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# taz.de -- Gelungener Museumsbau in Warschau: Warschaus Himmel, sanft gefiltert
> Das Museum für Gegenwartskunst in Warschau hat einen Neubau: Ein Sinnbild
> für die aufatmende Kulturszene nach acht Jahren PiS-Regierung.
Bild: Muss es mit einem Koloss aufnehmen: Das Museum für Gegenwartskunst in Wa…
Als habe jemand einen monumentalen weißen Betonrohling mit dem groben
Schnitzmesser verarbeitet und mitten auf den Platz gestellt. Das denkt man
beim Anblick des neuen Museums für Gegenwartskunst in Warschau. Der Neubau,
der wie eine Skulptur aussieht, steht direkt neben dem Kulturpalast aus den
1950ern, einem seit Jahrzehnten umstrittenen Geschenk der stalinistischen
Sowjetunion. Rings um das „vergiftete Geschenk“ gähnt urbane Leere. Näher
als der weiße Rohling hat sich noch kein Gebäude an den reich verzierten
Kulturpalast gewagt – und das ist auch ein Auftrag dieses Neubaus.
Mit dem Muzeum Sztuki Nowoczesnej, kurz MSN, soll der städtische Leerraum
in Warschaus Zentrum zurückerobert werden. Deswegen entsteht gleich neben
dem Museum ein weiterer Neubau für das renommierte Teatr Rozmaitości.
Entworfen hat beide Gebäude der US-amerikanische Architekt Thomas Phifer,
der 2014 einen internationalen Architekturwettbewerb dafür gewann. Phifer
habe die zwei Häuser als Ur-Architektur entworfen, hieß es: Schwere,
weitgehend geschlossene, fast abstrakte Körper, das Museum aus weißem
Beton, das Theater aus schwarzem Stahl.
Das verleihe den zwei Häusern genügend Gewicht, um neben dem ungleich
höheren Kulturpalast und dessen alles erdrückender Präsenz bestehen zu
können. Weil Gelder fehlen, verzögert sich der Bau des Theaters allerdings.
Überhaupt ist alles um das Museum eine große Baustelle, denn auch der
autofreie Platz zwischen Museum, Theater und Kulturpalast wird neu
gestaltet. Es könnte tatsächlich ein großer Wurf werden für Warschau.
Davon ist auch Joanna Mytkowska überzeugt. Sie ist seit 2007 die
Direktorin des MSN. Wie so viele andere Museen und Institutionen im Land
wurde auch ihr Haus bald nach Polens EU-Beitritt 2004 gegründet und mit
EU-Mitteln kofinanziert. Seitdem aber war das Museum ein Nomade, trotz
seiner stetig wachsenden Sammlung – unter anderem mit Werken von jungen
Künstlerinnen wie [1][Nikita Kadan] oder [2][Sandra Mujinga]: Erst
bespielte man sehr erfolgreich ein leeres Möbelhaus im Stadtzentrum, das
aber abgerissen wurde, dann nutzte man sogar die Temporäre Kunsthalle vom
Berliner Schlossplatz, die man 2016 von der Spree ans Ufer der Weichsel
geholt hatte.
Mit Phifers strahlend weißem Neubau ist die Zeit des Umherziehens vorbei.
Im Oktober und November will man das Haus mit einem dreiwöchigen Festival
„erobern und gemeinsam mit dem Publikum erkunden“, so Mytkowska. Das
Interesse sei riesig, sagt Mytkowska, man rechne mit Tausenden
Besucher*innen.
## Für die Lichtführung gerühmt
In Europa weniger bekannt, hat sich Thomas Phifer in den USA einen Namen
mit einer Museumsarchitektur gemacht, die für ihre Lichtführung gerühmt
wird. Auch das nach außen hin überwiegend geschlossene MSN bietet innen
weite Hallen, die meisten Räume sind gut acht Meter hoch. Über ein
weitgehend verglastes Erdgeschoss sind um ein offenes Doppeltreppenhaus
zwei Etagen gestapelt.
Auf denen verändern sich die Ausstellungsräume ständig: Mal hoch und weit,
mal kompakt und geschlossen, mit immer wieder anderen Fenstern zur Stadt,
zum Himmel oder – auf der obersten Etage schließlich – mit durchgehender
Lichtdecke, die das Tageslicht des Warschauer Himmels sanft gefiltert in
die Räume fallen lässt. Eine „Vitrine des Lichts“ nennt Phifer sein
Gebäude.
Weite, Licht, Luft, Bewegung. Phifers Entwurf ist zwar schon zehn Jahre
alt, erscheint heute aber wie ein Sinnbild für die aktuelle Stimmung in
Warschaus Kulturszene. Denn nach acht Jahren unter einer erzkonservativen,
rechtsnationalistischen Landesregierung der PiS-Partei atmen viele auf.
Offen ist der Bau, das verglaste Erdgeschoss kann von allen Seiten betreten
werden.
