# taz.de -- Hitlers Monumente in Nürnberg: Steinerne Relikte des Wahns | |
> Was tun mit vermintem Terrain? Ein Dutzend Künstler setzen sich mit dem | |
> Nürnberger Reichsparteitagsgelände auseinander. Erinnerungspolitik | |
> angesichts faschistischer Machtphantasien. | |
Bild: Was von Hitlers Größenwahn übrig bleibt: Gebäude des früheren Reichs… | |
Der Führer als Architekt und als Pädagoge in der Nachfolge Nietzsches. | |
Alles, was er sich ausdachte, sollte Stein und Fleisch werden, ein Dokument | |
des "think big", vulgo: des Größenwahns für die Ewigkeit. Das | |
"Tausendjährige Reich" suchte von Anfang an nach Monumenten und | |
Inszenierungen seiner Machtfantasien. Im Südosten Nürnbergs entstand die | |
größte Baustelle des Dritten Reichs. Dort fanden in den 30er-Jahren die | |
Nazi-Parteitage statt, die von Leni Riefenstahl in ihrem | |
berühmt-berüchtigten Doku-Drama "Triumph des Willens" als große Oper für | |
die Volksgemeinschaft, als rauschhaftes "Orgien-Mysterien-Theater" in Szene | |
gesetzt wurden. Auf diesem Reichsparteitagsgelände waren unter anderem ein | |
Stadion für vierhunderttausend Besucher, eine gigantische Kongresshalle, | |
die in Form und Ausmaßen dem römischen Kolosseum nachempfunden war, und | |
riesige Aufmarschgelände geplant, in denen das Regime sich selbst und die | |
zum Ornament der Massen formierte Gefolgschaft feierte. | |
Das Projekt blieb Fragment. Zu Beginn des Kriegs wurden die Arbeiten | |
eingestellt. Was blieb, waren die steinernen Relikte des Wahns. Nach dem | |
Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das historisch kontaminierte Gelände auf | |
unterschiedlichste Weise genutzt. Zunächst von der US-Armee, dann von der | |
Stadt Nürnberg als neuer Eigentümerin. Seit 1973 steht das Areal unter | |
Denkmalschutz. Als großflächiges Dokument der Zeitgeschichte, auf dem, | |
"trotz allem", das profane Leben weitergeht: vom Norisring-Autorennen bis | |
zur Nürnberg-Messe, von Volksfesten bis zum Groß-Event "Rock im Park". | |
Selbst eine Fast-Food-Kette ist erwünscht. Die Trivialität des raschen und | |
billigen Konsums stellt den denkbar drastischsten Bruch mit der einstigen | |
Ästhetik des Erhabenen und einer außeralltäglichen Gewalt dar, der man mit | |
einer gedenkenden Mythisierung und Musealisierung nur auf den Leim ginge. | |
Wie aber vertreibt man die Gespenster der Vergangenheit? Oder soll man sie | |
gar nicht vertreiben, sondern in der Erinnerung gegenwärtig und kritisch | |
bewusst halten, damit künftige Generationen gegen die Verführungen einer | |
angemaßten Grandeur, die in Terror und Vernichtung mündet, immun werden? | |
Die Stadt Nürnberg denkt seit langem über geeignete Strategien des | |
Gedenkens und der "Bewältigung" nach. Kunst und Künstler sollten dabei eine | |
wichtige Rolle spielen. Vielleicht getreu dem oft zitierten Satz von Walter | |
Benjamin, man müsse auf die Ästhetisierung der Politik durch die Nazis mit | |
einer Politisierung der Ästhetik antworten. | |
Was derzeit in der Kunsthalle Nürnberg unter dem vieldeutigen Titel "Das | |
Gelände" präsentiert wird, ist aber nicht alternative Staats- oder | |
Stadtkunst, kein Resultat eines Konzepts, das den moralischen TÜV passiert | |
hat. Es verdankt sich den erfreulich eigenen Initiativen und Interventionen | |
von einem Dutzend Künstlern, die überwiegend im Großraum Nürnberg | |
aufgewachsen sind und sich seit langem mit den ruinösen | |
Hinterlassenschaften beschäftigen. Diese sperrige Vielfalt - es handelt | |
sich vor allem um Fotos, Videos, Installationen, "Gegen-Bauten" - | |
entspricht dem Selbstverständnis einer pluralistischen Bürgergesellschaft, | |
die durch allzu einmütige Andacht nur gelähmt und allzu bequem sediert | |
würde und der Provokation, des Unbequemen und Mulmigen, als Lebenselixier | |
bedarf. Jonathan Meese, der "Kunst-Diktator", lässt in seiner monströsen | |
Bronze-Plastik "Total-Adler", Untertitel: "Baby-CHEF der Kunst (das Ei des | |
Columbussy)", das Symbol der Staatsmacht zu einem hässlich wuchernden | |
Zombie mutieren. Der Star-Fotograf Juergen Teller verwandelt in seiner | |
autobiographischen "Nürnberg"-Serie den Schreckensort in eine unheimliche | |
Idylle, deren disparate Einzelteile, vom Bambi im Unterholz über fast schon | |
strukturalistische Naturstudien bis hin zu Familien-Akten, sich scheinbar | |
aller Politik verweigern, in summa aber die untergründig schillernde | |
Präsenz von Posen und Pathos des Dritten Reichs in aller Gebrochenheit | |
dokumentieren. | |
Bei Winfried Baumann, der sein Atelier-"work in progress" zur | |
Ausstellungs-Assemblage versammelt, werden die Historie und ihre Abdrücke | |
in unserer Mentalität zu aufklärerisch-sperrigem Gerümpel. Artur Zmijewski | |
schneidet in seinem Video "Zeppelinfeld" dokumentarisches Material und | |
performancenahe Spielszenen, die das ehemalige Gesten- und | |
Verhaltensrepertoire reinszenieren, ineinander. Mentalitätsgeschichte als | |
Topologie der Verwirrung - oder doch eher einer konsumistischen | |
Neutralisierung? Susanne Kriemann versinnbildlicht die Vielschichtigkeit, | |
den Sediment-Charakter des Geländes, dessen Geschichte nicht mit der | |
Nazi-Zeit begann und mit ihr auch nicht endete, durch die Kombination einer | |
riesigen Fotografie des Volksfest-Rummels mit einem taumelnden Schriftzug | |
an der Kunsthallen-Wand, dem sich alle Nutzungen nach 1945 entnehmen | |
lassen. | |
Eine sehenswerte Ausstellung, die Kunst, im Sinne Alexander Kluges, als | |
"Grabung" im Volks-Unbewussten und seinen Ablagerungen versteht. | |
10 Aug 2008 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Mayer | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
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