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# taz.de -- Streit zwischen Polen und EU eskaliert: Verfassungsrichter werden e…
> Die Ernennung neuer Richter hat den Streit ausgelöst. Nun droht Polens
> nationalistische Regierung, dem Verfassungsgericht das Geld zu streichen.
Bild: Unter Druck: Polens neue Regierung droht dem Verfassungsgericht
Warschau taz | Für Polens Verfassungsgericht läuten bereits die
Totenglocken. Die national-populistische Recht und Gerechtigkeits-Partei
(PiS), die seit Oktober 2015 mit absoluter Mehrheit im Parlament regiert,
stoppte die Debatte über das Budget für das Verfassungsgericht 2017. Die
Drohung an die Verfassungsrichter ist eindeutig: ‚Tut ihr nicht, was wir
PiS-Politiker von euch erwarten, gibt es im nächsten Jahr kein Geld mehr!‘
Enttäuscht wurde nun auch die Hoffnung der Richter auf das
EU-Rechtsstaatsverfahren. Statt die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts
wiederherzustellen, wie die EU-Kommission geraten hatte, wies Polens
Regierung am 27. Oktober jegliche Kritik als „ungerechtfertigt“ zurück und
beschuldigte ihrerseits die EU-Kommission, schlecht informiert zu sein und
das polnische Rechtssystem nicht zu kennen.
Zwar könnte die EU-Kommission nun vorschlagen, dass Artikel 7 des
EU-Vertrags auf Polen angewendet werden solle. Dieser sieht vor, dass bei
einer „schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung“ der im EU-Vertrag
verankerten Werte einem Mitgliedsland in letzter Konsequenz auch das
Stimmrecht entzogen werden kann. Doch müsste die Entscheidung darüber
einstimmig von allen EU-Mitgliedstaaten gefällt werden.
Das aber ist höchst unwahrscheinlich, da sich Polen in den letzten Monaten
Rückendeckung bei den Visegradstaaten Ungarn, Slowakei und Tschechien
geholt hat. Ungarns Premier Viktor Orban gilt als enger Freund vom Polens
mächtigstem Mann, dem PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski.
## Vorwand lieferte Ernennung von Richtern
Den Vorwand für die Entmachtung des polnischen Verfassungsgerichts als
demokratische Kontrollinstanz hatten die liberal-konservative
Bürgerplattform PO und die Bauernpartei PSL geliefert. Die beiden Parteien,
die von 2007 bis 2015 Polen regierten, verabschiedeten noch kurz vor den
Wahlen im Oktober 2015 ein Reformgesetz des Verfassungsgerichts.
Dabei sprachen sie dem damaligen Parlament das Recht zu, auch die erst im
November – also nach den Parlamentswahlen – frei werdenden Richterstellen
im Verfassungsgericht zu besetzen. Das war verfassungswidrig, denn dieses
Recht hatte laut polnischer Verfassung schon das neue Parlament. Die
PO-PSL-Koalition ernannte also im Oktober fünf Richter, obwohl sie nur drei
hätte ernennen dürfen.
Nachdem die PiS die absolute Mehrheit im Parlament gewonnen hatte,
versuchte sie die Wahl aller fünf Richter für ungültig zu erklären und
ernannte ihrerseits fünf Richter, die dann auch sofort von Staatspräsident
Andrzej Duda vereidigt wurden. Nun war die Wahl von drei PiS-Richtern
verfassungswidrig.
Als das Verfassungsgericht in einem Urteil ganz klar feststellte, dass die
drei im Oktober frei werdenden Stellen von der PO-PSL besetzt werden
durften, die zwei im November frei werdenden Stellen hingegen von der PiS,
weigerte sich das Büro von Premier Beate Szydlo, das Urteil zu publizieren.
## Über EU-Verfahren lacht Kaczynski
Laut Verfassung müssen aber Urteile des Verfassungsgerichts im
Gesetzesblatt publiziert werden, um gültig zu werden.. Da der Regierung
durchaus bewusst war, dass Beata Szydlo und ihr Büro kein Recht hatten, die
Publikation von Urteilen des Verfassungsgerichts zu blockieren, behaupteten
PiS-Politiker, dass es sich bei dem Urteil um kein Urteil des
Verfassungsgerichts, sondern um eine „Meinungsäußerung vom Kumpanen beim
Kaffeekränzchen“ handle. Meinungsäußerungen von irgendwelchen Richtern aber
müsse die Premierministerin nicht publizieren.
Die EU-Kommission hatte der polnischen Regierung am 27. Juli unter anderem
empfohlen, wieder alle Urteile des Verfassungsgerichts zu publizieren und
sich dann auch daran zu halten. Doch am 27. Oktober erklärte Beata Szydlo
in Warschau: „Wir werden keine einzige Empfehlung der EU-Kommission in das
polnische Rechtssystem übernehmen, da diese weder dem polnischen
Staatsinteresse noch dem der polnischen Staatsbürger dienen.“ Polens
Regierung sei aber bereit, weiterhin mit der EU-Kommission zu sprechen. Vor
einigen Monaten hatte PiS-Chef Kaczynski schon den Ton vorgegeben: „Das
EU-Verfahren? Es belustigt mich!“
28 Oct 2016
## AUTOREN
Gabriele Lesser
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