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# taz.de -- Berliner Straßenumbenennung: Weg mit den kolonialen Spuren
> taz-Serie „Was macht eigentlich …“: In Berlin sollen Straßen mit
> antisemitischen, rassistischen oder kolonialen Bezügen umbenannt werden.
Bild: König Jean-Yves Eboumbou Douala Bell aus Kamerun und Ehefrau bei der f…
Berlin taz | Die kalte Wintersonne scheint auf die roten Farbreste auf dem
Straßenschild, Überbleibsel einer symbolischen Umbenennung. Auf Googlemaps
ist die Petersallee im Wedding schon umbenannt – zumindest teilweise:
Jeweils ein Straßenabschnitt heißt hier Anna-Mugunda- und Maji-Maji-Allee.
Über einen dritten Abschnitt muss noch gerichtlich entschieden werden, ein
Antrag auf Zulassung der Berufung dagegen ist noch anhängig. Das ist auch
der Grund, warum die Realität im Afrikanischen Viertel auch fünf Jahre,
nachdem der Kulturausschuss der Bezirksverordnetenversammlung sich auf eine
Umbenennung der Straße verständigt hat, noch anders aussieht: Noch immer
steht Petersallee auf den Schildern.
Tahir Della ist Vorstandsvorsitzender von Decolonize Berlin und schaut auf
das Straßenschild, auf dem der Name des Mannes prangt, der als Begründer
der Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ gilt: Carl Peters. „Aus pragmatischen
Gründen wartet das Bezirksamt mit der Umbenennung der gesamten Straße, bis
das Gericht über die Klage entschieden hat“, erklärt er. Das Berliner
Straßengesetz erlaubt Umbenennungen von Straßen, die nach Wegbereitern des
NS-Regimes, der DDR oder von Kolonialismus und Sklaverei benannt sind oder
nach in diesem Zusammenhang stehenden Orten, Symbolen oder Begriffen.
Für Della ist diese Praxis Teil der Dekolonisierung. Decolonize Berlin
entwickelt daher ein gesamtstädtisches Aufarbeitungs- und
Erinnerungskonzept zur Geschichte und zu den Folgen des Kolonialismus in
Berlin. Ob sich in diesem Bereich mit der neuen Landesregierung etwas
geändert hat? „Das wird sich noch zeigen, insbesondere daran, wie sich die
finanzielle Unterfütterung gestaltet“, sagt Della. Er fordert die
politischen Verantwortlichen auf, das Thema ernst zu nehmen, das sei
nichts, was man schnell abhaken kann.
Für Kultursenator Joe Chiallo (CDU) ist die Sache klar: „Wenn wir uns mit
dem Thema der Kolonialgeschichte auseinandersetzen, muss dies immer im
Dialog mit Nachfahren der Opfer der Kolonialherrschaft, der
Zivilgesellschaft und den politischen Akteuren vor Ort geschehen“, sagt er
zur taz. [1][Umbenennungen von Straßen] hält er aber nicht pauschal für das
Mittel der Wahl. Zwar gebe es Fälle, „wo der Namensgeber dermaßen belastet
ist“, dass es gar nicht anders gehe als mit einer Umbenennung, wie etwa bei
der Petersallee. „In anderen Fällen mag eine Markierung im Stadtraum besser
sein, die eine Kontextualisierung herstellt, aufklärt, vermittelt.
Beispiel: Die Mohrenstraße – das ist für mich eine ‚Erinnerungsstraße‘…
sagt Chiallo. Damit vertritt er eine andere Meinung als das zuständige
Bezirksamt.
## Das Afrikanische Viertel
In Berlin wird über die Umbenennung von Straßen mit
[2][kolonial-rassistischen Bezügen] schon seit langem hitzig gestritten.
Dekoloniale und antirassistische Gruppen setzen sich seit rund 40 Jahren
für eine Umbenennung von Straßen im Afrikanischen Viertel ein. 2018 dann
wurden vier neue Straßennamen beschlossen. Doch seitens der
Anwohner*innen gab es Proteste, 200 Gewerbetreibende legten Widerspruch
dagegen ein.
