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# taz.de -- Nachruf auf Dorothea Buck: Den Schmerz verwandeln
> Dorothea Buck wurde unter den Nazis zwangssterilisiert. Ihre Erfahrungen
> ließen sie zur Mitbegründerin einer menschlicheren Psychiatrie werden.
Bild: Das Gespräch als Lebensnotwendigkeit: Dorothea Buck 2014
Hamburg taz | Man ging beschwingt aus den Treffen mit Dorothea Buck, es
war, als gäbe sie einem ein kleines Stück ihrer Heiterkeit mit, ihrer
Neugier und ihrer erstaunlichen Energie. Da war sie bereits über 90 Jahre
alt und die Ikone einer Bewegung für eine menschlichere Psychiatrie: eine,
in der Betroffene und Behandelnde auf Augenhöhe sind.
Sie selbst kam unter den Nationalsozialisten als junges Mädchen in die
Psychiatrie, wo man sie zwangssterilisierte. Statt mit ihr zu sprechen,
steckte man sie stundenlang in kalte Bäder. Diese Erfahrung, die für sie
eine Demütigung war, hat sie nie vergessen. Sie hat sie zu einer
leidenschaftlichen Kämpferin für eine Behandlung gemacht, in der erst
einmal die Betroffenen die ExpertInnen sind. Sie sprechen – und die anderen
hören zu.
Dorothea Buck war 19 Jahre alt, als sie den ersten von insgesamt fünf
schizophrenen Schüben erlebte. Es war beim Wäschewaschen auf der Insel
Wangerooge, wo sie als viertes von fünf Kindern einer Pastorenfamilie
aufwuchs.
Sie beschrieb das Erlebnis als eine dreifache Gewissheit: dass es Krieg
geben werde, dass sie einmal etwas zu sagen haben würde und dass sie Braut
Christi sei. Sie lachte, als sie es erzählte: „Braut Christi, das haben ja
viele Betroffene, viele Verrückte haben religiöse Erfahrungen“. Und bei
[1][einem anderen Gespräch] beschrieb sie ausführlich, wie sie sich danach
aufs Bett legte und sich ausmalte, was das wohl konkret bedeuten könnte:
sie, die ohnehin Kindergärtnerin werden wollte, würde sich um die Kinder
kümmern und Jesus, dem sie eine gewisse Humorlosigkeit attestierte, um die
Erwachsenen.
## Ein koboldhafter Charme
Wenn Dorothea Buck erzählte, tat sie das mit einer erstaunlichen
Gleichzeitigkeit von Heiterkeit und bodenständiger Sachlichkeit. In einer
Sprache, die gleichermaßen anschaulich und formvollendet war. Sie hatte
etwas von einem alterslosen Kind an sich, den Mut, sich nicht um das
Erwartete zu scheren, den freien Blick und einen koboldhaften Charme.
Nach dem ersten Schub bringen ihre Eltern Dorothea auf Anraten des
Hausarztes in die von Bodelschwingh’schen Anstalten nach Bethel. Dass sie
mit ihrer Tochter nicht über deren Erfahrung sprachen, zumindest nicht
eingehend, ist nach dem Empfinden einer Freundin, der Filmemacherin
Alexandra Pohlmeier, „das einzige, womit sie sich nicht hat aussöhnen
können“. Und vielleicht eine der Antriebskräfte für Bucks unbedingten
Willen zum Gespräch.
Die Anstalten werden von einem Theologen geleitet; das gibt den Eltern
Zutrauen. Tatsächlich sind den PatientInnen Gespräche untereinander
verboten, es dauert ein Dreivierteljahr, bis die Ärzte mit Dorothea Buck
sprechen. Von der Wahl, vor die ihre Eltern gestellt werden, eine Wahl, die
den Namen nicht verdient, erfährt die Tochter nichts: Entweder soll sie
sterilisiert werden oder bis zu ihrem 45. Lebensjahr in der Anstalt bleiben
– danach gilt sie als nicht mehr gebärfähig. Der Vater bittet um Aufschub
der Operation. Vergeblich. Bei dem Eingriff geben die Ärzte vor, dass es um
eine Blinddarmbehandlung geht – dass sie sterilisiert wurde, erfährt
Dorothea Buck später zufällig von einer Mitpatientin.
Die Sterilisation macht alles, was sie sich zuvor erträumt hatte, zunichte:
den Beruf als Kindergärtnerin, eine Ehe, eigene Kinder. Unter den
Nationalsozialisten durften Zwangssterilisierte keine sozialen Berufe
ausüben und es war ihnen verboten, Nichtsterilisierte zu heiraten.
Dorothea Buck ist es gelungen, das Grauenhafte, das ihr widerfuhr, in etwas
Produktives zu verwandeln. Sie beschrieb es so: „Erst als mir der Gedanke
des Selbstmords kam, konnte ich wieder Grund unter die Füße bekommen.“
In der Praxis sah es so aus, dass sie sich erst ein Jahr, dann zwei, dann
fünf gibt, um ein neues Leben aufzubauen. Sie besucht eine private
Kunstschule – und verschweigt dabei Psychiatrieaufenthalt und
Sterilisierung – wird Bildhauerin und Lehrerin für Kunst und Werken an der
Fachschule für Sozialpädagogik in Hamburg.
Es ist schwierig, ihre Mutter-Kind-Skulpturen zu sehen, ohne an ihre eigene
Geschichte zu denken. Eine solche Arbeit hat Dorothea Buck der Berliner
Charité gestiftet. Im Begleitbrief schrieb sie, dass die Plastik die
Beziehung zwischen zwei Menschen ausdrücke und dass eben jene Beziehung in
der gegenwärtigen Psychiatrie fehle. Weil dort nicht genügend gesprochen
werde.
