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# taz.de -- Deutsch-polnisches Schulbuch: „Unsere Geschichte – Nasza histor…
> Das deutsch-polnische Schulbuch „Europa“ ist nach zwölf Jahren
> Zusammenarbeit auf beiden Seiten fertig. Aber ob es zum Einsatz kommt,
> ist unklar.
Bild: Warschau, Polen, 19. April 2023: Schweigeminute am Mahnmal, das an die De…
Warschau taz | Die Idee schien genial zu sein: Polnische und deutsche
Kinder lernen aus einem gemeinsamen Schulbuch, diskutieren offen und
kritisch über Geschichte und Gegenwart und werden schließlich Freunde – bei
einem gemeinsamen Skiausflug, einem Segeltörn oder Theaterworkshop. Dass es
ganz so leicht und harmonisch nicht werden würde, war den Initiatoren des
Schulbuchs „Europa. Unsere Geschichte“ und „Europa. Nasza historia“ von
vornherein klar.
[1][Doch die Begeisterung überwog. 2008 begannen Dutzende Wissenschaftler,
Lehrer und Lehrerinnen auf beiden Seiten der Grenze am Projekt zu
arbeiten], trafen sich immer wieder, schrieben Texte, wählten Bilder,
Landkarten und historische Quellen aus, bis nach langen zwölf Jahren alle
vier Bände in Deutschland und acht Bände in Polen fertig waren.
Doch wer gedacht hatte: „Ende gut, alles gut“, sah sich getäuscht. Denn den
Praxistest hat das Werk noch immer nicht bestanden. In Deutschland wird
„Europa. Unsere Geschichte“ auch 2025 nur sporadisch, in Polen an keiner
einzigen Schule eingesetzt. [2][Die neue Mitte-links-Regierung] unter
Donald Tusk will gründlich reformieren.
Rund 20 Prozent des bisherigen Lernstoffs sollen gestrichen und überhaupt
das ganze Lernkonzept überarbeitet werden: weg vom Auswendiglernen
tausender Fakten, hin zum Einüben von Problemlösungskompetenzen am Beispiel
von historisch wichtigen Ereignissen. „Wir brauchen noch einen langen
Atem“, lacht Malgorzata Glinka vom Lehrerfortbildungszentrum in Warschau.
„Aber ich bin optimistisch.“
„Mir gefällt das Buch gut“, lobt Marcin (14) den vierten Band von „Europ…
Unsere Geschichte“. Der junge Pole geht in die achte Klasse des sogenannten
„deutschen Zuges“ der Willy-Brandt-Schule im Warschauer Stadtteil Wilanów.
Zurzeit beschäftigen sich die 22 Jugendlichen aus Polen, Deutschland und
der Ukraine mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Beginn der Weimarer
Republik. „Vor allem die Karten sind gut“, sagt Marcin.
Julia (15) aus Deutschland deutet auf ein paar Bilder: „Die sind wichtig.
Da kann ich mir gleich viel besser vorstellen, wie das damals war. Und
durch die Zeitleisten kommt man bei den Jahreszahlen nicht durcheinander.“
Zum Lernen für eine Klassenarbeit würden die beiden und auch Sofiia (14)
aus der Ukraine das Schulbuch „Zeitreise“ für die 7. und 8. Klasse
vorziehen. „Die Texte sind kürzer und viel einfacher“, sagt Sofiia, räumt
aber ein: „Ich lerne ja noch Deutsch. Ich muss viele Worte nachgucken.“
## „Leuchtturm deutsch-polnischer Beziehungen“
Doch als der Geschichtslehrer Wolfgang Zehetbauer fragt, was denn eine
Demokratie von einer Diktatur unterscheidet, kann niemand in der Klasse die
Unterschiede benennen. „Ich verwende ‚Europa. Unsere Geschichte‘ gerne im
Unterricht, aber nur sporadisch. Denn auch als Auslandsschule sind wir an
Curricula gebunden“, erklärt er. Eigentlich kommt er aus der
österreichischen Hauptstadt Wien, lebt aber schon seit zehn Jahren in
Warschau. Für die Sekundarstufe I, also die Klassen 5 bis 9, arbeite die
deutsch-polnische Begegnungsschule eigene Lehrpläne aus, die sie jedes Jahr
bei der Kultuskonferenz zur Genehmigung einreichen müsse. „Da sind wir
etwas freier und können auch mehr polnische Themen einbauen“, so
Zehetbauer.
