der seine Bötchen gleich nebenan auf dem Dutzendteich zu Wasser lassen | |
konnte. Oder an Schausteller, die ihre Buden dann auf dem Volksfest hinter | |
der Halle aufbauten. | |
## Erlebbarer Größenwahn | |
Neuen Schwung bekam die Debatte erst, als die Stadt im Jahr 2021 die Idee | |
gebar, ihrem Opernhaus hier ein zumindest zeitweiliges Obdach zu gewähren. | |
Vom „Operninterim“ ist seither die Rede. Obwohl die Sache mit dem Interim �… | |
aber dazu kommen wir noch. Und nicht nur die Oper sollte hier einen Platz | |
finden. In einem Teil der Halle, so dachte man sich, könnte man auch ein | |
paar Ateliers, Proberäume und Galerien unterbringen. Ein richtiges | |
Kulturzentrum eben. Oberbürgermeister Marcus König (CSU) gab die passende | |
Parole dazu aus: einen Ort der Unkultur mit Kultur besetzen. | |
Max Pospiech, Kira Krüger und Florin Weber halten wenig von diesem Ansatz. | |
„Es geht der Stadt doch nur darum, diesen Ort zu heilen, um ihn | |
verwertbarer zu machen“, sagt Pospiech. Krüger klagt, dass zu wenig auf das | |
NS-Erbe eingegangen werde, und Weber erinnert an die Sprengung der Türme | |
auf dem nahen Märzfeld in den 60er Jahren. Das sei dasselbe Prinzip | |
gewesen: „Historische Nazistätten sollen unsichtbar gemacht werden.“ | |
Die drei haben im vergangenen Herbst mit fünf Mitstreitern, allesamt | |
Studentinnen und Studenten der Kunstakademie Nürnberg, im [5][Kunstverein | |
Nürnberg] eine Ausstellung zum Thema gemacht. Zur Geschichte der | |
Kongresshalle, aber auch zu der nun geplanten Nutzung. [6][„Zentrale für | |
kritische Bürger*innenanliegen in Sachen Kulturareal Kongresshalle“] | |
nannte sich das Kollektiv kurz und bündig. | |
Jetzt also stehen sie hier und blicken in das Innere dieses riesigen | |
Hufeisens. Für sie hat vor allem diese Ödnis eine ganz besondere Bedeutung, | |
dieses Nichts an der Stelle, an der die Nationalsozialisten sich so | |
Pompöses ausgemalt hatten, dem Führerkult huldigen wollten. „Das macht | |
einerseits diesen Größenwahn erlebbar“, sagt Pospiech, „andererseits aber | |
auch dieses Scheitern. Das ist ja ein Unterschied, ob ich da eine Tafel | |
lese oder persönlich spüre, was das bedeutet.“ Dieses Erleben würde doch | |
stark beeinträchtigt, findet der 28-Jährige, wenn da nun ein Opernhaus in | |
dem Halbrund stünde. Leer ist was anderes. | |
## Eine Art Schlussstrich? | |
In der Tat soll das neue Opernhaus direkt in den Hof der Kongresshalle | |
gebaut werden, an die nordwestliche Seite. Das steht bereits fest. Wie | |
allerdings das Gebäude aussehen wird, ist noch nicht bekannt. Erst am 10. | |
Juli wird der von einer Kommission ausgewählte Entwurf präsentiert. Eine | |
Woche später soll ihn der Stadtrat absegnen. Das Gebäude soll jedenfalls, | |
so die Vorgabe, den eigentlichen Theaterraum sowie eine Probebühne und | |
einen Orchesterprobensaal beinhalten, die weiteren notwendigen | |
Räumlichkeiten sollen im bestehenden Rundbau der Kongresshalle selbst | |
untergebracht werden. | |
Dort sollen auch die Ateliers und Proberäume Platz finden, von | |
„Ermöglichungsräumen“ sprechen sie im Rathaus gern. Für sie sollen 4 der… | |
Segmente des Rundbaus hergerichtet werden – eine Fläche von insgesamt 7.000 | |
Quadratmetern. „Ein einzigartiger und innovativer Kulturort“ solle es | |
werden, der „mit den Mitteln der Kunst eine zukunftsgerichtete | |
Auseinandersetzung mit der Geschichte fördert“, heißt es in der Rathaus-PR. | |
