| # taz.de -- Protest gegen polnische Regierung: Das Streben nach den Seelen | |
| > Kritik als staatsfeindlicher Akt: Unter den Intellektuellen in Polen | |
| > wächst der Widerstand gegen den offiziellen „patriotischen“ Kurs. | |
| Bild: Protest für ein pro-europäisches Polen in Warschau – doch wieviel Bas… | |
| Von Deutschland aus betrachtet muss unser Land wirklich seltsam wirken. | |
| Streng katholisch, konservativ und fast ausschließlich weiß. Das jedenfalls | |
| ist aus der Berichterstattung über Polen herauszulesen, die meist zwischen | |
| herablassender Anerkennung unserer wirtschaftlichen und politischen | |
| „Erfolge“ seit der Überwindung des Sozialismus und einem ausgeprägtem | |
| Misstrauen schwankt. | |
| Besonders deutlich wurde dies zwischen 2007 und 2015, als die neoliberale, | |
| technokratische Mitte-rechts -Partei Bürgerplattform (Platforma | |
| Obywatelska, kurz: PO) das Land regierte. Sie war stets darauf bedacht, im | |
| Westen ein positives Bild Polens zu zeichnen – und gab großzügige | |
| EU-Subventionen für Infrastruktur-Prestigeobjekte wie Autobahnen oder die | |
| Fußball-Europameisterschaft 2012 aus. Das deutsch-polnische Verhältnis | |
| verbesserte sich damit ungemein. Polens Stellung in der EU war stark wie | |
| nie und wurde gekrönt von der Ernennung des ehemaligen Ministerpräsidenten | |
| und Merkel-Verbündeten Donald Tusk (PO) zum EU-Ratspräsidenten. | |
| Ausgeblendet blieb die Kehrseite dieser Erfolgsstory: wie der Gesetzgeber | |
| etwa Arbeitnehmerrechte missachtete, den öffentlichen Sektor ausbluten ließ | |
| und Instrumente der staatlichen Wohlfahrt aushebelte. Um Investoren zu | |
| locken, gestaltete die PO den Arbeitsmarkt immer „flexibler“. Mit dem | |
| Effekt, dass mehr als zwei Millionen Polen auf der Suche nach Arbeit in | |
| andere EU-Länder auswanderten und im Land selbst die soziale Schere | |
| auseinanderging. | |
| Das muss man wissen, um den scheinbar unerwarteten Rechtsruck zu verstehen, | |
| der sich Mitte November 2015 mit dem Wahlsieg der katholischen, | |
| national-konservativen Partei für Recht und Gerechtigkeit (PiS) ereignete. | |
| Als erste Amtshandlung wurde ein Eckpfeiler des liberalen Staates (das | |
| Verfassungsgericht) kaputt“reformiert“. Angestellte und Beamte wurden | |
| entlassen und durch regimetreue Mitarbeiter ersetzt. Das | |
| öffentlich-rechtliche Fernsehen wurde von Redakteuren rechter Magazine wie | |
| Fronda übernommen. | |
| ## Propagandakraft der Kultur | |
| Der Parteivorsitzende Jaros?aw Kaczy?ski will damit vollenden, was der PiS, | |
| als sie vor zehn Jahren regierte, nicht gelang: die Umwandlung Polens in | |
| die sogenannte Vierte Republik (die Dritte war die korrumpierte nach 1989). | |
| Die Vierte Republik ist im Grunde genommen eine idealisierte Version | |
| von“Großpolen“ der Zwischenkriegszeit, aber ohne westliche Errungenschaften | |
| wie Geburtenkontrolle oder Gleichberechtigung. Neu ist auch das gesteigerte | |
| Interesse der Regierung an der Kultur und ihrer Institutionen. | |
| Während ihre neoliberalen Vorgänger die Kultur wie ein zu | |
| vernachlässigendes Übel behandelte, das nicht allzu viel kosten sollte, | |
| nutzt die PiS die propagandistische Kraft der Medien, um | |
| Negativschlagzeilen zu unterbinden und das Land auf patriotischen Kurs zu | |
| bringen. Das beinhaltet auch Fremdenfeindlichkeit. Jegliche Kritik wird als | |
| staatsfeindlicher Akt verstanden. „Anstatt im nationalen Interesse zu | |