In der Sekundarstufe II, also in den Klassen 10 bis 12, seien die
Kerncurricula der Kultusministerkonferenz für Auslandsschulen
verpflichtend. „Da die Abitur-Prüfungsfragen zentral formuliert werden,
haben wir da weniger Gestaltungsfreiraum“, erklärt der 38-Jährige. Aber als
Themeneinführung eigne sich ‚Europa. Unsere Geschichte‘ auch hervorragend
für die 12. Klasse. Was allerdings fehle, seien Definitionen wie
‚Demokratie, Diktatur, Partei‘, usw. „Da wäre es gut, bei einer Neuaufla…
ein Begriffslexikon am Ende des jeweiligen Bandes anzufügen“, so
Zehetbauer.
„Ein Leuchtturm der deutsch-polnischen Beziehungen sollte das Schulbuch
werden, ein Vorbild für viele andere Nachbarländer“, beschwört Violetta
Julkowska, die polnische Co-Vorsitzende der Deutsch-Polnischen
Schulbuchkommission, den Geist der ersten Stunde herauf. Die Kommission
beschäftigt sich seit 1972 mit der Analyse von Geschichts- und
Geografie-Schulbüchern in Deutschland und Polen, formuliert Empfehlungen
und koordinierte seit 2008 die Entwicklung des vollkommen neuen Schulbuchs
‚Europa. Unsere Geschichte‘ und ‚Europa. Nasza historia‘.
## Bestes polnisches Schulbuch 2024
„Natürlich war uns klar, dass es schwer werden würde. Denn wir mussten
nicht nur die Lehrpläne von 16 deutschen Bundesländern berücksichtigen,
sondern auch die vollkommen anderen Anforderungen an Kinder in polnischen
Schulen“, so die Professorin [3][für Geschichtsdidaktik an der Universität
Posen]. Wie ein Happy End erschien ihr daher die Auszeichnung von „Europa.
Nasza Historia“ als bestes Geschichts-Schulbuch in Polen durch die
Polnische Akademie der Wissenschaften (PAU) in Krakau am 15. Juni 2024.
„Sobald die ersten Bestellungen eingehen, werfen wir die Druckmaschinen
an“, freute sich im Innenhof der altehrwürdigen Akademie auch Waldemar
Czerniszewski, der Direktor des Schulbuch-Verlags WSiP.
Zu der kleinen Gruppe, die an einem Stehtisch im Innenhof der Akademie mit
einem Glas Sekt den Preis für das beste polnische Schulbuch im Jahr 2024
feiert, gesellt sich auch Marcin Wiatr vom Leibniz-Institut für
Bildungsmedien /Georg-Eckert-Institut in Braunschweig. Er legt einen dicken
Packen Schulbücher auf einem Nebentisch ab, nickt noch schnell einem
vorübergehenden Bekannten zu und hebt das Glas: „Wir haben es geschafft!
Erst 2021 der Preis in Deutschland für unser Schulbuch, jetzt hier in
Polen. Besser kann es doch gar nicht sein!“ Auch dieses Institut kann sich
wie die Polnische Akademie der Wissenschaften mit Sitz in Berlin zu den
Vätern des Erfolgs zählen. Sie hatten die wissenschaftliche Aufsicht über
das ganze Projekt. „Jetzt können wir das Schulbuch für das Internet
fitmachen“, sagt Wiatr. „Die ersten Module sind schon fertig.“
Die Jugendlichen in der achten Klasse der Willy-Brandt-Schule können sich
nach einer Stunde Geschichtsunterricht kaum noch konzentrieren. Nach der
Doppelstunde sollen sie gleich in einem anderen Fach einen Test schreiben.
