# taz.de -- Kulturpolitik in Polen: Ans Eingemachte | |
> In Polen erweist sich der Machtwechsel politisch und gesellschaftlich als | |
> kompliziert. Und im Kulturbereich drohen Budgetkürzungen. | |
Bild: Hat viel zu tun: die frischgebackene Regierung von Donald Tusk in Warschau | |
WARSCHAU taz | Trotz des historischen Wahlsiegs der Opposition bei den | |
polnischen Parlamentswahlen im vergangenen Herbst, der den Anfang vom Ende | |
der achtjährigen Amtszeit der rechtspopulistischen Regierungspartei PiS | |
einläutete, erwies sich der eigentliche Prozess der Machtübergabe an den | |
[1][Wahlsieger Donald Tusk] bislang als Herausforderung. | |
Ein Vorgeschmack auf die Mühen, die nach zwei quälenden Monaten des Wartens | |
bevorstanden, war die Vereidigung des neuen Kabinetts just am 13. Dezember | |
durch Staatspräsident Andrzej Duda. Diesen Termin hatte das Staatsoberhaupt | |
bewusst gewählt, ist es doch zugleich der Jahrestag der Ausrufung des | |
Kriegsrechts durch die kommunistischen Machthaber unter General Jaruzelski | |
1981. Jaruzelski glaubte damit seinerzeit einer sowjetischen Invasion | |
zuvorzukommen. | |
Duda verlegte die Vereidigung allein deshalb auf diesen Tag, um Vergleiche | |
anstellen zu können zwischen der neuen prowestlich orientierten | |
linksliberalen Regierung und den prosowjetischen polnischen Machthabern der | |
frühen Achtziger. Durch die Linksliberalen stünde [2][in Polen], laut Duda, | |
ein neuer „Kommunismus“ bevor, was die PiS-Mission vom „Make Polen great | |
again“ unterminiere. | |
War das ein wohlgesetzter Nadelstich oder doch eher ein verzweifelter | |
Stunt, mit dem Duda nochmals seine präsidialen Muskeln spielen ließ, bevor | |
er auf die Zielgerade seiner Amtszeit einbiegt? | |
## Verzögerungstaktik gescheitert | |
Duda – stets loyal zur PiS-Partei – tat alles, um die Machtübergabe zu | |
verzögern: Zunächst dehnte er die parteiinternen PiS-Beratungen auf einen | |
Monat aus, um dann Mitte November den bisherigen Amtsinhaber, Mateusz | |
Morawiecki, erneut zum Premierminister zu ernennen, obwohl die PiS am 15. | |
Oktober klar die Mehrheit verfehlt hatte. | |
Ein arg durchsichtiges Manöver, zumal bei einer Partei, die | |
Rechtsstaatlichkeit regelmäßig missbraucht hat, um sie nach Gutdünken außer | |
Kraft zu setzen. Letztendlich blieb das Intermezzo aber eine leere | |
politische Geste, da die Interimsregierung schnell wieder von der | |
Parlamentsmehrheit abgewählt wurde. | |
In seiner Regierungserklärung betonte der neue Premierminister Donald Tusk | |
die Notwendigkeit, den Zusammenhalt der polnischen Gesellschaft zu stärken, | |
nachdem diese in den zurückliegenden Jahren demoralisiert worden war und | |
erheblich unter der Aushöhlung des Rechtsstaats durch die PiS zu leiden | |
gehabt hatte. Tusk verglich den gegenwärtigen Moment in der Geschichte des | |
Landes mit dem Wirbel, den die Demokratiebewegung unter Anschub der | |
Gewerkschaft Solidarność 1980 entfacht hatte, und mit den ersten freien | |
Wahlen am 4. Juni 1989. | |
Die Rückkehr von Tusk als Premierminister ist der Beweis, dass Polen das | |
Zweiparteiensystem nach wie vor nicht überwunden hat. Wahlsieger müssen | |
hier grundsätzlich einen antikommunistischen Background haben und ihre | |
Opponenten zugleich als Kommunisten abwerten. Eine Konsequenz: Obwohl das | |
neue linke Bündnis Lewica ebenfalls Teil der Regierungskoalition ist, | |