Vor rund einem Jahr dann wurden zwei Straßen feierlich umbenannt. Statt der
Männer, die im 19. Jahrhundert mit Gewalt und Betrug deutsche Kolonien im
heutigen Namibia (Adolf Lüderitz) sowie Kamerun und Togo (Gustav Nachtigal)
„gründeten“, erinnern die Straßen heute an Cornelius Fredericks und Rudolf
Duala Manga Bell. Fredericks war im militärischen Widerstand gegen die
deutsche Kolonialherrschaft in „Deutsch-Südwestafrika“ aktiv und wurde
während des Genozids in einem Konzentrationslager nahe der Stadt Lüderitz –
die immer noch so heißt – ermordet. König Rudolf Duala Manga Bell aus dem
heutigen Kamerun hatte Petitionen gegen die Vertreibung der Duala
geschrieben und wurde 1914 von den Deutschen gehängt.
Die Petersallee wurde 1986 zwar „umgewidmet“, trotzdem verbinden die
wenigsten mit ihr den Berliner Stadtrat Hans Peters (CDU). Zumal die
Umwidmung nie rechtskräftig geworden ist. Der ursprüngliche Namensgeber
Carl Peters hatte die deutsche Kolonisierung von Ostafrika, heute Tansania
(ohne Sansibar), Burundi und Ruanda, gewaltsam vorangetrieben und dabei
zahlreiche Menschen ermorden lassen.
Wann die Umbenennung in Anna Mugunda, die in Namibia gegen die Apartheid
kämpfte und Maji-Maji (Swahili für Wasser), dem Schlachtruf, nach dem die
Widerstandsbewegung gegen den Kolonialismus in Tansania benannt ist,
umgesetzt werden kann, ist noch unklar. Laut dem Oberverwaltungsgericht
Berlin-Brandenburg sei derzeit nicht absehbar, wann über diesen Antrag
entschieden wird.
„Häufig werden diese Straßenumbenennungen als Maßnahme betrachtet, sich
einer Geschichte zu entledigen. Doch das kann nur ein Startpunkt sein, um
sich als Zivilgesellschaft mit den kolonialen Prägungen der Stadt zu
beschäftigen“, sagt Tahir Della von Decolonize Berlin der taz. Die
Umbenennungen sollten einen Perspektivwechsel einleiten, der nicht die
kolonialen Verbrecher ehre, sondern jene, die sich schon damals gegen
Unterdrückung und Rassismus stellten. „Seitens der Menschen, die die alten
Straßennamen behalten wollen, wird immer versucht zu relativieren. Ein
Gustav Nachtigal wird dann als harmloser Afrikaforscher bezeichnet, statt
als Wegbereiter des Kolonialismus“, kritisiert Della.
## Der Nettelbeckplatz
Dies lässt sich auch an anderer Stelle beobachten. Rund vier Kilometer
entfernt vom Afrikanischen Viertel liegt der Nettelbeckplatz. Joachim
Christian Nettelbeck war im 18. Jahrhundert als junger Seemann aktiv am
Versklavungshandel beteiligt und betrieb Koloniallobbyismus. Nach dem
Berliner Straßengesetz ein klarer Fall. Doch unter den Vorschlägen für
Straßennamen findet sich online mehrfach der alte Name wieder. Die
Begründung: Nettelbeck habe sich später vom Sklavenhandel distanziert.
Dabei hatte er lediglich geschrieben, dass er selbst keine Grausamkeiten
verübt hätte. Und: „Vor 50 Jahren war und galt dieser böse Menschenhandel
als ein Gewerbe wie andere.“
Auch hier verzögert sich zurzeit das Umbenennungsverfahren. Laut Bezirksamt
Mitte liegt das an der aktuell verhängten Haushaltssperre. Eigentlich soll
ein Gremium aus den eingegangenen Vorschlägen drei Namen auswählen und dem
Ausschuss für Weiterbildung und Kultur der Bezirksverordnetenversammlung
vorschlagen, der dann einen neuen Namen beschließen kann. „Voraussichtlich
kann das Gremium zu Beginn des kommenden Jahres tagen“, so ein Sprecher zur
taz. Dieses Gremium wähle dann aus den eingegangenen Vorschlägen drei Namen
aus und schlage sie dem Ausschuss für Weiterbildung und Kultur der
Bezirksverordnetenversammlung vor, dieser könne dann einen Beschluss
vornehmen. Da der Platz keine Adresse ist, ist ein Widerspruch oder eine
Klage in diesem Fall unzulässig. Dazu sind nur Anwohner*innen
berechtigt.
