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# taz.de -- „Brain rot“ auf Social Media: Mit Dopamin verfaulte Gehirne
> Gesetze, die unter 16-Jährige von sozialen Medien aussperren, gehen nicht
> weit genug. Denn das Problem ist größer als eine hirngammelnde Jugend.
Bild: Der Konsum sozialer Medien kann danach Unruhe und Unzufriedenheit verstä…
Können Katzen eigentlich auch [1][brain rot] haben? Also diesen Zustand
erreichen, den die meisten Social-Media-Nutzer:innen kennen: Das Gehirn
fühlt sich nach längerem Scrollen auf TiktokInstagramYoutubeX an wie ein
Apfel, der über Wochen vergessen in einer Ecke lag und seinen Zustand
langsam von rotgelb-fest zu matschig-gammelig verändert hat. Rot. Brain
rot.
Man ist erschöpft und ausgelaugt, ohne etwas geleistet zu haben – und das
Leben ist wieder eine, zwei, drei, vier Stunden kürzer geworden. Es ist der
Zustand, in dem vielen dämmert, dass es Zeit für eine digitale Entgiftung
ist. Es folgt: Reue, mitunter Löschen der am süchtigsten machenden App.
Nach ein paar Stunden, Tagen oder Wochen beginnt der Zyklus von vorn.
Kein Wunder, dass die Wörterbuch-Redaktion von Oxford University Press
brain rot zum Wort des Jahres 2024 gewählt hat. Es ist Symptom einer
Entwicklung, die in der immer drängenderen Frage mündet: Wie umgehen mit
Social Media – und den psychosozialen und gesellschaftlichen Folgen?
Für Eltern, die brain rot von ihren heranwachsenden Kindern kennen – und
wahrscheinlich von sich selbst –, ist das 2024 [2][in Australien
beschlossene Gesetz] eine willkommene Lösung: Social Media erst ab 16. Es
hilft bestimmt auch bei der interfamiliären Kommunikation: „Sorry liebe
14-Jährige, ich kann dir meinen Ausweis nicht leihen, damit du dich als Ü16
ausweisen kannst.“ Und vielleicht verlieren die Plattformen ja automatisch
an Attraktivität, wenn sich, aus der Perspektive einer 14-Jährigen, nur
noch Greise dort tummeln.
## Verzweifeltes Klatschen
Doch obwohl viele geklatscht haben nach dem australischen Beschluss, war
das wohl eher ein verzweifeltes Klatschen. Denn die Regulierung ist arg
undurchdacht. Wie die Altersverifikation durch die Plattformen
funktionieren soll, ist offen. Genauso unklar ist, ob die Plattformen die
damit erhaltenen Daten nicht dankend in ihre Sammlung aufnehmen und für
Werbezwecke einsetzen. Offiziell darf das nicht passieren – doch seit wann
halten sich die Plattformen streng an Gesetze?
Dazu kommt: Zwar werden unter anderem Tiktok, Instagram und X reguliert.
Doch ausgenommen bleibt eine große Masse teils sehr problematischer
Plattformen, etwa Telegram mit seinen Verschwörungslöchern, aber auch
weniger bekannte Plattformen, etwa aus dem Bereich Gaming. Was die
Moderation von Inhalten angeht, dürften diese nicht gerade besser
aufgestellt sein.
## Hilft gegen die Sucht eine Altersbeschränkung?
An solchen oder ähnlichen Lücken kranken diverse Restriktionsansätze, die
debattiert, verabschiedet oder wirksam werden. Etwa in Florida, wo zum 1.
Januar ein Gesetz in Kraft getreten ist, demzufolge Social-Media-Anbieter
nur Accounts für Menschen über 14 einrichten dürfen. Oder in Kalifornien,
wo der Gouverneur im September ein Gesetz unterzeichnet hat, das es
Plattformen unter anderem verbietet, Minderjährigen Nachrichten während der
Schulzeit oder nachts zuzustellen.