| handeln, sympathisieren Journalisten mit negativen Ansichten über Polen“, | |
| sagte die PiS-Politikerin El?bieta Kruk. | |
| Ihre Partei strebt nicht nur nach der Macht, sie will auch unsere Seelen. | |
| Sie setzt alles daran, jegliche kritische, die konservative Ideologie | |
| infrage stellende Kunst oder Kultur aus dem polnischen Gedächtnis zu | |
| tilgen. Dabei wird sie tatkräftig von der Kirche unterstützt. Und das macht | |
| das Ganze so gefährlich. | |
| In der Weltsicht der PiS werden Werte wie Toleranz und Multikulturalismus | |
| als Bedrohung für die katholisch-konservative Ordnung angesehen. Um dem | |
| entgegenzuwirken, muss die Verfassung dahingehend manipuliert werden, dass | |
| restriktive Gesetze erlassen werden können und darüber hinaus eine | |
| „konservative Revolution“ via Zensur von Medien und Kultur stattfinden | |
| kann. Harte Zeiten also für ein Land, in dem trotz zunehmender | |
| Kommerzialisierung die Kultur immer noch weitgehend vom Staat finanziert | |
| wird. | |
| ## Engstirnig, niederträchtig | |
| „Die Medien beäugen uns zu kritisch, deshalb müssen wir sie kontrollieren�… | |
| erklärte der frischgebackene Kulturminister Piotr Gli?ski. Es gibt nur noch | |
| „die eine Wahrheit“, die die regierungstreuen Medien verkünden. Steht nun | |
| zu befürchten, dass wir auf eine autoritäre Theokratie wie Russland | |
| zusteuern? Jedenfalls pfeift die neue Regierung auf Political | |
| Correctness.Ihr Handeln redet den engstirnigsten und niederträchtigsten | |
| Vorstellungen, die Polen von sich selbst haben könnten, das Wort. | |
| Seit 2006 erstarkt ein polnischer „Patriotismus“ mit nationalistischem | |
| Anstrich, der Rassismus und Antisemitismus toleriert; er hat die PiS zum | |
| Eingreifen bewogen. Als Erstes in den Bildungssektor: An den Schulen gibt | |
| es weder Alternativen zum Religionsunterricht noch sexuelle Aufklärung. | |
| Auch das geisteswissenschaftliche Programm muss den patriotischen | |
| Anforderungen nachkommen. Deshalb wird der Geschichtsunterricht gemäß den | |
| nationalistischen Tendenzen verbogen. Einige Romane wurden als | |
| „antipolnisch“ diffamiert, und es steht zu befürchten, dass sie Werke wie | |
| von Witold Gombrowicz 2006 von den Lektürelisten gestrichen werden. | |
| Auch darstellende Kunst wird zensiert: Kaum eine Woche im Amt, versuchte | |
| Gli?ski die Aufführung von Elfriede Jelineks Theaterstück „Der Tod und das | |
| Mädchen“ verbieten zu lassen. Begründung: Öffentliche Gelder würden für | |
| Pornografie zweckentfremdet (zwei Pornodarsteller sollten Sex auf der Bühne | |
| vollführen). Demonstrationen vor dem Theater in Breslau. | |
| Seit Januar ist Breslau europäische Kulturhauptstadt. Bei den | |
| Eröffnungsfeierlichkeiten hielt Minister Gli?ski eine nichts sagende Rede. | |
| Das Publikum, bestehend aus KünstlerInnen und Kulturschaffenden, buhte ihn | |
| für seine Äußerungen aus: Seinen Worten war zu entnehmen, künftig werde die | |
| Regierung entscheiden, was europäisch und was in ihren Augen polnisch genug | |
| ist, um zu bestehen. | |
| ## „Patriotismus“-Programm | |
| Das Kabinett kündigt bereits ein Programm namens „Patriotismus der Zukunft“ | |
| an und bezuschusst „historische und patriotische Bildung“. Zum 100. | |
| Jahrestag der Unabhängigkeit 2016 ist etwa eine große Filmproduktion | |
| geplant. Krystyna Janda, eine der renommiertesten Schauspielerinnen des | |
| Landes (sie stand bis 1989 der demokratischen Opposition nahe), witzelte, | |
| dass die neue Regierung gern eine eigene Leni Riefenstahl hätte. | |
