| # taz.de -- Straßenumbenennung in Kreuzberg: Fräulein Rabbiner Jonas | |
| > Eine Straße soll den Namen der in Auschwitz ermordeten Regina Jonas | |
| > bekommen. Die erste Rabbinerin der Welt wurde 1903 im Scheunenviertel | |
| > geboren. | |
| Bild: Regina Jonas im Ornat der Rabbinerin | |
| Berlin taz | Lustig“ und „patent“ sei sie gewesen, dazu habe sie gerne | |
| gelacht und sich im Unterricht gar nicht streng verhalten, erinnerten sich | |
| ehemalige Schülerinnen. Als eine „unvergessbar schöne Person“ mit einer | |
| „tiefen, angenehmen Stimme“, die ganz in ihrem Beruf aufgegangen sei, | |
| behielt eine der Unterrichteten Regina Jonas in Erinnerung. Andere meinten, | |
| Jonas sei eine „exzentrische“ Person gewesen, die ihre Garderobe | |
| vernachlässigt, ja geradezu unelegant gewirkt habe. Wieder andere hatten | |
| sie als vergeistigte, in Gedanken versunkene Frau in Erinnerung. Und, | |
| unerhört, sie habe während des Unterrichts gar ihre Pausenbrote verputzt. | |
| Auch wenn die Bruchstücke über ihr Leben vor 90 Jahren ein | |
| widersprüchliches Bild abgeben, eines steht fest: Regina Jonas war keine | |
| angepasste Frau. Sie kämpfte in den 1930er Jahren für die | |
| Gleichberechtigung von Frau und Mann, auch im Judentum. Diese Frau hatte | |
| ihren eigenen Kopf, und den setzte sie auch gegen starke Widerstände durch. | |
| Nur so konnte Regina Jonas gelingen, das zu werden, was vor ihr weltweit | |
| noch nie eine Frau erreicht hatte: eine Rabbinerin, allenthalben unter den | |
| Jüdinnen und Juden in Berlin „Fräulein Rabbiner Jonas“ tituliert. | |
| Wer künftig in Kreuzberg von der Kottbusser Brücke in Richtung | |
| Wassertorplatz läuft, radelt oder mit dem Auto fährt, wird hoffentlich | |
| schon bald das Vergnügen haben, dabei die Regina-Jonas-Straße zu benutzen, | |
| die aktuell noch Kohlfurter Straße heißt. [1][Ursprünglich sollte in dieser | |
| Woche die Umbenennung in Kraft treten]. Doch das Bezirksamt hat mehrere | |
| Widersprüche gegen die Umbenennung erhalten. Die Angelegenheit verzögert | |
| sich also. Der Name Kohlfurt erinnert an eine Kleinstadt in Schlesien, die | |
| seit rund 80 Jahren den Namen Węgliniec trägt und in Polen liegt. Der Name | |
| ist also veraltet. Gar nicht veraltet ist Regina Jonas, der heute schon mit | |
| einer Gedenktafel an der Krausnickstraße 6 gedacht wird. Wer war diese | |
| Frau? | |
| Geboren wurde Jonas zwar nicht in Kreuzberg, aber auch nicht allzu weit | |
| entfernt, nämlich in Mitte, genauer: am Rand des Scheunenviertels. Das war | |
| vor 120 Jahren, ähnlich wie heute Kreuzberg, eine Gegend, in der sich | |
| bevorzugt Einwanderer niederließen. Nur waren es keine Türken oder Menschen | |
| aus arabischen Ländern, sondern Juden, die vor bitterer Armut und blutigen | |
| Pogromen aus Russland geflohen waren. Das vernachlässigte Scheunenviertel | |
| war oft ihre erste Adresse im deutschen Kaiserreich. Hier erblickte Regina | |
| am 3. August 1903 in der heutigen Torstraße 102 das Licht der Welt. | |
| ## Ein Mädchen als Rabbiner? | |
| Sie wuchs in einem wenig begüterten, aber streng jüdisch-orthodoxem Heim | |
| auf, wo die Speisen koscher waren, die Feiertage eingehalten wurden, Mutter | |
| Sara die Schabbatkerzen anzündete und der Vater Wolf das Morgengebet | |
| sprach. Sei es, dass der Vater sie früh in jüdischen Dingen unterrichtete, | |
| sei es, dass sie von anderer Stelle die Religion in sich einsog: Regina | |
| fiel früh für ihre Begeisterung für das Jüdische auf. Schon als Mädchen | |
| sprach sie davon, später einmal Rabbinerin werden zu wollen. | |
| Nun bedeutet das Wort „Rabbiner“ nicht mehr als „Lehrer“, einer der die | |
| jüdischen Regeln und Gesetze weiter trägt. Der Berufsstand befand sich | |
| allerdings seit Jahrhunderten fest in männlicher Hand. Noch nie hatte eine | |
| Frau vor einer jüdischen Gemeinde predigen dürfen, weder in Deutschland | |
| noch anderswo auf der Welt. Für Regina Jonas war das kein Grund, ihren | |
| Berufswunsch zu ändern. | |
| Im 19. Jahrhundert war jungen Frauen der Besuch eines Gymnasiums oder gar | |
| ein Studium in Preußen unmöglich gewesen. Das sah in der Weimarer Republik | |
| schon anders aus. Regina Jonas machte 1923 Abitur und belegte anschließend | |
| eine Pädagogikklasse, deren Abschluss es ihr erlaubte, an Mädchen-Gymnasien | |
| – Lyzeen genannt – zu unterrichten. Das war für sie aber nur die | |