## Die M*Straße
Auch die 2021 beschlossene [3][Umbenennung der Mohrenstraße] in Mitte
konnte noch nicht umgesetzt werden. Zwar hatte das Verwaltungsgericht im
Juli die Klagen von Anwohnern abgewiesen. Nun ist – wie bei der Petersallee
– ein Antrag auf Zulassung der Berufung anhängig. Auch hier sei nicht
absehbar, wann über den Antrag entschieden werde, heißt es vom Gericht. Die
Ausgangslage ist hier eine etwas andere, weil es nicht um eine konkrete
Person geht, sondern um den rassistischen Begriff Mohr, folgend mit M*
abgekürzt.
„Zahlreiche Untersuchungen, auch unseres Instituts, zeigen, dass die
wahrscheinlich 1706 erfolgte Namensgebung ‚M*straße‘ in die Zeit der
brandenburgisch-preußischen Kolonialunternehmungen sowie in die damit
verflochtene, gewaltvolle Geschichte des Sklavenhandels zurückreicht“,
heißt es in einem Offenen Brief der Nachbarschaftsinitiative Anton Wilhelm
Amo-Straße. Die Initiative geht vom Institut für Europäische Ethnologie der
Humboldt-Universität aus, das in der Straße ansässig ist. Künftig soll die
Straße nach dem Schwarzen deutschen Philosophen Anton Wilhelm Amo benannt
werden, der als Kind aus dem heutigen Ghana verschleppt und 1707 von der
holländischen Ostindien-Kompanie dem Hof von Braunschweig-Wolfenbüttel
„geschenkt“ wurde, wo er als Kammerm* dienen musste.
Der Historiker Götz Aly bezeichnet die geplante Umbenennung als
„Geschichtsfrevel“: „Straßen hat man nicht in herabsetzender Absicht
benannt“, sagt er der taz. Aly hatte in der Berliner Zeitung zum
Widerspruch gegen die Umbenennung aufgerufen, mehr als 1.000 gingen
daraufhin beim Bezirksamt ein – davon allerdings nur 30 von Anwohner*innen.
Sieben von ihnen zogen vor Gericht, der Einfachheit halber wird Alys Klage
als Musterklage verwendet, die im Juli dieses Jahres [4][abgewiesen wurde].
Da die Berufung aufschiebende Wirkung hat, konnte die Straße noch nicht
umbenannt werden.
Für Tahir Della spielt die Intention der Benennung keine entscheidende
Rolle. Für ihn ist vielmehr der Ist-Zustand relevant. „Und heute gilt der
Begriff M* als rassistisch“, sagt er. Götz Aly hatte sich nach der
Entscheidung des Verwaltungsgerichts eigentlich nicht mehr an der Debatte
beteiligen wollen. Doch angesichts der Lage in Nahost hat er seine Meinung
geändert: „Nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober hat sich
sehr deutlich herausgestellt, wie stark einzelne Decolonize-Initiativen
antisemitisch unterwandert sind“, sagt er. Deshalb wolle er nun erneut an
das Gericht schreiben, und fragen, ob das Bezirksamt diese Gruppierungen zu
Recht als allein anzuhörende „zivilgesellschaftliche Organisationen“
eingestuft habe.
„Der Prozess der Dekolonisierung muss zu einer gerechten und
diskriminierungsfreien Gesellschaft führen“, sagt Tahir Della. Dies
beinhalte auch, antisemitischem Gedankengut entschieden entgegenzutreten.
„Im Übrigen stellt sich die Frage, warum ausgerechnet die
Kritiker*innen der Dekolonisierung mit diesem Argument auftreten – geht
es ihnen wirklich darum, dass die kolonialen Kontinuitäten bearbeitet
werden oder eher darum, dass die Verhältnisse so bleiben wie sie sind?“,
fragt er. Er ist überzeugt, dass die beschlossenen Umbenennungen der
Straßen in Wedding stattfinden werden. Wann es soweit ist, steht jedoch auf
einem anderen Blatt.
19 Dec 2023
## LINKS
[1] /Rassistische-Strassennamen-in-Berlin/!5703279
[2] /Rassistische-Gewalt-in-Berlin/!5743903
[3] /Umbenennung-der-Mohrenstrasse-in-Berlin/!5942202
[4] /Umbenennung-der-Mohrenstrasse-in-Berlin/!5942202
## AUTOREN
Ulrike Wagener
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