In den 80er-Jahren geht Dorothea Buck mit ihren Erfahrungen an die
Öffentlichkeit. Sie besucht ein Seminar des Leiters der psychiatrischen
Ambulanz der Uniklinik Hamburg, Thomas Bock. Der wird sie seine „
wichtigste Lehrerin“ nennen und erinnert sich daran, wie selbstbewusst sie
dort auftrat, ungewöhnlich selbstbewusst für eine Psychiatrie, die Menschen
mit Psychosen nahelegt, defizitär zu sein. Gemeinsam entwickeln sie das
Konzept trialogischer Psychose-Seminare: einen gleichberechtigten Austausch
zwischen Betroffenen, Angehörigen und den professionell in der Psychiatrie
Tätigen. Das Modell macht bundesweit Schule.
Sich selbst, die eigene Erkrankung, begreift Dorothea Buck als
Forschungsobjekt. Die Psychose erlebt sie früh als Möglichkeit, aus
Impulsen heraus zu leben – und ist sich dabei bewusst, dass für andere
Schizophrene der Kontrollverlust bedrohlich wirken kann. Sie beschreibt die
Schübe als „verändertes Welterleben, man spürt überall Sinnzusammenhänge,
ohne sie näher benennen zu können“. Aber erst nach dem letzten Schub Ende
der 1950er-Jahre erkennt sie, dass er aus ihrem eigenen Unbewussten kommt.
Psychosen deutet sie als Folge von Lebenskrisen, die gelöst werden wollen,
es wäre für Buck fatal, sie mit Medikamenten zu unterdrücken.
## Biografie unter Pseudonym
1990 veröffentlicht sie ihre Biografie „Auf der Spur des Morgensterns –
Psychose als Selbstfindung“, zunächst noch unter dem Pseudonym Sophie
Zerchin, einem Anagramm des Wortes Schizophrenie. Das Buch erscheint im
Verlag ihrer Schwester und vielleicht kann man das als nachgeholtes
Gespräch in der Familie deuten. Es wird ein Erfolg, man lädt sie zu
Vorträgen ein, schließlich erscheint es unter ihrem eigentlichen Namen.
Die Psychiatrie der 90er-Jahre ist reif für eine Veränderung: 1992
begründet Buck den [2][Bundesverband Psychatrieerfahrener] mit, sie gründet
eine eigene Stiftung, die Psychiatrieerfahrene zu
[3][GenesungsbegleiterInnen] ausbildet. Es ist eine Zeit der
Selbstermächtigung und Dorothea Buck, damals bereits über 70 Jahre alt,
wird zu einer Ikone dieser Bewegung.
## Gespräche statt Medikamente
Dorothea Buck sah die Fortschritte, sie warnte aber auch vor den
PsychiaterInnen, die noch immer nur auf Medikamente setzen statt auf
Gespräch. Und sie ließ nicht locker: Vor gut zwei Jahren, da war Dorothea
Buck 99 Jahre alt, kam die Hamburger Gesundheitssenatorin zu ihr, um ihr
die Medaille für treue Arbeit im Dienste des Volkes zu verleihen. Buck
freute sich über die Medaille. Zugleich freute sie sich über die
Möglichkeit, eine Klinik anzuprangern, in der die PatientInnen besonders
lange fixiert wurden.
Sie hat ihre letzten Jahre im Albertinen-Haus in Hamburg verbracht, wo sie
früher einmal als grüne Dame die Kranken besucht hat. Sie wolle das Lesen
„nachholen und ausruhen“, so hat sie ihr Leben dort beschrieben. Zu Ehren
ihres 100-jährigen Geburtstags widmete man ihr ein Symposium mit 600
Gästen: „Auf der Spur des Morgensterns. Menschenwürde + Menschenrechte in
der Psychiatrie“. Per Skype wurde sie selbst aus dem Albertinen-Haus
dazugeschaltet.
Aber die Menschen kamen auch zu ihr, sie kamen so zahlreich, dass eine
Freundin den Besucherstrom abstimmen musste. In Dorothea Bucks Zimmer
hingen Briefe von PsychatriepatientInnen, die ihr dankten. Ihre Heiterkeit
blieb unangefochten von ihrer körperlichen Hinfälligkeit. Sie kannte die
Namen aller Pflegenden, sie fragte sie nach ihrem Leben und sie merkte
sich, was sie ihr erzählten.
Als sie am 9. Oktober stirbt, „heulen die PflegerInnen Rotz und Wasser“,
erzählt Alexandra Pohlmeier. Am 1. November wird Dorothea Bucks mit einer
Trauerfeier in der Niendorfer Marktkirche gedacht.
Anmerkung der Redaktion: Auf Wunsch eines Gesprächspartners wurde gegenüber
einer früheren Fassung ein Zitat gelöscht. Außerdem wurde in der Passage
„Dorothea Buck sah die Fortschritte, sie warnte aber auch vor den
PsychiaterInnen, die noch immer nur auf Medikamente setzen statt auf
Gespräch“ ein „nur“ ergänzt.
1 Nov 2019
## LINKS
[1] /Erfahrungsprotokoll/!5244414&s=gr%C3%A4ff+dorothea+buck/
[2] http://www.bpe-online.de/
[3] https://www.genesungsbegleiter.hamburg/
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Psychiatrie
NS-Opfer
Erinnerungskultur
NS-Widerstand
Euthanasie
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