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# taz.de -- Erinnerungskultur in Hamburg: Weniger Schmidt wagen
> In Hamburg hängt eine weitere Plakette für Helmut Schmidt. Dabei gäbe es
> genügend Leute, an die dringender erinnert werden sollte. Ein
> Gegenvorschlag.
Bild: Neue Helmut Schmidt-Ehrerbietungen gibt es fortlaufend in Hamburg. Diese …
Jetzt noch eine Gedenkplakette in Hamburg-Eilbek zur Erinnerung an Helmut
Schmidt. Bislang gibt es: eine Helmut-Schmidt-Straße, eine
Helmut-Schmidt-Brücke, ein Helmut-Schmidt-Gymnasium, einen
Helmut-Schmidt-Flughafen und ein Studierendenhaus. Es ist viel
Helmut-Schmidt-Erinnerung in Hamburg – und das passt ganz gut, denn Schmidt
war ja gegen Visionen und wenn etwas nicht visionär ist, dann ist es die
Schmidt-Verehrung. Das bayerische Pendant ist der
Franz-Josef-Strauß-Flughafen und das Grundprinzip kommt mit gerade mal zwei
Merkmalen aus: erstens Hochrangiger Berufspolitiker und zweitens Mann.
Das ist nicht besonders viel. Die Frage ist übrigens nicht, [1][ob Schmidt
ein schlechter oder guter Kanzler war] oder er die Hochwasserkatastrophe
gut gemeistert hat. Es war allerdings auch sein Job und daher müsste die
Latte, ihn dafür auszuzeichnen, eher hoch hängen. Tatsächlich scheint
zumindest eine Straße für jeden Kanzler, der es nicht völlig verbockt hat,
vorgesehen zu sein, sowie ein paar Ehrendoktorwürden und vielleicht eine
Primel, die nach einem benannt wird.
In Hamburg scheint die Auswahl an erinnerungswürdigen Söhnen und Töchtern
der Stadt gering, zumindes[2][t fiel die Wahl kürzlich auf Karl Lagerfeld]
und damit auf einen weiteren Mann, dessen Gestus panzerfester
Selbstherrlichkeit eigentlich aus der Mode gekommen ist. So viele Straßen
hat nicht mal Hamburg, dass man sie nach Leuten benennen müsste, die eines
nicht sind: inspirierend für die Zukunft.
Dabei gibt es solche Menschen und dies ist der Aufruf, [3][die Hamburger
Psychiatrie-Rebellin Dorothea Buck] mit zwei Schulen, vier Tafeln und
einer Hauptstraße zu ehren, statt sie mit einer Grünfläche und einer Straße
an der Peripherie abzuspeisen. Buck wurde als junges Mädchen in der
Psychiatrie von den Nazis zwangssterilisiert. Später wurde sie Bildhauerin
und begann, eine Psychiatrie zu hinterfragen, die ihre Patient:innen
noch immer entmündigte.
## Erinnerung als Promitrophäensammlung
Gemeinsam mit einem Psychologen entwickelte sie ein Psychoseseminar, in dem
Patient:innen, Angehörige und Mitarbeitende der Psychiatrie sich auf
Augenhöhe austauschen. Außerdem gründete sie gemeinsam mit anderen
Betroffenen einen Verband Psychiatrie-Erfahrener. Und nein, es gibt nicht
nur Dorothea Buck, man kann gleich ein Straßenschild für Rolf Laute in
Auftrag geben, der mit den Schlumpern einer der ersten war, der einen Raum
für Künstler mit und ohne Behinderung geschaffen hat.
Natürlich kann man öffentliche Erinnerung als Promitrophäensammlung
betreiben, die sich selbst genügt – eine Art Wachsfigurenkabinett, wobei
man damit in Hamburg auch nur mäßig gute Erfahrungen macht. Dann ehrt man
Leute um ihrer Macht willen, die mit Politik oder Mode ihr Geld verdient
haben und das System in etwa dem maroden Zustand an ihre Nachfolger
weitergegeben haben, in dem sie es vorfanden – und deutet ihre unangenehme
Breitbeinigkeit als Originalität.
Sollte sich Oliver Pocher irgendwann in Hamburg niederlassen, hätte er gute
Chancen auf eine Nebenstraße in der Hafencity, wahlweise auch Til Schweiger
für seine Tatort-Verdienste, wenn er aus dem Umfragetief wieder aufsteigen
sollte.
Hamburg betont gerne, dass es nichts auf (Adels-)Titel gibt, aber bisher
ist ihm als Alternative nichts als Status und Promibonus eingefallen. Das
ist schrecklich langweilig. Denk' doch mal nach, Du Stadt, und play it big,
und dann ist noch mehr drin als ein Straßenschild. Vielleicht schenkst Du
den Schlumpern dann den Benko-Turm oder der Buck-Stiftung einen Haufen
Geld. Aber jetzt erst mal eine Straße, mitten im Herzen der Stadt.
6 Sep 2024
## LINKS
[1] /SPD-Ostpolitik-von-Brandt-bis-heute/!6007106
[2] /Karl-Lagerfeld-Promenade/!6012139
[3] /Nachruf-auf-Dorothea-Buck/!5634968
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Erinnerungskultur
Hamburg
Helmut Schmidt
Psychiatrie
Gedenken
Straßenumbenennung
Straßennamen
Psychiatrie
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