| # taz.de -- Kulturszene Polens nach der Wahl: In ihrer Haltung bestärkt | |
| > Nach der Parlamentswahl in Polen zeichnet sich ein Regierungswechsel ab. | |
| > Wie reagiert die Kulturszene des Landes darauf? | |
| Bild: „Alles wird immer schlimmer“: Paweł Żukowski bei einer Demonstratio… | |
| Der Ausgang der Parlamentswahlen in Polen am vergangenen Sonntag gibt zwar | |
| Anlass zu Optimismus, ihn als überwältigenden Sieg des progressiven Lagers | |
| einzustufen, fällt momentan dennoch schwer. Denn die vergangenen acht Jahre | |
| unter der Regierung der rechtskonservativen Partei PiS werfen lange | |
| Schatten, auch auf die Zukunft der polnischen Gesellschaft. Ersichtlich | |
| schon daran, dass trotz der hohen Wahlbeteiligung und des unerwartet | |
| deutlichen Erfolgs der liberalen PO die zweit- und drittstärksten Kräfte, | |
| die aus den Wahlen hervorgegangen sind, jeweils zwei christdemokratisch | |
| geprägte Parteien aus dem konservativen Lager wurden. | |
| Władysław Kosiniak-Kamysz, einer der beiden Vorsitzenden der Partei Dritter | |
| Weg, die 15 Prozent der Stimmen erhielt, schickte Koalitionsverhandlungen | |
| bereits voraus, dass „Fragen zum Lebensstil“ wie das Recht auf Abtreibung | |
| bis zur zwölften Schwangerschaftswoche und die Grundrechte für LGBT dann | |
| keinesfalls zur Diskussion stünden. | |
| Für die Mehrheit der Pol:innen war vor der Wahl das erklärte Ziel, die | |
| PiS an einer weiteren Amtszeit als Regierungspartei zu hindern. Zu viel | |
| Verwüstung hatte sie bereits im demokratischen System angerichtet, mit | |
| katastrophalen Auswirkungen für das Justizwesen, die Gesundheitsversorgung | |
| und Bildungspolitik. Am verheerendsten wirkten sich die Umbesetzungen bei | |
| Kulturinstitutionen aus, wo konservative Kandidaten der PiS mit | |
| entsprechender Agenda in Leitungsfunktionen kamen. | |
| ## Inkompetentes, aber konformes Personal dank PiS | |
| Vor acht Jahren habe ich an dieser Stelle schon einmal über den Kulturkampf | |
| der PiS geschrieben. Damals [1][ging es um den Abbau des bestehenden | |
| Kulturmanagements und um direkte Eingriffe ins Programm von | |
| öffentlich-rechtlichen Medien]. Komplette [2][TV- und Radioredaktionen | |
| wurden seinerzeit entlassen], Leitungsebenen wichtiger Kulturinstitutionen, | |
| Museen und Staatstheater ausgetauscht und durch ein oft völlig | |
| inkompetentes und unerfahrenes, aber konformes Personal ersetzt. | |
| Tatsächlich gewann PiS mit diesen Praktiken einige Zustimmung in der | |
| Bevölkerung, weil es um mehr ging als nur um Neoliberalismus: Sie suchte | |
| nach einer neuen ideologisch geformten Realität, und zunächst kam die PiS | |
| mit diesem Programm auch durch. | |
| Von heute aus lassen sich die Verwerfungen genauer betrachten. In den | |
| meisten polnischen Museen sind konservative, ideologisch verderbliche und | |
| ästhetisch rückwärtsgewandte Kunstwerke ausgestellt. Nur mit gutem Willen | |
| lässt sich dabei von Alten Meistern sprechen. Dabei tritt ein | |
| Kunstverständnis zutage, das über Kreuz liegt mit den sozialkritischen | |
| Programmen, die namhafte Institutionen der zeitgenössischen Kunst zuvor | |
| verfolgt hatten. Die PiS interpretierte Kulturpolitik rein als | |
| Geschichtspolitik, und dadurch entwickelte sich Kultur weg von der | |
| Gegenwart hin zur Vergangenheit. | |
| ## Beschränkte Sichtweise von rechtsaußen | |
| Nicht nur Stammwähler der PiS, viele polnische Bürger:innen begrüßten | |
| diesen Schritt nach rechts außen zunächst. Denn in dieser beschränkten | |
