# taz.de -- Bündnisse gegen Umweltzerstörung: Widerstand im Regenwald | |
> Die Zerstörung natürlich-sozialer Räume lässt sich verhindern. Die | |
> Anthropologin Anna Lowenhaupt Tsing zeigt das an einer indigenen Gruppe | |
> in Borneo. | |
Bild: Nebel über dem Meratus-Gebirge | |
Um die Jahrtausendwende gelang einer Gruppe von indigenen | |
Waldbewirtschafter:innen in Danggur im westlichen Meratus-Gebirge | |
[1][Borneos] ein großer Erfolg: Zusammen mit regionalen | |
Naturschützer:innen und einer nationalen Umweltschutzorganisation | |
verhinderten sie die Abholzung ihres Waldes durch ein transnationales | |
Unternehmen. | |
Dieses Ereignis nahm die amerikanische Anthropologin Anna Lowenhaupt Tsing | |
zum Anlass, die globalen Verflechtungen zu erkunden, in die der Konflikt | |
mitsamt seinem unvermutet glücklichen Ausgang eingebettet war. Bereits 2004 | |
legte sie ihre Ergebnisse vor, die mit zwanzigjähriger Verspätung jetzt | |
auch auf Deutsch erschienen sind: ein beeindruckendes, ethnografische | |
Detailbeobachtung und Theoriebildung miteinander verschränkendes Dokument | |
einer postkolonialistisch orientierten Ethnologie. | |
Bei genauerem Hinsehen, so Tsing, sind weder das internationale | |
Finanzkapital noch die globalen Märkte, ja nicht einmal die | |
Widerstandsbewegung gegen die Ausbeutung lokaler Ressourcen homogene | |
Gebilde. Sie bestehen vielmehr aus einer Vielzahl von Tendenzen, oft im | |
Widerstreit miteinander. Den Prozess, in dem sie sich überkreuzen, reiben, | |
einander verstärken oder hemmen, nennt die Autorin „Friktion“. Weil sie die | |
Welt als ein Netz von Friktionen konzeptualisiert, ist es ihrer Auffassung | |
nach möglich, selbst einem so machtvollen Prozess wie der weltweiten | |
Zerstörung natürlich-sozialer Räume Grenzen zu setzen. | |
## Wie reisendes Wissen wirkt | |
In ihrer vierhundertseitigen Darstellung, die von den verheerenden | |
Auswirkungen des extraktiven Kapitalismus bis hin zur Kultur der Meratus | |
Dayak, einer Gruppe bornesischer Indigener, reicht, inspiziert Tsing so | |
unterschiedliche Orte und Konzepte wie die vom Rohstoffabbau zerstörten | |
Landschaften, das Phantasma einer leeren, von menschlicher Bewirtschaftung | |
freien Natur, den zuweilen erratischen Fluss internationalen | |
Finanzkapitals, die Naturbegeisterung indonesischer Mittelschichtskinder, | |
den Wanderfeldbau im Meratus-Gebirge und die Wirkungen „reisenden“ Wissens | |
und charismatischer Erzählungen. | |
Als Ethnografin, die über Jahre hinweg immer wieder mit Gruppen von | |
Indigenen gelebt und Freundschaften geschlossen, ja sogar | |
quasiverwandtschaftliche Beziehungen geknüpft hat, nimmt die Autorin | |
begründet Partei für das Interesse der Meratus-Dayak, ihren Lebensunterhalt | |
weiterhin mithilfe der tradierten Formen der [2][Bewirtschaftung des | |
Regenwalds] zu sichern. Tsings Beschreibung der indigenen Lebensweise | |
fasziniert durch ihre über viele Jahre hinweg gewonnene Expertise und ihre | |
mal sympathisierende, mal humorvoll-kritische, aber immer respektvolle | |
Haltung gegenüber den Menschen der untersuchten Kultur. | |
Deren Zusammenleben charakterisiert sie als ein freundliches Miteinander | |
und Nebeneinander von Gruppen, die sich in ihrer Zusammensetzung immer | |
wieder ändern. Infolge des tropischen Klimas wachsen Pflanzen, wilde ebenso | |
wie Kulturpflanzen, fast von allein. Die Arbeit der Menschen besteht vor | |
allem darin, durch oft unvollständige Brandrodung von Waldstücken neue | |
Felder zu erschließen, die sie im folgenden Jahr wieder sich selbst | |
überlassen, dass sich die ursprüngliche Vegetation regenerieren kann. | |
Bestimmte Landstücke und Bäume werden von Individuen und Gruppen als ihr | |
Besitz reklamiert, oft von mehreren gleichzeitig – offenbar, ohne dass | |
dadurch größere Konflikte entstehen. | |
Tsing arbeitet heraus, wie Wissenschaftler:innen, die es gewohnt sind, | |
[3][Landschaften] entweder als „Natur“ oder als landwirtschaftliches | |
Nutzgebiet einzuordnen, daran scheitern müssen, einen natürlich-sozialen, | |
sporadisch bewirtschafteten Raum wie den Meratus-Wald als solchen zu | |
erkennen. Sie zeichnet auch nach, wie in der Vergangenheit der östliche | |
Teil des Meratus-Gebirges durch kommerziellen Holzschlag zerstört wurde und | |
wie die Menschen dort sich von der Dynamik überrollen und spalten ließen. | |
Umso wichtiger sind für Tsing die Faktoren, die den Widerstand in Danggur | |
Erfolg haben ließen: die Zusammenarbeit ganz unterschiedlich ausgerichteter | |
Gruppen auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene, die organisatorischen | |
Vorteile einer nationalen Plattform, der Kontakt mit internationalen | |
Umweltstandards sowie der Einfluss von reisenden Widerstandserzählungen aus | |
anderen Teilen der Welt, die sich mit lokalen Traditionen verbanden. Nicht | |
allein der Ressourcenhunger transnationaler Unternehmen verband den | |
Meratus-Wald mit globalen Entwicklungen, auch die Umweltbewegung hatte eine | |
kosmopolitische Dimension. | |
Die vorsichtige Hoffnung von Anna Lowenhaupt Tsing, die zerstörerische | |
Wirkung des globalen Kapitals werde sich auch andernorts ebenso einhegen | |
lassen wie der Holzschlag auf Borneo, steht und fällt mit ihrer Theorie von | |
der Welt als einem durch Friktionen bestimmten Ort. | |
Es bleibt zu wünschen, dass sie mit beidem recht behält. | |
14 Apr 2025 | |
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## AUTOREN | |
Renate Kraft | |
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