| # taz.de -- Neue Synagoge Berlin: Auferstanden aus Ruinen | |
| > Das Centrum Judaicum feiert 30-jähriges Bestehen. Einst wurde die | |
| > Restaurierung der Synagoge von Erich Honecker gefördert – aus nicht ganz | |
| > koscheren Gründen. | |
| Bild: Golden strahl die Kuppel der Neuen Synagoge Berlin – Centrum Judaicum | |
| In der an unlesbaren Druckerzeugnissen so reich gesegneten DDR gab es auch | |
| eine Zeitung mit dem unauffälligen Titel Nachrichtenblatt. Ein Davidstern | |
| auf der ersten Seite signalisierte, dass es sich um das Organ der wenigen | |
| jüdischen Gemeinden handelte. Ein abgeschlossenes Studium des | |
| Zwischen-den-Zeilen-Lesens war nützlich, um dieses Blatt zu studieren, so | |
| wie so vieles in der DDR. | |
| Hier konnte man in der Ausgabe vom September 1988 erstaunliches zur | |
| Kenntnis nehmen. „Im Gesetzblatt der DDR (Teil I Nr. 13 vom 4. Juli 1988) | |
| ist zusammengefasst, was mit der „Verordnung über die Errichtung einer | |
| Stiftung ‚Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum‘ gemeint ist“, hieß … | |
| da. Und weiter: „Hier wird eine Stätte des Gedenkens und der Andacht, der | |
| Erinnerung und der Forschung, der Gemeinschaft und Bildung, Geselligkeit | |
| und der Begegnung von Juden und Nichtjuden zu schaffen sein.“ Hinter den | |
| sperrigen Sätzen verbarg sich der von höchster Staatsspitze wie der | |
| Jüdischen Gemeinde in Ostberlin geförderte Plan, die Ruine der größten | |
| Synagoge der Stadt wieder zum Leben zu erwecken. | |
| Rund 37 Jahre später ist der Versammlungssaal im Centrum Judaicum am | |
| Dienstagabend voll besetzt, in den Reihen Juden und Nichtjuden, Forschende, | |
| Lehrende und einfach Menschen, die sich für das jüdische Leben | |
| interessieren. Man feiert den 30. Jahrestag der Einrichtung, die so viel | |
| für das deutsch-jüdische Leben bewirkt hat wie mindestens fünf Pfund | |
| Staatssekretäre und zwei Sack Regierende Bürgermeister. | |
| Es ist eine fröhliche Zusammenkunft, aber doch – wie könnte es anders sein | |
| – wissenschaftlich fundiert, mit zwei Panels, einem Interview und vielen | |
| Grußworten. Gleich zu Beginn erwähnt Petra Pau, langjährige | |
| stellvertretende Bundestagspräsidentin und aktiv im Kuratorium der Stiftung | |
| Centrum Judaicum, dass die SED-Führung damals, Ende der 80er Jahre, „nicht | |
| nur ehrenwerte Motive“ gehabt habe. Da hat sie wohl recht. | |
| ## Kaum Sympathien für jüdische Themen | |
| Über Jahrzehnte hatte die DDR außenpolitisch einen Kurs verfolgt, der, | |
| milde ausgedrückt, für jüdische Themen wie für den Staat Israel eher wenige | |
| Sympathien erkennen ließ. Stattdessen stand die SED treu an der Seite | |
| Jassir Arafats und der PLO, lieferte Waffen an deren Kämpfer und erkannte | |
| im jüdischen Staat ein übles Projekt des Kapitalismus – die heutige Jugend | |
| der Linkspartei hätte ihre Freude gehabt. Die Juden in der DDR weniger. | |
| Viele von ihnen hatten schon in den 50er Jahren das Land verlassen. | |
| Nun aber geschahen zwei Dinge. Zum ersten drehte sich mit Michail | |
| Gorbatschow der Wind in Moskau. Hermann Simon, Direktor des Centrum | |
| Judaicum seit seiner Gründung 1988 bis 2015, drückt es so aus: „In Moskau | |
| hatte sich etwas geändert. Das schlug auf die DDR durch.“ | |
| Zum anderen war die DDR extrem klamm an Devisen. Und so besann sich die | |