| Sichtweise wurden tragende Elemente der nationalen polnischen Identität von | |
| öffentlich-rechtlichen Medien und Kulturinstitutionen nur unzureichend | |
| dargestellt. Nach 1989 und der Öffnung des Eisernen Vorhangs begaben sich | |
| viele postkommunistische Gesellschaften in Osteuropa auf die Suche nach | |
| ihrer je eigenen Identität. | |
| Diese Abkehr von der kommunistischen Vergangenheit führte in vielen Fällen | |
| zu einem Wiederaufflackern von unterdrückten Formen des Patriotismus und | |
| Nationalismus, wie es sie in der Zwischenkriegszeit 1918–1939 bereits | |
| gegeben hatte. In Polen war diese Auseinandersetzung im Grunde ein | |
| schwieriges Zurechtfinden zwischen „Ost“ und „West“. Wobei mit „dem | |
| Westen“, nicht immer korrekt, ein Hort von ewigem sozialem Fortschritt und | |
| von größerer sexueller Toleranz assoziiert wurde. | |
| Das Beschneiden abweichender Normen, von alldem also, was jenseits von | |
| Heteronormativität und Katholizismus liegt, bekommt in Polen am härtesten | |
| die LGBT-Community zu spüren. Der Künstler und LGBT-Aktivist Paweł | |
| Żukowski, der sich in seinem Werk darauf spezialisiert hat, radikale | |
| Slogans künstlerisch auszugestalten, zählt die geltenden Zensurmaßnahmen | |
| der PiS-Regierung zu den größten Herausforderungen für die zukünftige | |
| Regierung. | |
| „Wir müssen als Erstes ein Gesetz rückgängig machen, das wegen angeblicher | |
| ‚Verletzung religiöser Gefühle‘ erlassen wurde“, sagt er der taz. „Da… | |
| kann begründeter politischer Protest ganz legal zensiert werden.“ | |
| ## Zensurparagraf gegen politische Kunst | |
| Als Beispiel nennt Żukowski das Schicksal von [3][drei feministischen | |
| Kunstaktivistinnen, die bei einer Demonstration für die Legalisierung von | |
| Abtreibung ein Bild der Mutter Gottes mit einer Regenbogenfahne verhüllt | |
| hatten]. Nach einer Gerichtsverhandlung wurde das Trio zunächst | |
| freigesprochen. Nun droht den Frauen erneut der Prozess. Eigentlich ist | |
| ihre Kunst als radikal politisch einzustufen, aber mit dem Zensurparagrafen | |
| werden Institutionen daran gehindert, feministische Kunstwerke für ihre | |
| Sammlungen zu erwerben. | |
| „Politisch engagierte Kunst hat es in der öffentlichen Wahrnehmung schwer | |
| oder sie wird nach wie vor aus Ausstellungen entfernt“, bekräftigt | |
| Żukowski. Zensurvorwürfe zu überprüfen sei ohnehin schwierig, weil solche | |
| Eingriffe oftmals subtil vorgenommen werden. | |
| In der Wahrnehmung einer Museumsleiterin, die dafür gesorgt hatte, dass | |
| ihre Institution weiterhin nach demokratischen Prinzipien organisiert ist | |
| und transparent bleibt, waren die letzten Jahre ein einziger Albtraum: Die | |
| Kunsthistorikerin Hanna Wróblewska wurde nach zehn Jahren im Amt als | |
| Direktorin der renommierten Warschauer Galerie Zacheta entlassen, sie gilt | |
| als prominentes Opfer des PiS-Kulturkampfs. | |
| Öffentliche Stipendien wurden ausschließlich für nationalistisch gesinnte | |
| Bewerber:innen vergeben, bestehende Arbeitsverhältnisse mit | |
| Expert:innen wurden gekündigt. Ihr Fall sei nur einer von vielen, | |
| erklärt Wróblewska der taz. Auch einige Tage nach der Wahl bleibt die | |
| 55-Jährige skeptisch, ob mit einer neuen Regierung ein anderer Wind durch | |
| Polens Kulturlandschaft weht: „In keinem der Wahlprogramme habe ich eine | |
| positive Bezugnahme auf das Kulturleben entdeckt. Außer dem Slogan, dass | |
| Kultur ‚frei von politischem Druck‘ zu sein habe.“ | |
