| # taz.de -- Autobiografie von Influencerin: Die Nöte der Generation Z | |
| > Laura Wrobel ist 24 Jahre alt. Die Influencerin erzählt in ihrer | |
| > Autobiografie „TheRealLauri“ rabiat offen und humorvoll von ihrer | |
| > bipolaren Störung. | |
| Bild: Laura Wrobel kennt sich mit Schatten fast noch besser aus, als mit Licht … | |
| Na, das ist jetzt mal ein unerwartet cooles Buch. Wahrscheinlich wird Laura | |
| Wrobels Werk „TheRealLauri“ nicht irgendwann in den literarischen Kanon | |
| erhoben. Aber das könnte auch an einem Fehler des Buchmarkts und seiner | |
| Wahrnehmungsmechanismen liegen. | |
| Jedenfalls treibt die Autorin hier in einer unaufgeregten, alltäglichen, | |
| aber nie plumpen Sprache durchaus abgründige Spiele mit dem [1][Genre der | |
| Identitätskonstruktion schlechthin, der Autobiografie]. Andererseits | |
| verfolgt die 24-Jährige vorrangig vermutlich andere Ziele, als in den | |
| elitären Regalen der Hochliteratur zu verstauben. | |
| Sie schildert in Briefen an ein fiktives Du – die Leser*innen, vielleicht, | |
| aber auch, wie in einem Tagebuch, ans unbekannte Ich der Zukunft – ihr | |
| bisheriges digitales und analoges Dasein. Und zwar so, dass es | |
| selbstwirksam sein dürfte, dabei zudem gut unterhält und oft genug als | |
| Lebenshilfe für andere Menschen zumal ihrer Alterskohorte taugen kann. | |
| Ebenso verschafft es deren Eltern und Großeltern Einblick in die Tiefen und | |
| Untiefen der Social-Media-Welt und kann dazu beitragen, dass sie die | |
| Realität der Nöte dieser Generation Z anerkennen. | |
| ## Sarkastische Komik | |
| Denn vor allem handelt es sich um ein rabiat offenes Buch. Wrobel berichtet | |
| darin, oft gewürzt mit einer wohltuend sarkastischen Komik, von | |
| Cybermobbing- und physischen Gewalterfahrungen, Panikattacken, bipolaren | |
| Störungen und Suizidversuchen. | |
| Sie spart auch die stationären Phasen nicht aus in einer Anstalt für, wie | |
| man in der wattierten Sprache vermeintlicher Achtsamkeit heute sagt, | |
| „psychisch instabile Menschen“. Achtsamkeit liegt ihr nicht fern, | |
| Triggerwarnungen und Notrufnummern gibt’s genug im Buch, aber „Boah, wie | |
| ich diese Bezeichnung hasse!“, stellt Wrobel gleich bei ihrem ersten Mal | |
| klar dass sie das schlichte und direkte Wort „Klapse“ bzw. später dann | |
| „Stammklapse“ [2][bevorzugt]. | |
| Laura Wrobel lebt in Hamburg und ist Tiktok-Influencerin, eine etwas vage | |
| Berufsbezeichnung: Auf der Plattform scheinen musikhinterlegte Schminktipps | |
| zu dominieren, vielfach werden auch Kalenderspruchweisheiten in schönem | |
| Ambiente dargeboten und sehr, sehr häufig Vollplastik-Produkte empfohlen. | |
| Besonders wirksam ist das, weil die Smartphone-Video-Ästhetik eine extreme | |
| Nähe herstellt. Wenn es gut gemacht ist, wirkt es, als teile dir eine gute | |
| Freundin gerade mit, wie superbequem ihre Ethylen-Vinylacetat-Hausschuhe | |
| sind oder als wäre eben der [3][AfD-Fuzzi dein bester Kumpel]. | |
| Dazu gehört meist eine Anmutung technischer Unvollkommenheit, die eben die | |
| Schwelle superniedrig hält, seinen eigenen Content einzubringen. So | |
| beschreibt Wrobel, wie sie 2020 Tiktok sondiert und dabei verblüfft | |
| feststellt, dass es für den Click-Erfolg dort offenbar ausreicht, Videos | |
| hochzuladen, in denen Lippen synchron zu einem eingespielten Musiksong | |
| bewegt werden. | |
| ## Eigenen Kanal gegründet | |
| Überzeugt, das besser zu können, gründet sie ihren eigenen Kanal, den sie | |
| mit satirischen Clips bespielt. Der lustigste handelt davon, wie Eltern | |
| Videos aus dem Urlaub in die Familiengruppe senden. Insgesamt erreicht sie | |
| 1,7 Millionen regelmäßige Follows, mehrere ihrer Sketche haben gut fünf | |
| Millionen Likes – eine nicht unproblematische Instant-Zuneigung, wie Wrobel | |
| in Bezug auf „the.real.lauri“, ihr Social-Media-Alias, klarstellt. | |
| Überhaupt: „Diesen Namen hatte ich schon seit eh und je im Internet“, | |
| schreibt Wrobel. Aber erst auf Tiktok habe sie ihn „richtig bewusst | |
| gewählt“, denn „ich musste mich nicht mehr verstellen, sondern durfte ich | |
| selbst sein“: Das ist ein Satz, der die Doppelbödigkeit von | |
| Identitätskonstruktionen auf schöne Weise potenziert. | |
| Wie für Goethes Werther (auf den sich Wrobel ausdrücklich bezieht) die | |
| Lyrik-Lektüre, ist bei ihr das Medium der Ort, in dem das Eigene | |
| aufscheinen kann und zu sich findet. Die Wirklichkeit ist nur dank des | |
| Spiegels real. Die Kunstfigur ist das echte und wahre Ich – das sich, | |
| Überraschung, im letzten Abschnitt mit einem Brief in Handschrift selbst | |
| beglaubigt. | |
| 14 Sep 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Kunst-in-Briefen/!5416695 | |
| [2] https://diskursmonitor.de/glossar/aufwertung-meliorisierung/ | |
| [3] https://www.uni-potsdam.de/de/medieninformationen/detail/2024-09-02-die-afd… | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Schirrmeister | |
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