# taz.de -- Straßenumbenennung im Wedding: Ein antikoloniales Viertel | |
> Am Freitag werden im Wedding die Maji-Maji-Allee und die | |
> Anna-Mungunda-Allee eingeweiht. Ein weiterer Kolonialverbrecher muss | |
> weichen. | |
Bild: Der Nachtigalplatz ist schon umbenannt, nun folgt die Petersallee | |
Berlin taz | Bei aller Freude über die Umbenennung der [1][Petersallee] im | |
Wedding an diesem Freitag macht sich Mnyaka Sururu Mboro auch Sorgen. Der | |
72-jährige Aktivist bei Berlin Postkolonial rechnet damit, dass die | |
Feierlichkeiten gestört werden. „Wenn ich die Rundgänge im Afrikanischen | |
Viertel mache, kommen bis heute Leute zu mir und schreien mich an und | |
beleidigen mich“, erzählt er. | |
Seit 40 Jahren setzt sich Mboro nach eigenen Angaben für die Umbenennung | |
von Straßennamen ein, die Kolonialverbrecher ehren. „Als vor zwei Jahren | |
die anderen Straßen im Afrikanischen Viertel umbenannt wurden und die | |
Petersallee geblieben ist, war ich wirklich fertig“, sagt er. | |
Doch nun ist es soweit: Am Freitag um 15 Uhr werden die Maji-Maji-Allee und | |
die Anna-Mungunda-Allee eingeweiht. Zwei Stunden vorher findet ein | |
Gedenkmarsch in Erinnerung an die gefallenen Widerstandskämpfer*innen | |
im Maji-Maji-Krieg statt. Der Tag ist bewusst gewählt, der 23. August ist | |
der Internationale Tag der Erinnerung an den Sklavenhandel und seine | |
Abschaffung. | |
In den vergangenen Jahren haben Aktivist*innen diesen Tag für eine | |
symbolische Umbenennung der [2][M*Straße] in Mitte genutzt. „Dass es in | |
diesem Jahr wirklich eine Umbenennung gibt, ist toll“, sagt Anna Yeboah, | |
Gesamtkoordinatorin des Projekts [3][„Dekoloniale – Erinnerungskultur in | |
der Stadt“] zur taz. Für sie ist damit eine große Transformation geschafft. | |
„Das Afrikanische Viertel ist von einem kolonialen zu einem antikolonialen | |
Viertel geworden.“ | |
## Gedenken an Widerstand | |
Ein Abschnitt der ehemaligen Petersallee wird nun an Anna Mugunda erinnern, | |
eine Herero aus dem Widerstand gegen die Apartheid in Namibia. Der zweite | |
Abschnitt ist nach Maji-Maji benannt, dem großen Widerstandskampf gegen die | |
deutsche Kolonialherrschaft im damaligen Deutsch-Ostafrika (heute: Tansania | |
ohne Sansibar, Ruanda, Burundi). | |
Dass im Wedding nun an den Widerstand gegen die deutsche Kolonialherrschaft | |
erinnert wird und nicht etwa an Nelson Mandela, ist in erster Linie dem | |
langen Atem von Aktivist*innen und Initiativen wie der Dekoloniale, der | |
Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD), Each One Teach One | |
(EOTO) und Berlin Postkolonial zu verdanken. „Straßennamen sind Stein | |
gewordene Erinnerungskultur. Sie zeigen ganz klar, wen wir als Gesellschaft | |
würdigen und wen wir außen vor lassen“, sagt Anna Yeboah. | |
Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger findet es „gut und richtig“, dass | |
der Name Peters aus dem Berliner Straßenbild verschwindet. Das Thema | |
Kolonialismus erfahre mit den neuen Namen einen Perspektivwechsel, so die | |
Grünen-Politikerin. Sie dankt den zivilgesellschaftlichen Initiativen und | |
bedauert „wirklich sehr, dass es so lange dauern musste“. | |
Anders als Neukölln wartete der Bezirk Mitte mit der Umbenennung, bis alle | |
Gerichtsverfahren, die Anwohner*innen gegen eine Umbenennung | |
angestrengt hatten, abgeschlossen waren. Der Nachtigalplatz und die | |
Lüderitzstraße wurden schon vor zwei Jahren in Cornelius-Fredericks-Straße | |
und Manga-Bell-Platz umbenannt. Die letzte Klage gegen einen Abschnitt der | |
Petersallee wurde im April abgewiesen. | |
## Der Kampf ist nicht vorbei | |
Auch für Mnyaka Sururu Mboro von Berlin Postkolonial ist die Umbenennung | |
ein Erfolg. „Aber ich bin nicht zufrieden. Es gibt überall in Deutschland | |
immer noch Straßen, die die Namen von Kolonialisten tragen“, sagt er. | |
Mboro hat 1984 zum ersten Mal vom Afrikanischen Viertel im Wedding gehört, | |
anlässlich eines Gedenkens an den 100. Jahrestag der Afrika-Konferenz. „Als | |
ich gehört habe, wer da geehrt wird, war ich wirklich erschüttert“, sagt | |
Mboro, der in Tansania geboren ist und 1978 zum Studium nach Deutschland | |
kam. | |
Geehrt wurde Carl Peters, der 1884 die Kolonie „Deutsch-Ostafrika“ durch | |
Betrug und Zwang „begründete“. Unter Zeitgenoss*innen war er als | |
„Hänge-Peters“ und „Blutige Hand“ bekannt. Wegen seiner grausamen | |
Behandlung der Zivilbevölkerung wurde er 1897 seines Amtes enthoben. Das | |
