# taz.de -- Debatte über Verhandlungen mit Russland: Was Transnistrien lehrt | |
> Transnistrien ist für unsere Kolumnistin ein Sehnsuchtsort geblieben. | |
> Doch unter russischer Kontrolle ist keine freie Entwicklung möglich. | |
Bild: Transnistrien, der eingefrorene Konflikt, ist die Achillesferse Moldaus | |
Genau so lange wie die Ukraine vollumfänglich von Russland angegriffen | |
wird, wird sie dazu aufgerufen, sich an den Verhandlungstisch mit dem | |
Aggressor zu setzen. Und das, bevor Russlands Truppen abgezogen sind. Diese | |
Rufe werden mittlerweile lauter. | |
[1][Die Republik Moldau] hat genau das Jahrzehnte versucht. Das Ergebnis: | |
Die russischen Truppen, die im Osten des Landes, auf dem Gebiet | |
Transnistrien, stationiert sind, befinden sich noch immer dort. | |
Fast jeden Sommer meines Lebens habe ich in [2][Transnistrien] verbracht. | |
Vom Flughafen in der Hauptstadt Moldaus Chișinău ging es vorbei an den | |
Checkpoints: Erst kamen die moldauischen Grenzbeamten, Luft anhalten bei | |
den russischen „Friedenssoldaten“, wie sie sich nennen, und zuletzt in die | |
grauen und misstrauischen Gesichter der transnistrischen Beamten blickend, | |
kam ich erst zur Ruhe, wenn ich am reich gedeckten Esstisch meiner Oma saß. | |
Mir fehlt Transnistrien als Erinnerungsort, als Ort meiner Kindheit. Ich | |
vermisse meine Oma, die kurz vor dem russischen Überfall auf die Ukraine | |
starb; ich vermisse ihr schiefes, mit Teppichen ausgelegtes Holzhaus, ihren | |
reichen Garten, und baden an dem Fluss, der Transnistrien und Moldau | |
voneinander trennt. | |
## Armut, Unterdrückung und Willkür | |
Transnistrien hat 1990 seine Unabhängigkeit erklärt – und war doch nie | |
frei. Bis heute ist es ein mafiöser Oligarchenstaat unter dem Einfluss | |
Russlands. Ein durch Armut, Unterdrückung und Willkür gezeichneter | |
Landstrich. | |
Mit jedem Jahr, das ich älter wurde, ging es den Menschen dort dreckiger, | |
wanderten die Jungen ab, nahm die Gewalt durch den Geheimdienst zu. | |
In meinem Aufwachsen in Deutschland war Transnistrien den wenigsten ein | |
Begriff. Schon als Jugendliche befremdete mich, wie sich kaum jemand dafür | |
zu interessieren schien, dass mitten in Europa, in einem souveränen Staat, | |
russische Truppen stationiert waren. | |
Ein frozen conflict, der jederzeit wieder hätte auftauen können. | |
Rückblickend verstehe ich, dass dahinter ein privilegiertes Desinteresse | |
steckte, eine romantisierte Russlandliebe des Westens, die nur den eigenen | |
Wohlstand im Blick hatte und dafür die Interessen anderer Länder Osteuropas | |
ausblendete. Mit dem 24. Februar 2022 hat sich das, wenn auch viel zu spät, | |
geändert. | |
Beide Länder, die Ukraine und Moldau, verbindet der Wunsch nach | |
Unabhängigkeit, die Erfahrung sowjetischer Herrschaft und russischer | |
Einflussnahme. | |
1994 und erneut 1999 hatte sich Russland dazu bereiterklärt, seine Truppen | |
aus Transnistrien abzuziehen – und es doch nie getan. Zahlreiche Gespräche | |
im sogenannten 5+2-Format haben minimale Verbesserungen für das Leben der | |
Menschen auf beiden Seiten bringen können, der Konflikt und die Tatsache, | |
dass sich Russlands Soldaten nicht zurückziehen wollen, konnten nicht | |
gelöst werden. Diese Erfahrung darf die Ukraine niemals machen. | |
Gerade erst feierte [3][Moldau seine Unabhängigkeit.] 33 Jahre frei von | |
sowjetischer Herrschaft. Sicher, nicht alles läuft gut in dem kleinen Land. | |
Doch es gibt eine freie Presse, freie Justiz, eine Zivilgesellschaft. | |
Moldau ist eine Demokratie, wenn auch im Lernprozess. | |
Im Oktober stehen Präsidentschaftswahlen an, in einem Referendum sollen | |
Bürger über eine EU-Mitgliedschaft abstimmen. Schon jetzt haben die | |
Versuche Russlands, Moldau zu destabilisieren, einen neuen Höhepunkt | |
erreicht. | |
Transnistrien, der eingefrorene Konflikt, ist die Achillesferse Moldaus. 33 | |
Jahre, nachdem das Land seine Unabhängigkeit erlangt hat, bleibt es ein | |
Kampf. diese auch zu garantieren. | |
Ich wünsche diese Achillesferse keinem Land, am wenigsten der Ukraine. | |
Heißt: Verhandlungen ja, aber nur, wenn Russland verschwindet. | |
30 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Erica Zingher | |
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