Wenn allerdings die Auseinandersetzung mit der Geschichte allzu sehr in die | |
Zukunft gerichtet ist, so fürchten nun Kritiker, könnte der so wichtige | |
Blick in die Vergangenheit getrübt werden. „Das ist, glaube ich, eher eine | |
Art Schlussstrich, der hier gezogen werden soll“, meint auch Pospiech. „Die | |
Stadt versteht das jetzt als freie, neutrale Fläche, und die soll genutzt | |
werden.“ Viel länger und breiter hätte man seiner Meinung nach über das | |
Bauprojekt diskutieren müssen. „Jetzt wird es einfach gemacht – noch dazu | |
unter einem Zeitdruck, der hausgemacht ist.“ | |
Mit dem hausgemachten Zeitdruck spielt Pospiech darauf an, dass die Stadt | |
sich anfangs durchaus Zeit gelassen hat. Denn dass das bisherige Opernhaus | |
in einem sehr maroden Zustand ist und dringend einer Sanierung unterzogen | |
werden muss, ist seit vielen Jahren bekannt. Doch lange tat sich nichts. | |
Erst als vor drei Jahren die Überlegung aufkam, der Oper im Hof der | |
Kongresshalle eine neue Heimstatt zu bieten, ging plötzlich alles ganz | |
schnell. Noch im Dezember 2021 entschied der Stadtrat einmütig, dass die | |
Oper während der Sanierung und Erweiterung des Stammhauses dorthin ziehen | |
solle. | |
Ihrer Ausstellung haben die Studenten den Titel „Always complain, always | |
explain“ gegeben – in Anspielung auf die PR-Maxime des britischen | |
Königshauses („Never complain, never explain“). „Wir haben das umgedreht… | |
erzählt Florin Weber, „als eine Art von Aufforderung, aber auch als eine | |
Art Kritik.“ Denn einen Mangel an Erklärungen, an Transparenz halten die | |
jungen Leute auch ihrer Stadt vor. Einen Impuls habe man mit der | |
Ausstellung geben wollen und den Menschen etwas Informationen an die Hand. | |
Denn die hat bislang nicht jeder. So sollen sich Stadträte nach der | |
entscheidenden Sitzung beschwert haben, dass ihnen ein kritischer Bericht | |
einer Oberkonservatorin des Landesamts für Denkmalpflege vorenthalten | |
worden sei. Hätten sie diesen gekannt, hätten sie womöglich anders | |
abgestimmt. Auch dass sich Angestellte der Stadt, etwa Mitarbeiter des | |
Dokumentationszentrum zu der Sache öffentlich nicht äußern dürfen, monieren | |
die Künstlerinnen und Künstler, sprechen von einem „Maulkorb“. | |
In der Ausstellung konnten Besucherinnen und Besucher auch Fragebogen | |
ausfüllen, Fragen beantworten wie: „Wann haben Sie von dem Bauvorhaben | |
erfahren?“ Oder – überhaupt nicht suggestiv: „An welcher Stelle wären, | |
Ihrer Meinung nach, die 211 Mio. in der freien Kunst- und Kulturszene | |
besser investiert?“ Die Fragebogen sollen nun in eine Zeitkapsel gesteckt | |
und auf dem Gelände der Kongresshalle als „Grundstein vor dem Grundstein“ | |
vergraben werden. | |
Es ist freilich nicht nur eine Handvoll Studierender, die an dem Projekt | |
Anstoß nimmt. So glaubt der Kunsthistoriker Wolfgang Brauneis, bis vor | |
kurzem Direktor des Kunstvereins Nürnberg, dass die Stadt Nürnberg mit | |
ihrer Entscheidung in Sachen Erinnerungskultur einen großen Schritt | |
rückwärts geht. Kultur statt Unkultur? Die Kunstgeschichtsforschung habe in | |
den vergangenen 20 Jahren sehr viel erreicht und gezeigt, dass man sich mit | |
dem Thema NS-Kunst auch anders beschäftigen könne als mit | |
Schwarz-Weiß-Malerei. „Und jetzt wird das wieder aus der Mottenkiste | |
gezogen. Ich fürchte, dass die Komplexität da flöten gehen könnte.“ | |
## Wiedergutwerdung eines Nazibaus? | |
Es ist die Befürchtung, dass die Kunst von dem, was ihr da abverlangt wird, | |
