| # taz.de -- Hamburg benennt Straßen um: Erinnerung an die Opfer statt Ehrung d… | |
| > In Hamburg heißen zwei bislang nach einem Kolonialismus-Profiteur | |
| > benannte Straßen künftig nach einem Widerstandskämpfer und einem | |
| > Kolonialismusopfer. | |
| Bild: Auf der „Alexandra Woermann“ nach „Deutsch-Südwest“: kaiserliche… | |
| Hamburg taz | Mord verjährt nie. Dieses zunächst auf den NS-Staat bezogene | |
| Gesetz wurde nach jahrzehntelangen politischen Debatten in der deutschen | |
| Nachkriegsgesellschaft mühsam [1][erfochten.] 1979 trat es in Kraft; die | |
| Prozesse gegen die letzten betagten (Mit-)TäterInnen laufen. | |
| Prozesse gegen TäterInnen des [2][Kolonialismus] dagegen gab es nie, und | |
| gegen Verstorbene kann man sie nicht mehr führen. Im Gegenteil: Man hält | |
| zum Beispiel Hamburger Kolonial-Profiteure durch Ehrenbürgerschaften, | |
| Denkmäler und Straßennamen auch im öffentlichen Raum im Gedächtnis. | |
| Von den Opfern kennt man oft nicht einmal die Namen, denn das System machte | |
| die [3][Versklavten] zu Nummern, die Unterdrücker zu Helden. Seit Jahren | |
| fordern deshalb Communitys, Postkolonial-AktistInnen und Nachfahren der | |
| Opfer des deutschen Völkermordes an den [4][Ovaherero und Nama] die | |
| Umbenennung von Straßen, die nach ProfiteurInnen des Kolonialismus benannt | |
| sind. | |
| Dieser Prozess ist zäh, aber langsam bewegt sich etwas: Berlin und | |
| Düsseldorf haben bereits Straßen umbenannt. Hamburg allerdings, dessen | |
| Kaufleute vehement die Annexion von Kolonien betrieben und finanziell | |
| extrem profitierten, ist spät dran. Das liegt auch daran, dass das | |
| maßgebliche Votum über Straßen-Umbenennungen letztlich nicht die | |
| Bezirksversammlung, sondern die Regionalausschüsse haben. Und die sind nah | |
| dran an Partikularinteressen und AnwohnerInnen-Protesten. | |
| ## Keine Ehrung mehr für Adolph Woermann | |
| Trotzdem hatte der Bezirk Hamburg Nord am 5. September 2024 beschlossen, | |
| drei kolonial belaste Straßennamen in Ohlsdorf zu ändern. Zwei von ihnen | |
| ehren den Kaufmann und Reeder Adolph Woermann, Mitbegründer der Kolonie | |
| Kamerun. Als 1904 der Aufstand der Ovaherero in der Kolonie | |
| Deutsch-Südwestafrika begann, transportierte die Woermann-Linie rund 14.000 | |
| deutsche Soldaten samt Pferden und Kriegsgerät dorthin und verdiente gut | |
| daran. Zudem internierte er Hunderte Ovaherero und zwang sie zur Minen- und | |
| Hafenarbeit. Woermann galt schon damals als Kriegsgewinnler. | |
| In Hamburg-Ohlsdorf soll der Woermannsweg künftig Louisa-Kamana-Weg heißen. | |
| Kamana wurde 1903 samt ihrem Neugeborenen von einem deutschen Händler | |
| erschossen, als sie sich gegen seinen Vergewaltigungsversuch wehrte. Der | |
| Täter bekam drei Jahre Gefängnis, war aber nach elf Monaten wieder frei. | |
| Dass es überhaupt eine Gerichtsverhandlung gab lag daran, dass Louisa | |
| Kamana die Tochter eines einflussreichen Chiefs war. | |
| Unter den Ovaherero gelte dieser Mord und viele weitere Fälle | |
| sexualisierter Gewalt gegen Frauen „als zentrale Impulsgeber für den | |
| Aufstand der Ovaherero gegen die deutsche Kolonialherrschaft, der zum Krieg | |
| und schließlich zum Völkermord an den Ovaherero führte“, schreibt der | |
| Arbeitskreis Hamburg Postkolonial, der die neuen Straßennamen vorschlug. | |
| Die zweite betroffene Straße, der Woermannstieg, soll künftig | |
| Cornelius-Fredericks-Stieg heißen und an einen wichtigen Widerstandskämpfer | |
| gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Namibia erinnern. Fredericks starb | |
| 1907 in einem deutschen Konzentrationslager an der namibischen Küste. Er | |
| ist eins von ungefähr 75.000 Opfern des vom deutschen Kommandanten Lotha | |
| von Trotha befehligten Völkermords an den Ovaherero und Nama. Die | |
| zugehörigen Straßenschilder wurden laut Bezirksamt Ende November 2024 | |
| bestellt und sollten nach sechs Wochen fertig sein. Die Aufstellung sei für | |
| die erst Jahreshälfte geplant, heißt es. | |
| Ins Stocken gerät derweil die dritte, eigentlich bereits beschlossene | |
| Umbenennung des Ohlsdorfer Justus-Strandes-Weges. Der Kaufmann Strandes | |
| hatte den für seine Brutalität berüchtigten Hamburger Kolonialisten Carl | |