bedeutete allerdings keineswegs eine Ablehnung seiner rassistischen und | |
kolonialen Grundeinstellung. 1914 wurde er dann von Kaiser Wilhelm II. | |
rehabilitiert und später von den Nazis glorifiziert. 1939 wurde die Straße | |
im Wedding – wie viele andere im Deutschen Reich – nach ihm benannt. „Er | |
wurde dort wegen seiner Brutalität geehrt“, sagt Mboro. | |
Schon 1984 forderte eine Schwarze Community in Berlin die Umbenennung der | |
Straße. Unterstützt wurde sie damals von der Vorgängerorganisation der | |
Grünen, der Alternativen Liste. Doch statt den Namen Peters aus dem | |
Stadtbild zu tilgen, wurde die Straße 1986 lediglich umgewidmet. Sie sollte | |
nun den CDU-Politiker Hans Peters ehren, der im Nationalsozialismus der | |
Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis angehört hatte. Die Umwidmung wurde | |
allerdings nie rechtskräftig. | |
Für Mboro und seine Mitstreiter*innen war das ohnehin keine gute | |
Lösung. Anlässlich des Maji-Maji-Trauermarsches im Jahr 2005 nahmen sie den | |
Kampf für die Umbenennung wieder auf. Doch es dauerte noch mehr als zehn | |
Jahre, bis die Bezirksverordnetenversammlung in Mitte die Umbenennung 2016 | |
beschließen sollte. | |
Eine Jury wählte damals aus 190 eingereichten Namensvorschlägen 6 zur | |
weiteren Beratung aus. Darunter war auch Ana Nzinga, die einerseits | |
Widerstand gegen die portugiesische Kolonialherrschaft leistete, als | |
Königin des heutigen Angola jedoch am Sklavenhandel beteiligt war. Nach | |
heftiger öffentlicher Kritik beschloss das Bezirksamt, eine | |
wissenschaftliche Beratung hinzuzuziehen. Anfang 2018 wurden dann neue | |
Vorschläge präsentiert. | |
Doch Maji-Maji wurde zunächst als „zu abstrakt“ verworfen. Die | |
Widerstandsbewegung, die von 1905 bis 1907 gegen die deutsche | |
Kolonialherrschaft kämpfte, ist nach einem „Zauberwasser“ benannt, das die | |
Kämpfer*innen unverwundbar machen sollte. Deutsche Truppen nutzten | |
damals die Politik der verbrannten Erde, zerstörten ganze Dörfer, Felder | |
und Lebensmittelvorräte. Schätzungen zufolge wurden 250.000 bis 300.000 | |
Menschen getötet, fast ein Drittel der Bevölkerung. Bundespräsident | |
Frank-Walter Steinmeier (SPD) bat im November vergangenen Jahres bei einem | |
Besuch in Tansania um Verzeihung für die Gewalttaten der deutschen | |
Kolonialherren. Als Genozid hat Deutschland diese bisher jedoch nicht | |
anerkannt. | |
Viele Anwohner*innen waren mit den Umbenennungen im Afrikanischen | |
Viertel nicht einverstanden. Es kam zu rund 1.200 Widersprüchen von 400 | |
Einzelpersonen. „Viele versuchen so zu tun, als wäre die Kolonialgeschichte | |
nicht passiert“, sagt Mboro. Aber es ist passiert, also müsse darüber | |
gesprochen werden. „Ich möchte, dass die jungen Generationen hier und in | |
Tansania miteinander zu Frieden kommen.“ | |
## Initiative läuft aus | |
Anna Yeboah arbeitet gerade an einer dezentralen Ausstellung, die am 14. | |
November eröffnet werden soll. Das Afrikanische Viertel soll dabei als | |
Lern- und Erinnerungsort eine große Rolle spielen. „Wir wollen Wissen | |
vermitteln zu den neuen Namensgebern, aber auch zu den alten“, sagt sie. | |
Damit stellt sich das Projekt den Vorwürfen entgegen, mit den Umbenennungen | |
werde „Geschichte getilgt“. | |
Ende des Jahres endet das Projekt „Dekoloniale – Erinnerungskultur in der | |
Stadt“. Die Förderung des Projekts durch den Senat war auf fünf Jahre | |
angelegt. Laut Kulturverwaltung sollen die Räumlichkeiten aber langfristig | |
gesichert werden „und für zukünftige Projekte zur Auseinandersetzung mit | |
dem Kolonialismus zur Verfügung“ stehen. Yeboah würde gerne weitermachen: | |
„Wir fänden es wünschenswert, wenn Strukturen, die über einen langen | |
Zeitraum aufgebaut wurden, gefördert werden, damit wir kontinuierlich | |
arbeiten können.“ | |
Mboro und die anderen Aktivist*innen der Initiativen werden bleiben – | |
und damit auch die Auseinandersetzung mit Rassismus und Kolonialismus. Von | |
den elf Straßen, deren Umbenennung sie gefordert haben, wurden acht bereits | |
umbenannt oder die Umbenennung zumindest beschlossen. | |
Für Christian Kopp von Berlin Postkolonial ist das eine „mutmachende Bilanz | |
zivilgesellschaftlich-diasporischen Engagements“. Drei Straßen sind noch | |
offen: Die Woermannkehre, die Iltisstraße und die Lansstraße. | |
22 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Ulrike Wagener | |
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