überfordert sein könnte, die einige der Kritiker umtreibt. Er habe zwar | |
grundsätzlich schon den Eindruck, dass das Thema Nationalsozialismus in | |
Nürnberg sehr ernst genommen werde, aber wie nun quasi eine | |
„Wiedergutwerdung“ eines Nazibaus mit Mitteln der Kunst erreicht werden | |
solle, überzeuge ihn nicht. „Jetzt kommt da die Kultur wie das Kaninchen | |
aus dem Hut und soll diese Leerstelle, von der ich gar nicht glaube, dass | |
es sie gibt, füllen. Wie man da so generalstabsmäßig auf die Kunst setzen | |
kann, ist mir etwas rätselhaft.“ | |
Auch der Verein Geschichte Für Alle, der historische Führungen durch | |
Nürnberg veranstaltet, hatte die Pläne von Anfang an kritisiert. Als dann | |
die Entscheidung für das Operninterim im Innenhof gefallen war, nahm man | |
dies „mit Bedauern zur Kenntnis“. Der Lernort ehemaliges | |
Reichsparteitagsgelände werde dadurch dauerhaft und unwiderruflich | |
verändert. „Als Bildungsträger, der jährlich Hunderttausenden Gästen aus | |
aller Welt einen vertieften Zugang zur Geschichte des Nationalsozialismus | |
bei Führungen über das Gelände ermöglicht, wissen wir dabei gerade um den | |
hohen Stellenwert des (leeren) Innenhofs der Kongresshalle.“ Wenn schon | |
Operninterim an diesem heiklen Ort, dann, so argumentierte der Verein, wäre | |
eine Variante, die von außen an den Rundbau angedockt hätte, vorzuziehen | |
gewesen. | |
Daraufhin, so berichtete die Süddeutsche Zeitung (SZ), seien die Vertreter | |
des Vereins als „Ewiggestrige der Erinnerungskultur“ diffamiert worden, man | |
habe ihnen sogar Eigennutz unterstellt, da sie angeblich nur um die | |
Attraktivität ihrer Führungen fürchteten. Auf Nachfrage sagt man im Verein | |
inzwischen nur noch, dass man zu dem Thema nichts mehr sage. | |
## Wunsch nach einer kulturellen Nutzung | |
Einer, der die Kongresshalle ebenfalls besonders gut kennt, ist | |
Hans-Christian Täubrich. Er war Gründungsdirektor des | |
[7][Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände] und bis 2014 dessen | |
Chef, hat sogar ein 180 Seiten starkes Buch über die Kongresshalle | |
herausgegeben. Er könne sich nicht vorstellen, ließ er die SZ im Interview | |
wissen, dass Nachfahren von NS-Opfern es goutieren würden, wenn da | |
plötzlich Menschen in Abendgarderobe in den Innenhof der Kongresshalle | |
kämen, um Hitlers geliebtem Wagner zu lauschen. | |
Auch Täubrich verweist auf die Einzigartigkeit des Nazibaus. Es sei eben | |
nicht irgendeine NS-Kaserne, wie es sie in jeder größeren Kleinstadt gebe. | |
Hier seien beim Reichsparteitag im September 1935, demselben | |
Reichsparteitag, bei dem der Grundstein für die Halle gelegt worden sei, | |
auch die Rassengesetze der Nazis verkündet worden. | |
Das alles kann man natürlich auch ganz anders sehen. Und das tut Julia | |
Lehner. Sie ist Nürnbergs Zweite Bürgermeisterin und für die Kultur | |
zuständig. Manchen gilt die CSU-Politikerin gar als die Erfinderin des | |
Operninterims in der Kongresshalle. | |
Von mangelnder Transparenz will Lehner nichts hören. Das Gegenteil sei | |
schließlich der Fall. Schon im Zuge der Bewerbung um die Kulturhauptstadt | |
2019 habe man in einem sehr offenen und partizipativen Prozess sich auch | |
dem Thema Erinnerungskultur gewidmet. Und dabei habe sich immer mehr | |
herauskristallisiert, dass der Wunsch besteht, diese bislang der | |
Öffentlichkeit überwiegend verschlossenen Räume einer weiteren kulturellen | |