| Eintrittskarte zum Studium an der berühmten Berliner Hochschule für die | |
| Wissenschaft des Judentums. Sie war dort eine von 27 Studentinnen gegenüber | |
| 155 männlichen Kommilitonen. | |
| Ihre Abschlussarbeit aus dem Jahr 1930 trug den Titel „Kann die Frau das | |
| rabbinische Amt bekleiden?“ Selbstverständlich beantwortete Jonas diese | |
| Frage mit einem klaren Ja – sie war der Überzeugung, dass die jüdischen | |
| Religionsgesetze die Gleichberechtigung implizieren, auch bei den | |
| religiösen Lehrern. Jonas erhielt ein gutes Zeugnis, aber keine Ordination | |
| als Rabbinerin. Ihr neuer Hochschullehrer – der alte war verstorben – hielt | |
| gar nichts von der Idee, dass es Rabinerinnen geben könnte. | |
| ## Lehren, nicht predigen | |
| So kam es, dass Regina Jonas fortan an jüdischen Religionsschulen in Berlin | |
| unterrichtete, aber keine Predigt in einer Synagoge halten konnte. Die | |
| Religionsschulen waren freiwillige Einrichtungen für jüdische Kinder, deren | |
| Eltern Wert auf einen vertiefenden Religionsunterricht legten. Aus dieser | |
| Zeit stammen auch die eingangs erwähnten Zitate ihrer Schülerinnen. Von | |
| 1933 an, als die Nazis die Macht in Deutschland erobert hatten, strömten | |
| immer mehr jüdische Kinder in die Religionsschulen, die sich zu einem Ort | |
| der Vorbereitung auf eine spätere Emigration entwickelten. | |
| Aufgegeben hatte Jonas ihren Berufswunsch nicht, nur aufgeschoben. Im Jahr | |
| 1935 erklärte sich der liberale Rabbinerverband endlich zur Ordination von | |
| Jonas bereit. „Gott möge sie stützen und ihr beistehen und mit ihr sein auf | |
| allen ihren Wegen“, heißt es in ihren Rabbinatsdiplom. | |
| Viele liberal eingestellten Rabbiner gratulierten, darunter auch Leo Baeck. | |
| Doch es gab auch Widerstand. Vor allem aber erhielt die erste Rabbinerin | |
| der Welt keine Anstellung als solche und musste sich mit Vorträgen | |
| begnügen. Erst zwei Jahre später bekam sie von der Jüdischen Gemeinde zu | |
| Berlin den Auftrag zur seelsorgerischen Betreuung in Sozialstationen, also | |
| etwa dem Jüdischen Krankenhaus. Bald predigte sie immer häufiger auch in | |
| einer der Synagogen. Darunter befand sich wohl auch die Synagoge am | |
| heutigen Fraenkelufer, nur wenige Schritte von der Straße entfernt, die den | |
| Namen von Regina Jonas tragen soll. | |
| Mehr und mehr Jüdinnen und Juden flüchteten vor dem wachsenden | |
| Antisemitismus der Nazis in die Emigration. Nach der Pogromnacht im | |
| November 1938 versuchten Zehntausende Deutschland zu verlassen. Doch kaum | |
| ein Staat war zur Aufnahme bereit. Regina Jonas schrieb im Dezember 1938 an | |
| den kurz zuvor nach Jerusalem emigrierten Religionsphilosophen Martin | |
| Buber, auch sie wolle nach Palästina gehen und dort als Rabbinerin | |
| arbeiten. Doch einstweilen blieb Jonas in Deutschland und predigte bald im | |
| ganzen Land in Gemeinden, die keinen Rabbiner mehr besaßen. | |
| ## „Selbstlose hingebungsvolle Liebe“ | |
| Im Herbst 1941 begannen die Deportationen in den Osten. Regina Jonas musste | |
| als Zwangsarbeiterin in einer Kartonagefabrik arbeiten, half aber weiter | |
| bei den Andachten der Gemeinde und sprach den Verfolgten Mut zu. Ihr | |
| älterer Bruder Abraham wurde am 1. Oktober 1941 in das Ghetto Lodz | |
| deportiert. Er starb im Folgejahr im Vernichtungslager Chelmno. Sie selbst | |
| musste zusammen mit ihrer Mutter Sara am 5. November 1942 einen Zug aus | |
| Berlin ins Ghetto Theresienstadt besteigen. Auch dort hielt sie noch | |
| Predigten und hielt an ihrer Vorstellung einer Gleichberechtigung von Mann | |
| und Frau fest. | |
| In einem Vortrag, deren Text sich im Archiv der Gedenkstätte Theresienstadt | |
| erhalten hat, sagte sie: „Von Gott gesegnet sein heißt, wohin man tritt, in | |
| jeder Lebenslage Segen, Güte, Treue spenden. Demut vor Gott, selbstlose | |
| hingebungsvolle Liebe zu seinen Geschöpfen erhalten die Welt. Diese | |
| Grundpfeiler der Welt zu errichten, war und ist Israels Aufgabe – Mann und | |
| Frau, Frau und Mann, haben diese Pflicht in gleicher jüdischer Treue | |
| übernommen.“ | |
| Am 12. Oktober 1944 ist Regina Jonas von Theresienstadt in das | |
| Vernichtungslager Auschwitz verschleppt worden. Dort wurde sie ermordet. | |
| Regina Jonas wurde 41 Jahre alt. | |
| 17 Sep 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Klaus Hillenbrand | |
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