| Eine der Schlüsselfiguren der hiesigen NGOs ist Bogna ?wi?tkowska. Sie | |
| fürchtet, dass nur noch Kunst mit rechtsnationalen Inhalten geduldet wird. | |
| Staatlich geförderte Institutionen für experimentelle und moderne Kunst | |
| müssen nun befürchten, dass die Regierung auf ihre Programmgestaltung | |
| Einfluss nehmen wird. | |
| Kritische Kunst wird nicht erst seit dem Wahlsieg der PiS geschmäht. So | |
| räumt etwa Joanna Mytkowska, die Direktorin des Warschauer MoMA, ein, der | |
| Kulturminister der Bürgerplattform wollte ihnen die Mittel streichen, mit | |
| der Begründung, zeitgenössische Kunst sei es nicht wert, staatliche | |
| Förderung zu erhalten. | |
| ## Alle umgarnten sie die Kirche | |
| Um die missliche Lage zu verdeutlichen, muss man wissen, dass jede | |
| Regierung seit 1989 sowohl die Kirche als auch die sogenannte moralische | |
| Mehrheit umgarnt hat. Während der Regierungszeit der Bürgerplattform gab es | |
| eine Hetzkampagne gegen emanzipatorische Politik. Einige der heftigsten | |
| Angriffe auf Redefreiheit und Freiheit der Kunst fand unter der Regierung | |
| der Bürgerplattform statt. | |
| Um ihre Macht zu erhalten, übernahm sie noch die reaktionärsten | |
| katholischen Positionen. Demokratie in Polen krankte von jeher an der | |
| Unfähigkeit, die Macht der Kirche zu beschränken – auch was den Einfluss | |
| auf die moralische Befindlichkeit Polens sowie ihren Einfluss auf die | |
| Bürgerrechte anbelangt. | |
| Anstatt die Wirtschaft zu stärken, entfachte die PiS in den zehner Jahren | |
| einen Kulturkrieg, wie ihn US-Konservative in den Achtzigern geführt | |
| hatten. Es war einfacher, Geschlechterpolitik, Geburtenkontrolle oder | |
| „kontroverse“ Kunst anzuprangern, als ökonomische Schieflagen anzugehen, | |
| die die Mehrheit der Polen tatsächlich betreffen: niedrige Löhne und | |
| schlechte Arbeitsbedingungen. | |
| ## Die PiS verliert Rückhalt | |
| Die PiS war erfolgreich darin, die Besitzlosen und das Prekariat so zu | |
| steuern, dass diese etwa Gleichberechtigung oder Rechte von LGBT und | |
| sonstigen Minderheiten mit der elitären Bürgerplattform, deren „westlichem�… | |
| Programm und der Politik der EU gleichsetzten. Zudem verstärkt die | |
| derzeitige Flüchtlingskrise die Ängste gestresster und in die Armut | |
| getriebener Polen, deren Fremdenfeindlichkeit seit Langem von reaktionärer | |
| Rhetorik befeuert wird. | |
| Die Gesellschaft hat die jüngsten Veränderungen immerhin nicht tatenlos | |
| hingenommen. Zuletzt fanden in vielen Städten große Demonstrationen gegen | |
| die Regierung statt, organisiert von der Basisorganisation Komitet Obrony | |
| Demokracji, dem Demokratie-Verteidigungskommittee (KOD). Dennoch wird der | |
| Protest bisher hauptsächlich von den Intellektuellen getragen. | |
| Auch wenn die PiS im Land an Rückhalt verliert, ist sie mit 40 Prozent der | |
| Stimmen demokratisch gewählt. Heißt das, dass die Mehrheit der Menschen | |
| auch ihre Ideen unterstützt? Nicht wirklich. Denn in Polen gilt seit | |
| Einführung der Demokratie die Hälfte der polnischen Bevölkerung als | |
| Nichtwähler. Wenn überhaupt, ist es der traurige Beweis dafür, dass der | |
| Staat nicht in der Lage war, brauchbare demokratische Institutionen zu | |
| bilden, mit denen sich die Menschen identifizieren konnten. | |
| Aus dem Englischen von | |
| Sylvia Prahl | |
| 8 Feb 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Agata Pyzik | |
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