| Honecker-Clique ihrer antisemitischen Vorstellungen und glaubte, mithilfe | |
| reicher Juden aus Amerika aus der Klemme zu kommen. Ein US-Rabbiner durfte | |
| plötzlich im Land predigen, der Chef der Jewish Claims – zuständig für | |
| Restitutionen an Juden, die die DDR nie gezahlt hatte – wurde empfangen und | |
| sogar gegenüber Israel gab es Anzeichen von Tauwetter. Da kam der | |
| Wiederaufbau der Neuen Synagoge an der Oranienburger Straße gerade richtig. | |
| Nur hatten Honecker und Genossen den angeblich so übergroßen jüdischen | |
| Einfluss in den USA falsch eingeschätzt. Die Juden waren gar nicht so | |
| mächtig. Und so floss auch keine Geld an die arme DDR. Stattdessen geriet | |
| der Staatsratsvorsitzende samt seines Staates in höchste Not. Im Oktober | |
| 1989 musste Honecker zurücktreten. | |
| ## Sensationsfund der ewigen Lampe | |
| Einen Tag später, so erzählt es Hermann Simon auf der | |
| Jubiläumsveranstaltung, fanden zwei Bauarbeiter im Schutt der | |
| Synagogen-Ruine die ewige Lampe, die früher einmal vor dem Thoraschrein | |
| gebrannt hatte. Ein Symbol für jüdisches Leben und zugleich eine Sensation. | |
| Sie muss 80 Meter weit durch die Luft geflogen sein, damals 1943, als das | |
| Gotteshaus, in dem die Nazis Uniformen lagerten, von alliierten Bomben | |
| getroffen wurde. Heute hängt die Lampe in der Ausstellung im Erdgeschoss | |
| des Centrum Judaicum. | |
| Nicht Erich Honecker, sonder Eberhard Diepgen und Helmut Kohl waren am 7. | |
| Mai 1995 nach der umfassenden Renovierung der Neuen Synagoge, erbaut im | |
| Jahre 1866, die Helden. Seitdem strahlt die Kuppel mit dem Davidstern | |
| wieder golden über die Häuser der Umgebung in den Himmel. Auch wenn die | |
| Beteiligten sich nicht ganz einig sind, ob die Einrichtung nun ein Museum | |
| genannt werden soll, ein Archiv, ein deutsch-jüdischer Begegnungsort – ein | |
| Platz für Ausstellungen und andere Veranstaltungen ist es auf jeden Fall. | |
| Nur keine Synagoge, denn noch zu DDR-Zeiten wurde entschieden, den großen | |
| Betsaal nicht in die Rekonstruktion mit einzubeziehen. | |
| Alles in koscherem Hummus also? Nicht so ganz. Schon von außen ist die | |
| ständige Polizeipräsenz sichtbar. Weitere Sicherheitsvorkehrungen bestehen | |
| im Innern. Auch dieses Haus muss bewacht werden, so wie fast alle jüdischen | |
| Einrichtungen in Deutschland. „Gewalt und Unsicherheit gegen Juden nehmen | |
| in dieser Stadt zu“, sagt Anastassia Pletoukhina vom jüdischen Ernst Ludwig | |
| Ehrlich Studienwerk. Petra Pau beklagt, dass Teile ihrer Partei Klarheit im | |
| Kampf gegen Antisemitismus vermissen ließen. | |
| Und doch sei das Centrum Judaicum, seit zehn Jahren unter der umsichtigen | |
| Leitung von Anja Siegemund, eine Haus der jüdischen Gemeinschaft, wo man | |
| sich gerne treffe, sagt Pletoukhina. Siegemund hat noch viel vor. Die | |
| Dauerausstellung soll erneuert und um digitale Projekte erweitert werden. | |
| Eine interaktive Karte des Scheunenviertels ist in Planung. Sie träumt von | |
| einem Café in der Einrichtung. Das Centrum Judaicum soll sich stärker zur | |
| jüdischen Gegenwart öffnen, sagt sie. | |
| 12 Nov 2025 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Hillenbrand | |
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