| Für eine progressive Kulturarbeit sei das zu wenig, ergänzt Wróblewska. | |
| „Für Kunst ist es eine Grundbedingung ihrer Existenz, das schon, aber | |
| letztendlich laufe es in den polnischen Politikkreisen seit 1989 auf ein | |
| Verständnis von Kultur hinaus, wonach sie zwar unabhängig funktionieren | |
| darf, aber billig bleiben solle. Die PiS war nur darauf erpicht, Kultur zu | |
| finanzieren, die sich für ihre propagandistischen Zwecke einspannen ließ. | |
| Die Konservativen glaubten, wenn die Museumslandschaft erst in ihrem Sinne | |
| umgebildet sein würde, zögen die Museen endlich die breite Masse an.“ | |
| ## Gesellschaftliche Teilhabe am Kulturleben blieb aus | |
| Damit lagen sie aber falsch, die gesellschaftliche Teilhabe am Kulturleben | |
| blieb weitgehend aus. Zeitgenössische Kunst bleibt eben doch | |
| herausfordernder. Hanna Wróblewska lässt sich nicht einschüchtern. Die | |
| Vizepräsidentin der polnischen Sektion des internationalen Museumsverbands | |
| ICOM arbeitet nun als Programmleiterin am Museum des Warschauer Ghettos, | |
| das 2025 eröffnen soll. | |
| Ein Kulturmagazin, das besonders unter seiner feindlichen Übernahme zu | |
| leiden hatte, war Dialog, als Theaterfachblatt 1956 gegründet und als | |
| kritische Stimme in der polnischen Medienlandschaft geachtet. Obwohl das | |
| Kulturministerium im Mai 2023 neue Chefredakteure bestimmte, verweigerte | |
| die Belegschaft die Zusammenarbeit mit ihnen und sabotierte die Bemühungen, | |
| indem sie eine Sondernummer des Magazins herausgab, in der es um diverse | |
| feindliche Übernahmen ging. Damit stellten die Macher:innen von Dialog | |
| unter Beweis, welche Formen von Widerstand möglich sind. | |
| „Wir haben Berichte über den Zustand von Kulturinstitutionen gesammelt“, | |
| sagt Joanna Krakowska, Dialog-Redakteurin und Professorin an der Polnischen | |
| Akademie der Wissenschaften, der taz, „in denen der Grad der Zerstörung | |
| durch die Kulturpolitik der PiS gemessen wird. Wir haben dokumentiert, | |
| welche öffentlichen Gelder verschwendet wurden, um konservative | |
| Kreativprogramme aufzulegen. Nun müssen wir die Kulturinstitutionen wieder | |
| umbauen, um ihre Arbeit wieder sinnhaft werden zu lassen, um die Autonomie | |
| der Kunst sicherzustellen und kritische Stimmen hörbar zu machen anstelle | |
| von Propaganda-Nonsens und Polarisierung.“ | |
| Alle Gesprächspartner:innen betonen, wie drängend die Themen sind, | |
| die die neoliberale Vorgängerregierung unbeachtet ließ: wie Kultur und ihre | |
| Akteure in der Marktwirtschaft und der harten ökonomischen Realität | |
| existieren sollen, weshalb Kulturakteure soziale Sicherungssysteme | |
| benötigen, die der freie Markt nicht garantiert. „Die Behörden müssen | |
| verstehen, dass gerade die Förderung von experimenteller Kultur einem | |
| Fortbestand der Demokratie dienlich ist“, erklärt Krakowska. | |
| Auch nach dem Wahlsieg der PO in Polen am vergangenen Wochenende wird | |
| deutlich: Die vergangenen acht Jahre Regierungszeit der PiS haben die | |
| Kulturszene und ihre Akteur:innen in ihrer Haltung letztlich bestärkt. | |
| Kultur ist in Polen gesellschaftlich breit verankert, was auch die neue | |
| Regierung auf den Prüfstand stellen wird, denn die Kulturszene hat keine | |
| Angst davor, den dringend nötigen gesellschaftlichen Wandel einzufordern. | |
| Aus dem Englischen von Julian Weber | |
| 22 Oct 2023 | |
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| Agata Pyzik | |
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