sitzen seine Vertreter:innen nicht mit auf der Regierungsbank. | |
## PiS-Propagandaberieselung abgestellt | |
Tusk erinnerte auch an das Manifest des „grauen Manns“, das Piotr | |
Szczesny verfasste, bevor er sich 2017 vor dem im stalinistischen Stil | |
erbauten Justiz- und Kulturpalast in Warschau verbrannt hat, aus Protest | |
gegen die Polarisierung der polnischen Gesellschaft durch die PiS und ihr | |
populistisches, antiwestliches und ausländerfeindliches Politikverständnis. | |
Man könnte diese Geste von Tusk als sentimental abstempeln – oder aber als | |
Zeichen dafür werten, dass seine neue Regierung angetreten ist, um alles, | |
was die Vorgänger angerichtet haben, rückgängig zu machen. | |
Was bedeutet das in der Praxis? Es geht jedenfalls sofort ans Eingemachte. | |
Zunächst mussten die offensichtlichsten Elemente der | |
PiS-Propagandaberieselung in den landesweiten Medien abgeschaltet werden. | |
Als erste Amtshandlung enthob Kulturminister Bartłomiej Sienkiewicz quasi | |
über Nacht die Leitungsebene der öffentlich-rechtlichen TV- und Radiosender | |
ihrer Ämter. Das führte zu Protesten, wenngleich nur 150-prozentige | |
PiS-Parteimitglieder wirklich laut über diese Entscheidung murrten. | |
Und natürlich [3][Staatspräsident Duda, der sein Veto gegen eine staatliche | |
Finanzierung der Öffentlich-Rechtlichen einlegte], weil die Entlassungen | |
angeblich einen Bruch geltender Gesetze darstellen. Diese Säuberung könnte | |
letztendlich zu einem Niedergang der öffentlich-rechtlichen | |
Medienlandschaft Polens führen, zumindest müssen die Sender ein Ende ihrer | |
staatlichen Alimentierung befürchten (das Geld soll stattdessen in die | |
Krebsforschung fließen). | |
Das lässt ähnlich gemischte Gefühle aufkommen wie nach dem Austausch von | |
PiS-treuem Personal in den Kulturinstitutionen. Denn der ging Hand in Hand | |
mit dem politischen Willen, gleich die Budgets der Institutionen zu | |
beschneiden. | |
So erging es etwa Janusz Janowski, dem Direktor des [4][Nationalmuseums | |
Zacheta Galerie,] der als Gestalter von nationalistischen Setzungen beim | |
polnischen Pavillon für die Kunstbiennale Venedig berufen worden war, aber | |
nun ebenfalls entlassen wurde. Folgt also aus dieser Politik, dass Kultur | |
nur noch nach marktwirtschaftlichen Gegebenheiten funktioniert, dass Kultur | |
also nur möglich ist, wenn sie sich finanziell selbst trägt? | |
## Wohlfahrtsstaat stärken, Ukraine unterstützen | |
Immerhin gibt es Signale, dass die neue Tusk-Regierung nicht vollkommen | |
marktgläubig ist. So sprach sie sich ausdrücklich dafür aus, den | |
Wohlfahrtsstaat zu stärken, etwa in der Förderung von Kindern im Programm | |
„500 Złoty plus“. Solche Politikelemente fehlten in Tusks erster | |
Regierungszeit als Premier von 2007 bis 2014. | |
Außerdem verspricht die Regierungskoalition, die Löhne im | |
Dienstleistungssektor zu erhöhen, Lehrerinnen und Ärzte sollen mehr Geld | |
bekommen. Für das Gesundheitswesen werden die öffentlichen Ausgaben erhöht, | |
ebenso für den Bau von Sozialwohnungen. Auch soll die Finanzpolitik | |
transparenter gehandhabt werden. | |
Die frischgebackene Regierung garantiert auch, dass sie EU-Fördergelder | |
nicht mehr blockieren wird. Diese werden in Polen als „Nationales | |
Gesundungsprogramm“ deklariert und unterstützen etwa die Umstellung auf | |
erneuerbare Energien und die Modernisierung der polnischen Wirtschaft. Die | |
