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# taz.de -- Buch über deutsche Kolonialgeschichte: Noch längst nicht versöhnt
> Brutale Exzesse: Politikwissenschaftler Henning Melber rechnet in seinem
> Buch schonungslos mit Deutschlands unbewältigter Kolonialgeschichte ab.
Bild: S.M.S. Seeadler verläßt den Hafen von Daressalam. Foto, 1914
Das wiedervereinigte Deutschland und das unabhängige Namibia traten fast
zeitgleich in die Weltgeschichte ein, aber 34 Jahre später haben sie sich
immer noch nicht über den Umgang mit den deutschen Kolonialverbrechen im
ehemaligen Deutsch-Südwestafrika verständigt. Seltsame Parallelen
durchziehen die Geschichte dieser beiden Länder seit der Besetzung durch
deutsche Geschäftsleute und Siedler im ausgehenden 19. Jahrhundert und dem
[1][deutschen Völkermord an den Herero und Nama ab 1904], als diese sich
wehrten.
Am 7. und 11. November 1989, rund um den Berliner Mauerfall, fanden im
damals südafrikanisch besetzten Gebiet unter UN-Ägide die ersten freien
Wahlen statt, als deren Ergebnis die schwarze Befreiungsbewegung Swapo das
freie Namibia zur Unabhängigkeit am 21. März 1990 führte, drei Tage nach
der ersten und einzigen freien Wahl der DDR, die die Wiedervereinigung
einläutete.
Bekanntestes deutsches Mitglied der Swapo, und damals noch mit einem
Einreiseverbot belegt, war der deutsch-namibische Politikwissenschaftler
Henning Melber. Der wohl beste deutsche Namibia-Kenner, unermüdlicher
Streiter für historische Gerechtigkeit und koloniale Aufarbeitung, hat nun
nach mehreren Büchern über Namibia ein Buch über Deutschlands Umgang mit
seiner kolonialen Vergangenheit insgesamt vorgelegt – bezeichnenderweise
nicht in Deutschland, sondern im britischen Verlag Hurst.
„Zufall als Programm“, sagt er dazu: Die Idee kam von den Briten; der
Vorteil davon ist, dass ein afrikanisches und internationales Publikum
diese schändliche deutsche Geschichte nachlesen kann – vom kolonialen
Terror bis zur Kolonialapologetik in der AfD und zum Scheitern der
„Gemeinsamen Erklärung“ der Regierungen Deutschlands und Namibias zum
Umgang mit dem Genozid an den Herero und Nama.
Vielen deutschen Lesern dürfte vieles vertraut sein, aber wohl niemandem
alles, und außerhalb Deutschlands sowieso nicht. Das 50-seitige Kapitel
„Germany and Namibia“ allein bietet den besten vorliegenden Überblick über
den deutschen (Nicht-)Umgang mit seinem ersten Genozid, mit allen
schmutzigen und beschämenden Details und juristischen Winkelzügen, mit
denen die Bundesregierung sich bis heute aus der vollen Übernahme von
Verantwortung herauswindet.
## Mit der Materie vertraut
Melber weiß viel mehr, als er schreibt. Das gesamte Buch ist eigentlich nur
200 Seiten lang, dazu kommen gut 130 Seiten Endnoten, Bibliografie und
Register mit Verweisen auf genug Quellen und weiterführende Literatur für
ein halbes Leben und eine ganze Bibliothek. Zuweilen wird Vertrautheit mit
den historischen Tatsachen allzu sehr vorausgesetzt, und die Abrisse der
Geschichte der einzelnen Kolonien sind sehr kurz geraten.
Die Vertrautheit des Autors mit der Materie erlaubt aber originelle
Einsichten, etwa die Rolle von Kartoffelschnaps als Treiber der Suche nach
kolonialen Absatzmärkten und der bis heute gewahrte gute Ruf deutschen
Bieres in Afrika. Die naheliegende Parallele zwischen Kolonialismus und
Alkoholismus – man steigert sich erst in fürchterliche Exzesse und will
sich hinterher an nichts mehr erinnern – wird nicht weiterverfolgt.
Melbers Thema ist der Umgang mit der [2][kolonialen Prägung der deutschen
Gesellschaft und politischen Kultur]. Es geht nicht nur um das Verhältnis
zu einstigen Kolonialgebieten, es geht um Afrikaromantik in der Literatur,
um den Umgang mit Schwarzen, um unterschiedlich selektive Blicke in BRD und
DDR, ganz grundsätzlich um das politische Selbstverständnis.
## Asymmetrische Machtverhältnisse
„Die Verbindung zwischen Kolonialismus und Genozid bleibt ein integraler
Bestandteil der europäischen Moderne und ihrer Hinterlassenschaft. Aber bis
heute wird diese Verbindung in den vorherrschenden Kulturen der ehemaligen
Kolonialmächte kaum anerkannt“, schreibt Melber und wünscht sich ein
„kollektives Weltgedächtnis“ anstelle der kolonial geprägten Realität
„asymmetrischer Machtverhältnisse“ mit ihrer „Hierarchie der Erinnerunge…
Ein Schritt, zu dem Deutschland offenkundig nicht bereit ist. Wie einer der
von ihm zitierten Namibier die Frage beantwortet, wie Versöhnung zwischen
Deutschland und Namibia möglich wäre: „Was wären Sie bereit aufzugeben?“
Man wünscht diesem Buch eine breite Leserschaft. Auch in Deutschland.
26 Nov 2024
## LINKS
[1] /Gedenken-an-Voelkermord-an-den-Herero/!6040462
[2] /Spielfilm-Der-vermessene-Mensch/!5921347
## AUTOREN
Dominic Johnson
## TAGS
Deutscher Kolonialismus
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Genozid
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Schwerpunkt Völkermord an den Herero und Nama
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Literatur
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