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# taz.de -- Berliner Straßenumbenennung: Audre Who?
> Am Freitag wird offiziell die Audre-Lorde-Straße eingeweiht. Es ist ein
> Schritt auf dem Weg zu einer inklusiven städtischen Erinnerungskultur.
Bild: Race- und Gendergap bei Straßennamen: In Friedrichshain-Kreuzberg sind n…
Berlin taz | Wen gilt es zu würdigen: eine „Schwarze, Lesbe, Feministin,
Mutter, Dichterin und Kriegerin“ oder einen weißen Antiliberalisten und
Demokratiegegner? Audre Lorde oder Otto von Manteuffel? Der wenig
entscheidungsfreudige Beschluss des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg
lautete: Halb-halb. Das Ergebnis: Ein Teil der Manteuffelstraße wird zur
Audre-Lorde-Straße.
Das soll nun gebührend gefeiert werden: Am Freitagnachmittag begeht der
Bezirk die Umbenennung des nördlichen Teils der Manteuffelstraße zwischen
Oranienstraße und Köpenicker Straße nach der afro-amerikanischen, 1934
geborenen Bürgerrechtlerin Audre Lorde mit einem Festakt.
1984 war Lorde als Gastprofessorin für afroamerikanische Literatur zum
ersten Mal nach Berlin gekommen, wo sie bis zu ihrem Tod 1992 einen Teil
ihres Lebens verbrachte. Und wo sie die Afro-deutsche Bewegung entscheidend
prägen sollte.
„Das Thema Rassismus war in den 1980er und 90er Jahren in Deutschland noch
ein starkes Tabu“, sagt Katharina Oguntoye. Sie war eine enge
Wegbegleiterin und Mitstreiterin der Aktivistin. „Man hatte die Holocaust
Diskussion und die Ausländerfeindlichkeit, aber jetzt auch noch eine
Rassismus-Debatte, das wollte keiner.“ Audre Lorde habe in der
Frauenbewegung die Diskussion darüber angestoßen. Sie regte Oguntoye und
weitere Schwarze Frauen an, ihre Erfahrungen aufzuschreiben. Daraus ging
1986 das Buch „Farbe bekennen“ hervor, das heute als „Gründungsdokument�…
der Bewegung gilt.
## „Farbe bekennen“ gilt als Gründungsdokument der Afro-Deutschen Bewegung
Es ist das erste in Deutschland publizierte Buch, das Afro-Deutschen, vor
allem Frauen, die Möglichkeit gab, sich als nationale Gruppe darzustellen.
Oguntoye ist Mitherausgeberin, so wie auch ihre Mitstreiterin May Ayim.
„Wir waren überwältigt in unserem jungen Alter für eine gesamte
Bevölkerungsgruppe zu sprechen“, sagt Oguntoye heute. Lorde habe sie darin
bestärkt, dass ihre Geschichten wichtig für die Sichtbarkeit von Schwarzen
Menschen in Deutschland seien. Die Straßenumbenennung zu ihren Ehren sei
daher eine „tolle Sache“ für Berlin, die diese Aktivistin einer breiteren
Öffentlichkeit bekannt macht.
Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) hatte bereits 2019 beschlossen,
eine Straße nach ihr zu benennen. Nach einer Anwohner*innenbefragung,
bei der unterschiedliche Straßen zur Disposition standen, wählte der Bezirk
den Abschnitt der Manteuffelstraße. Sie ist benannt nach dem preußischen
Ministerpräsidenten und Außenminister Otto Theodor von Manteuffel
(1805-1882). Neben seiner hochkonservativen Politik war dieser vor allem
für seine Feindlichkeit gegenüber dem konstitutionellen Liberalismus sowie
der Unterdrückung der 1848er Bewegung bekannt.
Mit der Ehrung des Demokratiefeinds soll jetzt Schluss sein. Naja, so halb:
Nur der nördliche Teil wird umbenannt, der südliche Abschnitt zwischen
Skalitzer Straße und Paul-Lincke-Ufer wird weiterhin seinen Namen tragen.
Warum? „Es stand gar nicht zur Diskussion, die gesamte Manteuffelstraße
umzubenennen“, erklärt eine Sprecherin des Bezirksamts unumstößlich.
## Bürokratische Hürden bei der Umbenennung
Bei Oguntoye stößt das auf Unverständnis. Im Bezirksamt könne ihr „kein
Mensch erklären“ warum nur die halbe Straße umbenannt wird. „Das ist
bürokratischer Unsinn“, kritisiert sie. Und nicht nur da holpert es: Die
Umbenennung war im Amtsblatt veröffentlicht worden, von den
Anwohner*innen hatten das viele nicht mitbekommen. Seit September 2023
heißt der nördliche Teil bereits offiziell Audre-Lorde-Straße. Bis Mai
hingen dort jedoch nur die alten Straßenschilder, bei Google Maps hingegen
ist sie seitdem nur unter Audre-Lorde-Straße zu finden. „Das führt zu
großen Verwirrungen“, sagt Oguntoye.
