| # taz.de -- „Gewalt ausstellen“ im DHM in Berlin: Als Europa sich ein Bild … | |
| > Schon bald nach 1945 versuchten Ausstellungen, die NS-Verbrechen greifbar | |
| > zu machen. Das Deutsche Historische Museum erinnert an sie. | |
| Bild: Besucherschlange bei der Ausstellung „Crimes hitleriéns“, Paris 1945 | |
| Wie kann man Gewalt begreifbar machen? Trotz knapper Ressourcen | |
| organisierten unzählige Menschen direkt nach Ende des Zweiten Weltkriegs | |
| Ausstellungen, um das Erlebte zu dokumentieren, anzuklagen und zu erinnern. | |
| Sechs davon thematisiert [1][„Gewalt ausstellen“] im Deutschen Historischen | |
| Museum. | |
| Kuratorin Agata Pietrasik möchte die Ausstellungen von damals nicht eins zu | |
| eins nachstellen, sondern sie aus heutiger Sicht einordnen, von ihnen | |
| lernen. Großflächige, bodentiefe Projektionen von Fotos verbinden die | |
| damaligen Präsentationsräume mit dem DHM zu einem hybriden Raum. | |
| Historische Exponate werden mit Kommentaren von Besuchenden und | |
| Zeitungsartikeln kombiniert und aufwendig in gesellschaftspolitische | |
| Zusammenhänge eingeordnet. | |
| In London eröffnete „Horror-Camps“ (Lager des Schreckens) noch vor | |
| Kriegsende. Riesige Fotografien gerade befreiter KZs wurden zum | |
| überfordernden Augenzeugenbericht. Sie sind bis heute emblematisch für die | |
| Shoah. Auch das Video mit der ersten Rede einer Überlebenden wird gezeigt: | |
| Hinter sich verschwommen ein Massengrab, erhebt Hela Goldstein in | |
| Bergen-Belsen ihre Stimme und spricht. | |
| ## Identifikation ermöglichen | |
| Die zweite ausgewählte Ausstellung ist „Crimes hitleriéns“ (Hitlers | |
| Verbrechen). In Paris machte man mit einer monumentalen Karte die | |
| geografischen Ausmaße der NS-Besatzung sichtbar. In Dioramen sollten | |
| sogenannte „Grenz-Objekte“, wie ein Verbrennungsofen oder ein zum | |
| Menschentransport genutzter Viehwaggon, die emotionale Identifikation mit | |
| den Opfern ermöglichen. | |
| Das Leid der französischen Mehrheitsgesellschaft rückte die eigene | |
| Kollaboration und die Vernichtung jüdischer Menschen in den Hintergrund. | |
| Dem begegneten Interventionen wie von David Diamant, die | |
| jüdisch-antifaschistischen Widerstand thematisierten. | |
| Zwei Warschauer Ausstellungen stehen sich in der Mitte des abgedunkelten | |
| Raums gegenüber. Das stark beschädigten Nationalmuseum zeigte 1945 | |
| „Warszawa oskarża„ (Warschau klagt an). Es wurde vom Schutt befreit, um mit | |
| zerstörten Kulturobjekte aus den Trümmern der Stadt befüllt zu werden. | |
| Objekte wie zerschlitzte Bilder oder Fragmente von Statuen wurden zur | |
| Metapher für Zerstörung und Gewalt. Sie sollten zugleich den Blick gen | |
| Wiederaufbau und Weiterleben wenden. | |
| ## Objekte leisten Erinnerungsarbeit | |
| Drei Jahre später, am fünften Jahrestag des [2][Aufstands im Warschauer | |
| Ghetto], eröffnete „Martirologye un kamf / Martyrologia i walka“ (Martyrium | |
| und Kampf). Auch hier leisten Objekte Erinnerungsarbeit: Unter den | |
| Exponaten ist ein Kilim, ein Wandteppich, der 1942 von jüdischen | |
| Zwangsarbeiter:innen gefertigt wurde. Er zeigt vier Personen, die | |
| Stoffreste sortieren. | |
| Das Exponat selbst besteht, wie das Motiv andeutet, aus Kleidungsresten aus | |
| den Vernichtungslagern. Daneben ein Modell des Bunkers, von welchem aus | |
| [3][der Aufstand geplant] wurde. | |
| 1946 wurde in Liberec im heutigen Tschechien ein ganzes Haus zum Mahnmal: | |
| „Památník nacistického barbarství“ (Gedenkstätte der Nazi-Barbarei). D… | |
| Villa eines geflohenen jüdischen Ehepaars wurde vom Gauleiter der Nazis | |
| beschlagnahmt. Nach Kriegsende wurde sie von der nicht jüdischen | |
| Bevölkerung dem Leitsatz „Nezapomeneme“ (Wir werden nicht vergessen) | |
| gewidmet. Das Leid der jüdischen Bevölkerung und der Rom:nja wurde dabei | |
| jedoch vernachlässigt, obwohl sie ca. 75 Prozent der tschechischen Opfer | |
| ausmachten. Die Mehrheitsgesellschaft stand ihnen, wie an vielen Orten in | |
| Europa bis heute, auch nach dem Krieg feindselig gegenüber. | |
| ## Genauigkeit für Osteuropa | |
| Den Abschluss der dichten Ausstellung über Ausstellungen bildet „Undzer veg | |
| in der frayheyt“ (Unser Weg in die Freiheit) in [4][Bergen-Belsen]. Nach | |
| der Befreiung des KZ konnten und wollten viele der überwiegend | |
| osteuropäisch-jüdischen Überlebenden nicht in ihre Heimatländer | |
| zurückkehren. Als Displaced Persons lebten über 11.000 Menschen in einer | |
| ehemaligen Wehrmachtkaserne. Sie organisierten 1947 die Ausstellung, die | |
| eine vorwiegend zionistische Perspektive zeigt: die leidvolle Vergangenheit | |
| wird durch einen hoffnungsvollen Blick auf eine mögliche Zukunft in | |
| Palästina ergänzt. | |
| Die Zeit von 1945 bis 1948 ist außergewöhnlich: Der Zweite Weltkrieg ist | |
| vorbei, der Kalte Krieg hat noch nicht begonnen. „Gewalt ausstellen“ zeigt | |
| in Ausschnitten das Leid eines ganzen Kontinents. Nicht nur die Bildkraft | |
| und der Erfindungsreichtum der Ausstellungen ist wegweisend für unser | |
| heutiges Erinnern – auch die Reaktionen der Besuchenden weist zum Teil | |
| erschütternde Kontinuitäten auf: Etwa, wenn sich 1946 ein deutscher Lehrer | |
| per Brief darüber beklagt, Schülerinnen mit den Schicksalen | |
| [5][französischer Opfer] konfrontieren zu müssen. | |
| Besonders Osteuropa widmet sich diese wichtige Ausstellung mit großer | |
| Genauigkeit und Einfühlung. Ein Erinnern, dem man in Deutschland oft viel | |
| zu wenig Bedeutung beimisst. | |
| 26 May 2025 | |
| ## LINKS | |
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| [4] /Bergen-Belsen/!t5015411 | |
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| ## AUTOREN | |
| Henriette Hufgard | |
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