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# taz.de -- Social-Media-Verbot für Jugendliche: Generation Gammelhirn
> Australien will Social Media für Jugendliche verbieten. Die Gen Z setzt
> sich oft selbst schon Grenzen, ihr digitaler Detox ist Selbsterhaltung.
Bild: Nach Unterrichtsschluss verbringen Schülerinnen der Leipziger Leibnizsch…
Dezember 2013: Der Bundestag wählt Angela Merkel [1][zum dritten Mal zur
Kanzlerin], das Trendwort des Jahres ist Selfie, man trägt Space Leggings
und Loop-Schals. Ich bin 12 Jahre alt, und während die Welt Schlagzeilen
schreibt, verändert sich für mich etwas Grundlegendes: Unter dem
Weihnachtsbaum liegt mein erstes Smartphone. Ein weißes, vier Zoll großes
Portal in eine neue Welt.
Innerhalb weniger Tage werde ich Teil der digitalen Community. Schnell ist
mein Nachname für die sozialen Medien auf ein cooles Kürzel reduziert, und
ich habe Accounts auf Snapchat, Instagram und Whatsapp. Jede Plattform
verspricht mir, das Leben interessanter, die Freundschaften enger und die
Langeweile kürzer zu machen.
„Wg? Wmds?“ – kleine Nachrichten ersetzen die großen Umwege über
Festnetzgespräche mit Elternfilter. Der Schulschwarm, der vorher auf dem
Pausenhof unnahbar war, ist plötzlich nur eine Nachricht entfernt. Schnell
wird das Handy in der Hosentasche zu meinem neuen Alltag, das Selfie auf
dem Schulweg zur Selbstverständlichkeit.
Ich fühlte mich frei, unabhängig und ziemlich erwachsen. Damals schien das
alles harmlos und aufregend. Als Angehörige der Generation Z bin ich mit
den sozialen Medien groß geworden. Wie ich sind sie gewachsen, haben sich
weiterentwickelt und sind aus meinem Leben nicht mehr wegzudenken.
## Australien plant Altersbeschränkung
Als erstes Land weltweit möchte [2][Australien nun ein Gesetz einführen,
das Unter-16-Jährigen die Nutzung von sozialen Medien verbietet].
Großbritannien zieht ähnliche Maßnahmen in Betracht. In Deutschland sind
die meisten Plattformen bereits ab 13 Jahren zugänglich, eine Überprüfung
des Alters der Nutzer:innen ist schwierig.
Ein Blick in die Statistiken zeigt: [3][Die Jugend von heute verbringt
durchschnittlich 72 Stunden pro Woche online.] Das sind mehr als zehn
Stunden, jeden Tag. Wissenschaftler:innen warnen, dass die Nutzung von
Plattformen wie Tiktok, Instagram und Snapchat nicht nur Zeit frisst,
sondern auch echte Gefahren birgt.
Benachrichtigungen und Likes triggern das Belohnungszentrum im Gehirn und
führen so dazu, dass Dopamin ausgeschüttet wird. [4][Das seien
Suchtmechanismen,] vergleichbar mit denen von Alkohol oder Nikotin,
erklären Forscher:innen. Die Liste der möglichen Folgen von übermäßiger
Social-Media-Nutzung ist lang, sie reicht von weniger Bewegung zu
mangelnder Empathie, eingeschränkter Kreativität und gestörten sozialen
Beziehungen. Australiens neues Gesetz soll die Jugendlichen vor diesen
Auswirkungen schützen.
Prinzipiell keine schlechte Idee, finde ich. Denn ich bemerke die
Auswirkungen meines Smartphone-Konsums ganz direkt in meinem Alltag. Es
fällt mir zunehmend schwer, mich längere Zeit auf eine Aufgabe zu
konzentrieren. Eine Stunde Seminar? Unvorstellbar, ohne zwischendurch mein
Gehirn mit zusätzlicher Unterhaltung „bei Laune“ zu halten. Läuft abends
ein Film auf Netflix, scrolle ich währenddessen durch Tiktok – schaue
[5][Mukbangs], [6][Hauls], Rants.
## Endlose Feeds lassen die Aufmerksamkeit verfallen
Wir, die ältere Gen Z, lachten oft über die Kinder, die mit Tablets vor der
Nase großgezogen wurden. Doch meine Arroganz wurde mir genommen, als Apple
2018 das Update „Screen Time“ einführte: Sechs Stunden pro Tag bin ich am
Handy?! Was ich konsumiere, weiß ich hinterher oft nicht mehr.
Als „Brain Rot“, schimmelndes Gehirn, bezeichnet meine Generation dieses
Gefühl: ein schleichender Verfall der Aufmerksamkeit, ausgelöst durch
endlose Feeds und perfekt getimte Algorithmen. Ob ein neues Gesetz das
Gammeln der Jugendhirne aufhalten kann? Für mich ist es schwer vorstellbar,
wie mein Leben ohne Smartphone verlaufen wäre. Wäre ich ein anderer Mensch,
hätte sich mein Debüt auf Social Media um vier Jahre verzögert? Schwer zu
sagen.
Was ich weiß: Sich austauschen, vernetzen und eigene Interessen verfolgen –
diese Vorteile der sozialen Medien schätze ich bis heute. Ob
Konzentrationsschwäche und Suchtverhalten dafür hinzunehmen sind, bleibt
aber auch für mich und meine Freund:innen fraglich.
Mehrmals habe ich versucht, auszusteigen. Apps gelöscht, „Social Media
Detox“ gemacht. Doch clean? Bin ich nie geworden. Die Plattformen locken
mit Kontakten zu Freund:innen und einem nie endenden Fluss aus Content.
Mein aktueller Kompromiss: Eine Sanduhr auf meinem Handy erinnert mich
daran, wann genug ist. Eine Stunde Social Media pro Tag, mehr gönne ich mir
nicht. Wenn die Zeit abgelaufen ist, verschließe ich die digitale Tür,
zumindest manchmal. Aber ich weiß: Morgen scrolle ich weiter.
21 Nov 2024
## LINKS
[1] /Bundestagswahl-2013/!5058588
[2] https://www.tagesschau.de/ausland/asien/australien-social-media-100.html
[3] https://www.postbank.de/unternehmen/medien/meldungen/2024/oktober/studie-ju…
[4] https://mediensuchthilfe.info/suchtfoerdernde-eigenschaften-soziale-medien/
[5] /Social-Media-Trend-Mukbang/!5746814
[6] /Konsumsucht-durch-Beauty-Hauls/!5259250
## AUTOREN
Christina Koppenhöfer
## TAGS
Soziale Medien
TikTok
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Jugendliche
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Schwerpunkt Feministischer Kampftag
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