# taz.de -- Verbotskultur auf Social Media: Jugendschutz ohne Jugend | |
> Der Trend, junge Menschen von Social Media zu verbannen, ist gefährliche | |
> Faulheit, findet unser Autor. Stattdessen müssen digitale Räume sicherer | |
> werden. | |
Bild: Früh übt sich die Smartphone-Nutzung | |
Dieses Jahr haben es endlich alle verstanden: Social Media, das ist | |
Politik. Hier werden Attentäter radikalisiert. Hier schreit die | |
Zivilgesellschaft laut ihre Gegenrede raus, wenn rechte Parteien darüber | |
fabulieren, wer im Land bleiben darf und wer nicht. Hier wollen Regierungen | |
Jugendliche raushaben. Angeblich, um sie zu schützen. | |
Das Feld für Radikale und Extreme ist bereitet. [1][Die AfD hat bei Tiktok | |
eine größere Reichweite als alle anderen deutschen Parteien]. | |
Islamist*innen [2][rekrutieren seit Jahren auf Social Media]. Jeder | |
Angriff auf die offene, pluralistische Gesellschaft, wie auch der auf dem | |
Weihnachtsmarkt in Magdeburg, zieht Hass-Kampagnen nach sich. Da | |
verbreitete etwa X-Besitzer und Populismus-Schleuder Elon Musk | |
Desinformation über die Tat, beschimpft den Bundeskanzler Olaf Scholz, | |
unterstützt die AfD. X hat sich also in Deutschland hinter die Rechten | |
gestellt. | |
In den USA hat die Plattform Trump unterstützt. Im Gegenzug gab’s einen | |
Regierungsposten für Musk. Auch Meta hat sich inzwischen in das Lager | |
einsortiert. Nach Monaten der Annäherung war Meta-Gründer Mark Zuckerberg | |
im November bei Trump zum Essen eingeladen. Kurz darauf spendete Meta mal | |
eben eine Million US-Dollar für die Amtseinführung. | |
Dabei geht es nicht um Ideale, sondern um eine gewogene Gesetzgebung – also | |
um Geld. In der EU sieht es da für Meta gar nicht gut aus. Denn Irland | |
greift durch, hat Meta im Dezember wegen Datenschutzlücken eine Strafe von | |
251 Millionen Euro auferlegt. Hier zeigt sich, was Politik im Guten kann! | |
## Jubel für Australien | |
Was Politik aber auch gut kann: populistische, bequeme Lösungen anbieten, | |
die nichts verbessern werden an den Problemen von Social Media. Genau dafür | |
wurde Australien 2024 groß bejubelt. Der Senat beschloss, [3][dass Menschen | |
unter 16 Jahren bestimmte Social-Media-Plattformen nicht mehr nutzen | |
dürfen] wegen psychischen Auswirkungen, Cybermobbing, Grooming. All das | |
sind reale, schreckliche Gefahren. Australien hat recht damit, zu handeln. | |
Doch die Art ist falsch. | |
Stellen Sie sich vor, Sie dürften, bis Sie 16 sind, nicht Fahrrad fahren. | |
Es bringt Ihnen auch niemand bei. Tatsächlich sollen Sie sogar wegschauen, | |
wenn Sie Radler*innen sehen. Mit 16 bekommen Sie ein Mountainbike, eins | |
mit E-Motor, so richtig schnell. Damit werden Sie auf einer stark | |
befahrenen hügeligen Landstraße im Nebel ausgesetzt oder in München | |
Schwabing im Berufsverkehr. Zum Glück hat Ihnen auch niemand gezeigt, wie | |
man bremst. | |
Jugendliche auszusperren, ist kein Schutz; es ist gefährliche Faulheit. | |
Damit drücken sich Staaten davor, soziale Medien besser zu machen. Die | |
Jugendlichen werden trotzdem Fahrradfahren gehen. Auf dunklen Straßen, ohne | |
Licht, damit sie keiner sieht. Ohne Helm, denn die werden ja gar nicht mehr | |
an Jugendliche verkauft. | |
Auch einige deutsche Politiker*innen finden Ausschlüsse gut. Die | |
Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz wehrt sich dagegen. | |
[4][Sie schreibt]: „Kinder haben gemäß Artikel 17 der | |
UN-Kinderrechtskonvention ein Recht auf Teilhabe an Medien. Dazu gehören | |
heute auch soziale Medien.“ Sie auszuschließen, stelle „einen Verstoß geg… | |
die UN-Kinderrechtskonvention dar“. Warum also macht es Australien? Warum | |
wollen auch Frankreich und Norwegen das Mindestalter für Social Media – | |
denn ja, das gibt es, auch in Deutschland – erhöhen? Weil alles andere | |
anstrengender wäre. | |
## Mehr Verbote, mehr Klarnamen | |
Egal ist ihnen wohl, dass die Konzerne dafür Social-Media-Accounts mit | |
persönlichen Daten verknüpfen müssen: mit Klarnamen und mit Geburtsdaten. | |
All diese Daten sind auch hackbar. So können Menschen in Zukunft mit ihren | |
Accounts in Verbindung gebracht werden. Beiträge über Hobbys, | |
Leidenschaften, Sexualität, Ideale, das ganze bunte Leben, das wir online | |
zeichnen, bekommt unseren Klarnamen. | |
Das ist eine Gefahr besonders für queere Menschen, Menschen mit | |
Migrationsgeschichte, Frauen, Systemkritiker*innen, Aktivist*innen. Sie | |
werden in manchen Staaten verfolgt durch die Regierung. In anderen durch | |
einen hasserfüllten rechten Mob. | |
Dabei kann Politik soziale Medien verbessern. Die Suchtgefahr ließe sich | |
bei Tiktok etwa entschieden vermindern, wenn man die App nur 20 Minuten am | |
Stück nutzen kann vor einer gesetzlich vorgeschriebenen mehrstündige Pause. | |
Gleichzeitig muss die Moderation von Inhalten ausgebaut werden. Das heißt: | |
mehr Moderator*innen, überall auf der Welt, mit gutem Gehalt, mit | |
psychologischer Betreuung. Nicht Ausbeutung in Niedriglohnländern. Wenn wir | |
gute Moderationen wollen, dann muss es den Moderator*innen gut gehen! | |
## Holocaustleugnungen | |
Es braucht verbindliche Regeln gegen politische Werbung, die auch | |
durchgesetzt werden. Dafür hat die EU schon ihre Werkzeuge, den Digital | |
Services Act und den Digital Markets Act. Wie wirksam sie sind, wird sich | |
jetzt bei den Untersuchungen gegen TikTok im Zuge der Rumänien-Wahl zeigen. | |
Diese Werkzeuge können sie ausbauen, vielleicht sogar mit dem Ansatz, den | |
der britische Technikminister Peter Kyle [5][in einem Interview mit Sky | |
News] ins Spiel brachte: Wenn sich nichts ändert, müssen halt die | |
Konzern-Bosse in Haft. „Herr Musk, Sie sitzen jetzt die nächsten drei | |
Monate ein. Und dann dürfen Sie raus – vorausgesetzt, die Quote der | |
Holocaustleugnungen hat sich mindestens halbiert.“ | |
Aber auch außerhalb Plattformen muss Politik tätig werden. In erster Linie | |
bedeutet das: KEINE KÜRZUNGEN IM SOZIALEN! Wir brauchen nicht weniger, | |
sondern mehr Lehrkräfte, Sozialarbeiter*innen, Jugend- und Familienhilfen, | |
Medienpädagog*innen. Sie brauchen Energie und Zeit, um mit Kindern und | |
Jugendlichen digitale Welten erkunden zu können. | |
28 Dec 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Die-AfD-auf-Tiktok/!6035899 | |
[2] /Nahostdebatte-in-Deutschland/!5969353 | |
[3] /Social-Media-Verbot-fuer-Teenager/!6032775 | |
[4] https://www.bzkj.de/bzkj/service/alle-meldungen/debatte-um-social-media-ver… | |
[5] https://news.sky.com/story/ministers-anger-at-tech-companies-as-bosses-coul… | |
## AUTOREN | |
Johannes Drosdowski | |
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