erste Tranche wurde von EU-Präsidentin Ursula von der Leyen bereits | |
angewiesen. | |
Entscheidend sein wird nun zudem, dass der Verfassungszusatz über ein | |
striktes Verbot der Abtreibung zurückgenommen wird. Ob es dazu kommt, ist | |
allerdings fraglich. Christdemokraten und Bauernpartei, beide Teil der | |
Regierungskoalition, wollen davon bisher nichts wissen. Ähnlich verhält es | |
sich bei der gesetzlichen Verankerung von gleichgeschlechtlichen | |
Partnerschaften. | |
Die durch den Handelsstreit [5][ramponierten Beziehungen zur Ukraine] | |
müssen im Lichte der neuerlichen brutalen russischen Bombardements auf das | |
Nachbarland dringend verbessert werden. In seiner Regierungserklärung | |
betonte Tusk daher gleich ein Bedürfnis nach mehr „Sicherheit“. Ein | |
geschickter Schachzug. | |
Tusk betont damit die Notwendigkeit, die Ukraine aktiv in der Abwehr des | |
russischen Angriffs zu unterstützen, und stärkt zugleich die Position | |
Polens innerhalb der EU, auch in der Staatengemeinschaft nötige Gelder für | |
die bessere militärische Ausrüstung der Ukraine zu mobilisieren. | |
## Reparatur der Gesellschaft | |
Ende Dezember kam Tusk zum Antrittsbesuch nach Brüssel, nun folgt ein | |
Besuch in Estlands Hauptstadt Tallinn, wo er mit seinen baltischen | |
Amtskolleg:innen über den Grenzschutz sprechen wird. In den vergangenen | |
zweieinhalb Jahren sah sich das Baltikum an der EU-Außengrenze einem | |
hybriden Krieg seitens Belarus und Russlands ausgesetzt. Die beiden | |
Diktaturen benutzten dafür Flüchtlinge, vor allem aus dem Mittleren Osten, | |
die sie über die Grenzen schleusten. Tusk hat sich dafür ausgesprochen, | |
stärker auf die humanitäre Situation der Flüchtlinge zu achten. | |
Woran es ihm allerdings mangelt, ist eine Vision, wie genau die Rolle | |
eigentlich aussehen soll, die Polen im Konzert Europas und in der Welt | |
zukünftig spielen soll. Er hat sich noch nicht dazu geäußert, was passiert, | |
wenn Donald Trump im November die US-Wahl gewinnen sollte, wie sich Polen | |
Russlands aggressiver Expansionspolitik entgegenstellen muss und was Polen | |
tun kann, um einen Flächenbrand im Nahen Osten zu verhindern. | |
Im Lichte des beschädigten polnischen Selbstwertgefühls wird der Fokus der | |
neuen Regierung in den ersten Monaten sicherlich auf der Reparatur der | |
Gesellschaft liegen und auf der Beseitigung von Altlasten ihrer Vorgänger | |
im Amt. Allein die Tatsache, dass Tusk und seine Leute Minderheiten wie | |
LGBTQ und Migranten nicht gleich attackieren, ist schon mal eine gute | |
Nachricht. Dennoch bleibt die Frage unbeantwortet, welche frischen Ideen | |
die Regierung entwickeln wird, um die polarisierte Gesellschaft wieder zu | |
einen. | |
In seiner Antrittsrede erwähnte Tusk etwas oft Papst Johannes Paul II. | |
[6][und die katholische Kirche], als wäre das Heraufbeschwören jener | |
antiquierten Art von polnischer Identität unverzichtbar. Gut, dass es in | |
seiner Regierungsmannschaft eine Reihe schlauer, linksliberaler | |
Politikerinnen wie die Familienministerin Agnieszka Ewa Dziemianowicz-Bąk | |
gibt, denn damit wächst die Hoffnung, dass sie die polnische Politik nach | |
innen und außen zukunftsfähig gestalten können. | |
Aus dem Englischen von Julian Weber | |
5 Jan 2024 | |
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## AUTOREN | |
Agata Pyzik | |
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