# taz.de -- Ausstellung im Centrum Judaicum: Zeugen der Geschichte | |
> Das Centrum Judaicum zeigt Alltagsgegenstände, hinter denen sich | |
> Unterdrückung, Diskriminierung und Ausplünderung der Berliner Juden | |
> verbirgt. | |
Bild: Auch an unscheinbaren Gegenstände lässt sich Geschichte erzählen | |
Berlin taz | In einer großen gläsernen Vitrine, einem Gewächshaus nicht | |
unähnlich, liegt zwischen vielen anderen Dingen ein hölzerner Kleiderbügel. | |
Wozu um alles in der Welt stellt man so etwas aus? Wenn es wenigstens ein | |
Kleid wäre, das da hinge! | |
Und auch der im Inneren mit Stoff bespannte Koffer daneben ist nun wirklich | |
nichts Besonderes, sondern ein Alltagsgegenstand aus dem 20. Jahrhundert, | |
als man noch ohne Rollen unterwegs war. Und dann, immerhin, liegt da noch | |
das Schild einer Arztpraxis hinter dem Glas. | |
Die Banalität der ausgestellten Objekte ist nur scheinbar. In Wahrheit | |
verstecken sich hinter Koffer, Kleiderbügel und dem Schild dramatische | |
Geschichten. | |
[1][Die Stiftung Neue Synagoge – Centrum Judaicum hat etwas sehr Simples | |
getan.] Die Museumsmenschen haben in ihrem Magazin nachgesehen, was sich | |
da so alles verbirgt. Sie haben 36 Objekte für ihre Ausstellung | |
herausgenommen. Dann wurde es weniger einfach. | |
Die Kuratorinnen Alina Gromova und Monika Keenan haben nämlich in Berlin | |
lebende Jüdinnen und Juden gebeten, ihnen dabei behilflich zu sein, die | |
ausgewählten Objekte mit Leben zu erfüllen. Diese Menschen kamen aus 14 | |
Staaten. Einige leben seit ihrer Geburt in der Stadt, andere erst seit | |
Kurzem, so wie der DJ aus Kasachstan, der gerade einmal seit 14 Tagen in | |
Berlin weilte. | |
Sie alle haben die Dinge in die Hand genommen. Sie haben auf einem Schofar, | |
einem jüdischen Instrument, geblasen. Den Kleiderbügel näher betrachtet, | |
den Koffer geöffnet. Und dann damit begonnen, davon zu erzählen, was diese | |
Objekte in ihnen auslösen, welche Gefühle sie mit ihnen verbinden. | |
## Eine Türklinke macht Gänsehaut | |
Sofya Dolinskayas Familie floh 1941 vor der heranrückenden Wehrmacht aus | |
dem Westen der Sowjetunion nach Usbekistan. Dort wurde Sofya geboren. 1994 | |
erreichte sie Deutschland. Sie fand unter den Objekten eine Türklinke. „Als | |
ich diese Türklinke in die Hand nahm, bekam ich eine Gänsehaut“, berichtet | |
sie. „Denn ich erinnerte mich sehr lebhaft an alles, auch weil es niemanden | |
mehr gibt. Es gibt einfach niemanden mehr aus dieser Generation.“ | |
Die Türklinke aber entstammt der 1942 von den Nazis geschlossenen Jüdischen | |
Knabenschule Große Hamburger Straße 27 in Berlin Mitte. | |
Das Praxisschild ist eines der wenigen Objekte, das seine Rolle als | |
blechernes Zeugnis von Unterdrückung und Diskriminierung auf den ersten | |
Blick offenlegt. „Dr. med. Israel Ernst Jacobsohn“ steht da, dazu | |
„Sprechst. 9–10, 5–7“. Oben links prangt ein gelber „Judenstern“ au… | |
Metall und unten steht geschrieben: „Zur ärztlichen Behandlung | |
ausschließlich von Juden berechtigt!“ Am 30. September 1938 war jüdischen | |
Ärzten die Approbation in Deutschland entzogen worden. Sie durften fortan | |
nur noch als „Krankenbehandler“ ausschließlich bei Juden tätig werden. | |
Es blieb nicht bei der Berührung der Objekte aus dem Fundus. Viele der | |
Jüdinnen und Juden fühlten sich beim Anblick der Dinge an eigene Stücke aus | |
ihren Familien erinnert. Sie brachten diese mit. Ihre Gegenstände wurden | |
ebenfalls Teil dieser bemerkenswerten Ausstellung, bei der eines deutlich | |
wird: Die Bedeutung eines Gegenstands hat nichts, absolut gar nichts damit | |
zu tun, welchen Wert er repräsentiert, ob es nun 10 Cent oder 10.000 Euro | |
