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# taz.de -- Sammelband zur Kolonialismuskritik: Landkarten und Denkräume
> Ein Sammelband stellt aktuelle Forschungsergebnisse und Denkansätze zur
> Kolonialismuskritik vor. Und bringt sie verständlich auf den Punkt.
Bild: Perspektivenwechsel; ein Sammelband stellt aktuelle Forschungsergebnisse …
Berlin taz | Dass eine Kritik der Kolonialität weiterhin aktuell und
dringend geboten ist, zeigt der im Bielefelder Aisthesis Verlag erschienene
Sammelband „(Post-)Koloniale Welten“ in zehn eindrucksvollen Beiträgen. Sie
bieten einen informativen Einblick in aktuelle Forschungsergebnisse, vor
allem aus der Geografie und der Literaturwissenschaft.
Warum der große Anteil geografischer Untersuchungen? Wie die
Herausgeber:innen eingangs erläutern, war gerade die wissenschaftliche
Erkundung neuer, fremder Territorien eng mit dem Kolonialismus verbunden.
Fast wie zur Wiedergutmachung bemühen sich die beteiligten Geograf:innen
um eine gleichberechtigte Zusammenarbeit mit Wissenschaftler:innen aus
dem Globalen Süden und nehmen sozialwissenschaftliche Fragestellungen auf.
In zwei Aufsätzen werden Formen des Widerstands indigener und bäuerlicher
Gemeinschaften gegen die Ausbeutung von Ressourcen oder gegen die Folgen
technologischer Großprojekte untersucht. Die Autor:innen zeichnen dabei
nach, wie sich im Verlauf der Proteste ein Bewusstsein für den Wert der
eigenen Lebensformen und der mit ihnen verbundenen Denkweisen entwickelt,
die die Protestierenden dem westlichen Ideal der Moderne entgegensetzen.
Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen verbinden die Autor:innen mit
zentralen Elementen postkolonialer Theorie, etwa dem Konzept der
epistemischen Ungerechtigkeit, also einer Kritik an der systematischen
Missachtung traditioneller Wissensbestände und Denkweisen aus dem
[1][Globalen Süden]. Ausgeblendet wird dabei jedoch leider, dass prämoderne
Denkweisen gelegentlich im Konflikt mit positiven Errungenschaften der
Moderne, etwa der Gleichberechtigung von Frauen, stehen. Hier wäre noch
weitere Denkarbeit zu leisten.
## Theorie und ihre Anwendung
Die literaturwissenschaftlichen Beiträge untersuchen mehrheitlich
kolonialismuskritische Schriften, von einer Abhandlung des peruanischen
Kolonialbeamten Guaman Poma (1615) bis zu [2][Mithu Sanyals] postkolonialem
Pop-Roman „Identitti“ (2021). Poma geht dabei über eine Analyse und Anklage
des Raubbaus der spanischen Eroberer an Natur und Gesellschaft in
Lateinamerika hinaus, indem er die Möglichkeit einer klugen Weltregierung
entwirft, während Sanyal Homi Bhabas Konzept hybrider Identität fiktional
weiterentwickelt.
Wer schon einmal an dem Versuch, das Denken [3][Homi Bhabas] zu verstehen,
gescheitert ist, kann hier staunend entdecken, wie sich auch anspruchsvolle
theoretische Konzepte verständlich erklären und durch praktische Anwendung
verdeutlichen lassen. Überhaupt zeichnen sich die Aufsätze dieses Bandes
durch dankenswerte Klarheit aus. Vielleicht liegt es daran, dass sie aus
Vorlesungen hervorgegangen sind, die sich nicht an ein akademisches
Fachpublikum, sondern an Studierende richteten. Auf jeden Fall werden damit
die Aufsätze auch für außeruniversitäre Leser:innen interessant.
Im abschließenden (Mail-)Interview, das die Mitherausgeberin Isabelle
Stauffer mit dem Berliner Politologen Hajo Funke geführt hat, werden auch
ungelöste Streitfragen der postkolonialen Theorien angesprochen. Unter
anderem geht es hier noch einmal um die seit jeher strittige Bewertung der
europäischen Aufklärung: War sie nur eine halbe Sache, weil sie die Frauen,
die Kinder und die Schwarzen von ihrem Freiheitsversprechen ausschloss?
Diente ihr mitunter brachialer Liberalismus am Ende vor allem der
Legitimation von Landraub und Sklaverei? Die Diskussion der Fragen, die die
Beschäftigung mit der Kolonialität aufgeworfen hat, ist noch lange nicht
abgeschlossen.
28 Jan 2025
## LINKS
[1] /Ars-Viva-fuer-Helena-Uambembe/!6045149
[2] /Mithu-Sanyals-neuer-Roman/!6036005
[3] /Kulturtheoretiker-ueber-Obama/!5184666
## AUTOREN
Renate Kraft
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