Seine lichte Foyerlandschaft ist kostenfrei, Eintritt wird erst für die
Ausstellungen in den Obergeschossen verlangt. So wird das Museum zur
öffentlichen Passage, alle Menschen sollen hereinkommen, egal, wie oft
diese sonst in ein Kunstmuseum gehen und egal, welcher Partei sie
angehören.
## Kulturkampf von rechts
Solche Sätze lassen im heutigen Polen aufhorchen. Erst im Dezember 2023 ist
die PiS abgewählt worden, nachdem sie die Gesellschaft viele Jahre
gespalten und einen ausgedehnten Kulturkampf von rechts betrieben hat. Der
wurde insbesondere in den Museen ausgefochten. Landesweit ließen die
Rechtsnationalen Direktorenposten mit Kandidaten neu besetzen, die der
Parteilinie treu waren. In Warschau etwa hatte man den Kunsthistoriker
Piotr Bernatowicz 2020 der renommierten Galerie im Schloss Ujazdów
vorgesetzt.
Seine Qualifikation: Er hatte zuvor als Leiter eines öffentlich-rechtlichen
Radiosenders eine aggressive Kampagne gegen Abtreibungen initiiert in eben
dem Jahr, in dem die PiS Schwangerschaftsabbrüche verbot.
In Danzig hatte [3][die PiS 2017 erfolgreich gegen den Direktor des neuen
„Museums für den Zweiten Weltkrieg“, Paweł Machcewicz, agitiert]. In dess…
Ausstellungen käme die nationale Perspektive Polens zu kurz, fand die
Partei. Kurz nach der Eröffnung wurde Machcewicz entlassen und durch einen
PiS-nahen Historiker ersetzt, der die Ausstellungen entsprechend den
Partei-Erzählungen überarbeitete.
Auch in Warschau kann man sich anschauen, wie das Polen-Bild der PiS
ungefähr aussehen sollte. Auf dem Gelände der Zitadelle nördlich der
Altstadt hatte die Partei noch vor ihrer Abwahl den Bau zweier staatlicher
Museen energisch vorangetrieben: das Museum der Polnischen Geschichte, ein
gewaltiger Protzbau, der mit 190 Metern Länge, 65 Metern Breite und 25
Metern Höhe fast doppelt so groß ist wie das MSN. Die Fassaden sind aus
portugiesischem Marmor.
Daneben steht das Museum der Polnischen Armee, fast genauso groß und mit
einer Hülle aus rötlichem Beton. Der Standort auf dem Zitadellengelände ist
so symbolisch wie die Größe dieser Häuser. Denn obwohl die Befestigung im
19. Jahrhundert von den russischen Zaren gegen die polnischen
Aufständischen errichtet wurde, gilt sie heute als Symbol polnischer
Widerstandskraft.
## Turbulenzen im Kulturbetrieb
Aktuell sind beide Museen geschlossen, ihr kolossaler Vorplatz ist
verwaist, an den Ausstellungen werde gearbeitet, heißt es. Der Direktor des
Geschichtsmuseum, Robert Kostro, den die PiS noch eingesetzt hatte, ist
bereits wieder entlassen und durch den Kunsthistoriker Marcin Napiórkowski
ersetzt worden. Die neue Regierung um Donald Tusk hatte unmittelbar nach
den Wahlen angekündigt, [4][die Besetzung der Kulturposten im Land
gründlich zu prüfen]. Die PiS spricht nun von einer „Cancel Culture“ – …
Rhetorik der öffentlich wehleidigen Opferrolle beherrscht sie ebenso gut
wie die FPÖ in Österreich oder die AfD in Deutschland.
Joanna Mytkowska hat diese Turbulenzen im polnischen Kulturbetrieb
überstanden, obwohl auch ihr Haus teils vom PiS-geführten Kulturministerium
abhing. Sie habe wohl einfach Glück gehabt, sagt sie. In den letzten zehn
Jahren habe sie höchstens halbtags als Direktorin gearbeitet und ansonsten
den Neubau geplant. Ihre Kündigung hätte den Zeitplan für den Neubau
gefährdet. Sie sei jetzt sehr glücklich, über das neue Haus und die
Ablösung der PiS als stärkste Kraft sowohl bei der polnischen Landes- wie
auch bei der Europawahl.
Vom „Ende einer Ära“ spricht sie und davon, dass es jetzt an der Zeit sei,
die Spaltung der Gesellschaft aktiv zu überwinden und „Brücken zu bauen“.
Dafür will sie das weiß leuchtende MSN in Warschaus Zentrum verwenden, das
Ur-Haus eines amerikanischen Architekten neben dem stalinistischen
Zuckerbäckerpalast.
24 Oct 2024
## LINKS
[1] /Kuratorin-ueber-bildende-Kunst-im-Krieg/!5914669
[2] /Kuenstlerin-Sandra-Mujinga-in-Leipzig/!5980701
[3] /Erinnerungspolitik-in-Polen/!5390721
[4] /Kultur-nach-der-PiS-Aera/!5996897
## AUTOREN
Florian Heilmeyer
## TAGS
Gegenwartskunst
Museum
Warschau
Polen
Kulturkampf
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Stadtplanung
Polen
Kulturpolitik
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