| Peters bei der Gründung der Kolonie Deutsch-Ostafrika unterstützt. Strandes | |
| half bei der Ausfertigung von Knebelverträgen mit den einheimischen Chiefs | |
| und lieferte Peters ab 1888 Waffen für die Niederschlagung des | |
| antikolonialen Aufstandes in Ostafrika. | |
| Sein Name sollte durch den einer Frau ersetzt werden, die von [5][Carl | |
| Peters] und weiteren deutschen Offizieren, wie viele versklavte | |
| Afrikanerinnen, systematisch vergewaltigt wurde. Nach ihrem zweiten | |
| Fluchtversuch wurde sie 1892 hingerichtet, keine 20 Jahre alt. Ihr Name ist | |
| Ndekocha. Da die deutschen Kolonialherrn ihn für unaussprechbar hielten, | |
| nannten und schrieben sie sie „Jagodja“. | |
| Diese koloniale Schreibweise hatte die Community zunächst irrtümlich für | |
| die Umbenennung des Justus-Strandes-Weges vorgeschlagen. Der Bezirk stimmte | |
| an besagtem 5. September 2024 zu. Als aber klar wurde, dass es Ndekocha | |
| heißen musste und die Linksfraktion den Antrag auf Änderung des | |
| Straßennamens stellte, stimmte der Regionalausschuss am 14. Oktober 2024 | |
| dagegen – auch die um Dekolonisierung stets bemühte SPD, die „Jagodja“ | |
| zuvor befürwortet hatte. | |
| ## Schreibweise ist wichtig | |
| Die Begründung klingt wie ein Déjà-vu: „Dieser Name mit dem Klicklaut am | |
| Anfang ist einfach zu schwer auszusprechen“, sagt Martina Schenkewitz, | |
| Sprecherin de SPD-Fraktion Hamburg Nord. Das sei den Anwohnern nicht | |
| zuzumuten, „und mir ist Bürgerbeteiligung wichtig. Der Straßenname soll ja | |
| auf allen Seiten Akzeptanz finden.“ | |
| Millicent Adjej vom [6][Arbeitskreis Hamburg Postkolonial] sagt, solche | |
| Argumente schrieben koloniale rassistische Muster fort und müssten | |
| zurückgenommen werden. „Es bleibt dieselbe Person – unabhängig davon, wie | |
| man den Namen schreibt. Ndekocha repräsentiert eine große Opfergruppe.“ | |
| Auch Kultursenator Carsten Brosda (SPD) lässt mitteilen, das zu seiner | |
| Behörde gehörende, für die Entscheidung maßgebliche Staatsarchiv halte den | |
| Vorschlag, den Justus-Strandes-Weg in Ndekocha-Weg umzubenennen, für | |
| unproblematisch. „Dem schließt sich der Kultursenator an, da es wichtig | |
| ist, die richtige Schreibweise zu nutzen, wenn wir an die Opfer des | |
| Kolonialismus erinnern“, schreibt die Pressestelle. | |
| ## Starkes Zeichen im öffentlichen Raum | |
| Das stünde auch unserer multikulturellen Einwanderungsgesellschaft gut zu | |
| Gesicht, gibt es in Kitas und Schulen doch bereits viele „fremde“, für | |
| deutsche Muttersprachler teils schwer aussprechbare Namen. Da wäre ein | |
| Ndekocha-Weg ein glaubhaftes Zeichen von Akzeptanz und Integration. | |
| Im Übrigen ist dies kein Einzelfall: Auch ein Teil des Neuengammer Heerwegs | |
| wurde 1985 – ungeachtet des AnwohnerInnenwillens – in | |
| [7][Jean-Dolidier-Weg] umbenannt. Dolidier war ein französischer | |
| Widerstandskämpfer, der das KZ Neuengamme überlebte. Seinen Namen können | |
| viele bis heute nicht akzentfrei französisch aussprechen. Aber darauf kommt | |
| es auch nicht an. Der Name ist ein starkes Zeichen im öffentlichen Raum und | |
| steht für die Übernahme historischer Verantwortung. Bezüglich des | |
| Kolonialismus ist die seit Mai sogar im stadtweiten Erinnerungskonzept des | |
| Hamburger Senats zur Dekolonisierung festgeschrieben, das ausdrücklich die | |
| Beteiligung der Communitys fordert. | |
| Daran will auch SPD-Sprecherin Martina Schenkewitz nach eigenem Bekunden | |
| festhalten. Zwar sei der Name Ndekocha vom Tisch, sagt sie. „Aber wir | |
| werden 2025 einen neuen Antrag stellen und die Community um einen anderen | |
| Vorschlag bitten. Die Umbenennung auch des Justus-Strandes-Weges wird | |
| kommen. Das verspreche ich Ihnen.“ | |
| 9 Jan 2025 | |
| ## LINKS | |
| [1] /NS-Prozesse-und-die-Verjaehrung-der-Taten/!5223940 | |
| [2] /Deutscher-Kolonialismus/!t5394549 | |
| [3] /Tag-der-Erinnerung-an-den-Sklavenhandel/!6028125 | |
| [4] /Schwerpunkt-Voelkermord-an-den-Herero-und-Nama/!t5012219 | |
| [5] /Kolonialverbrecher-aus-Hannover/!5779237 | |
| [6] http://www.hamburg-postkolonial.de/willkommen.html | |
| [7] /Lokales-Erinnern-ans-KZ/!5010856 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
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