sind. Die Bedeutung wächst allein aus der Vergangenheit. Wobei anzumerken | |
ist, dass viele jüdische Familien über keinerlei ältere Erinnerungsstücke | |
verfügen, weil ihre Vorfahren nur das nackte Leben retten konnten. | |
Der Kleiderbügel im Glashaus trägt nicht einmal eine Aufschrift, so | |
gewöhnlich ist er. Doch an diesem Bügel hing einmal die Uniform eines | |
deutsch-jüdischen Offiziers, der im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der | |
Amerikaner gegen das Hitler-Regime kämpfte. Als er noch in Berlin lebte, | |
hieß er Kurt Jacobowitz. Als Kurt Jasen landete er am 5. Juni 1944 in der | |
Normandie und half bei der Befreiung Europas. Nach seinem Tod haben die | |
Erben die Uniform nebst Kleiderbügel dem Centrum Judaicum übereignet. | |
Die Jüdinnen und Juden, die sich an der Ausstellung beteiligten, brachten | |
ihre eigenen Kleiderbügel mit. Auch an diesen kleinen Stückchen Holz hängt | |
deutsch-jüdische Geschichte. Auf einem davon steht „Heitinger & Co. Herren | |
& Knaben Garderobe Berlin, am Oranienplatz“. Wer das Geschäft heute | |
betreten möchte, sucht vergeblich. Die Besitzer Isidor Heitinger und Meyer | |
Levin wurden schon zu Beginn der NS-Herrschaft 1933 dazu gezwungen, ihr | |
Unternehmen zu verkaufen. | |
## Kleiderbügel und Koffer | |
Alison Singer, der die Schau im Centrum Judaicum mit vorbereiten durfte, | |
sagt: „Wenn ich diesen Kleiderbügel sehe, stelle ich mir viele | |
Kleidergeschäfte vor, sie sind überall in der Oranienstraße. Die Leute | |
arbeiten dort Tag für Tag. Ich stelle mir vor, wie die Leute gekleidet | |
waren, wie sie miteinander geredet haben. Man kann sich mit etwas ganz | |
Einfachem wie einem Kleiderbügel Vergangenheit vorstellen.“ | |
Das gilt selbstverständlich auch für den im Inneren mit Stoff bespannten | |
Koffer, der im Glashaus der Ausstellung steht. So banal das Objekt, so | |
besonders war sein Besitzer. Der hieß Hans Rosenthal und war in der | |
Nachkriegszeit bis zu seinem Tod 1987 ein überaus beliebter deutscher | |
Quizmaster und Unterhaltungskünstler. Den Koffer, so erzählte es später | |
seine Witwe Traudl Rosenthal, habe er immer auf seinen Reisen mitgenommen. | |
Der Anhänger mit Namen und Adresse hängt noch dran. | |
Doch nur die wenigsten Menschen wussten damals, dass sich Rosenthal als | |
Jude während der Shoah in einer Berliner Kleingartenkolonie verbergen | |
musste, unterstützt von einigen mutigen Frauen. Sein Bruder Gert wurde von | |
den Nazis ermordet. Auch dieser Koffer ging später an das Centrum Judaicum. | |
Bei anderen Objekten aus dem Fundus mangelt es dagegen an der | |
Dokumentation. „Die Wege der Objekte in die Sammlung sind oft unklar“, sagt | |
Direktorin Anja Siegemund. | |
Entstanden ist mit all diesen Dingen eine ganz besondere Schau, die ihre | |
eigene Bedeutung erst bei einer näheren Beschäftigung eröffnet. Man muss | |
schon in die Geschichte der Objekte eintauchen und in den | |
Erläuterungstexten zu den Objekten blättern und die Tafeln lesen, um zu | |
begreifen, dass es nicht immer bedeutungsschwerer, mit Hakenkreuzen | |
versehener Dokumente bedarf, um die Katastrophe darzustellen, die ab 1933 | |
über die Berliner Juden – und nicht nur über diese – herein brach. | |
Sondern dass ein paar Kleiderbügel ausreichen. | |
Gefühlsdinge. Bis zum 12. April 2026. Stiftung Neue Synagoge Berlin – | |
Centrum Judaicum. Oranienburger Straße 28–30. Täglich außer samstags | |
geöffnet. | |
22 May 2025 | |
## LINKS | |
[1] https://centrumjudaicum.de/portfolio/gefuehlsdinge/ | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
## TAGS | |
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Ausstellung | |
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