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# taz.de -- Erinnerungskultur und Schuldabwehr: Die Deutschen und das Opfernarr…
> Eine deutsche Influencerin will ihr Kriegstrauma „rausreinigen“. Mit
> dieser Schlussstrich-Rhetorik bewegt sie sich in bekannter deutscher
> Tradition.
Bild: Blick auf das am 13. und 14. Februar 1945 zerstörte Dresden auf einem un…
Das Trauma ist das It-Piece der Gegenwart. Neuerdings getoppt mit dem
Zusatz transgenerational, kann mittlerweile fast alles Trauma sein. So wird
der Begriff bedeutungslos.
Erstmals untersuchten Psychoanalytiker die Weitergabe von Traumata an die
nachfolgende Generation im Zusammenhang mit Kindern von Shoah-Überlebenden.
Diese hatten in ihrem Aufwachsen nach 1945 Symptome entwickelt, die sie auf
die extremen Erfahrungen ihrer Eltern in den Ghettos und
Konzentrationslagern zurückführten.
In meinem Urlaub in Brandenburg stolperte ich gerade über die
Instagramstory einer Influencerin mit über 120.000 Followern, die
eigentlich die Themen Mutterschaft und ADHS behandelt. Traumata seien
gerade ihr Lieblingsthema, schrieb sie. Auch das Kriegstrauma stecke noch
in uns (sic!) drin. Mit diesem uns meinte sie offensichtlich ihre deutschen
Follower, mich sicher nicht. „Wir, meine Generation, ist jetzt ready, das
teilweise ein bisschen rauszureinigen“, erklärte sie.
Ich hätte dieser Influencerin gerne geschrieben, dass sie sich mit ihrem
Wunsch etwas „rauszureinigen“ in bekannter deutscher Tradition bewegt, die
Deutschen wollten ihre Vergangenheit nach 1945 schließlich auch
be-reinigen, mit dem Ziel einer sauberen Weste ohne Flecken ihrer Taten,
aber leider konnte ich ihr das nicht mitteilen, weil das Internet auf dem
brandenburgischen Land bekanntlich miserabel ist.
Erfahrungen, die Kinder von NS-Tätern im Krieg gemacht haben, waren sicher
leidvoll. Nur haben diese Nachfahren, wie der Psychoanalytiker Kurt
Grünberg einmal treffend formulierte, nicht nur unter den Kriegsfolgen
gelitten, sondern insbesondere daran, „dass ihre Eltern den Krieg durch
eigenes Mittun oder Unterlassen mitzuverantworten hatten“.
Alle in einem Boot?
Dieses Verschweigen oder Verharmlosen der eigenen (Mit-)Täterschaft ist es,
was bis heute, also bis in die dritte und vierte Generation wirkt. Heißt:
Deutsche meiner Generation haben sich oft noch immer nicht mit Schuld und
Verantwortung, mit den Taten ihrer Vorfahren auseinandergesetzt.
Allein von der Kriegserfahrung zu sprechen, so als ob der
Nationalsozialismus und die Vernichtungslager nie existiert hätten, kommt
einer Verharmlosung gleich. In der Konsequenz lebt das deutsche,
geschichtsrevisionistische Opfernarrativ weiter. Opfer, Täter und Mitläufer
sind in ihrer Erfahrung plötzlich vereint, und die nachfolgenden
Generationen, so Grünberg, sehen sich mit einer gemeinsamen Erbschaft
konfrontiert: „Letztlich säßen wir doch alle in einem Boot…“.
Während ich diese Gedanken nicht loswerde, finde ich mich im Spreewald an
einer Erinnerungstafel, Titel „1945“, wieder, die an die Bombardierung der
Stadt Lübben erinnert. Exemplarisch steht diese Tafel dafür, was meist
nicht erwähnt wird: was den Luftangriffen der Alliierten vorausging
(nämlich der deutsche Raub- und Vernichtungskrieg), wer keinen Platz in den
Luftschutzbunkern fand (u.a. Zwangsarbeiter:innen), warum und von wem
Todeszahlen bis heute vervielfacht und propagandistisch genutzt wurden.
Bezeichnend ist doch, wie die Erinnerungsgeschichte bis heute wirkt. Auch
in diesem Jahr haben sich wieder Neonazis zum Gedenktag an die Opfer der
Bombardierung Dresdens versammelt. „Gestern Dresden, heute Gaza“, stand auf
einem Banner. Von links hieß es im vergangenen Oktober von Hunderten
Studenten: „Free Palestine from German guilt“.
In ihrer Konsequenz ähneln sich die Forderungen von Rechtsextremen,
antiimperialistischen Linken und der Mutter-Influencerin. Sie alle wollen –
bewusst oder nicht – einen Schlussstrich ziehen, die Deutschen von ihrer
historischen Verantwortung befreien, etwas rausreinigen. An dieser Stelle
stimmt es ja tatsächlich: sie sitzen im selben Boot.
18 Aug 2024
## AUTOREN
Erica Zingher
## TAGS
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