Nutzung zuzuführen. „Zunächst hat man da an Ateliers, an Proberäume, | |
einfach Räume, durch die Kunst ermöglicht werden kann, gedacht.“ | |
## Bürgermeisterin will kulturelle Gräben überwinden | |
Gleichzeitig habe man sich aber auch auf der Suche nach einem neuen Ort für | |
die Oper befunden, da das alte Opernhaus überaus sanierungsbedürftig | |
gewesen sei und schon damals absehbar war, dass es schon allein aus Gründen | |
des Brandschutzes bald nicht mehr genutzt werden könne. Die Stadt habe | |
daher geprüft, ob die Oper in eine alte Fabrikhalle ziehen könnte oder in | |
einen Zeltbau. Doch es hätten sich keine entsprechenden Gebäude oder | |
Flächen gefunden. | |
So kam man auf die Kongresshalle. „Für mich war das dann plötzlich sehr | |
schlüssig“, sagt Lehner. Das Areal gehöre ohnehin der Stadt, Miete falle | |
also nicht an; es gebe keine weitere Versiegelung von Flächen, das Ganze | |
sei also eine nachhaltige Angelegenheit. „Außerdem entspricht es meiner | |
kulturpolitischen Haltung: den Graben zwischen Hochkultur, Subkultur, | |
Breitenkultur und vermeintlich elitärer Kultur zu überwinden. Durch die | |
sogenannte freie Szene in den Ermöglichungsräumen und die Oper kommt hier | |
räumlich einiges zusammen.“ | |
Auch dass die Kongresshalle dann in puncto Erinnerungskultur ihre Aufgabe | |
nicht mehr erfüllen könne, will die Politikerin nicht gelten lassen. „Ich | |
bin selbst Historikerin, und ich habe mich schon während meines Studiums | |
mit diesem Gelände und seiner Geschichte auseinandergesetzt.“ Sie habe | |
Zweifel, dass sich Besuchern der diktatorische, menschenverachtende Ansatz | |
der Nazis allein durch das Betreten und Betrachten des Innenhofs vermittle. | |
Nichtsdestotrotz sei ja auch dies weiterhin möglich. „Ich glaube nicht, | |
dass sich die ästhetische Schönheit dieses Areals jetzt so sehr ändern | |
wird, dass man sagt: Ach, das haben die Nazis aber furchtbar nett gemacht, | |
das ist ja richtig heimelig.“ Die Kongresshalle werde ja nicht umgebaut. | |
Ein in Lehners Augen sehr wichtiger Punkt ist, dass in der Kongresshalle im | |
Unterschied zum Zeppelinfeld und der Zeppelintribüne nie Geschichte | |
geschehen sei. Natürlich könne man anhand des unvollendeten Baus „diese | |
Mission dieser Gigantomanie“ nachvollziehen, aber es habe hier eben nie ein | |
Parteikongress stattgefunden. | |
## Kein Masterplan Erinnerungskultur | |
In der Tat macht es ja für den Umgang mit einer Örtlichkeit einen | |
Unterschied, was dort geschah oder eben auch nicht geschah. War es ein | |
Opferort? Ein Täterort? Oder nur ein Möchtegernort? Eine Frage, für die | |
Jörg Skriebeleit Experte ist. Er leitet die [8][KZ-Gedenkstätte | |
Flossenbürg]. Es gebe keinen Masterplan Erinnerungskultur, sagt | |
Skriebeleit, der festlege, welche Stätten in dieser oder jener Form | |
konserviert werden müssten. Ein solcher Ansatz sei ahistorisch und | |
apolitisch. | |
„Solche monströsen Täterhinterlassenschaften wie die Kongresshalle üben | |
eine Anziehungskraft aus – nicht wegen der Faszination des Grusels, sondern | |
wegen der erhofften historischen Nähe.“ Skriebeleit, selbst bekennender | |
Opernbanause, war Mitglied der Jury, die entschied, wo auf dem | |
Kongresshallengelände der Opernbau stehen soll. „Ich persönlich habe | |
zugestimmt, weil ein Interim eine Übergangslösung ist und die immer wieder | |
notwendige Befragung ermöglicht“, sagt Skriebeleit. „Ich halte es | |
tatsächlich für notwendig, dieses Areal, auch die Kongresshalle, immer | |
