| # taz.de -- Widerständige Kunst aus Osteuropa: Als die Kunst den Kontakt mit d… | |
| > Die Stiftung der Wiener Bank Erste Group will mittels anarchischer Kunst | |
| > Demokratiearbeit in Osteuropa leisten. Ein Besuch in Warschau und Wien. | |
| Bild: Wiederaufführung der Performance „Universal Futurological Question Mar… | |
| Dass Kunst gerade in schwierigen Zeiten besonders gebraucht wird, weil sie | |
| für die Freiheit des Individuums steht, wird im satten Teil der Welt gern | |
| in Sonntagsreden gefeiert. Auf die schlimmstenfalls am Montag ein | |
| Sparbeschluss folgt. Wie relevant Kunst für das demokratische Verständnis | |
| einer Gesellschaft und ihre Widerstandskraft tatsächlich sein kann, ist | |
| immer wieder in Osteuropa zu erleben. | |
| Kürzlich besonders anschaulich in Warschau, wo seit Oktober 2024 im | |
| Stadtzentrum ein schneeweißer Kubus dem alten stalinistischen | |
| Kulturpalast-Klotz Kontra gibt, der sich 240 Meter hoch in den Himmel | |
| reckt. Das Gebäude des [1][Moderne-Museums nach Plänen von US-Architekt | |
| Thomas Phifer] gilt als Symbol des Aufbruchs für das vibrierende Warschau | |
| und zugleich für ein Land, das politisch gespalten ist. Denn auch für Polen | |
| gilt die Formel: Die Städte wählen liberal, das Land konservativ bis | |
| rechtsnational. Das wurde auch jüngst bei der Stichwahl zum Präsidentenamt | |
| wieder bestätigt, als sich letztlich der rechtskonservative Karol Nawrocki | |
| gegen den liberalen Rafał Trzaskowski durchsetzte – dank der Stimmen aus | |
| den ländlichen Gebieten des Ostens und Teilen des Südens von Polen. | |
| Als vor wenigen Wochen die Ausstellung „The Cynics Republic – Plac Defilad�… | |
| in den weitläufigen Warschauer White-Cube-Räumen eröffnete, strömten die | |
| Menschen herein wie zu einem Popkonzert. Man spürte sofort: Alles, was hier | |
| in diesem Museum stattfindet, genießt höchste Aufmerksamkeit. Aber anders | |
| als in Kunststädten wie Berlin, wo bei solchen Ereignissen eher die coole | |
| Arroganz des Szenevolks den Ton angibt, schien hier nicht ostentative | |
| Lässigkeit hip – sondern Diskurs. In dieser Ausstellung gab es | |
| ausschließlich Sperriges zu sehen. Unter anderem Kunst aus dem politischen | |
| Widerstand gegen die sozialistischen Regime Osteuropas seit den 1960er | |
| Jahren, überwiegend Foto-, Video- und Performancekunst, die nach den 1990er | |
| Jahren des politischen Umbruchs beinahe vollständig vergessen war. | |
| Zumindest in Westeuropa wusste man kaum etwas davon. | |
| Rund 150 Kunstwerke aus jener Zeit traten in der Ausstellung in einen | |
| Dialog mit Werken aus den Beständen des 2007 gegründeten Museums für | |
| Moderne, das seit Oktober 2024 in dem exemplarischen White-Cube-Bau | |
| residiert. Sie entstammen der österreichischen Kontakt Sammlung mit Sitz in | |
| Wien, die seit über 20 Jahren systematisch in Osteuropa Kunst dieser Zeit | |
| erforscht und die oft im Geheimen entstandenen Artefakte systematisch | |
| sammelt. Als langfristiger Kooperationspartner des Museums für Moderne | |
| Kunst in Warschau war die Kontakt Sammlung bereits an der Eröffnung des | |
| neuen Gebäudes im Oktober beteiligt. | |
| ## „Wo ist der Champagner?“ ruft der Gründer | |
| „Kontakt“, dieser Name verdankt sich der Tatsache, dass das Wort in dieser | |
| orthografischen Form im Deutschen, Tschechischen und Slowakischen | |
| existiert. Der slowakische Künstlers Július Koller nutzte das Wort seit den | |
| späten 1960er Jahren in seinen Antihappenings und Werkserien; der | |
| tschechische Künstler Jiří Kovanda verwendete es, um auf die unterbrochene | |
| Kommunikation zwischen Kunst und Öffentlichkeit sowie zwischen dem | |
| kommunistischen Block und der westlichen Welt hinzuweisen. | |
| „Wo ist der Champagner?“ ruft der Gründer der Sammlung, Boris Marte, bei | |
| der Eröffnung der Warschauer Ausstellung. Marte ist CEO der Erste Stiftung, | |
| die 2004 in Kooperation mit der ebenfalls in Ost- und Zentraleuropa | |
| vertretenen Wiener Bank Erste Group die Kontakt Sammlung als gemeinnützigen | |
| Verein aufbaute. Marte schwärmt von dem „wundervollen und starken“ Zeichen, | |
| das von dem Museum vis-à-vis dem Kulturpalast ausgehe. Es sei „eine | |
| Manifestation der Relevanz von Kunst für die Gesellschaft und die | |
| Demokratie.“ | |
| Marte steht im Treppenhaus des Museums, wo sich in einer großen Sound- und | |
| Bildinstallation ein roher Gerüstturm als summendes und tönendes | |
| Kraftzentrum der Schau in die Höhe schraubt. Das temporäre Gerüst aus | |
| typischen Baustellen-Stahlstangen verlangt nach Bewegung des Publikums. | |
| Überall dröhnt und flimmert es. Verwackelte, intime Clips aus den 1970er | |
