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# taz.de -- Kulturpolitischer Bundeskongress: Auf Ängsten gebaut
> Wenn die Rechte Kultur für sich entdeckt, braucht es dann mehr
> demokratische Kunst? Eindrücke vom Kulturpolitischen Bundeskongress.
Bild: Soziologe von der LMU München: Armin Nassehi
Das Präventionsparadox bezeichnet eine ernüchternde Situation: Scheinbar
konnten ergriffene Maßnahmen die Ausbreitung einer ansteckenden Krankheit
nicht eindämmen – doch konnte Schlimmeres so womöglich trotzdem verhindert
werden.
[1][Dass sich rechtsextremes Gedankengut epidemisch verbreitet, davon
künden nicht zuletzt die Ergebnisse der Europawahlen von letzter Woche.
Mehrheiten für Rechtspopulisten in Österreich, Italien, Frankreich zeigen]:
Mit Prävention ist nun endgültig Schluss. Die Rechten sind längst da.
Einen kreativen Umgang mit dem eigenen Scheitern pflegte man am Donnerstag
und Freitag in Berlin. Das Motto des diesjährigen Kulturpolitischen
Bundeskongresses ließ auf eine gewisse Hybris schließen oder offenbarte
zumindest Mut zur Träumerei: „Post-Polarisierung?“.
## Suchbewegung aus der Moderne
Wobei „post“ nicht lateinisch zu verstehen sei, erklärt Tobias Knoblich,
Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft, die den Kongress im
Aquino-Tagungszentrum ausrichtet. Immerhin sei die Postmoderne auch nicht
nach, sondern vielmehr aus „einer Suchbewegung aus der Moderne heraus“
entstanden.
[2][Von Post-Polarisierung sprechen ließe sich womöglich in Polen. Immerhin
hat die regierende rechte PiS-Partei dort bei den Parlamentswahlen vor acht
Monaten die Mehrheit verloren. Doch der Eindruck täuscht. Rechte Parteien
haben in Polen weiterhin großen Zulauf, sagt Przemysław Sadura,
Soziologieprofessor an der Uni Warschau.]
Nun habe zwar das liberal-konservative Wahlbündnis KO gewonnen, sich dafür
aber ebenso populistischer Methoden bedient, sagt Sadura. Auch die Partei
von Ministerpräsident Donald Tusk habe Stimmung gegen Geflüchtete im Land
gemacht und politische Gegner mit Hate Speech überzogen.
## Wie resilient sind die Institutionen?
Da die populistische Gefahr in Polen mitnichten gebannt ist, steht
irgendwann die Frage nach der Resilienzfähigkeit von Kulturinstitutionen im
Raum. Wie Moderator Jochen Butt-Pośnik berichtet, sei die PiS-treue
Führungsriege aus den Institutionen mittlerweile entfernt worden. [3][Als
ausreichend und nachhaltig empfinden die Panelteilnehmer:innen diese
Maßnahme allerdings nicht, immerhin kann der Vorgang bei neuen
Machtverhältnissen leicht wieder rückgängig gemacht werden.]
In der Kulturpolitik ist die zweite Worthälfte Politik richtungsweisend.
Während [4][Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne)] in ihrer
Eröffnungsrede Ansprüche formuliert, dass insbesondere junge Menschen
Zugänge zu Kultur finden, sie als Ausdruck einer demokratischen
Gesellschaft fungieren soll, ist [5][der Soziologe Armin Nassehi] in seiner
Keynote zurückhaltender.
Vielleicht sei es ein Fehler, von der Kultur stets nur das Gute zu
erwarten, sagt er. „Kultur kann die Lösung sein“ – müsse aber immer auch
Problem bleiben. Kulturpolitik und Kultur erreichen sich nie, sagt Nassehi.
Erstere formuliere Leitbilder und entwerfe Bahnen, Kultur sei indes nur
gut, wenn sie Abweichung ist, nicht Abbild von Politik oder Wissenschaft.
## Kultur und Jugend und Bildung
Leitbilder und politische Arbeit standen auch in der anschließenden
Diskussionsrunde im Fokus. Muchtar Al Ghusain ist Kulturdezernent der Stadt
Essen (SPD), betont aber sogleich, dass er seine Funktion nur unzureichend
ausfüllen könnte, wenn er nicht auch für die Bereiche Jugend und Bildung
zuständig wäre.
Wie so viele Kommunalpolitiker:innen berichtet auch Al Ghusain,
dass Kultur die Essener Jugendlichen kaum erreiche und er zudem immer
konservativeren Einstellungen begegne. Ingolfur Blühdorn, Professor für
soziale Nachhaltigkeit an der Wirtschaftsuniversität Wien, gibt eine
allgemeine Diagnose ab. Das Zukunftsbild einer immer demokratischer
werdenden Gesellschaft sei in jüngster Zeit zerfallen, so Blühdorn.
Die etablierte Ordnung sei nicht mehr haltbar, ihr Reparaturkasten habe
sich als unzureichend erwiesen. Damit sich die politische Situation nicht
hin zu einer Katastrophe verschärfe, müssten die großen Parteien endlich
davon abrücken, die Verteidigung des Wohlstands zum Kern ihres Handelns zu
machen, so der Politikwissenschaftler.
Nun machen sich rechte Parteien wie die AfD zwar die Ängste der Ärmeren
zunutze, sind aber an einer Umkehrung der (Eigentums-)Verhältnisse
bekanntermaßen wenig interessiert. Für Populisten steht weiterhin die
Ästhetisierung der Politik an erster Stelle, wie sie Walter Benjamin 1935
in seinem Pariser Exil festhielt: Der Faschismus sieht sein Heil darin,
„die Massen zu ihrem Ausdruck (beileibe nicht zu ihrem Recht) kommen zu
lassen“.
So sagt auch Beate Küpper, Professorin für Sozialwesen an der Hochschule
Niederrhein, in Reaktion auf Blühdorn, dass Armut und AfD nicht im direkten
Verhältnis zueinander stehen. Sie glaubt eher, dass der Aufstieg der
Rechten sich auch durch jene rechten Erzählungen erkläre, denen zu viel
Raum gegeben worden sei.
Anstatt etwa reale Ängste vor Hass und Hetze zu thematisieren, sei zu viel
über Wutbürger gesprochen worden, „die wir mit Diversität angeblich
überfordern“, so Küpper. Sie plädiert für ein selbstbewusstes Auftreten u…
gibt konkrete Handlungsempfehlungen. Kulturpolitik dürfe nicht einknicken
vor Rechten und vor allem „nicht das letzte linke Kulturzentrum im Ort
schließen“, sagt Küpper. Immerhin sei Kultur das Haupttätigkeitsfeld der
Neuen Rechten.
16 Jun 2024
## LINKS
[1] /Kultur-in-den-EU-Wahlprogrammen/!6015205
[2] /Kulturpolitik-in-Polen/!5981408
[3] /Kultur-Buendnis-gegen-Rechtsextremismus/!6003996
[4] /Roth-ueber-politische-Herausforderungen/!5901185
[5] /Sachbuch-Unbehagen-von-Armin-Nassehi/!5806870
## AUTOREN
Julia Hubernagel
## TAGS
Kulturpolitik
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