Einige versuchen noch schnell etwas zu lernen. Ein Schüler schnippt
Metallkügelchen durch die Gegend, ein anderer wippt so stark mit seinem
Stuhl, dass er umfällt. Lehrer Zehetbauer greift zu einem bewährten Mittel,
um seine zweite Stunde noch zu retten: Er startet das Internet und bittet
alle Kinder, ihre Schul-Tablets von der Ladestation zu holen.
## Geschichtsquiz am Tablet
Innerhalb von Minuten hat jeder den Geschichtsquiz geladen. Die Fragen
werden auch auf der großen weißen Tafel, die als Bildschirm dient,
angezeigt. Die meisten machen begeistert mit. Wettkampfstimmung macht sich
breit: Wer wird die meisten richtigen Antworten haben?
Parallel zum deutschen Zug an der Willy-Brandt-Schule in Warschau gibt es
auch einen polnischen. Dort beginnen Kinder mit polnischer Muttersprache in
der ersten Klasse, bekommen in den nächsten Klassen immer mehr
Deutschunterricht, der sie dazu befähigt, ab der 10. Klasse auch am
deutschsprachigen Unterricht teilzunehmen und am Ende der 12. Klasse das
deutsche internationale Abitur abzulegen.
„Das ist natürlich ein großer Erfolg, dass das Bildungsministerium in
Warschau nun auch der polnischen Version von „Europa. Unsere Geschichte“
eine Zulassungsnummer gegeben hat“, erklärt Rüdiger Bott, der Direktor der
Willy-Brandt-Schule. „Dennoch werden wir es nicht gleich einführen. Der
Kauf eines neuen Schulbuchs für gleich vier Klassenstufen muss gut überlegt
sein. Auf dem Prüfstand stehen nicht nur die Finanzen, sondern vor allem
das Curriculum.“
Die Neufassung der Lehrpläne für alle Fächer und Klassenstufen soll Ende
2025 abgeschlossen sein. „Was passieren kann“, erklärt Bott, „ist, dass …
neue Curriculum mit dem gerade erst zugelassenen Schulbuch nicht mehr
kompatibel ist und es daher schon im nächsten oder übernächsten Jahr als
veraltet ausgemustert werden müsste.“
## „Wir bleiben am Europa-Ball“
Nach der jahrelangen Blockade des deutsch-polnischen Schulbuchs durch die
rechtspopulistische Partei „Recht und Gerechtigkeit“, die von 2015 bis Ende
2023 die Regierung in Polen stellte, könnte nun ausgerechnet die
Mitte-links-Regierung unter Donald Tusk das gemeinsame Schulbuchprojekt
doch noch zu Fall bringen.
„Nein, nein“, widerspricht dem aber entschieden der Geschichtsprofessor
Hans-Jürgen Bömelburg von der Universität Gießen: „Wir bleiben am
Europa-Ball“. Er teilt sich den Vorsitz der deutsch-polnischen
Schulbuchkommission mit der Geschichtsdidaktik-Professorin Violetta
Julkowska von der Universität Posen. „Wir sehen die Zukunft des
deutsch-polnischen Schulbuchs vor allem im Internet. Das entwickeln wir
kontinuierlich weiter.“ Das Schulbuch werde wohl nie auf Massenbasis im
Unterricht eingesetzt werden, aber diejenigen, denen die deutsch-polnischen
Beziehungen wirklich am Herzen liegen, könnten auf die Internet-Module des
Schulbuchs zugreifen. „Dafür wird die Kommission sorgen“, so Bömelburg: �…
Deutschland wie in Polen!“
21 May 2025
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## AUTOREN
Gabriele Lesser
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