wieder neu zu dimensionieren, zu befragen, ohne es zu zerstören.“ | |
Erinnerungsarbeit solle heute viel stärker Laborcharakter haben. Vor dem | |
Hintergrund des Interims sehe er den Opernbau daher unproblematisch. | |
Aber was hat es denn nun mit dem Interim tatsächlich auf sich? Nach 10 | |
Jahren, hieß es anfangs, könne die Oper ja in ihr dann saniertes Stammhaus | |
zurückkehren, das neue Gebäude in der Kongresshalle wieder entfernt werden. | |
Davon ist längst keine Rede mehr. Ministerpräsident Markus Söder, zwar | |
nicht unmittelbar zuständig, aber immerhin Nürnberger, ließ die | |
Öffentlichkeit wissen, dass das neue Haus natürlich bleiben werde. | |
Kulturstaatsministerin Claudia Roth will sogar, dass die Oper dauerhaft in | |
der Kongresshalle bleibt. Fakt jedenfalls ist, dass die Stadt den Bau ohne | |
Fördermittel des Freistaats nicht wird stemmen können – und die können nur | |
fließen, wenn das Gebäude mindestens 25 Jahre steht. So lange wird es also | |
mindestens werden. Und die Vorstellung fällt schwer, dass sich danach noch | |
jemand an diesen besonderen Blick in die Leere erinnert und für einen | |
Abriss plädiert. | |
Präsenter wird jetzt erst einmal das Wirken der Oper an ihrer neuen Stätte | |
sein. Die Erwartungen jedenfalls sind hoch. „Kultur hat ja immer die | |
Aufgabe, den Finger in die Wunde zu legen“, erklärt Bürgermeisterin Lehner, | |
und KZ-Gedenkstättenleiter Skriebeleit glaubt: „Jeder Mensch, der dort in | |
eine Oper geht, ob er Wagner hört oder sonst was, wird diese Oper anders | |
hören, als wenn er auf den grünen Hügel in Bayreuth geht, weil er der | |
Unmittelbarkeit dieses nazistisch ideologischen Großrelikts gar nicht | |
ausweichen kann.“ | |
Noch drastischer formuliert es Staatsintendant Jens-Daniel Herzog. „Wir | |
werden unsere Arbeit als permanenten Exorzismus verstehen, einen | |
andauernden Anti-Reichsparteitag“, kündigte er in der SZ an. Das werde viel | |
mit Humor zu tun haben, denn den hätten die Nazis nicht gehabt. Man werde | |
es dabei aber nicht an Respekt dem Gebäude gegenüber fehlen lassen. „Aber | |
auch nicht an Respektlosigkeit.“ | |
Dem Exorzismus Herzogs setzt der frühere Dokumentationszentrumsleiter | |
Täubrich eine Portion Sarkasmus entgegen. Er wolle sich dem Willen der | |
Stadtratsmehrheit beugen, sagt er, zuvor jedoch noch einen Vorschlag zur | |
Güte machen: Opernbesucher sollten künftig von einer großen Tafel, | |
womöglich aus Flossenbürger Granit, im riesenhaften Ausmaß empfangen | |
werden, mindestens 7 Meter hoch. „Darauf steht zu lesen: Herzlich | |
willkommen im Opernhaus Nürnberg! Der Grundstein zu diesem Bau wurde 1935 | |
gelegt, als anlässlich des NS-Parteitages auch die Rassengesetze verlesen | |
wurden. Darunter klein der Hinweis: Zur Sektbar geht’s rechts rüber. Und | |
dann ab in die ‚Zauberflöte‘.“ | |
9 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Hitlers-Monumente-in-Nuernberg/!5177683 | |
[2] /Ruegen-vor-der-Wahl-in-MV/!5331506 | |
[3] https://yewtu.be/watch?v=_j829GLYM7c | |
[4] https://www.sueddeutsche.de/bayern/konzert-wie-bob-dylan-in-nuernberg-gegen… | |
[5] https://kunstvereinnuernberg.de/ | |
[6] https://pavillonfuerfotografie.de/always-complain-always-explain | |
[7] https://museen.nuernberg.de/dokuzentrum | |
[8] https://www.gedenkstaette-flossenbuerg.de/de/ | |
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Dominik Baur | |
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