Dass die Plattformen ein [3][Gefühl von Sucht] erzeugen, gepaart mit Unruhe
und Unzufriedenheit nach dem Konsum, hat laut aktuellem Forschungsstand
etwas damit zu tun, wie unser Gehirn auf den Konsum reagiert. Vereinfacht
dargestellt: Hirnscans zeigen, dass es bei der Nutzung von Social Media
Aktivität in einem Gehirnareal gibt, das für das Lernen und die Motivation
zuständig ist.
So wird zum Beispiel beim Liken eines Videos Dopamin ausgeschüttet. Das
gilt als Botenstoff für Belohnungen, doch Dopamin ist mehr: ein
Vorfreude-Botenstoff. Es wird schon ausgeschüttet, wenn wir davon ausgehen,
dass gleich etwas Gutes passiert. Das kann das nächste Video auf Tiktok
sein oder der virtuelle Geldregen in der Trading-App. Andere Tätigkeiten –
Sport, ein Spaziergang, eine gute Unterhaltung – können mit dem Takt der
für Dopamin sorgenden Social-Media-Reize nicht mehr mithalten.
## Knobeln für virtuelle Münzen
Das gilt es im Hinterkopf zu behalten bei der Frage, wie wir als
Gesellschaft umgehen mit dieser Dopaminkrise. Zum Beispiel, was Kinder
angeht. In mehreren Bundesländern werden schon Erstklässler:innen an
eine App herangeführt, die Übungen für Fächer von Mathe bis Musik bietet
und nach folgendem Prinzip arbeitet: Mit dem richtigen Lösen von Aufgaben
sammeln die Kinder virtuelle Münzen.
Sind genug Münzen gesammelt, gibt es zur Belohnung ein virtuelles Spiel.
Nun ist aus der Forschung ebenfalls bekannt, dass eine Belohnung (Spiel)
eine Handlung (Lernübungen) verstärkt. Wird die Belohnung allerdings
entfernt, sinkt die Handlungsmotivation unter die vor dem Einsatz der
Belohnung.
Zerstört die Nutzung der App also die intrinsische Lernmotivation? Schaffen
es Kinder, die auf das Lernen per münzenspendender App konditioniert sind,
später nicht mehr, sich Wissen auf anderem Wege anzueignen? Oder üben und
lernen Kinder mit der App insgesamt mehr als ohne, und die Frage, woher die
Motivation kommt, ist daher überbewertet? Es sind Fragen, die die Forschung
wohl nicht übermorgen geklärt haben wird. Die aber zeigen, dass eine
Social-Media-Altersgrenze die Probleme nicht mal im Ansatz löst.
## Bessere Algorithmen für alle
Was wir stattdessen brauchen: bessere Plattformen und Apps für alle. Mit
transparenten Algorithmen, die weder Abhängigkeit noch Radikalisierung
begünstigen. Algorithmen, die nicht darauf ausgerichtet sind, die Nutzenden
[4][möglichst lange auf der Plattform zu halten], was polarisierende
Inhalte pusht. Stattdessen braucht es Anbieter, die gewissenhaft mit
unserem Dopamin-Haushalt und unseren Daten umgehen. Ob da eine
Gemeinwohlorientierung helfen können, wie teils gefordert wird? Im besten
Fall ja. Im schlechteren Fall wird so ein Angebot eine Nische bleiben.
Wahrscheinlicher ist daher, dass es ohne eine Reihe an Ge- und Verboten
nicht besser wird.
Ob davon auch Katzen profitieren würden? Von diesen gibt es nämlich einige
Exemplare, die beim Anblick von lustigen Katzenvideos völlig gebannt auf
den Bildschirm starren. Es könnte eine Vorstufe von brain rot sein.
11 Apr 2025
## LINKS
[1] /Social-Media-erst-ab-16/!6051179
[2] https://www.google.com/url?sa=t&source=web&rct=j&opi=89978449&a…
[3] /Social-Media-Verbot-fuer-Jugendliche/!6048934
[4] /Das-Ende-der-sozialen-Medien/!6045416
## AUTOREN
Svenja Bergt
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