| Jahren konkurrieren mit der Hochglanzästhetik aktueller Videoarbeiten, | |
| Grobkörnig-Dokumentarisches mit raffinierter Technik, scheppernde Tonspuren | |
| mit den Geräuschen, die das Museumspersonal beim Klettern in den Gerüsten | |
| zum Warten und Wiederstarten von alten Videos erzeugt. | |
| ## Sie arbeiten mit Mitteln der Selbstironie | |
| Der französische Kurator der Schau, Pierre Bal-Blanc, versteht die | |
| Installation als vielstimmige Partitur, deren Lesarten frei von Vorgaben | |
| seien. Der Titel „The Cynics Republic – Plac Defilad“ bezieht sich auf die | |
| griechische Denkschule der Kyniker aus dem fünften vorchristlichen | |
| Jahrhundert, deren wichtigster Vertreter Diogenes war. Die Kyniker suchten | |
| anarchisches Glück in Askese, Entsagung und materieller Unabhängigkeit. | |
| Ein treffsicherer Titel, insbesondere für die Neo-Avantgarde-Kunst aus der | |
| Kontakt Sammlung. Die besteht vor allem aus dokumentierten Performances. | |
| Deren kargen Materialien verdanken sie jener Zeit des Mangels, oft arbeiten | |
| sie mit Mitteln der Selbstironie und des Humors. Wenn etwa ein grobkörniges | |
| Video einem ernst Dreinschauenden beim rituellen Kürzen seines Bartes | |
| zuschaut. Oder wenn der kroatische Performancekünstler Slaven Tolj zwischen | |
| einer Wodka- und einer Whiskeyflasche sitzt und immer wieder aus einem | |
| Shaker nascht, in dem beide hochprozentige Stellvertreter zweier Welten ein | |
| explosives Gemisch ergeben. Das Ergebnis ist ein Ohnmachts-Rausch, der | |
| Titel des Videos lautet ziemlich visionär „Globalisation“. Der im Westen | |
| kaum bekannte polnische Künstler Tomasz Machciński wiederum ist lange vor | |
| der amerikanischen Star-Künstlerin Cindy Sherman in immer neue Identitäten | |
| geschlüpft und hat sich singend in seinen schrillen Kostümierungen gefilmt. | |
| Boris Marte erinnert sich: „Als wir vor 20 Jahren ‚Kontakt‘ gründeten, | |
| herrschte eine Arroganz der Kunstwelt des Westens vor, die den Osten noch | |
| nicht als gleichwertig akzeptierte.“ Mit der nomadischen Kontakt Sammlung, | |
| deren Objekte kostenfrei ausgeliehen werden, werde ein neues Kapitel | |
| „europäischer, noch nicht geschriebener Kunstgeschichte“ erforscht, die | |
| dereinst zur europäischen Identität beitragen werde. | |
| Die Sammlung arbeitete von Anfang an eng mit den lokalen Szenen zusammen, | |
| etwa mit dem slowenischen Kunsthistoriker Igor Zabel, der seit 1986 Kurator | |
| an der Moderna Galerija in Ljubljana war und sich viel mit der Kunst Ost- | |
| und Mitteleuropas seit 1945 auseinandersetzte. Dem früh Verstorbenen widmet | |
| die Sammlung einen nach ihm benannten Preis, der alle zwei Jahre in seiner | |
| Heimatstadt Ljubljana vergeben wird. | |
| ## Die erste österreichische Sparkasse entstand 1819 | |
| Im Wiener Sitz der Stiftung erzählen Hephzibah Druml, Programm- und | |
| Produktionsleiterin der Kontakt Sammlung, und Katrin Klingan als Leiterin | |
| der Kultursparte der Stiftung Näheres zur Motivation der Sammlung. Klingan | |
| erklärt, dass die Gründungsgeschichte mit der ersten österreichischen | |
| Sparkasse zu tun hat, die 1819 aus dem Gemeinwohlgedanken heraus gegründet | |
| wurde. Als die Erste Bank in den 1990er Jahren in die osteuropäischen | |
| Länder expandierte, folgte ihr die Stiftung. Den Sammlungszweck präzisiert | |
| Hephzibah Druml: „Es geht auch darum, dass ein Segment der zeitgenössischen | |
| Kunst im östlichen Europa nicht verschwindet in irgendwelchen privaten | |
| Sammlungen oder Galerien, sondern dass das aufgearbeitet wird und der | |
| Öffentlichkeit präsent bleibt.“ | |
| In rascher Folge beteiligt sich die Kontakt Sammlung an Ausstellungen, die | |
| Warschauer Schau ist nach kurzer Laufzeit schon vorbei. Dafür werden Werke | |
| der Sammlung demnächst im kosovarischen Prizren während [2][der | |
| Autostrada-Biennale] gezeigt, oder derzeit in der slowakischen Hauptstadt | |
| Bratislava im unabhängigen Kunstnetzwerk Tranzit, das noch nicht von den | |
| Säuberungen der rechtspopulistischen Kulturministerin [3][Martina | |
| Šimkovičová] betroffen ist. Es geht in der Schau „Liminal Ecologies“ auch | |
| um den Klimawandel und Fragen der Migration. Schon konsequent, wie die | |
| Stiftung durch die Ausstellung ihrer sperrigen Kunst auch eine Art | |
| Demokratiearbeit leistet. | |
| Und es ist wichtig, wo doch in Deutschland derzeit große Unternehmen ihre | |
| in Jahrzehnten zusammengetragenen Sammlungen eilig verhökern: Die Objekte | |
| der Kontakt Sammlung gehören dem Verein, der unabhängig agiert, sie sind | |
| kein Investment. Sie können weder von der Erste Bank noch von der Stiftung | |
| verkauft werden. | |
| 2 Jul 2025 | |
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