Doch nicht nur das: Damit, dass der Bezirk nur einen Teil der Straße
umbenennt, hat er sich weitere Probleme eingehandelt. Denn dadurch haben
sich sowohl in der Audre-Lorde-Straße als auch in der verbliebenen
Manteueffelstraße Nummerierungslücken bei den Hausnummern ergeben. Laut
Berliner Vermessungsgesetz müssen alle Grundstücke mit einer eindeutigen
Hausnummer versehen sein. Daher muss nun eine Neunummerierung durchgeführt
werden, wie der Bezirk mitteilt. „Politik und Bürokratie sollen das
Gemeinwesen organisieren, aber das ist eher Desorganisation“, kritisiert
Oguntoye.
„Der Prozess ist nicht ganz so gelaufen, wie er laufen sollte“, räumt auch
die Sprecherin des Bezirksamts gegenüber der taz ein. Statt der üblichen 12
Monate von der Abstimmung bis zur Umbenennung, vergingen bei der
Audre-Lorde-Straße fast 5 Jahre.
Auch anderen Umbenennungen liefen schleppend. „Grund dafür sind in der
Regel Anwohner*innen, die Einspruch gegen die Straßenumbenennungen
erheben“, erklärt Christian Kopp vom Verein Postkolonial, der sich auch für
Umbenennungen stark macht. [1][In der ehemaligen M*Straße in Mitte etwa
liefen nach dem Beschluss der dortigen BVV Widerspruchsverfahren,
Anwohner*innen klagten]. Ähnlich war es bei Umbenennungen im
sogenannten Afrikanischen Viertel, die die BVV Anfang 2018 beschlossen
hatte.
„Manche Anwohner*innen wollen nicht wahrhaben, dass es Schwarze
Berliner*innen gibt, die lokalpolitisch mitreden und sich auch auf der
Landkarte einschreiben wollen“, sagt Kopp. Einige argumentierten auch, dass
der Kolonialismus nicht so schlimm gewesen sei, man „solle nicht
übertreiben“.
## Große Race- und Gendergap bei Straßennamen in Berlin
Doch der öffentliche Raum spiegelt sowohl die städtische Erinnerungskultur
als auch das damit verbundene Gesellschaftsbild wider. „Es geht um die
grundsätzliche Diskussion über Kolonialgeschichte, darum Opfer und
widerständige Personen zu ehren und nicht die Verbrecher“, sagt Kopp. An
der Ehrung deutscher Kolonialverbrecher hatte es in Berlin bislang nicht
gemangelt: Der Lüderitz- und Nachtigalplatz, die Petersallee oder das
Gröbenufer sind nur einige Beispiele – [2][die inzwischen umbenannt sind,
meist auf das Betreiben von Initiativen]. Nun stehen Personen der Kolonial-
oder Gegenwartsgeschichte, wie Manga Bell, Cornelius Fredericks, Anna
Mugunda oder eben May Ayim auf den Schildern.
Eine Auswertung des Vereins Decolonize Berlin ergab, dass gerade mal [3][10
Prozent der Straßen mit Personennamen nach Frauen benannt sind]. Von den
103 Straßen, die in Friedrichshain-Kreuzberg Frauen ehren, ist nur eine
BiPoC. Um dem Ungleichgewicht entgegenzuwirken, hatte der grün-regierte
Bezirk bereits 2005 beschlossen, Straßen nur noch nach Frauen zu benennen,
bis eine Quote von 50 Prozent erreicht ist. Berlinweit lässt sich jedoch
ein gegensätzlicher Trend beobachten: Zwischen 2012 und 2022 wurden laut
European Data Journalism Network mehr Straßen nach Männern als nach Frauen
benannt. Bei dem aktuellen Tempo dauere es noch mehrere Jahrhunderte, bis
es zu einem ausgewogenen Geschlechterverhältnis bei Straßennamen komme, so
ihr Befund.
Bei der virtuellen „Audre Lorde City Tour“, können Interessierte einen
Einblick in Lordes politische und persönliche Welt in Berlin bekommen. Bis
zum 30. Juni läuft auch noch die Ausstellung „Audre Lorde – The Berlin
Years“ im Friedrichshain-Kreuzberg Museum.
28 Jun 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Lilly Schröder
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