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# taz.de -- Buch über Rolle des Auswärtigen Amtes: Schleier der Ignoranz
> Eine vom Auswärtigen Amt geförderte Untersuchung der eigenen Rolle in
> Deutschlands Kolonialvergangenheit kommt zu unangenehmen Erkenntnissen.
Bild: Gezähmtes Zebra bei der sogenannten Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika
Vergangenheitsbewältigung ist heikel. Je finsterer die Geschichte, desto
strahlender die Gegenwart. Selbstkritik kann schnell in Selbstgefälligkeit
umschlagen. In diese Falle hätte das Auswärtige Amt leicht tappen können,
als es noch unter der Großen Koalition begann, die Aufarbeitung der eigenen
Rolle im deutschen Kolonialismus in Angriff zu nehmen.
Als in den Räumen des Auswärtigen Amtes in Berlin am 5. Juni der daraus
entstandene Sammelband „Das Auswärtige Amt und die Kolonien: Geschichte,
Erinnerung, Erbe“ präsentiert wurde, lag diese Falle beängstigend nahe.
„Ignoranz und Fehleinschätzung mischten sich mit Machtansprüchen und
Herrschaftsdenken“, fasste Außenministerin Annalena Baerbock die deutsche
Kolonialvergangenheit zusammen: sie war „menschenverachtend und
rassistisch“, das Auswärtige Amt trage dafür eine „klare Verantwortung“.
Andererseits wolle man „auch nach vorne schauen“ und „ein offener Umgang
mit unserer Geschichte ist Teil unserer Sicherheitspolitik“. Da schnappt
die Falle zu.
## Superiorität und Inferiorität
Der Sammelband selbst vermeidet diese Falle glücklicherweise. Auf 600
Seiten kommen 17 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – nicht nur aus
Deutschland, auch aus den ehemaligen Kolonien Kamerun, Tansania und Togo
sowie Australien, Österreich und den USA – zu Erkenntnissen, die
Mitherausgeberin Brigitte Reinwald in Berlin resümiert: das Auswärtige Amt
war „mitverantwortlich für Verbrechen“; es dachte und handelte in
Kategorien von „Superiorität und Inferiorität“, also rassistisch; es hat
sich seiner Verantwortung „bis in jüngste Zeit nicht gestellt“, und die
deutsche Außenpolitik war von „Indifferenz und Ignoranz, Passivität und
Relativierung“ geprägt.
Das ist ein ziemlich schonungsloses Fazit, und man hätte sich gewünscht,
dass die Beiträge des Sammelbandes es stringent herausarbeiten. Die 16
Essays zwischen Einleitung und Schlusskapitel glänzen jeweils, aber ergeben
kein homogenes Ganzes. Manches wird wiederholt angerissen, aber nirgends
abschließend behandelt, darunter Basisthemen wie die der europäischen
[1][Aufteilung Afrikas zugrundeliegende Berliner Kongo-Konferenz von
1884/85].
Der beste Gesamtabriss der Entstehung des deutschen Kolonialreiches findet
sich versteckt im Kapitel zu Kolonialdenkmälern. Die einzelnen Kapitel zu
einzelnen Kolonien – Kamerun fehlt, seltsamerweise – behandeln ganz
unterschiedliche Einzelfragen. Man sollte die Kolonialgeschichte bereits
kennen, bevor man dieses Buch liest; aber dann erfährt man brisante
historische Details.
Politisch brisant wird es im zweiten Teil über das „postkoloniale“
Deutschland. Einerseits hielt sich die Bundesrepublik Deutschland für
kolonial unbelastet. Andererseits skizzierte das Auswärtige Amt 1953 im
Zusammenhang mit der europäischen Einigung in einem Gutachten namens „Der
Afrikaner und die neue Zeit“ eine Zukunft fortdauernder europäischer
Dominanz, in der Afrika „allein die körperlich tätige Arbeitskraft“ stellt
und Europa die „dem Europäer eigentümliche Initiative“.
## Aktuelle Afrikapolitik
Die [2][aktuelle Afrikapolitik Deutschlands und der EU] durch diese Brille
zu lesen wäre für manche Akteure sehr unangenehm. Darauf verzichtet der
Sammelband, ebenso auf eine Analyse des Umgangs Deutschlands mit seinen
Exkolonien, von der Unterstützung für Diktatoren bis zum Streit über
Entschädigung für Völkermord mit Namibia.
Weitgehend ausgespart wird auch das Thema der menschlichen Überreste aus
ehemaligen Kolonien in Deutschland. Ganz nebenbei erwähnt Baerbock das bei
der Buchvorstellung: Leichenteile von [3][16.000 toten Afrikanern liegen in
deutschen Museumskellern], nur die Hälfte ist einem Land zugeordnet. Da
blitzt der brutale Horror und die unfassbare Perversion des deutschen
Afrika-Kolonialismus auf. Kein Buch kann das in Worte fassen.
Reinwald stellt fest, „dass koloniale Denk- und Handlungsmuster aus der
Phase des Raubkolonialismus […] in Deutschland hartnäckig fortleben“. Der
Sammelband wirft die zum Umgang mit diesen Kontroversen nötigen Fragen auf
– und macht neugierig auf mehr. Fast jedes Kapitel liest sich wie der Kern
eines noch ungeschriebenen Buches. Man darf gespannt sein.
10 Jun 2024
## LINKS
[1] /Gedenken-an-Afrika-Konferenz/!5152571
[2] /Deutsche-Afrikapolitik/!5977813
[3] /Rueckgabe-von-Gebeinen-aus-Kolonialzeit/!5528265
## AUTOREN
Dominic Johnson
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